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Papier ist geduldig – Nazi-Konzepte im Rückblick

Einleitung

Um Gegenstrategien und -aktivitäten gegen die extreme Rechte punktgenau und wirkungsvoll ansetzen zu können, ist es wichtig, deren Vorgehen und Strategien zu kennen und einzuschätzen. Das regelmäßige Studieren der Papiere und Konzepte der extremen Rechten ist daher wichtig. Diese Quellen müssen jedoch bewertet, an den Möglichkeiten der Nazis gemessen und in die gesellschaftliche Realität eingepasst werden. So ist es zwar wichtig zu bemerken, wenn in der Szene vermehrt Werwolf-Konzepte veröffentlicht werden. Ob diese jedoch von der Szene umgesetzt werden können, muss hinterfragt werden.

»National Befreite Zone« in Form eines illegalen Neonazi-Jugendclubs in Berlin-Treptow

So waren schon die in den Werwolf-Konzepten geforderten Grundvoraussetzungen, wie z.B. die gut ausgebildeten »Schläfer«, einfach nicht vorhanden und konnten auch nicht ausgebildet werden. Ein anderes Beispiel war die Diskussion zum Thema »Die weichen Themen besetzen«, in der es der NPD darum ging, dass ihre Kader eine bürgernahe Politik machen und sich z.B. auch um Abwasser- oder Müllverordnung kümmern. Auch das hat nicht geklappt, da die Kader der NPD weder kompetent in diesen Bereichen sind, noch bringen sie die Motivation mit, sich einzuarbeiten. Ihr Interessengebiet liegt in den klassischen Inhalten der extremen Rechten.

Die meisten Konzepte werden in der Nazi-Szene nicht besonders breit diskutiert. Das liegt vor allem daran, dass viele der angebotenen Konzepte aus unrealistischem Wunschdenken ohne jeden Realitätsbezug bestehen. Andere Konzepte wären vielleicht erfolgreich, wenn sie tatsächlich von der breiten Basis angenommen, verstanden und umgesetzt würden – doch dies ist in der Regel nicht der Fall. Solche Konzepte werden schlichtweg von der breiten Basis kaum wahrgenommen oder direkt umgesetzt. Wenn überhaupt, sind es die regionalen Kader, die Konzepte wahrnehmen, annehmen, umändern oder aufgeben. Doch auch hier scheitern die meisten Konzepte aus verschiedenen Gründen an einer tatsächlichen 1 zu 1 – Umsetzung. Was bleibt sind jedoch identitätsstiftende Fragmente, Schlagwörter und Labels aus den Konzepten. Das AIB hat immer versucht, die in der Szene geführten Debatten abzubilden und zu bewerten. Im Rückblick haben wir natürlich nicht immer richtig gelegen und auch hier und da Sachen für bare Münze genommen. Mit dieser Reihe wollen wir nun anfangen, die Organisationskonzepte und Strategiedebatten noch einmal aufzuarbeiten und zu bewerten.

Das Werwolf-Konzept

Ein Konzept, das sich in verschiedenen Spielarten seit Jahren in der Nazi-Szene hält, ist das Werwolf-Konzept. Unter dem Eindruck der Briefbomben-Serie in Österreich, zahlreichen Waffenfunden bei Nazis, deutschen Nazi-Söldnern im Ausland und real existierenden Wehrsportgruppen warnte auch das AIB in den 90er Jahren vor dem Aufbau einer Werwolf-Untergrundstruktur. Im Nachhinein betrachtet scheint die Existenz einer bundesweiten oder länderübergreifenden vernetzten Untergrundstruktur, die in eine politische Konzeption eingliedert ist, zweifelhaft. Das erste Werwolf-Konzept mit dem Titel »Werwolf – Winke für Jagdeinheiten« wurde bereits 1944/45 in Nazi-Deutschland vom Oberkommando des Heeres herausgegeben und rief zur Bildung bewaffneter Werwolfkommandos auf.1 Ein Ziel dieser »Kleinkriegseinheiten« war: »Ausrottung der Helfershelfer des Feindes und Durchkreuzung aller feindlichen Maßnahmen durch rücksichtslosen Kampf.«2 Auf diese militärische Kleinkriegsanleitung berufen sich militante Nazis seitdem, wenn sie vom Aufbau von Untergrundstrukturen träumen.

