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(Neo)-Nazi-Kongreß im April 2000 in Chile geplant

Nachrichtenpool Lateinamerika
Einleitung

Im Süden Lateinamerikas machen Neonazis von sich reden. Kleine, bislang isoliert agierende Gruppen versuchen länderübergreifend zusammenzuarbeiten. Höhepunkt der Mobilisierung soll im April 2000 ein internationales (Neo)-Nazi-Treffen in der chilenischen Hauptstadt Santiago sein.

Archivo Histórico del Ministerio de Relaciones Exteriores de Chile/CC BY 2.0 cl

Der spätere rechts-esoterische Schriftsteller Miguel Serrano (links) überreichte 1957 sein Beglaubigungsschreiben als Botschafter in Indien.

Initiator dieses »Kameraden-Treffens« soll die Gruppe um die Zeitschrift "Pendragón" unter dem bekannten Neonazi-Aktivisten Alexis López Tapia sein. Als erstes reagierte das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Buenos Aires auf die neue Entwicklung. »Die Zahl dieser Gruppen wächst, und ihre Aktivitäten sind in den letzten Jahren immer professioneller geworden« erklärte Sergio Widder, Leiter des Wiesenthai-Büros in Argentinien. Die Einrichtung, die weltweit Jagd auf Nazitäter macht, kritisiert das geplante Treffen als »nationalsozialistischen Kongreß«. Die Staaten Lateinamerikas müßten eine »schnelle und sehr eindeutige Antwort auf diese Bestrebungen geben«. Die Reaktionen auf die Wiesenthal-Initiative sind unterschiedlich. Während die Regierungen in Uruguay, Argentinien und Brasilien zumindest zusagten, die Entwicklung im Auge behalten zu wollen, kam von chilenischer Seite bislang keine Antwort. »Auf unsere Vorschläge und Warnungen wegen des Treffens im April 2000 hat die Regierung unter Präsident Eduardo Frei nicht reagiert« beklagt Sergio Widder.

Fruchtbarer Boden für Neonazis

Aktivitäten von Neonazis sind in diesen Ländern bislang eine Randerscheinung. Rassistische Übergriffe werden jedoch zunehmend aus Brasilien gemeldet, wo in den südlichen Metropolen Sao Paolo und Rio de Janeiro weiße Skinheads gegen Minderheiten wie JüdInnen, schwarze MigrantInnen aus dem ärmeren Norden und vor allem Homosexuelle vorgehen. Laut Presseberichten gab es in den letzten Jahren über 15 Todesopfer. Die separatistische Gruppierung "Republica do Pampa Gaucho" des deutschstämmigenen Irton Marx versuchte hier 1993 die "Republica do Pampa" auszurufen. Ihre Fahne glich der Fahne von Nazi-Deutschland.

Schlagzeilen machte im Januar diesen Jahres das kleine südliche Nachbarland Uruguay: Drei Bombenattentate auf eine Polizeikaserne und auf Slumbewohner verursachten erheblichen Sachschaden. Die Polizei nahm daraufhin mehrere Mitglieder der Gruppe »Orgullo Skinhead« (Skinhead-Stolz) fest. In ihren Wohnungen fand sie NS-verherrlichende Schriften und selbstgebastelte Bomben. Die Bekennerschreiben waren mit "Nationales Kommando 1889" unterschrieben, dem Geburtsdatum Adolf Hitlers. An ideologischen Vorbildern in der Region mangelt es nicht. Viele Nazi-Größen fanden hier nach dem Zweiten Weltkrieg Zuflucht und konnten recht freizügig agieren. Unter ihnen der ehemalige SS-Mann Erich Priebke, der erst Mitte der neunziger Jahre von Argentinien nach Italien ausgeliefert wurde und dort wegen Erschießung Hunderter Zivilisten verurteilt wurde. In Argentinien lebte er unter seinem echten Namen und mit gültigen argentinischen Papieren in Bariloche. Hier wurde er sogar Vorsitzender des Trägervereins der deutschen Schule. Nach Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Argentinien 1952 erhielt Erich Priebke wieder einen eigenen deutschen Pass.

