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NIKA-Kampagne: Zwischen Scheitern und Aufbruch

Einleitung

Ein strategisches Resümee der Gruppe Redical[M] (Göttingen) und dem Antifa AK Köln nach vier Jahren NIKA-Kampagne.

Foto: Tobias Möritz; CC BY-SA 2.0, flickr.com

Vor mittlerweile vier Jahren hat sich die Kampagne „Nationalismus ist keine Alternative“ (NIKA) gegründet, um aus der allgemeinen Ratlosigkeit in der antifaschistischen Linken nach dem sog. „Summer of Migration“, dem Pogrom in Heidenau und dem Aufstieg der AfD 2015 raus und in die Offensive zu kommen. Klar war: Der rechte Rand ist nicht genug, um AfD und ihren Helfershelfern konsequent zu begegnen. Antifa sollte anders gemacht werden. Aus den Analysen der Krisen- und Austeritätsjahre 2008 ff. sollten Strategien gegen den Rechtsruck als Folge des Krisennationalismus abgeleitet werden.

Es folgten auf der einen Seite eventpolitische Aktionen, andererseits Proteste gegen die autoritäre Formierung von Staat und Gesellschaft. Gleichzeitig begann ein Aufbau- und Vernetzungssprozess regionaler Antifa­-Strukturen in einigen Bundesländern unter dem NIKA-Label. Den Einzug der AfD in den Bundestag und die Landesparlamente konnten wir allerdings nicht verhindern, die Verschärfungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht, wie auch die neuen Polizeigesetze in NRW, Niedersachsen und Bayern nicht aufhalten. Mit Maleranzügen, manch­mal auch schwarzen Jacken, Plakaten, Kleister, Akkuschraubern und Brettern, aber auch Massenblockaden und Farbeiern, hat die NIKA-Kampagne es jedoch immer wieder geschafft Nadelstiche im Rechtsruck zu setzen, junge Leute zu politisieren und gemeinsam mit vielen Anderen die Normalisierung der AfD nachhaltig zu stören.

Krisennationalismus und Soziale Spaltungen

Mit der Banken- und Finanzkrise von 2008 und den Folgen der Austeritätspolitik vorwiegend im Süden Europas, die bis heute deutlich zu spüren sind, hat sich ein spezifischer Nationalismus und Rassismus entwickelt. Er hat den Aufstieg rechtskonservativer bis (neo)faschistischer Programme in ganz Europa (und darüber hinaus) angetrieben. Wo Massenarbeitslosigkeit, fehlende soziale Absicherungen und Alternativslosigkeit zum Trauerspiel des Oben und Unten im Kapitalismus tiefe Furchen in der Lebensrealität hinterlassen, hat die Rechte ihre Chance gesucht.

Schon an Sarrazins sozialchauvinistischen Thesen war abzulesen, woraus sich das politische Programm der „neuen Rechten“ speisen würde: Der sog. „schlanke Staat“ setzt die Konkurrenz als grundsätzliches Sozialprinzip besonders grausam durch. Verlierer*innen sind Migrant*innen, Geflüchtete, Frauen und Queers, die im Vergleich zu ihren mehrheitlich deutschen, männlichen Konkurrenten schlechtere Bedingungen und Chancen auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft, gesellschaftlicher Repräsentation und Anerkennung haben. Sie werden hierdurch leicht zum Feindbild wandelbar, denn Konkurrenz bringt klassenübergreifend Gewinner*innen und Verlierer*innen hervor. Die Chefetagen deutscher Unternehmen, als auch Mitarbeiter*innen kleiner Betriebe nehmen die rassistischen Diskurse auf und treten weiter nach unten. Sozialchauvinisten wie Thilo Sarrazin versuchen genau dieses Prinzip, um gepart mit völkischen und biologistischen vermeintlich wissenschaftlichen Thesen, dieses Oben und Unten - Gewinnen und Verlieren in der Konkurrenz - zu verewigen.

Mit Claims wie „Soziale Kämpfe statt Volksgemeinschaft“, aber auch der feministischen Ausbuchstabierung der NIKA-­Kampagne und den Aktionen gegen Abschottung und Festung Europa, wollten wir diesen Analysen Rechnung tragen. Wo Abwehrkämpfe zu kurz greifen, wird gute Zusammenarbeit mit unseren feministischen und antirassistischen Genoss*innen gebraucht. Mit der Debatte um die sog. „neue Klassenpolitik“, gibt es zudem eine Wiederbesinnung der Linken, aktuelle Potentiale anhand eines ausdifferenzierten Klassenbegriffs zu erarbeiten.

Gezeigt hat sich: die globalen feministischen Kämpfe, wie auch die Kämpfe um Migration bieten - gerne verbunden mit Fragen von Gerechtigkeit und Klassenkampf- gute Ansatzpunkte, um breit aufgestellt gegen die Rechten vorzugehen.