In der Strategieschrift »Eine Bewegung in Waffen« gab es eine politischere Up-Date-Version des Konzeptes: »Im entscheidenden revolutionären Moment des Umsturzes ist der harte Kern der Bewegung, bzw. des illegalen Arms, als Werwolf anzusehen«3 . An anderer Stelle heisst es: »Der Werwolf ist also (...) die extremste Form der psychologischen Kriegsführung mit einer innenpolitischen Sprengwirkung, die es zu nutzen gilt.«4 Nach diesem Konzept »muß der Werwolfstab der Organisationsleitung die kämpfenden Einheiten über das Netzwerk ‚Werwolf‘ direkt und indirekt führen«.5 Das Netzwerk soll aus einem Netz von Aktionsgruppen oder Vertrauensmännern bestehen, die Anlauf- und Versorgungspunkte unterhalten. Wohl in der Vorahnung, dass diese Vorgaben etwas zu schwer umzusetzen sind, räumt der Verfasser in seiner Zusammenfassung ein: »Der Werwolf der Zukunft ist mehr ‚Feierabend- und Wochenendterrorist‘ als Angehöriger eines ständigen in freier Natur operierender Streifkorps (...) Weiterhin ist zu bemerken, daß wenn der Werwolf ein kleiner ausgewählter Teil des illegalen Arms der Gesamtbewegung ist, er zahlenmäßig anfangs nicht allzu groß sein wird, sondern eher zu klein als zu groß.«6 Sobald »das System mittels seines Repressionsapparates die Bewegung (...) zu zerschlagen versucht«, darf der Werwolf den verdeckten Kampf starten und sich »aller zur Vernichtung des Systems geeigneten Mittel bedienen«7 .

Dieser Punkt wäre beispielsweise nachdem Verbot diverser Nazi-Organisationen gekommen gewesen. Doch es blieb bei vereinzelten Aufforderungen zum Widerstand. Das gewünschte Resultat des Werwolf-Konzeptes hätte eigentlich in Richtung »Strategie der Spannung« gehen sollen: »Wenn das System schon nicht mehr in der Lage ist, sich gegen die kämpferischen Maßnahmen des Werwolfes zu wehren, dann kann es das bestehende politische und wirtschaftliche Chaos erst recht nicht beseitigen und die Verhältnisse zum Guten wenden. Damit ist die nationalsozialistische Revolution gerechtfertigt.«

Das Werwolf-Konzept zeigt auch, dass es kein allgemeingültiges Master-Konzept innerhalb der Nazi-Szene gibt. Vielmehr haben viele der kursierenden Konzepte einen Angebotscharakter und werden je nach Interessenlage zeitweilig von einigen Personengruppen innerhalb der Szene angenommen. Auch das Werwolf-Konzept war nicht unumstritten. Michael Kühnen erklärte zum Werwolf:8 »Trotz Verfolgung und Verbot bietet das System (...) immerhin einigen Spielraum für die Organisation des politischen Freiheitskampfes (...) Die Organisation eines zusätzlichen bewaffneten Kampfes – des Werwolfs – kann in der gegenwärtigen historischen Situation diesen Freiheitskampf nicht fördern, sondern nur behindern und lähmen.« Ähnlich wie der historische Vorgänger scheiterten die Anhänger des Konzeptes mit dem Versuch, einen Nazi-Guerilla-Krieg zu entfesseln. Trotzdem gab es Nazi-Cliquen, die versuchten entsprechende Gruppen aufzubauen. So flog 1991/92 die »I. Werwolf-Jagdeinheit Senftenberg« auf.

