Zwischen »Latschdemos« und »Schwarzem Block«
Schon mehrfach berichtete das AIB über die Bedeutung von Demonstrationen für die neonazistische Erlebniswelt (vgl. AIB Nr. 64 »Hier marschiert der nationale Widerstand...«). In den vergangenen zwei Jahren kam es zunehmend zu szeneinternen Auseinandersetzungen über den Charakter von Neonazi-Demonstrationen. Während einige Demonstrationen als Form der politischen Kommunikation mit »normalen« Bürgern begreifen, sehen andere in ihnen den Ort um die Konfrontation mit AntifaschistInnen und der Polizei zu suchen. Gerade bei der Frage der Gewalt kochen die Emotionen zwischen den verschiedenen Flügeln hoch, wenn durch antifaschistisches Engagement Neonazi-Aufmärsche gestoppt oder verhindert werden. Eng verbunden ist dieser Konflikt mit der Strömung der »Autonomen Nationalisten« und deren Wunsch nach einem militanten »Black Block« auf Neonazi-Demonstrationen (Vgl. AIB Nr. 69), da gerade diese Personenzusammenschlüsse ein gewalttätiges Auftreten bei Demonstrationen propagieren.
Beispiel Berlin
Berlin im August 2005: Rund 700 Neonazis haben sich zu einer Demonstration unter dem Motto »Meinungsfreiheit für Alle – Paragraph 130 abschaffen!« zusammengefunden. Kurz zuvor war der Neonaziaufmarsch zum Gedenken an den Hitlerstellvertreter Rudolf Heß in Wunsiedel verboten worden. Doch weder das Gedenken an Rudolf Heß, noch die Forderung nach Meinungsfreiheit prägt das Auftreten des »Berliner Blocks« auf der Demonstration. Der Großteil der Berliner Demonstranten scheint primär an körperlichen Auseinandersetzungen mit AntifaschistInnen und der Polizei interessiert.
Dementsprechend auch die Parolen in Richtung der AntifaschistInnen: »Haut sie, haut sie, haut sie auf die Schnauze«, »Auf die Fresse, auf die Fresse« und »Schläge für alle und zwar umsonst«. Obwohl der Neonazi-Redner Lutz Giesen mehrfach zur Disziplin aufruft, wird erfolglos versucht, zu linken Gegendemonstranten durchzubrechen. Die Reden über »Rudolf Heß« und den »Paragraphen 130« stoßen auf wenig Interesse. Stattdessen tönen weiterhin Gewaltfantasien gegen Links aus dem Berliner Block: »Gegen linkes Gezeter, 9 Millimeter«, »Schnabeltasse wunderbar, kommt zur Jugend Antifa« und »Wenn wir wollen schlagen wir euch tot«.
Selbst der Demonstrationsanmelder Sebastian Schmidtke kann sich nur noch schwer zusammenreißen und ist selbst an Ausbruchsversuchen in Richtung Gegendemonstranten beteiligt. Der Berliner Neonazi-Kader René Bethage versucht daher mittels Megaphon den Berliner Block zu einem vernünftigen Demonstrations-Auftreten zu bewegen. Doch seine Anweisungen werden ignoriert und der Berliner Block steigert sich in immer offenere Aggressivität hinein. Die wenigen Bürger nehmen letztendlich nur noch eine Horde halbvermummter Jugendlicher wahr, die ihnen Parolen wie »Bordsteinfressen nur für Zecken« entgegenruft.
»Black Block«?
Ein geschlossenes, gewalttätiges Auftreten vermummter Demonstranten auf Neonazi-Aufmärschen ist seit dem (gescheiterten) NPD-Aufmarsch am 1. Mai 2004 in Berlin als Wunschbild in Teilen der Neonazi-Szene präsent. Auch wenn in diesem Fall der Durchbruchsversuch nach einigen Metern wieder zum Stehen kam, galt das militante Auftreten innerhalb der Szene zumindest als Teilerfolg.