Traurige Berühmtheit erlangte auch die als "Colonia Dignidad" bekannt gewordene „Sociedad Benefactora y Educacional Dignidad“ / „Gesellschaft für Wohltätigkeit und Erziehungsanstalt der Würde“. Eine von Deutschen Auswanderern um Paul Schäfer und Hugo B. einige Hundert Kilometer südlich der chilenischen Hauptstadt Santiago gegründete Siedlung, in der sich Deutschtum, autoritäres Sektentum und Kollaboration mit dem Regime von Augusto Pinochet zu einem rechtsfreien Raum ergänzten.

In den siebziger Jahren leisteten zudem die Militärdiktaturen einem autoritären Denken Vorschub. Aber auch der Peronismus in Argentinien - ein populistisches Regime, dessen Ikone Juan Perón nie seine Bewunderung für Mussolini und Hitler verhehlte - war ein Nährboden für antisemitische Tendenzen. Gerade in Argentinien, wo mit 500.000 Mitgliedern die weltweit fünft-größte jüdische Gemeinde lebt, ist das Thema brisant. Anfang der neunziger Jahre starben bei zwei Attentaten auf jüdische Einrichtungen weit über hundert Menschen, immer wieder werden Friedhöfe geschändet. Da die Verbrechen bislang nicht aufgeklärt wurden, vermuten BeobachterInnen bestimmte Teile des Polizeiapparates und korrupte Politiker als mögliche UnterstützerInnen.

Es gebe einen ausgeprägten, aber eindeutig minoritären Antisemitismus im Land, so der Konsens, doch die kleinen Neonazi-Gruppen kämen für solche Aktionen kaum in Frage. Antisemitismus ist eine Konstante in der südamerikanischen Rechten Im Rahmen der internationalen Ermittlungen, die vor allem in Spanien wegen Verbrechen unter der argentinischen und der chilenischen Militärdiktatur geführt werden, gerät jetzt auch die antisemitische Ausrichtung dieser Regime ins Blickfeld. Die chilenische Diktatur (1973-1990) unter Augusto Pinochet bot nicht nur vielen Naziverbrechern Unterschlupf, sie weigerte sich auch, gegen den SS-Offizier Walther Rauff juristisch vorzugehen, nachdem er dort vom Wiesenthal-Zentrum ausfindig gemacht wurde. Als Konsequenz wurde 1998 eine Reise Pinochets nach Israel storniert.

Weniger bekannte Auswüchse von nazistischem Gedankengut während der argentinischen Diktatur (1976-1983) machte vor kurzem eine Studie der Commission of Solidarity with Relatives of the Disappeared (COSOFAM) bekannt. Sie wirft den Militärs vor, in den siebziger Jahren »einen antijüdischen Genozid« betrieben zu haben und mit besonderer Brutalität gegen jüdische Gefangene vorgegangen zu sein. Über 1.900 Ermordete oder sogenannte Verschwundene waren dem Bericht zufolge jüdischer Herkunft, das entspricht zwölf Prozent der gesamten Opferzahl bei einem jüdischen Anteil von nur einem Prozent an der Gesamtbevölkerung. Die dokumentierten Aussagen jüdischer Argentinier, die die Folterlager überlebten, belegen eine antisemitische Orientierung der Peiniger.

»Zuerst töten wir alle Subversiven und dann alle Juden«, habe der berüchtigte Polizist Julio Simon ihr ins Gesicht gesagt, erinnert sich die Schriftstellerin Nora Strejilevich. »Überall an den Wänden hingen Naziplakate und -symbole. Juden mußten nach Nazimusik marschieren, den Hitlergruß zeigen, vielen wurden Hakenkreuze auf die Haut gemalt«, so die Aussage mehrerer Überlebender des Gefangenenlagers "Motores Orletti". Patricia Isasa erinnerte sich an den Polizeikaplan Carmelo Guadagnoli, der an den Verhören teilnahm. »Er sagte jungen jüdischen Frauen widerliche Dinge und meinte, die Juden finanzierten den Kommunismus. Sie folterten mich unter der Anschuldigung, Jüdin zu sein. Ich konnte das »Vater unser« nicht auswendig, ich war erst sechzehn. Es war schrecklich.« Die AutorInnen der 200 Seiten starken Dokumentation sind der Meinung, daß JüdInnen unter der Diktatur systematisch verfolgt wurden.