In Erddepots fand die Polizei u.a. Maschinenpistolen und mehr als 150 Handgranaten. Anhänger der WSG erschossen einen Autofahrer, um an sein Auto zu gelangen.9 Anfang der 90er Jahre bemühten sich Berliner Neonazis eigene Werwolfzellen auszubauen. Ein Aussteiger berichtete in diesem Zusammenhang von Sprengübungen und Wehrsportlagern.10 Auch heute gibt es innerhalb der militanten Nazi-Szene immer einen Personenkreis mit Hang zum Waffensammeln und paramilitärischen Übungen. Auch sind ernst gemeinte Planungen zum rechtsextremistischen Terror regelmäßig im Umlauf. Doch der Schritt hin zum Aufbau einer bundesweiten handlungsfähigen Untergrundstruktur blieb aus. Der Personenkreis, der den Willen zum Aufbau solcher Strukturen hat, ist für Sicherheitsbehörden und AntifaschistInnen meist leicht eingrenzbar. Dass Bestrebungen zum Aufbau terroristischer Nazi-Strukturen trotzdem bei antifaschistischen Recherchen Priorität haben müssen, belegen eine Reihe unaufgeklärter Sprengstoffanschläge und Brandstiftungen in den letzten Jahren.

Anti-Antifa-Konzepte – Feindabwehr im Wandel

Der Antrieb zur Bekämpfung antifaschistischer Strukturen ist in allen Facetten der extremen Rechten gleich. Es ist der Kampf um die Möglichkeit, nach der Zerschlagung des Nationalsozialismus Politik zu machen ohne mit einer Sanktionierung rechnen zu müssen. Die Protagonisten beschreiben sich dabei als sich lediglich wehrende Opfer und beklagen eine »Kumpanei von Staat und Antifa«, der offensiv gegenüber getreten werden müsse. Sprich als Feind definierten Personen seien zu erfassen, zu bedrohen und mundtot zu machen. 1992 erschien in Hamburg das Neonaziblatt »Index« mit dem Schwerpunkt »Anti-Antifa« und listete linke Treffpunkte auf, um zu zeigen, »wie so etwas aussehen könnte, und einen Ansporn zu weiterer Unterstützung geben«. Man wolle »aufzeigen, wie viel wir noch nachzuholen und aufzubauen haben, bis wir eines Tages auch nur einen vergleichbaren Stand erreicht haben.«11

Im selben Jahr resümierte Christian Worch in einem Rundschreiben: »Nachdem immer mehr Gruppen sich – teilweise schon über die bisherigen Organisationsgrenzen hinaus – mit Feindaufklärung befassen, stellt sich die Frage nach einer informellen ‘Vernetzung’. Aus personellen, finanziellen und technischen Gründen ist es (...) noch nicht erfolgversprechend, eine reichsweite Zentralstelle zur Dokumentation und Auswertung des gesammelten Materials zu schaffen. (...) Wenn aber eine solche zentrale Vernetzung (‘von oben’) noch nicht machbar ist, ist an eine Vernetzung ‘von unten’ zu denken«12 . Von einer zentralistischen Organisation – sei es von oben oder unten – kann bis heute nicht die Rede sein. Vielmehr gibt es regional aktive und gruppenübergreifende Anti-Antifa-Gruppen, wobei festzustellen ist, dass das Thema einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Einzelpersonen zur Profilierung dient.

Vom Prinzip »Einblick«...

1993 erschien die Broschüre »Der Einblick«, in der ca. 250 vermeintliche Linke aufgezählt wurden, um diesen »unruhige Nächte« zu bereiten und sie »endgültig auszuschalten«.13 Die Empörung war groß und die Bundesanwaltschaft ermittelte gegen die Herausgeber um den Nürnberger Norman Kempken. Deren Appell: »Diese Veröffentlichungen müssen entsprechende Konsequenzen für unsere Gegner haben« blieb nahezu unerfüllt und der angestrebte Einschüchterungseffekt – »wenn sie wissen werden, daß wir ihre Gewohnheiten, ihre Familien und ihre Autos kennen. Wenn wir wissen, wo und mit wem sie arbeiten, wo sie ihren Urlaub verbringen und welche Interessen ihre Freizeit ausfüllen.« – Wunschdenken. An dem »Prinzip Einblick« hat sich bis heute wenig geändert, gelegentlich erscheinen Veröffentlichungen, die recht wahllos linke Personen outen, Antifatexte wiedergeben und deren Duktus und Habitus gern in umgekehrter Weise übernehmen. Zwar gibt man sich wild entschlossen, kämpferisch und »autonom«, will aber eine Strafverfolgung nicht riskieren. So erklärt eine Anti-Antifa aus Rheinland Pfalz, ihr würden »überzeugte nationale Sozialisten angehören, die bereit sind ihr Leben für die Sache zu geben«, um später zu betonen, dass sie »keine kriminelle Vereinigung sind, die es darauf abgesehen hat Straftaten zu begehen«.14

