Skip to main content

Völkischer Sozialismus und Terror – zum 70. Todestag von Ernst Röhm

Einleitung

Vor 70 Jahren, im Juni 1934, wurde mit dem Mord an Ernst Röhm die SA im NS-Staat entmachtet. Auf dem Weg der NS-Bewegung zur Macht band die SA durch das Aufgreifen der sozialen Frage das Potential aus deklassiertem Kleinbürgertum und einem Teil der Arbeiter. Die Entmachtung der SA trug letztlich zur Stabilisierung der NS-Diktatur bei. Neonazistischen Gruppen gilt die SA als Vorbild für den »nationalen Sozialismus« als »dritter Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus«.

Foto: Bundesarchiv, Bild 102-14886 /CC BY-SA 3.0

Ernst Röhm (rechts), der Reichsführer der SS Heinrich Himmler (mitte) und der Gruppenführer der Gruppe Ost der SS Kurt Daluege (links).

Politische Gewalt in der Weimarer Republik

Ende der 1920er Jahre verfügten alle Parteien der Weimarer Republik über paramilitärische Massenorganisationen. Dem waren in der nachrevolutionären Phase der Jahre 1919 bis 1923 auf Seiten der extremen Rechten militärische Organisationen vorausgegangen, die als Freikorps einerseits im Auftrag der Berliner Regierungen gegen die revolutionäre Arbeiterschaft agierten, anderseits rechtsterroristische und antirepublikanische Ziele verfolgten. Diesem Milieu entstammte das breite Spektrum völkischer Wehrverbände, die in der Grauzone zwischen Reichswehr, Freikorps und gegenrevolutionären Bürgerwehren agierten. Die Herausbildung regulärer paramilitärischer Massenorganisationen als offizielle Vorfeldstrukturen der Parteien war sowohl eine Folge des I. Weltkrieges als auch des Kapp-Putsches im Jahre 1920. Auf Seiten der nationalkonservativen Rechten war es der »Stahlhelm« der als Sammelbecken für ehemalige Frontkämpfer des I. Weltkrieges diente. Er vertrat politisch wie die gesamte Weimarer Rechte einen aggres­siven Revanchismus, gehörte jedoch zum altkonservativen, aristokratischen Spektrum innerhalb von DNVP und DVP.

Die SA - vom reaktionären Wehrverband zur NS-Massenorganisation

Die SA hat ihre organisatorischen Wurzeln in den völkischen Wehrverbänden der nachrevolutionären Phase in Bayern nach dem ersten Weltkrieg. München war nach dem Sturz der Räterepublik ein Zentrum rechtsextremer und völkischer Verbände, deren Akteure sich hier mit Billigung der rechtskonservativen bayrischen Re­gie­­rung der Justiz entzogen. Eine Schlüsselrolle in der Szenerie der Wehrverbände spielte der Reichswehroffizier Ernst Röhm. Er verwaltete im Auftrag der bayrischen Regierung die der alliierten Kontrolle entzogenen Waffen der bayrischen Reichswehrdivision und war der Mittelsmann für viele Wehrverbände.

Im März 1923 hatte Hermann Göring die Führung der SA übernommen. Unter seiner Führung setzte im Vorfeld des Putsches erstmals eine militärische Professionalisierung der Truppe ein, die vom ehemaligen Freikorpsführer Ehrhard finanziell und logistisch unterstützt wurde. So stellte die SA innerhalb der den Münchner November-Putsch tragenden Wehrverbände einen beträchtlichen Teil der Kämpfer, was später zum Grundstein für den Mythos von der »Kampfzeit der NSDAP« beitrug. Nach dem gescheiterten Putsch im November 1923 wurden die NSDAP und die SA verboten. Sie existierte fortan bis zu ihrer Wiederzulassung 1925 nur illegal und enthielt sich spektakulärer Auftritte. Unter der Führung des Reichswehroffiziers v. Pfeffer begann 1925 der Neuaufbau der SA auch außerhalb Bayerns. Dabei konzentrierte sich v. Pfeffer auf den Strukturaufbau eines Organisationsapparates und legte viel Wert auf die Einheitlichkeit von Uniformen und lokale Strukturen. In den Jahren ab 1926 expandierte die SA vor allem in Sachsen, im Ruhrgebiet und in Berlin. Hier war es der NSDAP-Gauleiter Goebbels, der die Doppelstrategie von aggressiver Propaganda und Straßenterror forcierte. Mit dem vorübergehenden Berliner SA-Verbot 1927 erhielt diese Strategie nur einen kurzzeitigen Dämpfer. Er veranlasste die Partei nun auch stärker auf die Werbung des kleinbürgerlichen Mittelstandes und seiner Verbände zu setzen.

