Skip to main content

Solingen: Einzeltäter oder organisierte Neonazis?

Antifaschistische NRW-Zeitung
Einleitung

Der folgende Artikel wurden uns zu großen Teilen von Leuten von der "Antifaschistischen NRW-Zeitung" zur Verfügung gestellt. Diese Gelegenheit möchten wir dazu benutzen, auf diese hervorragende neue Zeitung aufmerksam zu machen. Der Vorläufer, der "Antifaschistische Bericht Wuppertal", hat mit dieser Neuerscheinung sein Erscheinen eingestellt. Die erste Ausgabe ist im Mai dieses Jahres erschienen. Sie enthält eine Menge Wissenswertes z.B. über den durch das Attentat von Solingen in die Schlagzeilen geratenen Kampfsportverband DHKKV, den Düsseldorfer Neonazisumpf um Manfred Rouhs und Thorsten Lemmer usw. Diese Zeitung ist nicht nur für die LeserInnen aus NRW unbedingt zu empfehlen.

Bild: Screenshot YouTube/WDR

Die Inhaftierten Christian R. (o.l.), Felix K. (o.r.), Markus G. (l.u.) und Christian B. (r.u.) in einer WDR-Reportage. .

Solingen: Einzeltäter oder organisierte Neonazis?

Fünf junge Türkinnen (darunter drei Kinder) starben am frühen Morgen des 29. Mai 1993 in Solingen nach einem Brandanschlag auf ihr Wohnhaus. Die Polizei präsentierte innerhalb einer Woche vier mutmaßliche Täter. Abgeschlossen sind jedoch weder die Ermittlungen der BKA-Sonderkommission "Sole", noch sind die zahlreichen Ungereimtheiten am bisherigen Erkenntnisstand ausgeräumt.

Der Tathergang

Nach offiziellen Informationen sah der Ablauf des Brandanschlags folgendermaßen aus: Die Jugendlichen Markus G., Felix K. und Christian B. kommen gegen Mittemacht bereits stark angetrunken an der Gaststätte "Schlagbaumer Hof" vorbei. Dort wird gerade ein Polterabend gefeiert. Die Gäste wollen die Neonazi-Skinheads nicht mitfeiern lassen. Sie werden von zwei Jugoslawen und dem Wirt herausgeworfen, die Jugoslawen werden von den Neonazis als Türken "identifiziert". Draußen treffen sie dann zufällig den ihnen angeblich nur flüchtig bekannten Christian R. Christian R., der in der Gruppe akzeptiert werden will, fängt an gegen Türken zu hetzen. Er macht den Vorschlag, das Haus der Familie Genç anzuzünden. Alle vier gehen zu einer nahegelegenen Tankstelle und kaufen einen Kanister Benzin. Anschließend gehen sie zur Unteren Wernerstraße 81. Die Haustür ist nicht verschlossen. R. und K. gehen ins Haus, übergießen eine im Flur stehende Holztruhe mit dem Benzin und zünden sie gegen 1.30 Uhr mit einer brennenden Zeitung an. Die beiden Älteren, G. und B., stehen draußen Schmiere. Sie rennen weg, als der Brand beginnt, werden dabei aber von Nachbarn beobachtet. Gegen 1.42 Uhr wird die Feuerwehr alarmiert und ist fünf Minuten nach Ausbruch des Brandes vor Ort. Sie kann das Leben der fünf jungen Türkinnen - Gürsün İnce (* 4. Oktober 1965), Hatice Genç (* 20. November 1974), Gülüstan Öztürk (* 14. April 1981), Hülya Genç (* 12. Februar 1984), Saime Genç (* 12. August 1988) - nicht mehr retten.

Offene Fragen

Nach der offiziellen Schilderung entsteht das Bild eines spontan, eher zufällig und vor allem unter starkem Alkoholeinfluß ausgerührtem Anschlags haßerfüllter Jugendlicher. Die Täter kannten sich teilweise nur flüchtig. Eine Verbindung zum organisierten Rechtsextremismus wird von der Bundesanwaltschaft, die sich die "Pressehoheit" zum Fall gesichert hatte, bestritten. Die Verhafteten seien "Nachahmungstäter von Mölln". Eine geplante Tat, die Teil einer politischen Strategie ist, scheidet hiernach völlig aus.