»Kumpanei von Staat & Anti-Antifa«

Eine realistischere Einschätzung als Worchs Initationspapier und die Allmachtsphantasien des »Einblick« geben neuere Anti-Antifa-Texte. Kraftmeierei und unkontrolliertes Sammeln von auch »staatlichen« Feinddaten bescherten zwar Ermittlungsverfahren, der Effekt hielt sich aber in Grenzen. Veröffentlichungen, die über »name-dropping« hinausgingen, waren eher Zufallstreffern verdankt, als einer eigenen kontinuierlichen Beobachtung und Einschätzung. Erfolgversprechender scheint es den Neonazis nun, im Sinne einer staatlichen entpolitisierenden Kriminalisierung der Antifa in die Rolle einer Hilfspolizei bei der Bekämpfung »linker Kriminalität« zu schlüpfen.15 So will die Anti-Antifa Nürnberg »beweiskräftiges Material gegen die Antifa und ihre strafrelevanten Aktivitäten herbeischaffen«16 und ausgerechnet im deutschsprachigen Magazin der Terrorgruppe »Combat 18« wird die Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen propagiert.

Es wird nahegelegt, linken Internetseiten anzuzeigen oder sich über Antifa-Publikationen ohne presserechtlichen Verantwortlichen zu erkundigen »ob das einen Straftatbestand oder eine Ordnungswidrigkeit« sei. Bekannte Nazis sollen »bei sich bietender Gelegenheit Strafanzeige gegen die Linken stellen! Danach über einen Anwalt Akteneinsicht beantragen (...) und auswerten!!! Das Anzeige erstatten ist (...) von enormer Wichtigkeit, da es den Verfolgungsdruck auf die Linken erhöht, deren Straftatenstatistik in die Höhe treibt und denen viele Frechheiten uns gegenüber vermiest, da sie Angst vor der Bullen-Verfolgung haben/bekommen!«17 Unabhängig davon, ob sich eine Anti-Antifa nun militant formiert oder lauthals als verfolgte Unschuld nach staatlichem Eingreifen ruft, bleibt der alltägliche Strassenterror gegen Linke ein Selbstläufer. Oft genug wird der umgesetzt von rechts anpolitisierten Jugendlichen, organisierten Neonazis oder besoffenen Nazi-Skinheads, die weder das eine noch das andere Konzept jemals gelesen haben werden.

National Befreite Zonen – Der Ursprung

Im Jahr 1991 veröffentlichte der Nationaldemokratische Hochschulbund (NHB), die Studentenorganisation der NPD, in seiner Zeitschrift »Vorderste Front« den Text »Schafft befreite Zonen«. Vor dem Hintergrund der Auflösung der DDR und den neuen Möglichkeiten für die eigene Arbeit, verstand sich das NBZ-Konzept als strategischer Plan für die Schaffung von Freiräumen, wo Neonazis Macht- und Kontrollfunktionen inne haben. Militanz wurde als legitimes Mittel benannt. Unter Einbeziehung der Bevölkerung sollten sich Neonazis in den NBZ wirtschaftlich selbstständig machen und Reisebüros, Läden, Druckereien etc. aufbauen. Diese wirtschaftliche Infrastruktur sollte der besseren Vernetzung der neonazistischen Szene dienen. Die Autoren des Ursprungskonzeptes benannten als räumliches Minimum für eine NBZ einen Straßenzug, dachten jedoch schon damals in der Dimension von ganzen Städten.