Das Milieu einer militarisierten Subkultur

Die SA warb ihre Anhänger jedoch nicht nur über politische Arbeit. Sie bot jungen Männern eine soziale, gruppendynamische und männerbündische Erlebniswelt, in der gewalttätige Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner und die eigene Propaganda der identitären Sinnstiftung dienten. Ab Beginn der 30er Jahre wurden zudem die sozialen Betreuungsmaßnahmen, welche die SA ihren Mitgliedern bot, ein nicht zu unterschätzender Faktor bei der Mitgliederwerbung. Aus Spendensammlungen unter Parteimitgliedern, aber auch in der Industrie wurde eine soziale Infrastruktur geschaffen, die mittellosen SA-Mitgliedern über Suppenküchen und sogenannte »Fürsorgestellen« finanzielle Unterstützung zukommen ließ. Auch wurde der Versuch unternommen SA-Männer in Arbeitsstellen bei NSDAP-Mitgliedern oder Sympathisanten zu vermitteln.

Ausdruck der militarisierten Subkultur waren die sogenannten »Sturmlokale«. Hierbei handelte es sich um Kneipen, die in proletarischen Stadtvierteln angesiedelt, sich vom bloßen lokalen Treffpunkt rasch zur Zentrale eines SA-Sturms entwickelten. Von hier aus wurden Aufmärsche und Terroraktionen geplant und eine sozialräumliche Dominanz durchgesetzt. Während die SA in den ländlichen Regionen ihre Propagandafeldzüge fast ungehindert durchführen konnte, galt es in den Industrierevieren die kulturelle und politische Hegemonie der Arbeiterbewegung zu brechen. Hierzu bediente sich die SA neben dem Instrument des Terrors auch des kulturellen Codes der Arbeiterbewegung. Dieser wurde, von der Form politischer Massenveranstaltungen über das Liedgut bis hin zum Freizeitverhalten, kopiert und mit der ideologischen Lebenswelt der NS-Bewegung gekoppelt.

Die Rolle der SA bei der Machtübernahme der Nazis

War die SA in den Jahren bis 1933 vor allem über den von ihr ausgeübten Straßenterror zu einem politischen Machtfaktor geworden, so erfuhr sie nach dem 30. Januar 1933 durch die Ernennung zur Hilfspolizei eine politische Aufwertung. Ihr Terror wurde legalisiert und sie agierte nun mit polizeilichen Vollmachten. Politische Gegner, bei denen es sich zunächst mehrheitlich um Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschafter handelte, wurden in die unter SA- Regie entstandenen sogenannten »wilden Konzentrationslager« eingeliefert. Oftmals waren diese KZs SA-Sturmlokalen, örtlichen NSDAP-Häusern angegliedert oder in requirierten Gewerkschaftshäusern eingerichtet. Am 10. April 1933, vollzog sie ihren antisemitischen Antikapitalismus von rechts in der Praxis, durch einen Boykott gegen den jüdischen Mittelstand. Die Machtübernahme der NSDAP auf der Straße wurde somit wesentlich von der SA durchsetzt.

Politische Konflikte in der NSDAP nach der Machtübernahme

Bereits im Verlauf der 20er Jahre war es innerhalb der NSDAP zu Konflikten über die Funktion der SA innerhalb der politischen Strategie der NSDAP gekommen. Während Röhm sie zu einer relativ eigenständig handelnden, parteiunabhängigen Bewegung ausbauen wollte, war es Hitlers Interesse, diese auf ihre Rolle als Kampf- und Schutztruppe der Partei festzulegen. Nach der Machtübernahme der NSDAP verschärfte sich der Konflikt. Gegenstand der Auseinandersetzungen nach dem 30. Januar 1933 war nunmehr der Kampf um die Machtverteilung innerhalb des sich etablierenden NS-Regimes. Hier wollte die SA-Führung ihre Einflusssphäre sichern. Doch mit Abschluss der terroristischen Etablierung des Regimes nach der Ausschaltung ihrer politischen Gegner verlor die SA ihre hoheitlichen Befugnisse wieder. Sie stellte jedoch allein durch ihre Mitgliederzahl innerhalb des neuen Staates einen Machtfaktor dar. Vor diesem Hintergrund forderte sie u.a. eine Bewaffnung aus Beständen der Reichs­wehr und eine Aufwertung der Truppe durch Zuweisung institutioneller polizeilich-militärischer Aufgaben.