Allerdings existieren Zeugenaussagen, die der o.g. Darstellung völlig widersprechen. Sie rühren zu dem Schluß, daß der genaue Hergang der Tat nicht als geklärt betrachtet werden kann. Auch zeigen sie die Möglichkeit auf, daß der Anschlag nicht spontan entstanden ist. Der Großteil der Rekonstruktion des Tathergangs stützt sich auf die Aussagen von Christian R. Außer ihm gab nur Markus G. den Anschlag zu, widerrief dann, um später erneut ein Geständnis abzulegen. Seine Aussagen sollen die von R. im großen und ganzen bestätigen. K. und B. schweigen sich zur Tat aus.

Aus dem Bekanntenkreis der Verhafteten kommen Aussagen, die mit der offiziellen Schilderung nicht in Einklang zubringen sind. So sollen K., G. und B. zu der Hochzeitsfeier im Schlagbaumer Hof eingeladen gewesen sein. Es habe auch keinen Streit mit Ausländern sondern untereinander gegeben. Darüber hinaus bestreitet Felix K. den Mittäter Christian R. überhaupt zu kennen.

Eine andere Zeugin hat am Abend des Anschlags zwischen 0.00 Uhr und 0.30 Uhr, also etwa eine Stunde vor dem Anschlag, nicht weit vomTatort entfernt eine Gruppe von etwa 15 bis 20 jungen Männern in Bomberjacken an der BP-Tankstelle an der Schlagbaumer Straße beobachtet. Die Polizei geht davon aus, daß es sich dabei um Rechtsextremisten gehandelt hat. Interessant ist, daß diese Gruppe Autos mit auswärtigen Kennzeichen (Düsseldorf und Wuppertal) fuhr. Die Präsenz einer größeren Gruppe Neonazis in Solingen könnte mit einem Prozeß zusammenhängen, der am Vormittag gegen ein Mitglied der autonomen Antifa-Szene eröffnet wurde. Dieser war angeklagt ein Mitglied des rechten Ordnertrupps „Deutscher Hochleistungs-Kampfkunstverband“ (DHKKV) bei einer antifaschistischen Demonstration schwer verletzt zu haben. Der Polizei lagen Erkenntnisse vor, daß Neonazis aus Solingen und Umgebung zu dem Prozeß mobilisierten.

Der verheerende Anschlag vom 29. Mai 1993 war nicht der erste Übergriff zu dieser Zeit. Bereits in der Woche vor dem Anschlag kam es in Solingen zu einer ungewohnten Häufung von anti-türkischen Angriffen. Vor einer Moschee wurde die Holzbrüstung in Brand gesteckt, ein türkisches Lebensmittelgeschäft und das Versammlungslokal eines türkischen Vereins wurden mit Steinen beworfen. Auch die Familie Genç hatte bereits Drohungen erhalten. Rechte Skinheads, die sich im nahegelegenen Park "Bärenloch" trafen (unter ihnen auch zumindest einige der Verhafteten), drohten: "Ihr werdet brennen wie die Juden". Der als erster verhaftete R. äußerte noch wenige Tage vor dem Anschlag die Absicht, das Haus in der Unteren Wernerstraße abzubrennen: "Wir haben uns dieses Haus schon genau angeschaut. Es wird bald abgefackelt". Merkwürdig ist auch, daß sich nachoffizieller Darstellung kein Bediensteter der Tankstelle an vier angetrunkene Neonazis, davon mindestens zwei im Skinhead-Outfit, erinnern kann, die einen Kanister Benzin kauften.

Bleibt noch die chronologische Nähe zu anderen rassistischen Anschlägen, die in der Nacht zum 29. Mai in der Bundesrepublik ausgeführt wurden, zu erwähnen. Diese lassen an der "Spontanität"des Anschlags weitere Zweifel aufkommen.

Kontakte zur rechten Szene

Auch über das Verhältnis der vier Tatverdächtigen zueinander existieren widersprüchliche Darstellungen. Das „Solinger Tagblatt“ berichtet am 7. Juni 1993, die Inhaftierten würden sich seit Jahren kennen. Sie hätten sich regelmäßig am gemeinsamenTreffpunkt „Grillplatz Bärenloch“ getroffen. Dem widersprechen Aussagen, die mutmaßlichen Täter hätten sich nur "flüchtig" oder "gar nicht" (so K.) gekannt. Fakt ist, daß alle vier in der Kampfsportschule des einschlägig bekannten Neonazis Bernd Schmitt verkehrten. K., G. und B. haben dort regelmäßig am Training teilgenommen. R. hatte sich zumindest dort angemeldet, über seine Teilnahme am Training existieren widersprüchliche Aussagen.