Gewalt galt für den Aufbau der national befreiten Zonen als adäquates Mittel, da »zehn bis zwölf entschlossene Revolutionäre [genügen] und WIR bestimmen, was aus militanter Sicht in Leipzig angesagt ist und was nicht«.18 Die zentralen Aspekte des NBZ-Konzeptes stammen nicht aus NPD-Kreisen, vielmehr studierten deren damalige Vordenker die Praxis neonazistischer Gruppen anderer Länder. Hierzu zählte die Terza Posizione, welche ab Ende der 70er Jahre in Italien militant nationalrevolutionäre Ideen vertrat und den Aufbau einer »GEGENMACHT« vorantrieb. »Dies geschah durch den Aufbau einer eigenen Infrastruktur mit eigenen Läden, Geschäften, Druckereien etc.«19 Kopf der Terza Posizione in jener Zeit war Roberto Fiore, der heute über vorzügliche Verbindungen zur europäischen Rechten, u.a. zur NPD, verfügt.

Modifikationen und Rückschritte

Ende der 90er Jahre wurde das NBZ-Konzept aktualisiert und der Realität angepasst.20 Der inflationäre Gebrauch des Begriffes »national befreite Zone« machte dies ebenso notwendig wie der massive Zulauf an Anhängern, den die extreme Rechte in den 90er Jahren hatte. Von der Schreibtisch-Strategie der Eroberung von Straßenzügen, Stadtbezirken oder ganzen Städten verabschiedete man sich. Vielmehr kann heute schon ein einzelnes Haus eine national befreite Zone sein. Wesentlichere Modifikationen waren aber die Benennung von Schnittstellen in weite Teile der Gesellschaft hinein und der explizite Einbezug der kulturellen Sphäre. Letzteres entsprang jedoch nicht politischen Diskussionen.

Vielmehr sprang die NPD auf einen Zug auf, welchen neonazistische Skinheadnetzwerke wie Blood & Honour schon längst auf die Reise geschickt hatten. Jedoch verknüpfte die NPD das NBZ- Konzept mit ihrem Drei-Säulen-Modell, welches den Kampf um die Straße, den Kampf um die Köpfe und den Kampf um die Parlamente propagierte. Nach unzähligen mehr oder weniger erfolgreichen Demonstrationen und der kontinuierlichen Präsenz auf der Straße, widmet sich die NPD gegenwärtig vermehrt dem Kampf um die Köpfe. National befreite Zonen seien ein Teil des Kampfes um die Köpfe, ließ der NPD-Vorsitzende Udo Voigt verlauten. »Die Aufgabenstellung lautet hier durch Agitation und Provokation die Köpfe der Menschen freizumachen von Vorurteilen, anerzogenen Abwehrreflexen und Verhaltensmustern der ‘pc’ (political correctness).«21 Da das Drei-Säulen-Konzept der NPD eng mit dem NBZ-Konzept verknüpft ist, steht für die Zukunft die Frage im Raum: Wie sieht eine national befreite Zone in einem (Kommunal-)Parlament aus?

Einschätzung

Legt man der Realität der vergangenen zwölf Jahre nun das Konzept zu Grunde, so kann gesagt werden, dass kein Gebiet bekannt geworden ist, wo das NBZ-Konzept vollständig umgesetzt wurde. Dort, wo derartige Entwicklungen zu beobachten waren und sind, sorgte immer wieder auch eine antifaschistische Berichterstattung für die entsprechende Aufmerksamkeit. Was in vielen Gebieten bis heute funktioniert, war und ist die Duldung (militanter) neonazistischer Aktivitäten durch die Bevölkerung. Dies war aber selten der absichtlichen Umsetzung des NBZ-Konzeptes geschuldet. Vielmehr existiert in diesen Gebieten eine rechte Dominanzkultur, die wohlstandschauvinistische und rassistische Einstellungen mit sozialen Netzwerken verknüpft. Gerade die ländlichen Gebiete in Ost und West machen dies bis in die Gegenwart hinein deutlich. Fast immer scheiterte aber der Aufbau einer tragfähigen wirtschaftlichen Infrastruktur. Die Ursachen hierfür sind je nach Beispiel im Spannungsfeld zwischen betriebswirtschaftlicher Unfähigkeit, dem Mangel an zahlungskräftigen InteressentInnen und manchmal auch antifaschistischen Aktionen zu suchen. So entstanden und entstehen »No-go-Areas«, aber keine NBZ’s.

