Skip to main content

Rostocker Rückblicke (1998)

Einleitung

Nach dem 1. Mai 1998 in Leipzig gelang es der NPD am 19. September 1998 in Rostock, mit rund 3.000 Neonazis ihren zweiten großen Aufmarsch in diesem Jahr durchzuführen. Gleichzeitig beteiligten sich ca. 10.000 Menschen an mehreren Aktivitäten des »Bündnis gegen Rechts«. Während im Innenstadtbereich von Rostock rund 2.000 unabhängige AntifaschistInnen demonstrierten, griffen 60 Nazis das nahegelegene antifaschistische Infozelt an. Wenige Minuten nach dem Angriff wurde ein Antifaschist von einem mit Neonazis besetzten PKW überfahren und schwer verletzt. Mittlerweile ist der 28jährige Mann aus dem Wendland nach acht Tagen im Koma wieder bei Bewußtsein.

Foto: Christian Ditsch

Großspurig hatten JN und NPD zum Abschluß ihres Schwerpunktwahlkampfes in Mecklenburg-Vorpommern für den 19. September 1998 nach Rostock mobilisiert. Ziel des Aufmarsches, der schon am 16. Juni 1998 angemeldet wurde, sollte das Sonnenblumenhaus sein. Das ehemalige Vertragsarbeiterwohnheim war Ende August 1992 von einem rassistischen Mob und Neonazikadern während eines tagelangen Pogroms in Brand gesetzt worden. 115 VietnamesInnen und ein ZDF-Kamerateam entkamen den Flammen nur knapp, indem sie auf das Dach des Hauses flüchteten. (Vgl. AIB Nr. 20 und Nr. 41) Mit dem "Sonnenblumenhaus" als Abschlußkundgebungsort hatte die NPD nach eigener Aussage gezielt eine »Provokation« angestrebt. Ziel war vor allem, die ohnehin schon große Medienöffentlichkeit für ihren Wahlkampf noch einmal kurz vor Schluß zu steigern. Gegenüber den eigenen SympathisantInnen sollte der Mythos von der schlagfähigen Kampfpartei gestärkt werden, indem man sich in die Kontinuität der Brandstifter von Rostock einreihte und gleichzeitig gegenüber den Medien augenzwinkernd beteuerte, daß die NPD eine gewaltlose Partei sei.

Bündnisarbeit und Antifamobilisierung

Nachdem die Pläne der NPD öffentlich geworden waren, begannen AntifaschistInnen in Rostock zusammen mit dem Rostocker »Bündnis gegen Rechts«, das sich nach den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt gegründet hatte, mit der Mobilisierung gegen den Aufmarsch. In den politischen Gremien der Stadt, aber auch bei weiten Teilen der Rostocker Bevölkerung wurde die Empörung über den NPD-Aufmarsch vor allem durch die Wahl des Abschlußkundgebungsortes »Sonnenblumenhaus« ausgelöst. Rostocks Parteien und der SPD-Oberbürgermeister befürchteten eine weitere Imageschädigung für die Stadt, die auch nach sechs Jahren immer noch weltweit mit dem Pogrom identifiziert wird. Eine Aufarbeitung des Pogroms und des Verhaltens der BürgerInnen 1992 - ganz zu schweigen von dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß im Schweriner Landtag, der kaum Fehler an dem Polizeieinsatz und der Einsatzleitung finden konnte bzw. wollte - hat in Rostock nur sehr schleppend stattgefunden. Abgesehen von Ausnahmen, wie der vietnamesisch-deutschen Begegnungsstätte im "Sonnenblumenhaus" und einigen Jugendclubs in Lichtenhagen, die zwar auch mit rechten Jugendlichen arbeiten, dabei aber nicht mehr nach dem Konzept der »akzeptierenden Sozialarbeit« vorgehen, wurde in Rostock das Thema »Lichtenhagen« lange Zeit unter den Teppich gekehrt. Mit der NPD-Aufmarsch-Anmeldung waren nun alle möglichen Parteien und Organisationen damit konfrontiert, sich der jüngeren Vergangenheit der Stadt stellen zu müssen. Öffentlich wurde erklärt, einen Neonaziaufmarsch nicht dulden zu wollen; gemeint war: Er solle verboten werden. Die eigene Verantwortung, etwas tun zu können, wurde wegdelegiert. Obwohl vielen klar war, daß ein Verbot keinen Bestand haben würde, beschränkte sich die Palette der Handlungsmöglichkeiten im Denken vieler auf die Forderung nach dem Ausschöpfen der juristischen Möglichkeiten. In dieser Logik erließ der SPD-Oberbürgermeister eine Verbotsverfügung gegen die Aufmarschanmeldung. Wie zu erwarten war, wurde von den zuständigen Gerichten entschieden, daß die NPD demonstrieren dürfe. Allerdings nicht, so das OVG Greifswald, vor dem "Sonnenblumenhaus" in Rostock-Lichtenhagen.

