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Thüringen: Immobilien in den Händen krimineller Neonazi-Netzwerke

Lionel C. Bender und Kai Budler
Einleitung

Ende Februar 2021 durchsuchten knapp 600 Einsatzkräfte 27 Wohnungen und Geschäftsräume von Neonazis in Thüringen, Hessen und Sachsen-Anhalt. Bei den Razzien im Raum Gotha, in Bad Langensalza, Saalfeld-Rudolstadt sowie im Lahn-Dill-Kreis und im Burgenlandkreis stießen die Ermittler unter anderem auf Drogen wie Heroin und Crystal Meth, Waffen und rund 120.000 Euro Bargeld. Schwerpunkt der Maßnahme war das „Gelbe Haus“ im Besitz von Neonazis in Ballstädt bei Gotha. Doch ermittelt wird in diesem Fall nicht wegen des neonazistischen Hintergrundes, die Razzien waren vom Dezernat 62 des Thüringer Landeskriminalamtes (LKA) vorbereitet worden, das sich mit „Organisierte Kriminalität“ befasst. Die Staatsanwaltschaft Gera wirft den 21 Beschuldigten Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vor, die Erlöse aus dem Drogenhandel sollen sie anschließend gewaschen haben. Seit Jahren sollen sie so große Teile des Drogenhandels in Thüringen organisiert und kontrolliert haben, dazu sollen noch Waffengeschäfte gekommen sein. Alle Beschuldigten gehören der extrem rechten Bruderschaft Turonen an oder sind Teil ihres Netzwerks (z.B. „Garde 20“).

Kontinuierlicher Zugriff auf Immobilien

Bei diesen Geschäften konnten die Neonazis auf langjährige Erfahrungen beim Erwerb und der Verwaltung von rechten Szene-­Immobilien zurückgreifen. Bereits Mitte Dezember 2011 erwarben die militanten Neonazis Steffen Mäder und Marco Zint im thüringischen Crawinkel für etwa 100.000 Euro eine Immobilie, die unter dem Namen „Hausgemeinschaft Jonastal“ mit der bezeichnenden Abkürzung HJ an die Öffentlichkeit trat. Nur zwei Jahre später folgte im nur 30km entfernten Ballstädt ebenfalls im Landkreis Gotha der Kauf des „Gelben Haus“ durch die beiden Mitglieder der Hausgemeinschaft André Keller und abermals Steffen Mäder.

Während die Kommune in Crawinkel es schaffte, nach zwei Jahren ihr Vorkaufsrecht durchzusetzen und das Gebäude für 155.000 Euro zu erwerben, sah dies in Ballstädt anders aus. In dem Dorf nördlich von Gotha weigerten sich die Behörden, ihr Vorkaufsrecht durchzusetzen, da sie sich nicht vom damaligen Verkäufer der Immobilie erpressen lassen wolle. Dieser hatte angekündigt, die Immobilie für 165.000 Euro an die Neonazis zu verkaufen, sollte die Kommune nicht von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen. Im Jahr 2016 folgte ein weiterer Kauf im benachbarten Henningsleben bei Bad Langensalza für 30.000 Euro.

Immobilien in der Hand von Neonazis haben für sie eine zentrale Bedeutung. Dass sich die "Turonen" beim Kauf der Häuser auf kleine Dörfer beschränken, dürfte mehrere Gründe haben. Neben gemeinschaftlich genutztem Wohnraum kann hier abseits urbaner Großstädte der Traum einer intakten Volksgemeinschaft gelebt werden. Durch den steigenden Leerstand auf den Dörfern fallen die Kaufpreise. Dem Wegzug meist junger Menschen in die Städte folgt weiterhin die Verödung der Dörfer, woraufhin Neonazis es leichter haben Fuß zu fassen und ein Klima der Angst zu schaffen, weil niemand mehr da ist, um sich gegen sie zu stellen. Sollte es doch eine aktive Zivilgesellschaft wie in Ballstädt geben, wird diese eingeschüchtert, bedroht und überfallen.