Die Kampfsportschule "Hak Pao" um den Solinger Bernd Schmitt geriet bereits 1991 ins Visier von AntifaschistInnen als eine Orientierung auf die extrem rechte Szene festzustellen war. Eine wichtige Rolle hierbei spielten die im Solinger Kampfsportverein DHKKV mitwirkenden Neonazis Wolfgang Schlösser und Bernd Koch (beide Solingen) sowie der dortige Trainer Michael N. aus Mettmann, die über die nötigen Kontakte verfügten.

Der DHKKV - Die Fäden laufen zusammen?

Bernd Schmitts Kampfsportschule "Hak-Pao" ist unter den Namen DHKKV (Deutscher Hochleistungskampfkunst- Verband) bzw. DKI (Deutsche Kampfsportinitiative) als Ausbildungseinrichtung und Saalschutz für Neonazis bekannt1 . Zeitweilig fand dort jeden Freitagabend getrennt vom öffentlichen Trainingsbetrieb ein "Nahkampftraining" statt, das von Neonazis aus mehreren Städten besucht wurde. Ausländer waren dabei nicht zugelassen.

Trainiert wurde auch in Tarnklamotten mit Messern, Knüppeln und anderen Utensilien. Nach Berichten des Nachrichtenmagazins "Germany Alert" war Schmitts DHKKV spätestens seit August 1992 eine Unterorganisation der neonazistischen „Nationalistischen Front“ (NF)2 . Laut Antifa-Recherchen soll der "Hak Pao"-Trainer Michael N. aus den Kreisen der NF stammen und die Kontakte zwischen Bernd Schmitt und dem NF-Chef Meinolf Schönborn hergestellt haben. Am 7. März 1992 soll in den Vereinsräumen eine NF-Veranstaltung mit Schönborn stattgefunden haben. Der DHKKV fungierte als "Ordnerdienst" bei rechten Veranstaltungen. Auf dem NF-Parteitag in Kremmen (Brandenburg) sei beschlossen worden, die Kampfsportgruppe als Ersatz für das zuerst geplante "Nationale Einsatzkommando" (NEK) einzuspannen. Der DHKKV sollte aus Angst vor Repression seine formelle Eigenständigkeit behalten. Nach Informationen aus dem inneren Kreis habe der DHKKV bundesweit etwa 400 Mitglieder. Voraussetzung für eine Mitgliedschaft seien weniger sportliche Qualitäten als eine "nationale Einstellung". Bernd Schmitt entschied angeblich allein über die Aufnahme. Die Führung des DHKKV stellten neben Schmitt die in Neonazi-Organisationen aktiven Bernd Koch und Wolfgang Schlösser3 . Bekannte NF-Aktivisten aus der Region Düsseldorf wie Stefan K., Tibor E., Gernot H., Helmut E. und Michael E. nutzen die Angebote des DHKKV. Der NF-Kader Ralf-Peter Z. aus Ratingen soll in der Region den Strukturaufbau des DHKKV unterstützt haben. 

Koch schildert die Situation beim DHKKV-Führungstrio kurz nach dem Anschlag folgendermaßen: "(…) da hat der Bernd Schmitt mich abgeholt (...) raus, raus. raus, es geht jetzt gleich los (...) da hab' mal erst eine Nacht übernachtet bei einem anderen Kameraden (...)". Schmitt und Schlösser sind seitdem abgetaucht, die Kampfsportschule in Gräfrath, inzwischen fristlos gekündigt, ist geschlossen, nachdem DHKKV-Leute in einer Nacht- und Nebelaktion kistenweise Material hinausgeschleppt hatten. Bernd Koch selbst habe zugegeben, den 16jährigen Felix K. "mit leichtem Propagandamaterial" agitiert zu haben.

Von Bedeutung sein könnte der "Führungsstil" des untergetauchten Profilneurotikers Schmitt. Er, der sich mit zahlreichen Meistergraden schmückt, die er nie erworben hat und der mittlerweile aus fast allen Kampfsportverbänden rausgeflogen ist, in denen er Mitglied war, legte nämlich immer Wert darauf, ein ausgesprochenes Autoritätsverhältnis zu seinen Schülern aufzubauen. Für viele seiner Schüler mit labiler Persönlichkeit spielte Schmitt die Rolle des "Ersatz-Vaters". Beobachtungen von mehreren Bekannten Schmitts lauten übereinstimmend, daß zumindest einige seiner Schüler alles taten, was Schmitt wollte.

Weitere Spuren nach Rechts?