»Nationaler Widerstand« statt Programm

Als die Nazi-Szene Anfang bis Mitte der neunziger Jahre einige organisatorische Dämpfer, ausgelöst durch staatliche Parteiverbote, hinnehmen musste, geisterten ziemlich schnell Begriffe wie »Freie Nationalisten«, »Aktionsbüro« oder auch »Nationaler Widerstand« gleichermaßen durch die Presse als auch durch die Szene selber. In ihnen schien anfangs das ersehnte Erfolgsrezept gegen weitere Verbote und eine voranschreitende Marginalisierung der Szene durch zunehmende Zersplitterung und Spaltung gefunden. So stellte das Konzept des »Nationalen Widerstand« eine Art Minimalkonsens dar, unter dem sich die verschiedenen zum Teil verfeindeten Strömungen der extremen Rechten zumindest zu Aktionsbündnissen zusammenfinden sollten, um regionalbeschränkt gemeinsam zu konkreten Anlässen zusammen zu arbeiten.

Gleichzeitig trug dieses Konzept dem Fehlen der bisherigen Parteien Rechnung, die durch ihren zentralistischen Ansatz wenigstens für einen Grundkonsens ihrer Mitglieder gesorgt haben. An ihre Stelle traten aber vermehrt sogenannte »Freie Kameradschaften«, die zumindest nach außen relativ unvernetzt und spontanistisch organisiert schienen. So ermöglichte das Konzept des »Nationalen Widerstandes« Ende der 90er Jahre unter diesem Label zahlreiche regionale Bündnisse zwischen diversen Kameradschaften und auch Verbänden der NPD und der JN. Gerade die Kameradschaftsszene erlebt(e) durch dieses Konzept einen erheblichen Aufschwung. »Die alten Strukturen waren und sind zum Teil schuld daran, dass es in Deutschland noch immer nicht zu einer großen einigenden Bewegung gekommen ist, die sich als eine Sammlung aller konstruktiven Kräfte versteht«22 , analysiert ein sog. »Freier Nationalist«. So brauchten sich die meist jugendlichen Anwärter nicht mehr der starren Organisationsform einer Partei unterwerfen, sondern konnten sich einfach einer relativ lose organisierten Kameradschaft anschließen, oder gleich mit dem eigenen Freundeskreis eine neue gründen.

Diese scheinbar unorganisierten Kleingruppen unter dem Label »Nationaler Widerstand« waren aber keinesfalls so unorganisiert wie es nach außen schien. So bildeten sich ziemlich schnell nach Umsetzung dieses Konzeptes die ersten regional weiter gefassten »Koordinierungsstellen« für die einzelnen Kameradschaften, die sog. »Aktionsbüros«. Diese Aktionsbüros waren verantwortlich für die Mobilisierung und Organisation von Aufmärschen und stellten Propagandamaterial zur Verfügung. Die Koordination lief meist über Internetseiten und Infotelefone dieser Aktionsbüros. Personell bestanden die westdeutschen Aktionsbüros aber keineswegs aus neuen Gesichtern, sondern fast ausschließlich aus Führungspersonen der Anfang der neunziger verbotenen Parteien und Organisationen. Besonders Aktivisten aus dem Dunstkreis der GdNF waren und sind seit den Aufbauzeiten der Aktionsbüros besonders aktiv.

Schien dieses Konzept, bestehend aus politischem Minimalkonsens und zellenartiger Vernetzung von Kleingruppen, gerade in der Anfangszeit überaus erfolgreich, was vor allem Neurekrutierungen und Organisation von Aufmärschen betraf, stellten sich mit der Zeit immer mehr Probleme ein. Vor allem das Verhältnis von Kameradschaftsszene und NPD wurde zunehmend zu einem Konkurrenzverhältnis und die anfangs recht enge Zusammenarbeit wurde durch Intrigen und Abgrenzung abgelöst. Ein weiteres Problem ist die Kurzlebigkeit vieler Kameradschaften.