Es ist der Verdienst der Rostocker Antifas, den Verbotshoffnungen rechtzeitig entgegengewirkt, und gemeinsam mit dem Bündnis eine weitergehende Plattform für all diejenigen geschaffen zu haben, die zeigen wollten, daß sie gegen Nazis sind. Mehrere Demonstrationen und Kundgebungen wurden angemeldet und ein multikulturelles »Friedensfest« vor dem Sonnenblumenhaus sowie ein »Rock gegen Rechts«-Konzert geplant. Die Offenheit des Bündnisses führte dazu, daß viele unterschiedliche Menschen und Organisationen aktiv und die Planungen immer umfangreicher wurden. Gleichzeitig beteiligten sich immer mehr, denen die Kampagne auch als willkommener Anlaß zur Imageverbesserung des Standortes Rostock gelegen kam und die allein nur deswegen ihr Geld gaben. Ein vom Bündnis formulierter Aufruf forderte zwar »Kein Nazi-Aufmarsch in Rostock«. Die Parole wurde jedoch nach und nach - auch aus Angst vor direkten Konfrontationen mit der NPD - als eine politische Forderung ausgelegt, deren Umsetzung von der Mehrheit im Bündnis nur sehr vage bestimmt war. Letztendlich wurde der Aufruf von immerhin 80 Organisationen, Initiativen und Einzelpersonen der unterschiedlichsten politischen Richtungen unterschrieben. Bis auf die CDU unterstützten sämtliche Parteien sowie Gewerkschaften, die Fachhochschulen und Universität der Stadt, Kirchen, kommunale Betriebe, Vereine etc. die Bündnisaktivitäten. Daß es den meisten in Rostock eher darum ging, »ein Zeichen zu setzen« und nicht den Neonaziaufmarsch zu verhindern, wurde mit der Aktion »Bunt statt Braun« deutlich. Mit diesem Motto und mit dem Zusatz »Rostock miteinander. Für eine friedliche, weltoffene und demokratische Gesellschaft« wurden die bis dahin bestimmenden Ziele überlagert und vereinnahmt. Statt den bis dato »lauten und kämpferischen Tönen« sollten nun »leise, friedliche Klänge von einem anderen Rostock« in den Medien und der Öffentlichkeit vernommen werden. Die Stadtverwaltung sah sich durch die Demonstrations-Anmeldung des Bündnisses lange Zeit in der Zwickmühle: Einerseits mußte sie die Planungen des Bündnisses wohlwollend akzeptieren. Andererseits wollte sie die Bündnisveranstaltungen möglichst weit weg von den Neonazis haben. Ein Verbot der Bündnisdemonstration mußte aus politischen Gründen vermieden werden, was im Falle eines NPD-Aufmarsches auf der Route nach Lichtenhagen jedoch schwierig geworden wäre. Also begann man sich in der Stadtverwaltung, wohl in Absprache mit dem CDU-geführten Schweriner Innenministerium, nach Alternativen für den NPD-Aufmarsch umzusehen. Schließlich befürchtete die SPD auch, daß Krawallbilder aus Rostock der CDU kurz vor Wahlkampfschluß durchaus gelegen gekommen wären. Wichtigstes Kriterium bei der Wahl des Rostocker Stadtteils Dierkow war darum sicherlich, daß das Plattenbauviertel relativ einfach polizeilich abzuriegeln und kontrollierbar ist. Schon mehrere Wochen vor dem 19. September 1998 wurde Dierkow vom Ordnungsamt als alternativer Aufmarschort anvisiert - ohne, daß das Bündnis davon informiert wurde. Als sich die NPD dann 48 Stunden vor dem Aufmarsch für Dierkow und gegen Lichtenhagen als Aufmarschort entschied, blieb nur noch wenig Zeit, um darauf zu reagieren.