Nicht wenige SA-Mitglieder versprachen sich zudem von der Machtübernahme der NSDAP einen sozialen Aufstieg, wie ihn die Propaganda von den revolutionären Veränderungen im Staat verhieß. Dieser blieb jedoch, ebenso wie die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums aus. Zwar besetzten im Laufe des Jahres 1933 nicht wenige »alte Kämpfer« aus Partei und SA Posten von aus den Ämtern und Verwaltungen gedrängten Sozialdemokraten. Dennoch wuchs in der Mitgliedschaft die Unzufriedenheit mit den Ergebnissen der von Hitler im Frühsommer 1933 für beendet erklärten »nationalen Revolution«. Es waren in erster Linie untere SA-Führer, die eine Fortführung der nationalen Revolution auch im sozialen und ökonomischen Bereich forderten. Der von den Nazis versprochene wirtschaftliche Auf­schwung stagnierte ebenso, wie die Zahl der Arbeitslosen fast unverändert hoch blieb. Zunehmend unter Druck stand die NS-Führung von Seiten ihrer nationalkonservativen Bündnispartner aus Reichswehr und Groß­bürgertum. Diese wünschten zwar eine autoritäre Diktatur, fürchteten jedoch den Einfluss der plebejischen SA, ihre zunehmend unkontrollierbaren Ausschreitungen und deren sozialrevolutionäres Potential.

Die Entmachtung der SA

Die Vorbereitungen für die Entmachtung der SA liefen bereits im Frühjahr 1934 an. Reichswehr und Gestapo Stellen sammelten gezielt die SA kompromittierendes Material über SA-Gliederungen. Auf Seiten der Gestapo war der Chef des Staatspolizeiamtes Reinhard Heydrich und der Inspektor der GESTAPO Heinrich Himmler federführend. Ende Juni 1934 nahmen die Planungen konkrete Formen an. Reichswehr und SS wurden instruiert, von der SA sei ein Putschversuch in Planung. Die regionalen Sicherheits-Dienst-Leitstellen (SD) wurden angewiesen, Listen zu fertigen, die politische Gegner der NS Führung innerhalb der SA auswiesen.

Es war Werner Best, der nach Rücksprache mit Berlin die Mordaktionen im süddeutschen Raum leitete. Am 30. Juni wurden Röhm und weitere SA-Führer bei München von einem SS-Kommando unter dem Vorwurf des Verrats verhaftet und noch am gleichen Tag im Gefängnis Stadelheim erschossen. In der Folge findet eine systematische Säuberung der SA statt. Der 30. Juni war auch der Auftakt für die von nun an konsequente Verfolgung der rechtsextremen Kritiker und Gegner des Nationalsozialismus, wie etwa E.J. Jung. Auch Ernst Niekisch und Ernst Jünger sollen sich auf den Listen befunden haben. Hernach war die SA politisch und militärisch entmachtet. Sie führte fortan ein Schattendasein als Mobilisierungsreserve der NSDAP.

Heutige Bedeutung der SA für den Neonazismus

Im heutigen Neonazismus ist die eindeutige politische Bezugnahme auf die SA nicht zu übersehen. So sucht die extreme Rechte in weiten Teilen ihrer Propaganda an die soziale Demagogie der SA anzuknüpfen.

Literatur:
• Finker, Kurt: Die Geschichte des RFB; Berlin (Ost) 1982
• Gossweiler, Kurt: Kapital, Reichswehr und NSDAP ; Berlin (Ost) 1981
• Herbert, Ulrich: Best: Biographische Studien über Weltanschauung, Radikalismus und Vernunft; Bonn 1997
• Kissenkoetter, Udo: Strasser und die NSDAP; Stuttgart 1978
• Longerich, Peter: Geschichte der SA; München 2003
• Kershaw, Ian: Hitler: eine Biographie; München 1998
• Pätzold, Kurt/Weißbecker, Manfred: Geschichte der NSDAP; Köln 1997
• Theweleit, Klaus: Männerphantasien 2 Bd.; Hamburg 1979