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Von Staat und Gesellschaft ausgegrenzt

Einleitung

Asylpolitik der Stadt und des Landkreises Leipzig

Nach seinem Deutschland-Besuch Ende Juni 2009 forderte der UN-Sonderberichterstatter für Rassismus, Githu Muigai, von der Bundesregierung verstärkte Bemühungen bei der Eingliederung von MigrantInnen. Muigai kritisierte unter anderem die Art der Aufnahme von Asylsuchenden, vor allem die Rahmenbedingungen, unter denen die Betroffenen leben müssten und die Dauer der Asylantragsverfahren.

Im Landkreis Leipzig leben derzeit 375 AsylbewerberInnen und geduldete Menschen, 245 davon in vier Asylbewerberheimen1 . In Leipzig sind es etwa 8002 . Nach einer oft lebensgefährlichen Flucht über die tödlichen Außengrenzen Europas werden sie tagtäglich mit staatlichem Rassismus in Form von Asylbewerberleistungsgesetz, Residenzpflicht, Sammellagern, Arbeitsverboten, Sachleistungs- und Gutscheinsystem konfrontiert. 

Auch in diesem Jahr sind die menschenunwürdigen Lebensumstände von MigrantInnen zentraler Bestandteil linker Politik, um letztlich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, die jeder und jedem unabhängig von Herkunft, Aussehen oder Lebensweise ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Es geht dabei aber auch um eine grundsätzliche Kritik an der rassistischen Gesetzgebung und darum den gesellschaftlichen common sense aus Diskriminierung, Ausgrenzung und Ignoranz aufzuzeigen und anzugreifen.

Bahren bei Grimma: Vier Familien protestieren drei Wochen

Am 23. Juni 2009 entschlossen sich spontan vier Familien aus dem Asylbewerberheim Bahren in die Grimmaer Kirche zu gehen, um gegen die miserablen Zustände im Heim zu protestieren. In den Zimmern der Baracke, in denen bis zu sechs Personen leben müssen, finden sich neben baulichen Mängeln, schlechten Koch- und Waschmöglichkeiten auch Kakerlaken und Mäuse. Die vier Familien fordern eine dezentrale Unterbringung in Wohnungen. Ausländerbehörde und Lokalpresse reagierten auf die »Kirchenbesetzung« mit widersprüchlichen Aussagen, sie verharmloste die Zustände und kriminalisierte die 18 Menschen. Die Angst, dass weitere Asylsuchende diese Protestform nachahmen würden, wurde von den Behörden, Stadt und Kirche zum Anlass für eine schnelle »Räumung« genommen. Fundamentale Grundrechte wurden in den Hintergrund, die »Belagerung« durch »Ausländer« in den Vordergrund gestellt. Zur Räumung kam es schlussendlich nicht, stattdessen wurden »subtilere« Mittel gewählt.

Nachdem die Ausländerbehörde einen so genannten »Wortführer«3 ausgemacht hatte, übergab sie ihm und seiner Familie am 6. Juli 2009 eine Zuweisungsentscheidung sich zum 7. Juli  im Asylbewerberheim Plauen einzufinden – ein klarer Versuch die Protestaktion der Flüchtlinge zu stoppen. Die »Umverteilung« ist, laut Amtsleiter Dietmar Dathe, unter Ausländerbehörden eine gängige Praxis um vermeintliche »Störenfrieden« und »Wortführern« das Wort zu verbieten.

Einen Tag nach Eintreffen der »Zuweisungsentscheidung« wurde die Klage über den am 20. Mai 2009 unbegründet abgelehnten Asylantrag abgewiesen – die Familie ist nun von Abschiebung bedroht.

Die Zusammenarbeit von Ausländerbehörde und Verwaltungsgericht mit »Problemfällen«, lässt sich nicht nur im Begründungsschreiben, sondern gerade in der schnellen Entscheidung des gegen die Klage erkennen. Laut Mitarbeiter des sächsischen Flüchtlingsrates fällt das Gericht im Regelfall frühestens nach 3 Monate eine Entscheidung. 

Nachdem die drei anderen Familien nach drei Wochen Protest auf Druck von Kirche, Ausländerbehörde und Öffentlichkeit wieder ins Asylbewerberheim zurückkehrten, wurde zwei Familien der Antrag auf dezentrale Unterbringung bewilligt. Der Antrag der vierten Familie, mit einer schwangeren Frau und drei Kindern, wurde abgelehnt.

Die Ereignisse in Grimma zeigen, dass nicht die menschenunwürdigen Zustände in Bahren, wie sie in vielen sächsischen Asylbewerberheimen existieren, thematisiert und als Problem wahrgenommen werden. Stattdessen sind die Flüchtlinge, die ihre Situation öffentlich gemacht haben, mit dem Umstand kofrontiert, als Störenfrieden stilisiert zu werden. 