Über das Bürgertum und andere Wiederholungstäter

Rechte brauchen Nährboden: Die AfD erlebte zwar immer wieder einige Konjunkturschwankungen, konnte sich lange aber weitgehend ungestört durch die Haltungen und Handlungen des liberalen Bürgertums etablieren. Die verheerenden Strategien der Sozialdemokrat*innen, die stets den Dialog mit der AfD gesucht haben, um sie in mittelklassigen Talkshows zu „entlarven“, sind offensichtlich gescheitert. Statt über die AfD zu reden wurde stets mit ihr geredet. Die anfänglichen Skandale und Tabubrüche wurden zur immer grausameren Normalität.

Ob der Schießbefehl auf Geflüchtete an den EU-Außengrenzen oder die Lagerisierung von Geflüchteten unter menschenverachtenden Bedingungen - was für einen anfänglichen Aufschrei sorgte, wurde in der Folge von bürgerlichen Parteien umgesetzt. Die AfD schien zum festen Ansprechpartner der allgemeinen politischen Öffentlichkeit zu werden. Doch der Fall Kalbitz und die nun aufgrund des jahrelangen antifaschistischen Drucks drohende Beobachtung der ganzen AfD durch den VS zeigen, was hilft: gute Recherche, langfristiger Druck, keine Kompromisse mit (Neo)Faschisten.

Hier heißt es dranbleiben: Die Festung Europa hat Helfershelfer, diese gilt es immer wieder zu markieren und anzugreifen. Antifa bleibt Handarbeit.

Weitermachen

Mit der NIKA-Kampagne ging es von Beginn an auch darum, Chancen und Potentiale gegen den Rechtsruck zu pushen und den radikalsten Teil in den Bewegungen gegen das Polizeigesetz, bei der Seebrücke und Unteilbar zu bilden. Wie gut uns das gelungen ist, ist streitbar. Neben den zumindest Teilerfolgen der breiten Bündnisse gegen die Polizeigesetze beispielsweise in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Sachsen konnte deren Durchsetzung zwar nicht verhindert werden, der öffentliche Druck zwang die Gesetzgeber aber zu einer Abschwächung.

Auch durch die Seebrücke konnten die Abschiebezentren der CSU unter Seehofer in ihrer bayrisch-barbarischen Konzeption nicht vollständig umgesetzt werden. Mit der Verbindung Antifa & Antira, z.B. beim gemeinsamen Block mit dem „NSU-Tribunal“ und „We‘ll Come United“ bei der Unteilbar-Demo in Dresden im August 2019, haben wir  versucht, aus den Fehlern zu lernen und dem mehrheitlichen Schweigen der deutschen Antifa in Bezug auf den NSU und der rassistischen Debatte um „Dönermorde“, aber auch den nachwirkenden Erfahrungen aus Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda zumindest ein Stück weit Rechnung zu tragen.

Der Kontakt zu Basisinitiativen und Unterstützungsstrukturen für Geflüchtete hat sich verbessert. Die letzten pogromartigen Ausschreitungen konnten nicht verhindert werden. Gewachsene Reisebereitschaft und Feuerwehrpolitik sind wichtiger Bestandteil einer spontanen und aktionistischen Antifa-Bewegung, können ihr Potential wiederum nur entfalten, wenn sie in eine verbindliche Organisierung und einen politischen Resonanzboden eingebettet sind. Wir wollen aber gewiss nicht so tun, als ob wir in der Lage wären rechts-terroristische Attentate mit der aktuellen Stärke der antifaschistischen Bewegung zu verhindern. Im Gegenteil: Halle, Hanau, Kassel und der NSU 2.0 zeigen uns, wo unsere Schwächen liegen und wo wir versagen.

Handlungsschritte

Antifaschistische Praxis, die sich aus den aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen ableitet, sollte ein paar Punkte mitdenken: Antifa braucht Resonanzboden und Vernetzung. Die vielerorts entstandenen Initiativen in Gedenken an die Opfer rassistischer Gewalt in Deutschland stellen die Schnittstelle zwischen staatlichen Antifa-Strukturen, Selbstorganisation von Migrant*innen und radikalen Kräften dar. Wenn wir in die Offensive kommen wollen, müssen wir in die lokalen Auseinandersetzungen intervenieren und ansprechbar werden. Wenn unzählige Neonazis bewaffnet im Untergrund sitzen und sich rechtsterroristische Attentate häufen, darf der Diskurs nicht im Für und Wider von Blockaden stecken bleiben.

Das bedeutet auch (Neo)Faschist*innen klar zu benennen und den Diskurs um vermeintlich gemäßigtere Teile der AfD anzugreifen - und sie als das zu bezeichnen, was sie tatsächlich sind: das organisatorische Rückgrat des neuen Faschismus. Und es bedeutet auch kreativ und erfinderisch in unseren Aktionsformen zu sein. Mit der Verknüpfung von Antifaschismus mit Antirassismus und Feminismus sind in den letzten Jahren verschiedene erfolgsversprechende Projekte entstanden und so werden wir vielleicht in Zukunft besser unserer Aufgabe nachkommen: dem Rechtsruck konsequent entgegentreten, auf der Straße, im Wahlkampf und vor den Parlamenten.