Der in Amsterdam erscheinende Nachrichtendienst „Germany Alert” („The free flow of uncensored facts”) will Informationen vorliegen haben, über welche Verbindungen zur rechten Szene die Tatverdächtigen verfügen.4 Interessant scheinen diesen Meldungen zufolge vor allem die Hintergründe von Christian R. zu sein. Dessen Familie habe Verbindungen ins rechte Spektrum ist zu lesen: Die Mutter wäre zu Treffen der "Sudetendeutschen Landsmannschaft" nach Bayern gefahren. Ihr Freund Thomas L. sei nach Informationen von "Germany Alert" mit Mitgliedern der ultra-rechten Düsseldorfer "Freien Wählergemeinschaft" (FWG) befreundet. Mittlerweile räumen auch die Ermitttlungsbehörden Verbindungen der Verhafteten zu rechtsen Kreisen nach Köln und Düsseldorf ein, wie das „Solinger Tageblatt“ am 14. Juni 1993 berichtete. Gesichert ist die DVU-Mitgliedschaft von Markus G., dessen Parteiausweis bei der Hausdurchsuchung gefunden wurde.

Einschätzung: Rechter Terror und Asylrechtsänderung

Zwei Tage nach der faktischen Abschaffung des Asylrechts in der Bundesrepublik ging es los. Militante Faschisten nahmen die nächste Teiletappe ihres mörderischen Feldzuges in Angriff. Ziel: Die hier seit Jahrzehnten lebenden Ausländerinnen und Ausländer. Nun hat es in der jüngeren Vergangenheit der Bundesrepublik rassistisch motivierte Anschläge gegeben, die in etwa nach dem Muster der verharmlosenden Geschichte der Boulevardzeitungen abliefen. Angebliche "Außenseiter" meinten sich in ihren "Cliquen" durch Gewalttaten profilieren zu müssen. "Cliquen", in denen permanent bei zu vielen Bieren davon gefaselt wird, gegen die AusländerInnen müsse endlich etwas geschehen, "da müßte mal eine Bombe drauffliegen". Jugendliche "Die Republikaner" und DVU-Anhänger meinten mehr tun zu müssen, als nur Reden zu halten und Flugblätter zu verteilen.

Inspiriert werden die "irregeleiteten Chaoten und Extremisten" (Außenminister Kinkel nach Solingen) nicht nur von strammen Rechten wie in der „Klingenstadt“ Solingen, sondern auch von der bürgerlichen Politik. Im Bundestag herrscht seit Jahren der Konsens, gegen die von Rechten propagierte "Überflutung" der Bundesrepublik vorgehen zu müssen. Die CDU heizte Wahlkämpfe mit diesem Thema an und die SPD zog nach. Seit Jahren werden Bestimmungen und Gesetze verschärft, die es ImmigrantInnen und Flüchtlingen immer schwerer machen, in der BRD einen gesicherten Aufenthalt zu bekommen. Die PolitikerInnen teilen die ImmigrantInnen in ein schwer durchschaubares, gesetzlich verankertes Raster, in dem die einzelnen je nach Herkunft und Vorgeschichte mehr oder weniger erwünscht sind. Die komplizierten Unterscheidungen zwischen EG-Staatsangehörigen, SpätaussiedlerInnen, ImmigrantInnen mit Herkunftsländern außerhalb der Europaischen Gemeinschaft, VertragsarbeitnehmerInnen, geduldeten und anerkannten Flüchtlingen, AsylbewerberInnen und Bürgerkriegsflüchtlingen können von kaum jemand mehr nachvollzogen werden. Insbesondere rassistische Jugendliche unterscheiden nur noch zwischen "Asylanten", "Türken" und "Polen". Sie werfen alle in einen Topf und ihre Brandsätze scheinbar blind und wahllos auf Opfer aus diesem Kreis.

Längst gibt es polizeiliche Ermittlungen sowie Beobachtungen von AntifaschistInnen, die gewisse Formen von Absprachen vor den Gewaltoffensiven der Neonazis aufdeckten. So soll nach Angaben eines Mitarbeiters des ehemaligen "Gemeinsamen Landeskriminalamtes" für die neuen Bundesländer Mitte des Jahres 1991 ein Treffen mit dem Kühnen-Nachfolger Christian Worch von der „Nationalen Liste“ aus Hamburg stattgefunden haben. Die TeilnehmerInnen waren sich demnach einig, daß verstärkt Aktionen gegen ImmigrantInnen durchzuführen seien. Kurze Zeit später tobte dann tatsächlich der von organisierten Rechten durchsetzte Mob von Hoyerswerda.

