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Staatsterror und ein problematischer Zeuge

Reiko Pinkert
Einleitung

In Luxemburg stehen seit Februar 2013 zwei Polizisten vor Gericht, denen vorgeworfen wird, dass sie als Angehörige einer Sondereinheit in der 1980er Jahren Terroranschläge verübten, welche als so genannte »Bombenlegeraffäre« bekannt wurde. Der Deutsche Andreas Kramer, Sohn eines BND-Mitarbeiters, behauptet nun eidesstattlich im Prozess, sein Vater sei Operationsleiter von Gladio (siehe Kasten) gewesen und hätte Einsätze in der Bundesrepublik sowie den Benelux-Ländern geleitet. Neben der »Affär Bommeleeër« soll dieser auch für das Attentat auf das Oktoberfest 1980 in München verantwortlich gewesen sein.

Bild: Screenshot von youtube.com/3sat

Im Prozess um die Luxemburger »Bombenlegeraffäre« sorgten die Aussagen des Zeugen Andreas Kramer für Aufsehen.

Zwischen 1984 und 1986 verübten in Luxemburg Unbekannte mehrere Bom­benanschläge auf öffentliche Gebäude und Strommasten. Dem vorrausgegangen waren professionell durchgeführte Diebstähle von Zündern und Sprengstoff der Marke Luxite aus Steinbrüchen. Damit wurden unter anderem das Hauptquartier der Gendarmerie, der Justizpalast, die Ta­gungsstätte der europäischen Staats- und Regierungschefs sowie die Privatwohnungen von Polizisten wie z.B. die eines pensionierten Polizeikommandanten angegriffen. Außerdem legten die Täter Sprengfallen in einem Wald und auf einem Flughafen. Obwohl es mehrere Lösegeldforderungen, z. B. an das betroffene Energieunternehmen gab, kamen Geldübergaben nie zustande. Journalisten und Ermittler gehen deswegen davon aus, dass es den Tätern nie um Geld ging. Zum Teil wurden nach den Anschlägen keine kriminaltechnischen Untersuchungen durchgeführt. In anderen Fällen hingegen wurde sogar das deutsche BKA zur Analyse hinzu geholt.

Nachdem Journalisten des luxemburgischen Fernsehsenders RTL die Anschläge für eine Dokumentations­reihe (2005 ausgestrahlt) erneut untersuchten, wurden 2004 die Ermitt­lungen nach langer Pause wieder aufgenommen, so dass drei Jahre später zwei Verdächtige festgenommen werden konnten. Beide werden beschuldigt, als Mitglieder der Sondereinheit »Brigade Mobile de la Gendarmerie« (BMG)1 , hinter den Spreng­stoffanschlägen zu stecken. Die Ermittler vermuten, dass die Polizisten  den Etat für die Gendarmerie aufstocken lassen wollten. Sie sind bis zum heutigen Tag suspendiert und bestreiten jegliche Verwicklung. Da­rüber hinaus gehen die Ermittler davon aus, dass zwei weitere, mittlerweile verstorbene, Mitglieder der Sondereinheit an den Anschlägen be­teiligt gewesen sind. Da mehrere hohe Beamte aus dem staatlichen Sicherheitsapparat von den Ermittlungen betroffen sind, birgt die Affäre politi­sche Sprengkraft. Im Mai 2013 wurde darüber hinaus bekannt, dass der luxemburgische Geheimdienst »Service de Renseignement de l’Etat« (SREL) die Ermittler der »Affär Bommeleeër« sowie den zu­ständigen Generalstaats­anwalt in den Jahren 2006 bis 2008 überwachte.2

Im Februar 2013 begann nun der Prozess gegen die beiden beschul­dig­ten Polizisten. Für Aufsehen sorgt(e) hierbei der angebliche Historiker Andreas Kramer, der aus eigener Initiative heraus behauptet, sein Vater sei als BND-Offizier für Stay-Behind-Aktionen der NATO in der BRD und Luxemburg verantwortlich gewesen.3

Diese, auch als Gladio bekannt gewordenen Geheimarmeen, sollten ur­sprünglich militärische Widerstandsgruppen aufbauen, um im Falle einer Besetzung durch die Truppen des Warschauer Paktes Sabotageakte zu verüben und Informationen über die feindliche Besatzungsmacht zu übermitteln.

Im November 1990 bestätigte das Luxemburger Parlament die Existenz einer Stay-Behind-Organisation im Land und gab gleichzeitig die sofortige Auflösung bekannt. Bereits im Jahr 1959 mit Genehmigung des damaligen Premiers Pierre Werner gegründet, wurde sie, wie alle euro­päischen Gladio-Organisationen, durch das »Supreme Headquarters Allied Powers Europe« (SHAPE) sowie den luxemburgischen Geheimdienst  SREL ge­steuert. Fakt ist auch, dass die BRD in Luxemburg an Manövern des Stay-Behind-Netzwerkes betei­ligt war. Aus einem, dem Autor vorliegenden Dokument des Luxemburger Ministère d’état, geht hervor, wie die Vorbereitungen solcher Übungen ab­liefen und dass neben den deutschen, Nachrichtendienste von zehn NATO-Mitglieds­staaten daran teilnahmen.