Wie schon ein Bericht der "Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas" (CONADEP) vor 15 Jahren belegen sie die »spezielle Brutalität« gegen jüdische Menschen und daß viele Wächter und Folterer eine »besondere Bewunderung für Hitler und den Nationalsozialismus« zur Schau trugen. Das Zeigen von Hakenkreuzen war in den Gefangenenlagern Gang und Gäbe, viele der Folterer trugen sie an Halsketten neben dem katholischen Kreuz, erklärten ZeugInnen übereinstimmend.

Die Studie berichtet zudem von bestialischen Foltermethoden, die viele der Opfer nicht überlebten. Der damalige Innenminister Jorge Harguindeguy bestreitet antisemitische Tendenzen unter der Militärdiktatur, räumt aber ein, daß es »unmöglich war, alle zu kontrollieren«. Ihm widerspricht ein Untergebener, der aussagte, daß zwei hohe Offiziere, Alberto Villar und Jorge Mario Veyra, auch ideologische Aufgaben gehabt hätten: Sie empfahlen Literatur und kommentierten Werke von Hitler und anderen Naziautoren. Alberto Villar brachte es später bis zum Chef der Bundespolizei.

Neonazi-Strukturen entwickeln sich

Mit Blick auf das Neonazi-Treffen im April 2000 befürchtet das Simon-Wiesenthal-Zentrum, daß sich die alten nazistischen Tendenzen in der Region mit den neueren rechten Gruppen und rassistischen Bewegungen zu einer neuen Strömung ergänzen könnten, die sich angesichts der lang anhaltenden wirtschaftlichen Notlage breiter Bevölkerungsschichten als Alternative anbieten möchte. Bestimmt nicht zufällig fällt der für den 17. bis 22. April geplante Kongreß auf den Geburtstag Adolf Hitlers. Allerdings sind die heutigen Strukturen der Rechten noch recht unausgegoren und äußerst heterogen. Und die alten, autoritären Hierarchien werden sich nur zu kleinen Teilen für eine solche Bewegung mobilisieren lassen, da viele von ihnen unter den Diktaturen reich geworden sind und angesichts möglicher juristischer Verfolgung eher das Licht der Öffentlichkeit scheuen.

In Argentinien machen in jüngster Zeit vor allem rechte Splitterparteien von sich reden. Die "Partido nueyo Orden Social Patriotico" (PNOSP) und die "Partido Nuevo Triunfo" (PNT) orientieren ihre ideologische Ausrichtung an dem europäischen Antikommunismus der 1930er Jahre, unumwunden bezeichnen sie sich als »faschistisch«. Zu der 1999 gegründeten Gruppe PNOSP gehört die "Legion Argentina" um Leandro Miscione und die rechte Skinheadgruppierung "Siempre Fieles". Als Jugendgruppe der "Partido Nuevo Triunfo" trat die Organisation "Juventud Nationalista Socialista Argentina" (JNSA) um Ricardo Maccione und Alberto Lucio Massolo auf.
Was mit einem »Dritten Weg« gemeint sein kann, formuliert der Führer der "Partido Nuevo Triunfo",  Alejandro Biondini: Ihr »nationalistischer Kampf gegen Marxismus und Neoliberale« werde Erfolg haben, wenn sich die Wirtschaftskrise weiter verschärfe. Auf seiner Internet-Seite ruft Alejandro Biondini zur Teilnahme an dem Neonazi-Treffen in Chile auf: »Wir müssen anfangen, uns zu organisieren und kennenzulernen, um die Arbeit für die Zukunft zu planen.«

Mitte April fanden in Santiago de Chile und gleichzeitig in Argentinien, Uruguay, Peru, Venezuela, Brasilien und den USA geheime Neonazi-Treffen mit dem Ziel statt, den Internationalen Kongreß im kommenden Jahr vorzubereiten. Daraufhin formulierten jüdische, christliche und politische Organisationen einen Aufruf an den chilenischen Innenminister, in dem ein Verbot des Kongresses und besserer Schutz für Minderheiten gefordert wird.

»Es ist nicht hinnehmbar, daß hier Menschen mit einem rassistischen und diskriminierenden Diskurs gestattet wird, eine politische Bewegung in die Öffentlichkeit zu tragen«, erklärte der Herausgeber der jüdischen Zeitung "der Ruf" in der chilenischen Hauptstadt. Das Antidiskriminierungsgesetz, das seit zwei Jahren dem Parlament in Chile vorliegt, müsse unverzüglich verabschiedet werden. Dabei gehe es nicht um die Einschränkung der Meinungsfreiheit, sondern um die Sanktionierung von Aktivitäten, die Rassenhaß und Völkermord gutheißen, ergänzte er.

