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Nazischutzgebiete – zwei beispielhafte Biotope. Der »V-Mann-Skandal« in Guben

Einleitung

In den frühen Morgenstunden des 13. Februar 1999 wurde der Algerier Farid Guendoul von einer Horde Neonazis in Guben in den Tod gehetzt. Das Outing des Top-Informanten des Brandenburger Verfassungsschutzes Toni Stadler in diesem Sommer und intensive Recherchen des Antifaschistischen Infoblattes der vergangenen Monate stellen nicht nur wiederholt die Frage nach dem Ziel und damit dem Sinn der Arbeit des Verfassungsschutzes. Sie verdeutlichen auch, wie die Gubener Neonaziszene und auch die bundesdeutsche Neonazimusikproduktion von öffentlichen Amtsträgern sorgsam gehätschelt, unterstützt und ausschließlich beobachtet wurde.

Ein Bild aus besseren Tagen: Der Polizei-Informant Toni Stadler mit Danny Sch. und dem wegen der tödlichen Hetzjagd verurteilten Alexander Bode aus Guben ( v.l.n.r)

Der Verfassungsschutz und Guben

Was nach der Todeshatz auf Farid Guendoul folgte, waren die fast gängigen Beschwichtigungen, Abwiegelungen und gegenseitige Schuldzuweisungen. Guben sei keine Hochburg der Rechten, sagte etwa die Polizei. Jegliche Vernunft entschwand damals dem Bürgermeister von Spremberg, Egon Wochatz, der in einem Interview fragte, was Farid Guendoul »denn nachts auf der Straße zu suchen [hatte]?« Die fast schon üblichen Forderungen nach verstärkter Polizeipräsenz endeten mit dem Ausbau von Sondereinheiten der Polizei, etwa der MEGA. Dass seit Gründung derartiger Einheiten die Zahl rechtsextremer Gewalttaten trotzdem gestiegen ist, ist ein Hinweis auf deren unbrauchbares Repressionskonzept.1

Reine Augenwischerei waren schließlich die Pläne von Polizeipräsident Jürgen Lüth, der Anfang 2001 mit der Gründung von polizeilichen Projektgruppen in Guben und Cottbus den »gläsernen Neonazi« schaffen wollte. Diesen durchschaubaren Neonazi gab es schon lange vorher, zumindest in den Rechnern des Verfassungsschutzes. Denn schon vor Stadler gab es nach Recherchen des Antifaschistischen Infoblattes mindestens zwei V-Leute in der Cottbus-Gubener-Neonaziszene, die ab Mitte der neunziger Jahre detaillierte Informationen an staatliche Stellen weitergaben.2

Die Sozialarbeit und Guben

Der Chefsozialarbeiter von Guben, Ingo Ley, warnte nach der Todeshatz  vor »militanten Autonomen« und »bezahlten Profikillern«, welche nun führende Neonazis in Guben »einfach abknallen« könnten. Gerade Ley kann mit seiner akzeptierenden Sozialarbeit als einer der Obergärtner im örtlichen Neonazibiotop bezeichnet werden. Zunächst ohne sozialpädagogische Ausbildung betreute er spätestens ab Mitte der neunziger Jahre als Sozialarbeiter die rechten Jugendcliquen.3 Dabei verfügte er auch über enge Kontakte zum Brandenburger Verfassungsschutz, welcher über ihn Einfluss auf die Jungnazis nehmen wollte.

Eine der Folgen von Leys Betreuung war, dass sich die rechten Jugendlichen in ihrem Denken und Handeln gestärkt und bestätigt fühlten. Im Rückblick bestätigten uns dies auch von ihm betreute Jugendliche. Ley soll dafür gesorgt haben, dass die Neonazicliquen in öffentliche Jugendclubs hineinkamen und dort – quasi als positiven Nebeneffekt – noch neue Jugendliche anwerben konnten. »Dadurch, dass man uns dazu motiviert hat – praktisch reingeschubst hat in die öffentlichen Einrichtungen, haben wir noch mehr Einfluss auf die anderen Jugendlichen bekommen.«

Die akzeptierende und unterstützende Sozialarbeit von Ley ging soweit, dass er bei den wöchentlichen, strömungsübergreifenden Führungstreffen der Gubener Neonaziszene mit am Tisch saß und schweigend zuhörte. Dort saß regelmäßig u.a. Alexander Bode4 , laut Gerichtsurteil die »entscheidende Figur« bei der Hetzjagd auf Farid Guendoul. Auch Christian Wendt, damals noch Kader der 1997 aufgelösten Die Nationalen e.V., war häufig bei diesen Treffen anwesend.