Viele Alternativen gab es zu diesem Zeitpunkt für die unabhängigen AntifaschistInnen ohnehin nicht mehr: Eine Mehrheit im Bündnis hatte sich schon vorher darauf festgelegt, eine direkte Konfrontation mit der NPD vermeiden zu wollen, d.h. nicht mal Sitzblockaden o.a. am Aufmarschort zu versuchen. Stattdessen hielt das Bündnis an der angemeldeten Route nach Lichtenhagen und insbesondere dem »Friedensfest« fest. Ein gravierender Fehler war auch, daß eine am 17. September 1998 noch kurzfristig von der PDS in Dierkow angemeldete Gegenkundgebung am 18. September 1998 wieder zurückgezogen wurde. Nach heftigen Debatten auf dem letzten Bündnistreffen am Abend des 17. September 1998 einigte man sich lediglich auf einen Verbalkompromiß: Das Bündnis ruft weiter zu den bisher geplanten Aktivitäten auf, und erklärt lediglich eine solidarische Unterstützung für eine Antifa-Demonstration mit Dierkow als Ziel. Das war dem PDS-Kreisverband Rostock als Anmelder in Dierkow zu wenig. Sie wollten die politische Verantwortung nicht alleine tragen. Am Freitag Abend versuchten dann noch einmal namenhafte VertreterInnen des Bündnisses, bei der Stadtverwaltung um Unterstützung im Falle einer neuen Demoanmeldung durch unabhängige AntifaschistInnen zu werben. Sie wurden mit dem Hinweis, daß inzwischen das Innenministerium in Schwerin die Entscheidungsgewalt an sich gezogen hätte, unverrichteter Dinge nach Hause geschickt. Die Einsatzpläne waren schon lange geschrieben. Nichts sollte noch dazwischen kommen.

Der Neonaziaufmarsch

Bereits in den frühen Morgenstunden des 19.9.1998 wurden von der Polizei sämtliche Zufahrtsstraßen nach Dierkow kontrolliert und mit Wasserwerfern und Räumpanzern gesichert. Ab neun Uhr morgens sammelten sich die Neonazis auf einem Parkplatz in Dierkow. Mit fast zweistündiger Verspätung setzten sich die ca. 3.000 Neonazis in Bewegung. Am Rand hielten führende NPD-Kader Pressegespräche ab: Der 27jährige Torsten Kowalski, NPD-Spitzenkandidat und Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Rostock, sowie der auf Listenplatz 3 plazierte 67 Jahre alte Rechtsanwalt Peter Stöckicht, der schon von 1968 bis 1972 für die NPD im baden-württembergischen Landtag gesessen hatte und mittlerweile in Laage wohnt. Auch der frühere Rechtsterrorist und NPD-Kandidat Manfred Roeder suhlte sich im Medieninteresse. Im Kreis des präsentierten "Führungspersonals" an der Spitze der Demonstration waren auch die westdeutschen Neonazi-Kader Jens Pühse (Freising), Achim Ezer (Köln), Friedhelm Busse (München) und Sascha Roßmüller (Straubing) anzutreffen. Die »einfachen Kameraden« dagegen hatten strikte Anweisung, sich nicht interviewen zu lassen. Mehrfach wurden Pressevertreter angegriffen, während die Polizei zusah. Der Aufmarsch wurde vom NPD-Landesverband Sachsen-Anhalt angeführt. Mit Heiko Krause aus Tangerhütte war einer der Anführer aus dem Bundesland im Umfelder des Führungskreises zu sehen. Durch große Lücken zwischen den einzelnen Landesverbänden sowie »ordentliche Fünferreihen« sollte der Aufmarsch künstlich in die Länge gezogen werden.

