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Terroristische Einzeltäter-Vereinigungen

Ulli Jentsch (apabiz)
Einleitung

Der Neonazi-Terror der achtziger Jahre in der alten Bundesrepublik

Während die tödlichen Aktionen von Neonazis seit der Wiedervereinigung ein stetiges Thema sind, bleibt die Zeit bis 1989 völlig unbeachtet. Zwar hat mit dem vereinigten Deutschland tatsächlich auch ein neues Kapitel des gewalttätigen Neonazismus begonnen. Doch die 1980er-Jahre wirken bis heute fort. Im folgenden ein chronologischer Rückblick auf die Taten und die Akteure jener Dekade.

Der frühere Rechtsterrorist Manfred Roeder (mitte) war 1998 Kandidat der NPD in Mecklenburg Vorpommern.

Bereits der Januar 1980 brachte dem neuen Jahrzehnt den ersten politisch motivierten Mord von Rechts: Der türkische Kommunist Celalettin Kesim wurde am 5. Januar 1980 in Berlin erstochen. Kesim hatte am Kottbusser Tor mit einer Gruppe von Linken Flugblätter verteilt, die von türkischen Faschisten und religiösen Fanatikern aus der benachbarten Mevlana-Moschee angegriffen wurde. Der 36-jährige Sekretär des Türkenzentrums starb an den Folgen eines Messerstichs in den Oberschenkel. Eine Woche später gedenken ihm 15.000 Menschen.

Doch dieser Mord, der auf die bürgerkriegsähnliche Situation in der Türkei zurückging, ist nicht typisch für die Gewalttaten von Rechts in den achtziger Jahren: der Neonazi-Terrorismus wird die Schlagzeilen beherrschen. In den vorherigen 40 Jahren hatte es mehrfach militante, auf Umsturz oder gewalttätige »Feindbekämpfung« gerichtete Gruppierungen gegeben.1 Aber erst in den 1970er-Jahren entwickelte sich parallel zu dem Niedergang der NPD ein neues Lager gewaltbereiter, am Nationalsozialismus orientierter »Revolutionäre«, die sich militärisch ausbildeten, bewaffneten und organisierten. Peter Dudek beschrieb 1985 diesen Prozess so: »Gerade unter den rechtsextremen Jugendorganisationen gab es nach 1945 schon immer einen militanten Flügel.

Doch in den siebziger Jahren steigt die Zahl der Gesetzesverletzungen durch Rechtsextreme sprunghaft an und erreicht 1982 einen Höchststand.« An der gestiegenen Gewalttätigkeit waren vor allem die neonazistischen Kadergruppen und die Wehrsportgruppen beteiligt. Der Generationswechsel der bundesdeutschen Szene brachte eine neue Generation junger Militanter hervor. In der Zeit von 1969 bis 1983, die Dudek untersucht hatte, stieg die jährliche Zahl der »Ausschreitungen mit rechtsextremem Hintergrund«2 von 162 (1969) auf 2.169 (1983).

Den Anfang der terroristischen Anschlagswelle machte 1980 eine Gruppierung mit dem Namen »Deutsche Aktionsgruppen«, der sieben Brand- und Sprengstoffanschläge zugerechnet wurden. Bei einem Brandanschlag auf ein Wohnheim in Hamburg starben am 22. August 1980 die Vietnamesen Ngoc Nguyen und Anh Lan Do. Kopf der Truppe war der heute sporadisch im Kreis der NPD auftretende Manfred Roeder. Der ehemalige Rechtsanwalt schrieb damals: »Nach 8 Jahren war der legale Weg erschöpft. Den gibt es jetzt nicht mehr (...) Entweder mußten wir aufgeben oder in den Untergrund gehen. Aufgeben kam nicht in Frage (...) Der Kampf muß jetzt auf einer anderen Ebene mit noch größerer Entschlossenheit fortgeführt werden, denn wir werden niemals tatenlos zusehen, wenn Deutschland zerstört wird. Entweder wir siegen oder untergehen!« Damit skizzierte er die für diese Periode typische Argumentation für den Übergang von der als erfolglos empfundenen Agitation zur bewaffneten Aktion.3 Die Truppe um Roeder blieb die einzige dieser Phase, die »standesgemäß« als terroristische Vereinigung nach Paragraf 129a angeklagt wurde und in Stuttgart-Stammheim vor Gericht stand.