Neonazis und Guben

Der Berliner Neonazikader Christian Wendt, der Ende 1991 stellvertretender Vorsitzender des FAP-Landesverbandes Berlin wurde, begab sich bereits Anfang der neunziger Jahre nach Guben, um dort rechte Aufbau- und Sozialarbeit für und mit rechten Jugendlichen zu machen. Er organisierte Fußballturniere und andere Freizeitaktivitäten und wollte ein »Nationales Jugendzentrum« durchsetzen. Deswegen nahm er als Stellvertreter für die Neonaziskins am »Runden Tisch« der Stadt Guben teil, wo er seine Forderungen teilweise drohend vortrug. Der »Runde Tisch« war eine städtische Maßnahme, um verschiedenste Jugendliche mit Stadtvertretern – u.a. dem Bürgermeister – zusammen zu bringen und gemeinsam Probleme zu lösen.

Einen eigenen Jugendklub bekamen die Neonazis letztlich nicht. »Auch Jugendpfleger Ingo Ley, der sich maßgeblich auch für die Interessen nationaler Jugendlicher einsetzt, konnte in diesem Sinne noch nichts erreichen«.5 Später kamen dann noch Schulungsveranstaltungen hinzu, die regelmäßig in Cottbus und im Gubener Klub »Junge Welt« stattfanden. Diese wurden maßgeblich von Wendt und dessen politischem Ziehvater, Frank Schwerdt6 , organisiert. das Ziel der damals von Schwerdt und Wendt geführten Nationalen e.V. war: Organisierung und Schulung der Gubener Neonaziszenen. Eine derartige Veranstaltung zur verbotenen Wiking-Jugend sollte von Wolfgang Nahrath7 bestritten werden, wurde jedoch von der Polizei unterbunden. Nahrath hielt dennoch eine kurze Ansprache, die er nach Aussage von Augenzeugen mit den Worten »Heil Hitler« beendet haben soll.

V-Mann »Toni Turnschuh«

Häufiger Gast bei derartigen Veranstaltungen in der »Jungen Welt« war Toni Stadler, der jüngst geoutete Spitzeninformant des Brandenburger Verfassungsschutzes. Schenkt man einem seiner enttäuschten Kameraden Glauben, dann war Stadler »Anfang der neunziger Jahre bis zu  ihrem Verbot in der FAP aktiv und pflegte bis heute regen Kontakt zu dem Kreis um Lars Burmeister«.8 Innerhalb der Gubener Neonaziszene galt Stadler als derjenige mit den meisten Kontakten, so u.a. zu den Neonazibands Nordwind (Fürth bzw. Frankfurt) und Frontalkraft (Cottbus)9 , zum verstorbenen Daniel Eggers und zur sächsischen Führungsriege der Wanderjugend Gibor (WJG).

Als örtlicher WJG-Ansprechpartner warb Stadler regelmäßig für deren Aktionen in der Gubener Szene. Selbstverständlich nahm er auch mehrmals an den Aktivitäten der WJG teil, deren ideologischen Ansprüchen er jedoch nicht immer genügen konnte. Deswegen wurde für ihn eigens das Spottlied »Toni Turnschuh« gedichtet. Ab 1997 war Stadler als Obergefreiter a.D. außerdem Vorsitzender der Gubener Reservistenkameradschaft (RK) der Bundeswehr.10 Szeneintern bewarb Stadler die Aktivitäten der RK u.a. damit, dass man häufiger auf die Schießplätze der Bundeswehr fahre und Schießübungen abhalte. Der heutige Vorsitzende der RK ist Alexander Franz, inzwischen Rechtsanwalt in Guben, der Toni Stadler in zivilrechtlichen Dingen vertritt.  Zumindest 1998 nahm Franz ebenfalls an einem Ausflug der Wanderjugend Gibor teil.