Ende August des letzten Jahres trafen sich dann Neonazis aus ganz Europa im belgischen Diksmuide. Bei dem alljährlich stattfindenden nationalistischen Gedenktag der Flamen erscheinen jeweils mehrere tausend Rechte. Letztes Jahr soll dort in einem Arbeitskreis über einen Gegenschlag gegen "die Linke" beraten worden seien. Unmittelbar danach entstanden in der gesamten BRD sogenannte Anti-Antifa-Gruppen, die dann auch tatsächlich Psychoterror und Gewalt gegen Teile der bundesdeutschen Linken ausübte. Terrorisiert wurde ein breites Spektrum, vom Gewerkschafter aus Bochum bis zur aktiven Antifaschistin aus Bonn. Zum Feindbild gehören auch KommunalpolitikerInnen und Lehrer. Als eine Art zentrale Figur gilt auch hier wieder Worch aus Hamburg.

Mit der Abschaffung des Asylrechts haben die Rechtsaußen ein Etappenziel ihrer rassistischen Politik erreicht. In Sachen Asylrecht haben die Bürgerlichen längst vor den Rassisten kapituliert, die Grundideen des drei Tage vor dem Anschlag in Solingen neugeregelten Asylrechts finden sich im Programm der Republikaner von 1990. Begannen die militanten Rechten unmittelbar nach der gesetzlichen Verankerung des de-facto Einreisestopps für Flüchtlinge gegen ihr nächstes Feindbild vorzugehen, die ArbeitsimmigrantInnen? Daß die Rechten den Kreis ihrer Angriffsziele momentan erweitern, zeigen die Anti-Antifa-Aktivitäten gegen Linke. Für ein koordiniertes Vorgehen spricht auch, daß es in der Nacht von Solingen bundesweit gleich fünf rassistisch motivierte Anschläge gab, zwei in München, je einer in Recklinghausen, Berlin und Solingen. Auch die Ausführung der Anschläge hat sich plötzlich bundesweit geändert. Die Angreifer werfen jetzt nicht mehr mit Brandsätzen, sondern dringen in die Häuser ihrer Opfer ein und legen gezielt an zentralen Stellen verheerende Brände.

Wo wären die Wirtschaft und das soziale System ohne die Arbeit der ImmigrantInnen? Wie tief rutscht das internationale Ansehen der BRD durch die anhaltende rechte Gewalt, wiederum zum Schaden der Wirtschaft? PolitikerInnen scheinen bestrebt sein, schleunigst Schadensbegrenzung auf internationaler Ebene zu betreiben. Hierzu scheint vor allem zu gehören, den braunen Sumpf von Solingen und Umgebung völlig im Dunkeln zu lassen. Wer aber wegschaut und schweigt, läßt die rechten Terroristen gewähren und weitermachen. Die vier in Solingen festgenommenen "Bauernopfer" sind kein Verlust für eine Szene, die ansonsten wenig Repression unterliegt und bundesweit tausende von Gefolgsleuten hat.

Seit dem Verbot der "Aktionsfront nationaler Sozialisten / Nationale Aktivisten" (ANS/NA) des verstorbenen Neonazi-Führers Michael Kühnen Mitte der 1980er Jahre wissen die Rechten, wie sie Verbote unbeschadet überstehen können. Kaum ist die eine Gruppe verboten oder in der Öffentlichkeit diskreditiert, werden zwei neue gegründet. Und je mehr Gruppen existieren, desto wirkungsloser ist das Verbot von drei oder vier einzelnen Organisationen. So blieben bei den Verboten der „Nationalistischen Front“, der „Deutschen Alternative“ und der „Nationalen Offensive“ durch Innenminister Rudolf Seiters (CDU) im Dezember letzten Jahres zentrale Organisationen der neonazistischen Rechten unbeschadet. Etwa die „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP), eine der Nachfolgeorganisationen der verbotenen ANS/NA, die von Kühnens Anhänger nach dem Verbot unterwandert wurde. FAP-Skins sorgen beispielsweise für anhaltenden Terror in Essen. In Bonn terrorisiert die FAP ImmigrantInnen und Linke. Unbeschadet blieb auch die „Nationale Liste“ des oben erwähnten Christian Worch mit ihren Ablegern in den neuen Bundesländern. Die wenigen Verbote durch Innenminister Seiters sind eher als Schauveranstaltung zur Beruhigung der internationalen Öffentlichkeit anzusehen. Effektiv waren sie nicht.

  • 1Vgl. die ausführlichen Artikel in "Antifa Zeitung NRW", Mai 1993
  • 2Die Zeitung berichtet seit Juni 1991 über Deutschland, wird in englisch herausgegeben und ist über Fax zu beziehen.
  • 3Vgl. "Antifa Zeitung NRW", Mai 1993
  • 4Vgl: "Wupper Nachrichten" vom 05.06.1993, Seite 4