Braune Drahtzieher in Chile

Recherchen aus dem Umfeld der kommunistischen Partei Chiles zeigen, daß die Protagonisten einer ultra-rechten Organisierung in Chile auf mehrere Strömungen zurückgreifen können, die mehr oder minder eindeutige rassistische oder nationalsozialistische Positionen vertreten. Um den Schriftsteller und ehemaligen Botschafter in Indien, Miguel Serrano, sammelt sich ein esoterischer Flügel. Bereits zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs gab Miguel Serrano die Zeitschrift "La Nueva Edad" heraus, die Partei für Nazideutschland ergriff. Heute vertritt er diese Ideologie in Form einer Religion, die zum Ziel hat, den Menschen mit rechten und esoterischen Werten zu verändern und zu erneuern. Miguel Serrano, der sich häufig in Schwarz und mit einem SS-Mantel kleidet, erklärte mehrfach, daß es derzeit in Chile zwar keine ethnischen Konflikte gebe, doch wenn die »Einwanderung von Koreanern, Juden, Bolivianern und Peruanern« nicht gestoppt werde, könne es bald zu Gewaltausbrüchen kommen.

Ähnlich argumentiert die sogenannte intellektuell-historische Strömung. Sie geht davon aus, daß das Zusammenleben von Menschen aus verschiedenen Ländern, von Mestizen (Nachfahren der spanischen Eroberer) und Indigenas generell Gewalt und Konflikte provoziert. Dementsprechend sei die Gewalt unter Jugendlichen heute ganz normal. Ihr Kopf ist Erwin Robertson, Rechtsanwalt und Herausgeber der Zeitschrift "La Ciudad de los Césares" ("Stadt der Kaiser"), die ähnlich wie die "Junge Freiheit" in Deutschland das Image eines Intellektuellen-Organs anstrebt. Auch Robertson hat einen wenig ruhmreichen Werdegang. Er war Funktionär in der ultra-rechten Gruppierung "Front für Heimat und Freiheit Chiles" und stand wegen Bombenattentaten und Sabotageakten während der Regierung des Sozialisten Salvador Allende vor Gericht.

Weit mehr Beachtung in der Presse findet die Gruppe der militanten rechten Skinheads. Zum harten Kern sollen rund 400 vor allem Jugendliche gehören, die in den Vorstädten von Santiago immer mehr Präsenz zeigen. Ihre Wortführer schwärmen vom Nationalsozialismus, tragen entsprechende Tätowierungen auf Armen und der entblößten Brust und lassen sich mit Springerstiefeln und Bomberjacke fotografieren. Auch Interviews geben sie gern: Gewalt sei ein legitimes und notwendiges Mittel gegen Andersdenkende und vor allem gegen die Feinde: die Juden. »Wir werden die Armee der Bewegung im Endkampf gegen Homosexuelle, Kommunisten und Juden sein«.

Gemäßigter geben sich die Anhänger der sogenannten »Dritten Position«. Es sind vornehmlich Studenten und junge Akademiker, die versuchen, ihre Sichtweise in der Öffentlichkeit als echte und realistische Alternative darzustellen. Es soll sich dabei um eine unabhängige Neonazi-Gruppe handeln, die über eine gute organisatorische Struktur verfügt und in der Lage ist, immer mehr Mitglieder zu rekrutieren. Einige der Kader sollen zudem Führungspositionen in der Wirtschaft innehaben. Ob Verbindungen zur neofaschistischen "International Third Position" (ITP) um die Zeitschrift "Financial Conflict" aus England bestehen ist bisher nicht bekannt.

Bislang treten die unterschiedlichen rechten Gruppen nur sporadisch in Erscheinung, die Presse berichtet zumeist nur von gelegentlichen Übergriffen der militanten rechten Skinheads. Es sind die energischen Vorbereitungen zu dem Kongreß im kommenden April, die Menschenrechtsgruppen und MigrantInnenverbände alarmieren. Langsam aber sicher, so deren Wahrnehmung, nehmen rassistische Äußerungen und auch Gewaltanwendung zu. Mitschuld daran habe nicht zuletzt die Ausländerfeindlichkeit in Europa, die im fernen Chile auf fruchtbaren Boden falle.