Nicht zuletzt war Stadler der szenebekannte Ansprechpartner für die Beschaffung jeder Art neonazistischer Musik. Wer was wollte, egal ob legal oder illegal, ging zum »Toni«. Handelte der anfangs eher mit Raubkopien, soll er ab Ender der 90er Jahre die Original-CDs »waschkörbeweise« zu Hause gehabt haben. Fast alle in der rechten Szene wussten das. Und natürlich auch der Verfassungsschutz, der schon damals ein Auge auf ihn geworfen hatte. Hinzu kommt, dass Stadler über die Versandliste des von ihm betriebenen Ladens »Hatecrime« (früher Top-One) auch indizierte CDs anbot, zuletzt im Juni diesen Jahres.11 Ein derartig offener Umgang ist wohl nur möglich, wenn man sich sicher fühlen kann und wenig Angst vor Strafverfahren und Gerichtsprozessen hat.

Über den genauen Anwerbezeitpunkt von Stadler durch das Brandenburger Landesamt für Verfassungsschutz ist nichts Handfestes bekannt. Die veröffentlichten Daten widersprechen sich – in der Diskussion stehen die Jahre 2000 bzw. 2001 – und auch der vermeintliche Grund von Stadlers Mitarbeit – ein Verkehrsdelikt – wirkt nicht überzeugend. Stadler war schon in den neunziger Jahren in Verkehrsdelikte verwickelt und auch das schon erwähnte, sehr laxe Verhalten bei seinen strafrechtlich relevanten Aktivitäten schließt andere Anwerbezeitpunkte nicht aus. Auch gab Stadler in seiner Vernehmung nach der Festnahme an, dass er seinen »Handel niemals in so einem großen Stil aufgezogen [hätte]«, wenn ihm nicht – mit Rückendeckung des Leiters des Brandenburger Verfassungsschutzes Heiner Wegesin – »Straffreiheit bei einem eventuellen Verfahren zugesichert worden wäre.«12

Wieviele V-Leute braucht man, um eine Neonazi-CD zu produzieren?

Fakt ist, dass Stadler als V-Mann gemeinsam mit dem V-Mann Mirko Hesse13 an der Herstellung der Landser-CD »Ran an den Feind« und die White Aryan Rebels (WAR)-CD »Noten des Hasses« beteiligt war. Beide CDs kann man – zynisch formuliert – inzwischen als Produktionen der Verfassungsschutzbehörden bezeichnen. Zwei der drei bekannt gewordenen Ersteller der »Noten des Hasses« waren V-Leute und der dritte – der mutmaßliche WAR-Sänger Lars Burmeister – fand nach seiner Festnahme ausgesprochen nachsichtige Richter.

Burmeister begann seine Karriere als Vorsitzender des Berliner Landesverbandes der inzwischen verbotenen FAP. 1992 war er an einem Überfall auf eine Gruppe von Linken beteiligt, in dessen Folge eines der Opfer bis heute sehbehindert ist. Konsequenzen hatte der Überfall erstmal nicht. Im August 1995 nahm die norwegische Polizei Burmeister in Hokksund fest, da gegen ihn ein internationaler Haftbefehl wegen des Angriffes 1992 vorlag. Bis dahin lebte der Berliner schon einige Zeit in Norwegen und knüpfte vielfältige Kontakte zu führenden Aktivisten der norwegischen Neonaziszene. Hierzu zählt etwa der Neonazi Ole Krogstad von der Gruppierung Boot Boys, einer der führenden Vertreiber neonazistischer Musik in Norwegen.

Im Januar 1996 wurde Burmeister nach Deutschland ausgeliefert, wo er sich aber einige Monate später ohne eine Verurteilung schon wieder auf freiem Fuß befand. Zu jener Zeit beteuerte er auch vor Gericht seinen Ausstieg aus der Nazi-Szene, um dreist einige Wochen später an einer Nazidemo vor eben diesem Gericht teilzunehmen. Er bekam wegen des schweren Angriffes von 1992 insgesamt acht Monate auf Bewährung. Ende der neunziger Jahre engagierte sich Burmeister in der Berliner Kameradschaftsszene, u.a. bei der Weißen Arischen Bruderschaft (WAB), und produzierte gemeinsam mit Stadler und Hesse die WAR-CD »Noten des Hasses«.