Leipzig: Verbannung an den Stadtrand

Auch in Leipzig gibt es Veränderungen bei der Unterbringung von asylsuchenden Menschen. Mit den Stimmen von CDU, FDP und SPD beschloss der Stadtrat kurz vor der Sommerpause die Schließung der beiden bestehenden Asylbewerberheime. Als Ersatz soll eine neue »Unterkunft in Systembauweise am Standort Wodanstraße 17a […] dienen. Stein des Anstoßes ist das Interesse eines privaten Investors den Standort eines der bestehenden Heime wirtschaftlich zu nutzen und in diesem Zusammenhang 100 Arbeitsplätze zu schaffen, denn »Arbeitsplätze haben in Leipzig nun mal Priorität«4 . Die von städtischer Seite außerdem angeführten Einspareffekte der Schließung von zwei Heimen zugunsten eines Neubaus sind marginal und können kaum glaubhaft als Argument für das Vorhaben herhalten.

Die »Umsiedlung« in die Wodanstraße bedeutet für die Betroffenen eine Verschlechterung der ohnehin prekären Lebensbedingungen und einen weiteren Schritt hin zur Desintegration. Zwischen Gewerbegebiet und Autobahn und zehn Kilometer vom Stadtzentrum entfernt gelegen, verspricht der neue Standort Isolation, Abkoppelung vom städtischen Leben und erschwerte Wege zu Behörden, Kita, Schule und anderen sozialen Orten. Den Verantwortlichen, die den Standortwechsel u.a. mit der guten Verkehrsanbindung begründeten, dürfte klar sein, dass sie damit den Asylsuchenden bewusst den Zugang zum öffentlichen Leben erschwert haben.

Ebenso rassistisch sind auch die Faktoren, die von der Stadt Leipzig für die Suche des neuen Heim-Standortes angelegt wurden. Dieser soll »nicht unmittelbar in einem Wohngebiet« und »insbesondere entfernt von Schulen, Kindergärten, Spielplätzen« liegen. Das Grundstück sollte »einzäunbar« sein, schließlich wäre die Unterbringung von über 200 männlichen Asylsuchenden »mit vielfältigen sozialen Problemlagen« in einem Wohngebiet ungeeignet. Ein konstruiertes störendes, abnormales Verhalten der Betroffenen wird der Vorstellung eines kulturell homogenen, harmonischen Wohngebietes entgegengesetzt. Soziale Probleme der Flüchtlinge werden damit naturalisiert anstatt sie als Folge der belastenden Lebensumstände und der restriktiven Asylgesetzgebung zu benennen.

In Leipzig hält sich die Kommune strikt an die Vorgaben, die das Sächsische Ministerium des Innern (SMI)5 zu entsprechenden Gemeinschaftsunterkünften macht: Vier Asylbewerber sollen in Gemeinschaftsräumen zusammenwohnen, jedem und jeder Person sechs Quadratmeter als Schlaf- und Wohnraum zur Verfügung stehen. Im Landkreis Leipzig Land verweist man auf die 2003 abgeschaffte Verwaltungsvorschrift des SMI, welche einem Flüchtling 4,5 qm zugesteht1 . Welche physischen und psychischen Belastungen das Leben unter diesen Umständen für die Betroffenen verschiedenster Herkunft und Religionszugehörigkeit langfristig hat, dürfte auf der Hand liegen. Die Verwahrung in Massenunterkünften fernab des städtischen Lebens zeigt die fehlende Bereitschaft des Staates, den Menschen tatsächlich die Chance zur Integration zu geben. Stattdessen entsteht damit eine Situation, in der Menschen von der Politik als »fremdartig« und »kriminell« stigmatisiert und letztendlich gesellschaftlich ausgrenzt werden können.

Outro

Die aktuellen Vorgänge bei der Unterbringung von Asylsuchenden und Geduldeten, ob in Leipzig oder Grimma, sind dabei »nur« die Spitze eines Eisberges, dessen Abschmelzen schon längst überfällig ist. Dabei muss der Kampf um gleiche Rechte von MigrantInnen mit der Kritik des nationalstaatlichen und kapitalistischen Prinzips einhergehen, schließlich geht es linker Intervention nicht allein um eine bessere sozialarbeiterische Praxis. Linker Antirassismusarbeit liegt der Anspruch zugrunde, materielle und immaterielle Grenzen zu sprengen, denn Menschenwürde kennt keine Demarkationslinien.

Weiterführende Links:
http://de.indymedia.org/2009/07/256013.shtml – Pressemitteilung der kritisch intervenierenden Antirasst_innen zu 3 Wochen Protest in der Grimmaer Kirche
http://bleiberechtmittelsachsen.blogsport.de
http://initiativkreisintegration.blogsport.de
http://lexil.blogsport.de

  • 1 a b Anfrage F 2009/64 von Kerstin Köditz und Heike Werner, Fraktion DIE LINKE im Kreistag des Landkreises Leipzig vom 7. Juli 2009
  • 2Pressemitteilung der Stadt Leipzig »Asylbewerber erhalten Barleistungen«, 8. Oktober 2008
  • 3Leipziger Volkszeitung/Muldental vom 8. Juli 2009
  • 4eine Mitarbeiterin des städtischen Sozialamtes in der Leipziger Volkszeitung am 16. Juni 2009
  • 5Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums des Innern über die Mindestempfehlungen zu Art, Größe und Ausstattung von Gemeinschaftsunterkünften und zur sozialen Betreuung  (VwV – Unterbringung und soziale Betreuung) vom 26. Juni 2009