Es folgte am 26. September 1980 das schwerste Attentat in der Geschichte des bundesdeutschen Neonaziterrorismus: der Bombenanschlag auf das Münchner Oktoberfest. 13 Menschen starben an den Folgen ihrer Verletzungen, 213 Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Auf den Ablauf und die Hintergründe dieses immer noch unaufgeklärten Anschlages kann hier nicht näher eingegangen werden. Schon die Anzahl der beteiligten Attentäter blieb unklar. Der getötete Gundolf Köhler wurde schnell als Einzeltäter präsentiert, obwohl seine Verbindungen zur Wehrsportgruppe (WSG) Hoffmann dokumentiert waren und ZeugInnen andere WSG-Mitglieder gesehen haben wollen.4

Die WSG Hoffmann hatte sich in den späten 1980er Jahren zum Zentrum der paramilitärischen Aktivitäten entwickelt. Nach Jahren der polizeilichen Untätigkeit war sie erst kurz vor dem Oktoberfest-Attentat im Januar 1980 verboten worden. Noch im Dezember des gleichen Jahres folgte die nächste Tat aus dem WSG-Umfeld: Der jüdische Verleger Shlomo Levin und seine Lebensgefährtin Frieda Poeschke wurden am 19. Dezember 1980 in ihrem Wohnhaus in Erlangen ermordet. Als Täter wurde ein Mitglied der WSG verurteilt. Hoffmann selber wurde von Mitgliedern der WSG der Tatbeteiligung bezichtigt, ein von der Staatsanwaltschaft beantragtes Verfahren gegen ihn lehnte das zuständige Gericht ab.

Die NS-Aktivisten griffen in den folgenden Jahren mehrfach zu ihren Waffen und lieferten sich Schießereien mit PolizistInnen. Am 24. Dezember 1980 erschoß Frank Schubert, Aktivist der Volkssozialistischen Bewegung/Partei der Arbeit (VSBD/PdA), bei einem illegalen Grenzübertritt zwei Beamte des Schweizer Grenzschutz und beging danach Selbstmord. Im Jahr 1981 gab es weitere Tote, allerdings nur auf Seiten der VSBD-Nazis. »Unterwegs zu einem Banküberfall wurden (Wolfgang) Uhl, (Kurt) Wolfgram, (Peter) Fabel, (Pascal) Coletta und (Peter) Hamberger in der Putzbrunner Straße in München am 20.10.81 gestoppt. Im Kugelhagel starben Uhl und Wolfgram, die anderen und (Friedhelm) Busse wurden festgenommen.

Obwohl die Akteure des »Kommando Omega« drei Tage lang in Busses Wohnung zu Gast waren, dort die Aktion geplant und die Beute aufgeteilt hatten und auf Busses Schreibtisch ein Drohbrief des »Kommandos« an den Bundesinnenminister gefunden worden war«, konnte für die BAW eine terroristische Organisation »nicht mit einer für eine Verurteilung notwendigen Sicherheit« nachgewiesen werden.5 Die Anklage nach Paragraf 129a wurde fallen gelassen. Busse, damals Chef der dann im Januar 1982 verbotenen VSBD, habe aus einer »wirtschaftlichen Notlage heraus« gehandelt, so mutmaßte die BAW freundlich. Der 2008 verstorbene Friedhelm Busse wurde nach dem VSBD-Verbot Vorsitzender der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) und war nach deren Verbot auch in der NPD aktiv.

Am 24. Juni 1982 erschoss der Neonazi Helmut Oxner (26) bei einem rassistisch motivierten Amoklauf in der Nürnberger Innenstadt drei Menschen und verletzte drei weitere schwer. Seine Opfer wählte er gezielt nach rassistischen Motiven. Oxner richtete sich anschließend selbst. Er wurde in der Presse als »Waffennarr«, »NPD-Anhänger«, »aus dem Umfeld der WSG Hoffmann« usw. beschrieben. Belegt waren seine jahrelangen Besuche von JN-Veranstaltungen, auch hinterließ er Aufkleber der NSDAP/AO am Tatort. Der SPIEGEL schrieb damals: »Ein Libyer blieb mit zerfetztem Unterkiefer liegen, der Ägypter Mohamed Ehap, 21, der sich zur Schulung in Deutschland aufhält, starb auf der Stelle – das zweiundzwanzigste Todesopfer, das rechtsradikaler Terror in der Bundesrepublik seit 1980 gefordert hat.« Polizisten, die vor ihm in Deckung gingen, hatte Oxner zugerufen: »Ich schieße nur auf Türken«6 .

Mit Oxner endet zunächst die Anschlagserie des bewaffneten Neonazi-Terrorismus, sieht man einmal von der in Deutschland nur wenig beachteten »Gruppe Ludwig« ab, deren Attentate zwischen 1977 und 1984 15 Menschenleben kosteten, darunter ein Todesopfer 1984 in München.7 Am 7. Januar 1984 verübte die Gruppe einen Brandanschlag auf eine Diskothek, während dort ein Pornofilm gezeigt wurde. Einige Monate später erlag eine 20-Jährige ihren Verbrennungen.