Kurz darauf veröffentlichte das neonazistische Aktionsbündnis Mittelhessen ein Konzeptpapier für einen »nationalen schwarzen Block«. Dieser soll sich demnach auf Neonazi-Demonstrationen formieren, um eigenständig, offensiv und entschlossen gegen »Willkür« vorzugehen, das heißt, um gemeinsam Polizeiketten zu durchbrechen. 1 Selbst der Hamburger Neonazi-Kader Christian Worch, welcher seit Jahren zahlreiche Demonstrationen organisiert, äußerte Verständnis für die »Autonomen Nationalisten« und deren militantes Auftreten. Diese agierten seiner Meinung nach lediglich etwas radikaler und entschlossener als die Masse der Demonstranten, blieben dabei jedoch noch immer innerhalb des Rahmens der herrschenden Gesetze. Für Worch stand daher fest: »Wir reden hier also nicht von einer juristischen Gefährdung unserer Demonstrationen durch Gewaltbereitschaft oder gar konkrete Gewalttaten, sondern vornehmlich über eine Stilfrage.«2
Eben diese Stilfrage in Form des Auftreten bei Demonstrationen thematisierte das neonazistische Aktionsbüro Süddeutschland aus München in einer Stellungnahme zum Thema »Autonome Nationalisten«. Die einzige mögliche politische Botschaft, der einzige Inhalt der »Autonomen Nationalisten« ließe sich demnach auf hooliganhaftes Verhalten – die pure Gewaltanwendung gegen Personen oder Sachen – reduzieren.3
Die »Autonomen Nationalisten« würden demnach bei Demonstrationen glauben, für Deutschland kämpfen zu können, indem sie sich in Hooliganmanier auf den vermeintlichen Feind stürzen. Sie seien dabei nicht mehr in der Lage, politische Inhalte an die eigentliche Zielgruppe – das deutsche Volk – zu transportieren und würden nicht den notwendigen »Identifikationsfaktor« bei der Bevölkerung für sich verbuchen können, so die Kritik. Adressat sei nur noch die Antifa und die Botschaft würde sich allein auf Gewalt beschränken. Ähnlich sehen es auch andere neonazistische Führungskader. Der westdeutsche Neonazi-Führer Lars Käppler rief zwar anlässlich einer NPD-Wahlkampfaktion seine Anhänger auf, »dem linken Verbrecherpack die Stirn zu bieten«, stellte jedoch klar: » (...) nicht nur das ist unser Anliegen, vor allem und in erster Linie geht es uns darum, die Deutschen zu erreichen, die es noch sein wollen«4
Thomas Wulff aus Norddeutschland stellte anlässlich einer gestoppten NPD-Demonstration in Richtung der Militanzbefürworter klar: »Die Kundgebungen der auf parlamentarischer Ebene kämpfenden Organisationen werden auch zukünftig immer im Rahmen der gegebenen Möglichen durchgeführt werden. Wer anderes erwartet oder propagiert, wird sich zusätzliche Spielfelder schaffen müssen«5
Praxistest Halbe
Nahezu traumatisch für zahlreiche Neonazis muss der gescheiterte Durchbruchversuch bei dem Neonaziaufmarsch im vergangenen Herbst in Halbe gewesen sein. (Vgl. AIB 70 »Den Preis in die Höhe treiben«) Neonazis hatten mehrfach versucht, die polizeilichen Trennlinien zu durchbrechen. Hierbei wurden unter den Parolen »Die Straße frei der deutschen Jugend!« und »Ruhm und Ehre der Waffen-SS« gegen die eingesetzten Polizisten Flaschen geworfen; es kam zu gezielten Tritten, Faustschlägen und Anrempelungen. Zudem wurden durch Neonazi-Demonstranten Reizstoffsprühgeräte gezielt gegen Polizisten eingesetzt und eine Beamtin durch Schläge mit einer Fahnenstange verletzt. Daraufhin gingen einzelne Polizeikräfte mit Pfefferspray gegen die gewalttätigen Demonstranten vor und stoppten die Durchbruchsversuche.6
Einige Neonazis waren nach dem Praxistest ihrer theoretischen Demonstrations-Militanz-Diskussionen tief erschüttert. In einem Bericht wurde diese mittelmäßige Demonstrations-Auseinandersetzung in pathetischen Worten als kriegsähnliche Situation dargestellt: »(...) wenn dir die Tränen vom Reiz ihres Gases ins Gesicht strömen, wenn sie dich zu Boden prügeln und auf dich eintreten, wenn sich dein Blut mit dem von Tausenden gefallenen Soldaten im Boden vermischt, dann befindest du dich in Halbe.« Intern löste der Polizeieinsatz eine Diskussion über Militanz auf Demonstrationen bis in die Führungsebene der Kameradschafts-Szene aus. Der Demonstrations-Organisator Christan Worch erklärte das erfolglose militante Vorgehen der Demonstranten rein rational und nüchtern als aussichtslos: »(...) man kann auch mit zweitausend Mann nicht eine fünffach gestaffelte Polizeikette hinter Sperrgittern wegdrängen; das ist einfach physisch unmöglich« und kommt zu dem Schluss: »Also bleibt nur der Rechtsweg.«7
In einer folgenden Stellungnahme gibt man sich mit einer juristischen Auseinandersetzung nicht zufrieden. Halbe soll als Ausgangspunkt einer zunehmenden Radikalisierung dienen: »Aber wer die Bedingungen und Reaktionen am Beispiel Halbe studiert, wird zu dem Ergebnis kommen müssen, dass dem Frieden und der Rechtssicherheit im Lande auf diese Weise kein Dienst erwiesen worden sein dürfte (...) Man führt die Menschen auf einen Weg, der Gewalt bedenklich näher, und schreit entsetzt auf, wenn absehbare Folgen eintreten sollten«8 Als Antwort auf diese Position kursiert innerhalb der Neonazi-Szene eine Antwort aus dem Umfeld des neonazistischen »Freundeskreis Halbe« als weit verbreitete Rundmail. In dieser erklärt der Autor ganz offen: »Aber diesen Standpunkt den ich öffentlich vertrete deckt nicht das was ich denke«.