RechtsRockkonzerte als Geldquelle

Daneben sind Neonazi-Immobilien Dreh- und Angelpunkt der eigenen Finanzierung. Nur rund vier Wochen nach dem Erwerb der Immobilie in Crawinkel löste die Polizei ein dort stattfindendes RechtsRockkonzert auf und erteilte rund 80 Platzverweise. Später fanden fast im Monatsrhythmus weitere solcher Konzerte mit bis zu 100 Teilnehmenden in der „Hausgemeinschaft Jonastal“ statt. Die "Mobile Beratung in Thüringen" (MOBIT) zählte allein im Jahr 2012 mindestens sieben RechtsRockkonzerte in Crawinkel, im Jahr darauf sollen es mindestens fünf gewesen sein. Nach dem Überfall in Ballstädt wechselten die Turonen ihren Veranstaltungsort und organisieren ihre Konzerte im nahegelegenen Kirchheim. Die dortige „Erlebnisscheune“ dient rechten Strukturen für Parteitage und Rechtsrockkonzerte. In den Jahren 2014 bis 2016 führten die Turonen dort mehr als ein Dutzend Konzerte durch. Die Bewerbung unter den Namen „Support the POWs!!!“, „Rock for Freedom“ sowie „Solikonzert für ‚Gefangenenhilfe‘“ legt nahe, dass die Einnahmen für Gerichtsverfahren und Anwaltskosten verwendet werden sollten. Die Gelder dürften einerseits für den Ballstädtprozess und andererseits den NSU-Prozess gesammelt worden sein. Bei den Konzerten in Kirchheim konnten die Turonen schätzungsweise einen Umsatz von insgesamt bis zu 100.000 Euro allein durch Eintrittsgelder generieren. An den Konzerten sollen in Durchschnitt rund 200 Neonazis teilgenommen haben.

Mit dem „Rock gegen Überfremdung II“ am 15. Juli 2017 organisierten die "Turonen" mit Hilfe befreundeter Neonazi-Bruderschaften aus ganz Deutschland das wohl bundesweit größte Neonazikonzert in der Bundesrepublik seit Jahren. Bis zu 6.000 Neonazis reisten zu dem Open-Air nach Themar, das europaweit beworben wurde. Tommy Frenck, Inhaber des Neonazi-Treffpunks „Goldener Löwe“ im nahen Hildburghausen, stellte den Turonen das Gelände in Themar zur Verfügung. Frenck hatte es wiederum vom ehemaligen AfD-Politiker Bodo Dressel gepachtet. Das Portal „Thüringenrechtsaussen“ geht von einem Gesamtumsatz von 250.000 Euro bis 325.000 Euro und einem Gewinn zwischen 100.000 Euro und 200.000 Euro für die "Turonen" aus.

Bei einem Konzert mit 5.000 Neonazis in Unterwasser in der Schweiz konnte die Neonazigruppierung laut dem Portal schätzungs­weise rund 150.000 Euro einnehmen. Angemeldet hatte es der gebürtige Thüringer und „Turone“ Matthias Melcher, der zeitweise in der Schweiz lebte und offenbar auch an Waffen interessiert ist. Bei einer Razzia 2019 fand die Polizei bei ihm ein Sturm­gewehr mit knapp 800 Patronen, eine ­Maschinenpistole tschechischer Bauart mit rund 1200 Patronen und eine Pistole der Marke Walther mit Extra-Magazin. Seit er wieder in Thüringen wohnt, gibt er als Ladungsadresse die Anschrift des "Gelben Hauses" in Ballstädt an.

Der Erfolg der "Turo­nen" und die Kontakte im RechtsRockgeschäft dürften nicht zuletzt daran liegen, dass deren Mitglied Thomas Wagner über ein Tonstudio in der Immobilie in Ballstädt verfügt. Mit Hilfe dieses Tonstudios schaffen es die Neonazis, ihre Musik zu produzieren sowie Kontakte zu knüpfen, pflegen und erhalten. Mit dem ebenfalls im „Gelben Haus“ ansässigen Label „Frontschwein-Records“ werden der Vertrieb der Tonträger und Konzerte organisiert.