Noch im gleichen Jahr tauchte eine andere, bisher unbekannte Form von tödlicher Gewalt in Deutschland auf. Im Juli 19848 griffen drei Neonazi-Skinheads in Hamburg-Neu Wulmsdorf den Türken Mehmet Kaymakc? (29) an. Sie schlugen ihn zusammen und zertrümmerten ihm abschließend mit einer Betonplatte den Kopf. Kaymakci war vermutlich das erste Todesopfer rassistischer Gruppengewalt auf der Straße in der BRD, zumindest das erste Opfer, dessen Tod dokumentiert ist.

Nur wenige Monate später, am 21. Dezember 1984, wurde in Hamburg-Eilbek Ramazan Avci (26) auf offener Straße von einer Gruppe Neonazi-Skins zusammengeschlagen. Er starb drei Tage später an seinen schweren Verletzungen. Im Juli 1986 wurden fünf der Täter wegen Totschlags und damit zu einer entsprechend niedrigeren Strafe verurteilt, weil die Richter keine rassistischen Motive für die Tat feststellen konnten. Die letzte Mordtat in der »alten« Bundesrepublik folgte vier Jahre später: Am 18. Dezember 1988 verübte der stadtbekannte Rechte Josef Saller einen Brandanschlag auf das Wohnhaus einer türkisch-stämmigen Familie in Schwandorf (Bayern), vier Menschen starben.

Der Beginn der 1980er Jahre war die blutigste Zeit des Rechts-Terrorismus, in Deutschland ähnlich wie in Frankreich oder Italien. Ein europäisches Netzwerk hatte sich während der 1970er Jahre formiert, verfügte über Verbindungen zwischen den wichtigsten Filialen des Terrors und auch über personelle Kontakte.9 Allein bis 1982 wurden von den bewaffneten Neonazi-Terroristen in Deutschland über 20 Menschen ermordet, auch einige Neonazis ließen ihr Leben.10 Eine Handvoll Organisationen mit einigen Dutzend AktivistInnen agierte erstaunlich selbstbewusst, zum Teil öffentlich; sie besaßen ein Reservoir jugendlicher SympathisantInnen in Wiking-Jugend und Jungen Nationaldemokraten.

Bis heute gibt das wohlmeinende Verhalten von Justiz, Polizei und diversen Staatsanwaltschaften, bis hoch zur Bundesanwaltschaft (BAW) gegenüber diesen Truppen, Anlass zu vielerlei Kritik. Und es schafft viel Raum für politische Spekulationen, da der Bundestag es, im Gegensatz zu anderen westeuropäischen Staaten, bis heute nicht annähernd geschafft hat, die Rolle des Inlands-Geheimdienstes oder auch der NATO-Geheimarmee Gladio aufzuklären. Die Rolle der alten Nazis im Polizeiapparat, vor allem in den Kriminalpolizeien der Städte und Gemeinden, ist in diesem Zusammenhang völlig unerforscht. Viele Ermittlungsbehörden blendeten die politische Motivation der Täter aus und erklärten sie schnell zu psychopathischen Einzeltätern. Die Suche nach Hintermännern blieb AntifaschistInnen und engagierten JournalistInnen überlassen.
 

  • 1Die Recherche nach Todesopfern für den Zeitraum von 1949 bis 1980, also für die ersten 30 Jahre, blieb erfolglos.
  • 2Vgl. Dudek 1985, S.108. Ich übernehme hier die Diktion von Dudek (rechtsextrem). Seine Quellen sind die diversen Verfassungsschutzberichte, ein etwaiges Dunkelfeld wird bei Dudek nicht thematisiert.
  • 3Vgl. www.apabiz.de/archiv/material/Profile/DAG.htm
  • 4Vgl. hierzu AIB 60: »Rechte Glücksritter in Ostdeutschland«
  • 5Vgl. Bernd Siegler: Terroristische Einzeltäter-Vereinigung. In: konkret 03-1989, S. 43.
  • 6www.spiegel.de/spiegel/print/d-14346 863.html
  • 7Die »Gruppe Ludwig« verübte vor allem in Italien zum Teil bestialische Morde an Drogennutzer_innen, Prostituierten, Priestern u.a., die mit einer wirren neonazistischen Ideologie begründet wurden. Die beiden Täter, Wolfgang Abel und Mirco Furlan, sind nach über zwanzig Jahren Haft seit 2009 wieder auf freiem Fuß. Vgl. auch www.spiegel.de/spiegel/print/d-13509 386.html.
  • 8Ein genaues Datum wird nicht berichtet.
  • 9Unberücksichtigt bleibt hier die Beteiligung weiterer Deutscher am Neonazi-Terrorismus in anderen Ländern, z.B. in Italien.
  • 10Neben den von Polizisten erschossenen Wolfgang Uhl und Kurt Wolfgram (1981) sind dies das  Fememord-Opfer Johannes Bügner (Mitglied der ANS Hamburg, 1981 ermordet) sowie die Selbstmörder Frank Schubert und Uwe Behrendt, der wahrscheinlich Opfer einer WSG-internen Feme im Libanon wurde.