Am 20. Juli 2002 wollten sich Stadler, Burmeister und Thomas Persdorf14 bei einem, von der Polizei verhinderten Konzert im WAB-Klubhaus in Berlin-Marzahn treffen15 , um eine Neuauflage der WAR-CD zu planen. Burmeister kam in Untersuchungshaft, gegen ihn wurde wegen der Herstellung und Verbreitung der »Noten des Hasses« ermittelt. Doch auch hier kam er auf mysteriöse Art mit einer weiteren Bewährungsstrafe davon. Sein Haftprüfungstermin am 9. September 2002 wurde in eine Hauptverhandlung umgewandelt. Er gestand seine Beteiligung an der Herstellung und Verbreitung der CD. Für das Gericht sprachen aus der »umfassenden Geständigkeit« von Burmeister »glaubhaft Einsicht und Reue«. Dafür bekam er 22 Monate, selbstverständlich auf Bewährung.16

Tödliche Folgen

Guben und die Erstellung bundesweit bekannter Neonazi-CDs sind zwei Beispiele für staatliche Nazischutzgebiete. Diese braunen Biotope wurden von Verfassungsschutzämtern jahrelang infiltriert und beobachtet. Doch wofür? Die Verfassungsschutzbehörden haben damit keinen einzigen rassistischen Mord verhindert. Mit Stadler und Hesse waren mindestens zwei Informanten von Verfassungsschutzbehörden auch aktiv an der Produktion der CD »Ran an den Feind« der neonazistischen Band Landser beteiligt. Die rassistischen Lieder dieser neonazistischen Kultband bildeten den musikalischen Background der drei Nazis, die im Sommer 2000 Alberto Adriano im Dessauer Stadtpark erschlugen. Und auch in der Nacht der Todeshatz auf Farid Guendoul schallte die rassistische Botschaft von Landser aus den Autos der Verfolger um Alexander Bode. Eine halbe Stunde später war Farid Guendoul verblutet.

Lesetipp: Prozessbeobachtungsgruppe Guben (Hg.): Nur ein Toter mehr..., Hamburg/Neumünster 2001

  • 1Ausführliches zu den polizeilichen Sondereinheiten gegen rechts siehe AIB, Nr. 53, S. 36-38.
  • 2Bereits im Frühjahr 1995 beklagte sich auch die Berlin-Brandenburger Zeitung (Organ des Nationalen e.V.), dass der Verfassungsschutz »verstärkt nationale Oppositionelle« aufsuchen würden. vgl. BBZ Nr. 16 (April/Mai 1995), S. 9.
  • 3Prozessbeobachtungsgruppe Guben (Hg.): Nur ein Toter mehr..., Hamburg/Neumünster 2001, S. 52.
  • 4Bode ist momentan bei der Kameradschaft Lausitzer Front aktiv.
  • 5Berlin-Brandenburger Zeitung Nr. 23 (August 1996), S.10.
  • 6Schwerdt gründete bereits im August 1993 den Lausitzer Kreisverband des Nationalen e.V. in Guben.
  • 7Wolfgang Nahrath war von 1967 bis 1991 Bundesführer der inzwischen verbotenen Wiking-Jugend.
  • 8www.stoertebeker.net, 02.08.2002.
  • 9Sänger Roland Haser zog Anfang der 90er Jahre von Guben nach Frankfurt/Main.
  • 10Die heutige Homepage der RK ist von Riccardo Richter aus Cottbus angemeldet. Auf seinen Internetseiten befindet sich auch die Homepage der Cottbuser Naziband Frontalkraft. 11| TAZ, 31.07.2002, S.21.
  • 11TAZ, 31.07.2002, S.21.
  • 12Manuskript der ARD-Sendung Kontraste vom 10.10.2002, www.kontraste.de.
  • 13Hesse sitzt inzwischen eine Haftstrafe ab. Ausführliches dazu AIB 55, S. 37f.
  • 14Persdorf ist einer der Hauptbeschuldigten im Blood & Honour-Nachfolgeverfahren (vgl. AIB 56, S.4.) und Betreiber von Front Records aus Sachsen.
  • 15Dort sollten u.a. Magog und Totenburg spielen.
  • 16Pressemitteilung Nr. 72/2002 der Pressestelle Berlin-Moabit, 9.9.2002.