Die zahlenmäßig größten Blöcke kamen aus Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Sachsen. Auffallend war die starke Präsenz sogenannter »Freier Kameradschaften«. Wie schon am 1. Mai 1998 in Leipzig leitete augenscheinlich der NPD-Kader Sascha Wagner (Herzogenrath) den Ordnerdienst. Eine Gruppe der selbsternannten "Freien Nationalisten" aus Hamburg unter der Führung von Thomas Wulff ("Steiner") und Christian Worch sorgte für den Schutz des Leitfahrzeuges. NPD-Bundesvorstandsmitglied Jürgen Distler (Bayreuth) und JN-Chef Holger Apfel (Hildesheim/Eningen) waren für die Zusammenarbeit mit der Polizei zuständig. Der Aufmarsch endete mit Reden von NPD-Chef Udo Voigt (Moosburg), Hans-Günther Eisenecker (Goldenbow), Torsten Kowalski (Rostock), Peter Stöckicht (Laage) und Christian Worch (Hamburg). Danach verließen die meisten Neonazibusse die Stadt. Auf der Autobahn Richtung Süden wurden abends dann mehrere Autos mit AntifaschistInnen von Neonazibussen und Pkws aus angegriffen.

Polizeieinsätze gegen AntifaschistInnen

Der Einsatz von 6.000 Polizisten aus allen Bundesländern sowie SEK- und MEK-Einheiten mitsamt Hubschraubern war von vornherein darauf ausgerichtet, AntifaschistInnen daran zu hindern, in die Nähe der NPD zu kommen. Beim NPD-Aufmarsch beschränkte sich die Polizei lediglich darauf, mit Wasserwerfern hinterherzufahren und den Verkehr zu regeln. Nur einzelne Blöcke wurden von Polizeieinheiten begleitet. Gegen AntifaschistInnen ging die Polizei dagegen massiv vor. Schon im Vorfeld wurde der norddeutsche Buskonvoi an einer Polizeisperre aufgehalten und durchsucht. Dabei setzten Polizisten Chemical Maze und Schlagstöcke gegen die Insassen des dänischen Antifa-Busses ein. Auch alle anderen antifaschistischen Buskonvois wurden aufgehalten und durchsucht. In Berlin kam es schon bei der Abfahrt zu Festnahmen. Bei der Demonstration in der Innenstadt gingen die Polizeischikanen und brutalen Übergriffe dann weiter. Permanenter Schlagstockeinsatz und willkürliche Festnahmen gehörten an diesem Tag zur Normalität. 117 AntifaschistInnen wurden festgenommen. Denjenigen, denen es gelang, bis nach Dierkow zu kommen, sahen sich dort mit einer massiven Polizeipräsenz, Platzverweisen und Neonazis konfrontiert, ohne daß eine Möglichkeit bestanden hätte, sich - ähnlich wie in Leipzig - zu sammeln und zu agieren. Das ist wohl auch aus antifaschistischer Sicht ein wesentlicher Unterschied zwischen dem 1. Mai 1998 in Leipzig und dem 19. September 1998 in Rostock: In Leipzig gingen die Polizeikräfte weniger konsequent und koordiniert vor; eine räumliche Trennung zwischen AntifaschistInnen und Neonazis wurde weniger strikt durchgesetzt.

Folgenschwerer Neonazi Angriff

Ungehindert von der bei antifaschistischen Aktivitäten allgegenwärtigen Polizei gelang es rund 60 Nazis, unbemerkt bis zum antifaschistischen Informationszelt am Rostocker Hafen zu kommen und dieses anzugreifen. Während des Angriffs hielten sich nur wenige Menschen, darunter auch Kinder, im bzw. beim Zelt auf. Zwei Personen wurden durch Steinwürfe der Neonazis verletzt. Minuten später überfuhr ein mit Neonazis besetztes Auto auf der Straße vor dem Zelt einen Antifaschisten. Während der Mann mit schweren Kopfverletzungen auf der Straße liegenblieb, flüchtete die Neonazis mit ihrem PKW. In einer Presseerklärung der Antifaschistischen Aktion Lüneburg/Uelzen heißt es dazu: »(...) Daß es sich bei diesem Anschlag nicht um einen Verkehrsunfall handelte, haben mehrere Zeuginnen bestätigt. Der Fahrer des Autos ist mit sehr hoher Geschwindigkeit (...) auf den Antifaschisten zugefahren. Der Antifaschist konnte dem Auto nicht mehr ausweichen und wurde überfahren.« Der Vorfall wurde von der Polizei als Unfall verharmlost und in den meisten überregionalen Medien entweder komplett ignoriert bzw. die Polizeiversion berichtet. Als Halter des Fahrzeugs gilt ein Jens P. aus Lengerich, den die Polizei als »nicht einer rechten Szene zuortbar« bezeichnete. Allerdings sind die gleichnamigen Zwillingsbrüder Matthias P. und Markus P. in Lengerich als Neonazi-Aktivisten bekannt. Journalisten filmten etwas später den PKW mit Neonazis an einer Tankstelle am Ortsausgang von Rostock. Als diese das Filmteam bemerkten, breiteten die Fahrzeuginsassen eine Reichskriegsflagge über dem Auto aus und versuchten, die Journalisten anzugreifen. Der Angriff auf das Zirkuszelt wurde von der Polizei - wen wundert es - in ihrer Tagesbilanz im übrigen gänzlich verschwiegen. Stattdessen ermittelt der Staatsschutz mittlerweile gegen Menschen, die in der Nähe gestanden haben könnten, als der Antifaschist überfahren wurde.