Durch das Fehlen einer übergeordneten Partei, die sich um die Schulung ihrer Mitglieder kümmert, ist die ideologische Bindung der einzelnen Aktivisten an die »gemeinsame Sache« längst nicht so groß wie sie bei den »Recken« von FAP und NF noch war. So fällt einzelnen Kameradschaften oder auch ganzen Gruppen das Abtauchen ins Privatleben viel leichter als früher. Oft sind die meisten Kameradschaften nicht über den Status eines niedrigschwelligen Angebotes herausgekommen und konnten deshalb die anfangs zahlreich rekrutierten Mitglieder nicht an eine kontinuierliche politische Arbeit binden. Ebenso kann die starke kulturelle Ausdifferenzierung der Szene auf das Fehlen von Parteien und Schulungen geschoben werden. Waren früher die Skinheads die einzige geduldete Jugendkultur in der Bewegung, so finden wir heute ein sehr diffuses Bild in der jugendkulturellen Ausrichtung der Szene vor. Gerade das starke Engagement in den eher erlebnisorientierten Jugendkulturen, lässt die Kernelemente des Nationalsozialismus als alleiniges Identität stiftendes Merkmal in den Hintergrund treten, was dazu führt, dass gemeinsame Aufmärsche uninteressanter werden, dafür aber kulturelle Angebote wie Neonazikonzerte einen erheblichen Reiz ausüben.

  • 1Der Verfasser Arthur Ehrhardt war SS-Hauptsturmführer und Mitbegründer der Zeitschrift »Nation Europa«, heute »Nation + Europa«.
  • 2Werwolf – Winke für Jagdeinheiten, BARETT Verlag Gmbh, Solingen, 1994. S. 1. Verlegerhierfür ist heute Karl-Heinz Dissberger. Dieser war u.a. Kandidat für die NPD.
  • 3Hans Westmar, Eine Bewegung in Waffen, Band II, Strategie und revolutionärer Kleinkrieg, 1991, Horst-Wessel-Verlag, S. 30. Der Urheberschaft dieser Publikation wurden die Nazi-Kader Christian Scholz und Henry Fiebig verdächtigt.
  • 4ebd., S. 39
  • 5ebd., S. 43
  • 6ebd., S. 45
  • 7ebd., S. 48
  • 8Michael Kühnen, Schriften und Argumente für den Politischen Soldaten, Lexikon der NeuenFront, http://www.nazi-lauck-nsdapao.com/kuehnen/Lex_start.htm
  • 9Der Generalbundesanwalt, Pressemitteilung vom 4.11.1992
  • 10Der Aufbau des Werwolfes in Berlin, Interview mit Ingo Hasselbach, AIB Nr. 30, Juni/Juli 1995
  • 11Index #29, Nationale Liste, 1992
  • 12Drahtzieher im braunen Netz, Antifaschistisches Autorenkollektiv, 1996
  • 13Der Einblick – die Widerstandszeitschrift gegen den zunehmenden Rotfront- und Anarchoterror, 1993
  • 14Brauner Partisan #1 –Stimme der braunen autonomen Untergrundbewegung, Revolutionäre Anti Antifa Zelle
  • 15Siehe auch ausführlicher AIB Nr. 57, Mit der Anti-Antifa gegen den Totalitarismus.
  • 16Anti-Antifa Nürnberg, Ein Feind heißt: Antifa!, http://faf.die-kommenden.net, 2003
  • 17C 18, Stormer – Die deutsche Fassung #1, Anti Antifa Kampf & Taktik
  • 18Vorderste Front, Nr.2, o.J. (1991), S.6: Schafft befreite Zonen!
  • 19Einheit und Kampf (Zeitschrift der JN), Nr.1, 1990, S.16: Terza Posizione. Ideologie und Geschichte.
  • 20Ausführlich dazu: AIB, Nr. 53, 2001, S.8ff: Der Kampf um Normalität.
  • 21Deutsche Stimme, Nr.2, 2002, S.3: Wiederaufbau einer Volksgemeinschaft.
  • 22Zentralorgan Nr. 1 Seite 24