Warum diese Person aus dem Organisatoren-Umfeldes des Halbe-Aufmarsches öffentlich etwas anderes zum Thema Militanz auf Demonstrationen vertritt als sie denkt, wird kurz darauf deutlich: »(...)Ein Durchbruchsversuch muss von einer geschlossenen Gruppe ausgehen und nicht von einzelnen (...) Ich bin der erste der sagen würde wenn 200 Leute dastehen würden und die entschlossen wären (...) der das Signal zum Angriff geben würde wenn Du willst sogar mit der HK-Fahnen in der Hand«9
Doch später schließt sich der Autor der Position von Worch an und kommt zu dem Schluss: »Ein Durchbruch sollte auch von Erfolg sein. Und hier muss man eiskalt militärisch gesehen abwägen. Verheize ich meine Leute oder nicht. Die erste Sperre wäre vielleicht überwunden worden an der zweiten wäre man gescheitert (...)« Anschließend wird militantem Agieren auf Demonstrationen perspektivisch eine Abfuhr erteilt: »Zum anderen kommt hinzu das die Bewegung zukünftig sich jede Demonstration abschminken kann wenn Auseinandersetzungen mit der Polizei bei Demonstrationen zum Tagesgeschäft wird. (...) Und es würde da ein Schaden für unsere Bewegung entstehen wenn uns die Möglichkeit genommen wird öffentlich auf der Straße auf unsere Ziele hinzuweisen.«
Fazit
Zu einem geschlossenen, militanten Vorgehen durch eine breite Masse neonazistischer Demonstrations-Teilnehmer auf Aufmärschen ist die Neonazi-Szene im Moment weder willens noch in der Lage. Die meisten Neonazi-Führungskader stehen aus politischen Überlegungen einem durchgehend militanten Auftreten bei Demonstrationen skeptisch bis ablehnend gegenüber. Für ein entschiedenes Vorgehen gegen die ersten Versuche, einen »nationalen Schwarzen Block« auf Nazi-Aufmärschen zu bilden, sind die meisten Neonazi-Demonstrations-Organisatoren jedoch auch noch nicht bereit. Zum einem erhoffen sie sich so Vorteile bei der Durchsetzung ihrer Interessen gegenüber der Polizei, wenn diese wegen antifaschistischen Blockaden Aufmärsche nicht loslaufen lässt.
Zum anderen bilden die kurzen »Actioneinlagen« mittlerweile ein entscheidendes Mobilisierungspotential. Gerade jugendliche Neonazis und vor allem die Anhänger der »Autonomen Nationalisten« haben durch die Häufigkeit und die mittlerweile hohe Anzahl von Neonazi-Demonstrationen das Interesse an diesen verloren. Langweilige »Latschdemos« mit den immer gleichen Reden üben für sie kaum noch einen Reiz aus, da ihnen subjektive Erfolgserlebnisse wichtiger als politische Inhalte sind. Die »Autonomen Nationalisten« bieten durch das propagierte Kräftemessen mit Polizei und AntifaschistInnen jedoch wieder einen spürbaren Eventcharakter bei Demonstrationen. Der »Black Block« ist somit in manchen Regionen zu einem Teil der jugendlich-neonazistischen Erlebniswelt geworden. Während die NPD aufgrund ihres legalen Status dieses Bedürfnis kaum befriedigen kann, steht für Christian Worch und die »Freien Kameradschaften« trotz aller Kritik die Akzeptanz einer »militanten Minderheit«10 auf Demonstrationen als mögliche Option im Raum. So sieht Worch mindestens teilweise nachvollziehbare Gründe für das Bedürfnis nach einem »Schwarzen Block«, die nüchtern analysiert werden müssten.2 Die spannende Frage bleibt jedoch, was folgt, wenn auch die ständig scheiternden Durchbruchversuche des »nationalen schwarzen Blocks« keinen Funfaktor und kein subjektives Erfolgserlebnis mehr bieten.
- 1Broschüre »Schwarzer Block – Eine notwendige Klarstellung« des Aktionsbündnis Mittelhessen, 6. Mai 2004.
- 2a2bStellungnahme »Über freien und autonomen Nationalismus« von Christian Worch, 25. Januar 2005.
- 3Stellungnahme zum Thema »Autonome Nationalisten« des Aktionsbüro Süddeutschland, Sommer 2005.
- 4Aufruf für eine Kundgebung in Heilbronn von Lars Käppler, 1. Februar 2006.
- 5»Erklärung des Versammlungsleiters der JN-Kundgebung am 8. Mai 2005 in Berlin« von Thomas Wulff, 10. Mai 2005. Fehler im Original.
- 6Vgl. Landtag Brandenburg Drucksache 4/2324 – 4. Wahlperiode.
- 7Stellungnahme »Halbe – wie geht es weiter?« von Christian Worch, 16. November 2005.
- 8Stellungnahme »Gedanken zum Begriff Gewalt – Beispiel Halbe«, November 2005.
- 9HK steht für Hakenkreuz. Fehler im Original.
- 10So Christian Worch in einer Stellungnahme zu einer Demonstration in Magedeburg, 15./16. Januar 2005.