Übernahme österreichischer Geschäftsmodelle

Neben der Geldbeschaffung durch RechtsRockkonzerte bauten sich die Neonazis einen weiteren Geschäftszweig auf. Mit ihrem Mix aus Drogenhandel und Rotlichtgeschäf­ten haben die Turonen das Geschäftsmodell der oberösterreichischen Gruppierung „Objekt 21“ übernommen und ausgebaut. Kein Zufall, denn in die österreichischen Machenschaften waren auch Thüringer Neonazis aus der RechtsRockband „Sonderkommando Dirlewanger“ (SKD) und ihrem Umfeld verwickelt, um die sich später die „Turonen“ gruppierten (siehe AIB Nr. 98). So mutmaßten die Behörden bereits 2013, dass Waffen aus dem „Objekt 21“ in den Raum Gotha gebracht worden waren sowie Thüringer Neonazis an Waffenkäufen aus dem Fundus von „Objekt 21“ interessiert waren und durch ihre teils engen Kontakte zum österreichischen Neonazi-­Netzwerk Handgranaten nach Deutschland gebracht hatten. Und so wurden beim Prozess gegen Mitglieder des „Objekt 21“ auch drei Neonazis aus Thüringen verurteilt. Einer davon war Steffen Mäder, der am Kauf des "Gelben Hauses" beteiligt gewesen war, wegen seiner Haftstrafe aber nicht einziehen konnte.

Neben Ballstädt diente ihnen dabei auch die Immobilie in Henningsleben als Treffpunkt. Dort waren auf dem Türschild noch fünf Monate nach den Razzien die Namen von Marco Zint und Nicole G.zu finden. Ebenso wie Zint gehört die Cousine von Wagner zu den Beschuldigten. Ihre Handynummer war in der Vergangenheit die Kontaktnummer für konspirative RechtsRockkonzerte. In der Stadt Gotha diente ein ehemaliges Firmengelände als Hauptquartier der "Turonen", andere Häuser wurden dort gewerblich genutzt. Auch nach der Razzia gingen dort Neonazis ein und aus. Mit dem Auf- und Ausbau der mafiösen Strukturen ging nicht nur ein Anstieg der von den "Turonen" genutzten Immobilien einher. Ihre Versuche, die Drogengeschäft zu übernehmen, verdrängten auch ältere Dealer-Strukturen in der Region. Bei ihren Geschäften sollen sie auch Minderjährige als „Läufer“, die die Drogen auf der Straße verkaufen, eingesetzt haben.

Neben den erwähnten Einnahmen aus Rechtsrock-Konzerten dürften auch gewaschene Drogengelder zur Finanzierung ihrer Geschäfte gedient haben. Eine zentrale Rolle dabei wird dem bekannten Szene­anwalt Dirk Waldschmidt aus Wetzlar zugeschrieben. Dem Verteidiger, der unter anderem André Kapke im NSU-Prozess, den Lübcke-Mörder Stephan Ernst und Christian Herrmann im Ballstädt-Prozess vertreten hatte, werden mindestens 40 Fälle der Geldwäsche vorgeworfen. Weiterhin sollen über das Unternehmen von Waldschmidts Lebensgefährtin „Sonja Löw Immobilien- und Vermögensverwaltungs GmbH“ die Beschuldigten Andre Keller, Sina T. und Timm Malcoci ein monatliches Gehalt bezogen haben. Während Keller die Drogen mit Kurierfahrten nach Thüringen gebracht haben soll, sollte Sina T. als Ex-Prostituierte das Bordell in der Kindleber Straße in Gotha leiten. Ein weiteres Bordell soll sich im Nordosten der Stadt befunden haben. Weiterhin besorgte offen­bar Malcoci den Teil der Drogen, die aus dem Aachener Raum stammten. Auch Wagner hat bereits Erfahrungen mit dem Drogenhandel: er wurde schon 2008 wegen unerlaubten Handels mit Arzneimitteln zu einer Geldstrafe verurteilt. Im Jahr 2013 wurden bei einer Razzia in Crawinkel ebenfalls eine geringe Menge Amphetamine bei ihm gefunden.

Crawinkel, Ballstädt und der Rechts­terrorismus

Die beiden Neonazi-Immobilien in Crawin­kel und Ballstädt nutzten die Turonen auch, um Waffen sowie Munition zu deponieren. Bei einer Razzia im Juni 2012 wurden landesweit zehn Objekte durchsucht, darunter das Haus in Crawinkel. Hintergrund waren Ermittlungen wegen des „Verdachts auf Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“. Den Neonazis wurde eine Anschlagsplanung vorgeworfen. Nur wenige Monate später zündeten spätere Mitglieder der "Turonen" eine Art Kugelbombe vor einem alternativen Wohnprojekt in Gotha und verbreiteten das Video im Internet. Im August 2013 werden die Behörden in Crawinkel schließlich fündig. Im Zuge von Ermittlungen wegen des Verdachts des „Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz“ beschlagnahmte die Polizei ein Sturmgewehr mit Munition, zwei Maschinenpistolen, ein Colt, 15 Patronen sowie verschiedene Schlagwaffen.