Kramer sagte nun unter Eid aus, sein Vater wäre Operationsleiter von Gladio für den deutschen Bundes­nachrichtendienst (BND) gewesen und u.a. Koordinator der Bombenleger-Aktionen in Luxemburg. Er hätte diese mit dem damaligen Chef des Luxemburger Geheimdienstes, Charles Hoffmann, gemeinsam geplant. Kramer senior und Hoffmann sollen außerdem  Mitglieder im »Allied Clandestine Committee« gewesen sein. Als Offizier mit dem Codenamen »Cello« legte er den Aussagen seines Sohnes zufolge auch mehr als 50 Waffendepots von Stay-Behind in der Bundesrepublik an. Darüber hinaus soll er als Füh­rungsoffizier den Neonazi Heinz Lemb­ke geworben und angeleitet haben.

Das damalige NPD-Mitglied Lembke tauchte bereits in den Ermittlungsakten zum Münchner Oktoberfest-Attentat 1980 als möglicher Sprengstoff-Lieferant auf. Ein Jahr später stießen Polizeibeamte auf eines seiner angelegten Depots. Es enthielt unzählige automatische Waffen, Munition, Hand­granaten, Sprengstoff sowie Panzerfäuste – allesamt aus Bundes­wehr­beständen. Der Historiker Daniele Ganser4 vermutet auf Grund der Menge und der Herkunft eine Mitgliedschaft Lembkes in einer Gladio-Struktur. In ausgewerteten Akten des Ministeriums für Staatssicherheit wurden abgehörte Funksprüche des BND’s gefunden, in denen Lembkes Zuständigkeitsbereich als Revierförster in dem Gebiet für Waffenverstecke angeführt wird.

Der Duisburger Kramer behauptet des Weiteren, dass sein Vater Kontakt zur »Wehrsportgruppe Hoffmann« und dem späteren Attentäter Gundolf Köhler gehabt hätte. Mit Köhler und wei­teren BND-Mitarbeitern soll er in einer Garage in Donaueschingen die Bombe für den Anschlag auf das Oktoberfest gebaut haben. Der Anschlag sollte demnach ein Klima der Angst schaffen, Kommunisten in Misskredit bringen und einen Rechtsruck herbei­führen. Vergleichbar wäre dies mit der Strategie der Spannung wie sie z.B. in Italien linke Regierungsbeteiligungen verunmöglichte.

Fazit

Die Aussagen von Andreas Kramer sind in vielen Teilen abenteuerlich und unglaubwürdig.5 Außerdem wider­spricht er sich in vielen seiner Behauptungen. Seine Familie beschreibt ihn als notorischen Lügner und widersprach ihm in seinen Aussagen über seinen Vater. Dieser sei lediglich Hauptmann gewesen und schon allein aus gesundheitlichen Gründen wären Auslandseinsätze für ihn nicht in Frage gekommen. Nachforschungen des Autors haben ergeben, dass Kramer nicht wie von ihm behauptet, Chefarchivar im Bundestag gewesen ist. Auch für seine Tätigkeit als Historiker lässt sich kein Beleg finden, er taucht nicht mal in den einschlägigen Datenbanken auf. Die Bundes­re­gie­rung hat ungewöhnlicher Weise trotzdem eine Prüfung der Vorwürfe veranlasst. Im Zuge dessen hat sie im Übrigen zugegeben, was sie durch den damaligen Staatsminister im Bundeskanzleramt Lutz Stavenhagen (CDU) 1990 noch leugnete. Nämlich dass die Stay-Behind-Organisationen mit deutscher Beteiligung bis 1991 existierten.

Gladio, auch als Stay-behind-Organisation bekannt, war eine von der NATO gesteuerte Geheimdienstarmee, die in fast allen westeuropäischen Staaten jenseits von parlamentarischer oder öffentlicher Kontrolle agierte. Zusammengesetzt aus paramilitärischen Zellen, ist dieses Netzwerk verantwortlich für zahlreiche Anschläge und Morde u.a. an Politikern und Polizisten, die vor allem die parlamentarische Linke vor Wahlen diskreditieren und Ängste in der Bevölkerung schüren sollten. Für die Ausübung der Attentate rekrutierte man zu einem nicht unbeachtlichen Teil Alt- und Neo­nazis. Siehe auch »Nato-Geheimarmeen – Terror im Namen der Demokratie« (AIB 82 / 1.2009)