Nicht das Ende antifaschistischer Politik

Zunächst einmal die positive Bilanz des Tages: Die große Beteiligung an den antifaschistischen Aktivitäten ist als Erfolg zu werten. Auch, daß es unabhängige AntifaschistInnen geschafft haben, ein derart breites Bündnis auf die Beine zu stellen und eine Spaltung zu verhindern, ist politisch wichtig und richtungsweisend. Es ist dem Bündnis gelungen, in der Stadt mehrheitlich eine Anti-Nazi-Stimmung zu erzeugen, die auch nach außen sichtbar war. Für viele Menschen wurde an diesem Tag deutlich, daß es einen breiten Widerstand gegen Neofaschismus und die NPD gibt. Daß es nicht gelang, den NPD-Aufmarsch zu verhindern bzw. zumindestens zu behindern, hatte mehrere Ursachen. Zum einen wollte das Bündnis mehrheitlich keine direkte Konfrontation mit der NPD. Außerdem hatte das Bündnis eine schon Wochen vor dem 19.9.1998 geplante Anmeldung einer Antifa-Demonstration in Dierkow immer wieder verschoben. Für das Zurückziehen der Demonstrationsanmeldung in Dierkow durch den PDS-Kreisverband gibt es keine Entschuldigung. Eine Partei, die sich selber als antifaschistisch bezeichnet, muß auch gewillt sein, politische Verantwortung auf der Straße zu übernehmen. Unter diesen Bedingungen war es relativ unmöglich, eine unabhängige Antifa-Demonstration im Innenstadtbereich anzumelden, die als Sammelpunkt für Antifas dienen sollte und gleichzeitig versuchen wollte, bis nach Dierkow zu kommen. Zumal die Entscheidung sehr kurzfristig fiel und die Möglichkeiten, bis an den Stadtrand von Dierkow zu gelangen - angesichts eines fehlenden Ersatzkonzepts - falsch eingeschätzt wurden. Trotzdem ist dies auch noch am Morgen, wenn auch vergeblich, versucht worden. Daß sich letztendlich doch noch ein Demonstrationszug formieren würde, war vorhersehbar. Genauso wie feststand, daß dieser nicht bis nach Dierkow kommen würde. Es hätte noch viele andere Möglichkeiten für Antifas gegeben, die Neonazis am Marschieren zu hindern. Diese sind - wie schon oft -nicht genutzt worden. Wie immer nach antifaschistischen Versuchen, Großveranstaltungen der Neonazis zu be- bzw. verhindern, stellt sich die Frage nach den Konzepten und der Notwendigkeit, neue Wege zu gehen. Eine Diskussion darum sollte auf jeden Fall solidarisch geführt werden. Es gab erfolgversprechende Konzepte, wenn der NPD-Aufmarsch in Lichtenhagen stattgefunden hätte. So war es fatal, daß ein vom Bündniskonzept unabhängiges Ersatzkonzept für den Fall der Verlegung des Aufmarschortes zu spät überlegt wurde. Der NPD-Aufmarsch in Rostock ist nicht der erste Neonaziaufmarsch, der nicht verhindert worden ist, und es wird wohl auch leider nicht der letzte sein. Es wäre aber fatal, wenn wir den Erfolg antifaschistischer Politik alleine am Verhindern bzw. Behindern von Naziaufmärschen messen würden. Der Erfolg, einen breiten Widerstand auf der Straße gezeigt und den Neonazis sowohl den räumlichen, als auch gesellschaftlichen Bewegungsspielraum genommen zu haben, ist unter Umständen sogar längerfristig um einiges größer.