Eine weitere Hausdurchsuchung erfolgte nach dem Überfall auf die Kirmesgesellschaft in Ballstädt 2014. Nachdem Wagner 2018 nach eigenen Angaben mehrfach Briefe im Briefkasten hatte, die mit einer Karikatur gegen Neonazis versehen waren, lobte er 2.000 Euro Belohnung für Hinweise zum Absender aus. Weiterhin kommentierte er die Auslobung mit einer indirekten Morddrohung: „deswegen biete ich demjenigen, der mir deinen namen nennt, 2000 euro und die zusicherung, dass sein name anonym bleibt.ist das nicht zum TOT SCHIESSEN lustig?? mal sehen wie stark deine freundschaften sind“ Dass Anhänger der "Turonen" durchaus zu (versuchten) Morden bereit sind, zeigte Sebastian Dahl, der bis 2018 der Bruderschaft angehörte. Er wurde wegen versuchten Mordes nach einem Brandanschlag auf schlafende Besucher*innen eines antirassistischen Jugendfestivals im Jahr 2001, zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. (AIB Nr. 68 / 4.2005)

Solidaritätsarbeit für NSU-Unterstützer

Neben den Verbindungen zum "Objekt 21" in Österreich sowie in Drogenmilieus weisen Mitglieder der Turonen auch Verstrickungen zum NSU auf. So war es deren Mitglied Steffen Richter, welcher maßgeblich die Solidaritätsarbeit für den verurteilten NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben leistete. Richter kannte Wohlleben bereits seit den 2000er Jahren. und gilt als Initiator der Kampagne „Freiheit für Wolle“, welche unter anderem durch den Verkauf von T-Shirts Gelder sammelte. Während Wohlleben in der Justizvollzugsanstalt Gräfentonna inhaftiert war, schmuggelte Richter ihm eine geheime Nachricht ins Gefängnis, was die Verlegung von Wohlleben nach München zur Folge hatte. Knapp ein Jahr nach der Selbstenttarnung des NSU veröffentlichte die Gruppe ein Foto von einem knappen Dutzend Neonazis, die mit Waffen posierten und mit „Der neue NSU aus Thüringen“ kommentiert wurde. Auf dem Foto sind unter anderem Thomas Wagner, Steffen Mäder und Marco Zint zu sehen. Auch im aktuellen Fall spielt Wohlleben eine Rolle, denn der Szene-Anwalt Waldschmidt soll dem NSU-Unterstützer über Monate Zuwendungen in Höhe von monatlich 450 Euro pro Monat gezahlt haben. Das Geld stammt mutmaßlich aus den Geldern, die Waldschmidt für die "Turonen" gewaschen hatte.

Im Blick behalten

Durch Immobilien schaffen sich kriminelle Neonazi-Netzwerke einen Rückzugsort, der einerseits als Ort für konspirative RechtsRockkonzerte und andererseits als Treffpunkt für Vernetzung sowie Waffen- und Drogenlager dient. Für die Finanzierung rechtsterroristischer Netzwerke scheinen sogar Teile der Neonazi-Strukturen zunehmend mit Elementen ihrer Ideologie zu brechen und in den Drogenhandel einzusteigen. Ein ähnliches Bild zeichnete sich beim „Objekt 21“ in Österreich, welches über ähnliche Strukturen und Netzwerke wie die "Turonen" verfügte. Auch in Essen fanden die Behörden im Januar 2022 im Zuge einer größeren Razzia in einem Gebäude, welches u.a. von der Neonazi-­Bürgerwehr „Steeler Jungs“ genutzt wird, mehrere Dutzend Kilogramm Drogen, zahlreiche Waffen und 50.000 Euro Bargeld. Weiterhin soll sich dort eine Waffenwerkstatt befunden haben. Für Antifaschist*innen gilt es weiterhin die fortschreitende Vermischung von organisierter Kriminalität und Neonazis sowie deren Raumnahme im Blick zu behalten.