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Zynische Wortspiele: Von Ausreise - und Ankerzentren

Einleitung

Schlacht der Euphemismen könnte man die offizielle Namensgebung in der deutschen Asylpolitik nennen. Es gibt Erstaufnahmeeinrichtungen, Ankunftszentren, Ausreisezentren, Ankunfts- und Rückführungseinrichtungen (ARE), Transitzentren, besondere Aufnahmeeinrichtungen (BAE) und nun "Ankunfts-, Entscheidungs- und Rückführungszentren" (AnkER-Zentren). All diese Bezeichnungen versuchen, die „Irrsinnswelt“1 von Geflüchteten-Lagern zu verharmlosen.

  • 1Orig.: „mad world”; Hannah Arendt: „We Refugees“
Foto: Piratenpartei Bayern; CC BY-SA 2.0

Das sogenannte „Zentrum für Ankunft, Entscheidung, Rückführung“ (AnkER) in Zirndorf.

Zynische Wortspiele

Der Begriff „Ausreisezentrum“ belegte 2002 gar den zweiten Platz bei der Wahl zum Unwort des Jahres. In diesen Zentren sollen Geflüchtete, die nicht abgeschoben werden können, zur „freiwilligen“ Ausreise gezwungen werden. Um eine erneute Integration zu verhindern und ein Aufrechterhalten der sozialen Kontakte unmöglich zu machen, sind diese Einrichtungen weit abgelegen. Ziel ist es, die Lebensbedingungen so unattraktiv wie möglich zu gestalten, damit sich ein Gefühl der Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit ausbreitet. Zu den Maßnahmen in den Lagern zählen regelmäßige Verhöre zwecks Identitätsfeststellung, Botschaftsvorführungen, Entzug der Geldleistungen und Zimmerdurchsuchungen.

Demnach sind die von Horst Seehofer „erdachten“ Ankerzentren (AZ) weder besonders noch neu. Auch sonderlich beliebt sind sie nicht: nur im Saarland und in Sachsen gibt es außerhalb Bayerns noch je ein AZ. Die restriktive Behandlung Geflüchteter ist allerdings schon lange ein deutschlandweites Problem. In allen Bundesländern werden Lager betrieben, die alle Entscheidungsinstanzen, Erstaufnahme- und Abschiebungslager unter einem Dach vereinen. Da die Verteilung der Geflüchteten auf Städte und Gemeinden erst erfolgt, wenn ein Schutzstatus positiv festgestellt worden ist, verlängert sich der Aufenthalt der Internierten in den Lagern beständig.

Alle Lager haben gemein, dass sie die Bewegungsfreiheit, Selbstbestimmung, sowie gesellschaftliche Teilhabe Geflüchteter einschränken. Von hohen Zäunen umgebene Containerdörfer oder ausgediente Kasernen, die nur nach Ausweiskontrolle betreten werden können, stellen oft über Jahre den Lebensmittelpunkt Geflüchteter dar. In 4- bis 8-Bett-Zimmern, deren Türen nicht verschließbar sind, werden bis zu 1.500 Menschen pro Lager zusammengepfercht. Zwar dürfen die Menschen das Lager verlassen, die Bewegungsfreiheit ist aber durch Residenzpflicht und tägliche, zentrale Essensausgabe eingeschränkt. Besuch dürfen die Geflüchteten nicht empfangen. Es gilt das Prinzip Sach- statt Geldleistungen, um „Fehlanreize bei Menschen ohne Bleibeperspektive1 zu vermeiden. Kochmöglichkeiten sind nicht vorgesehen. Geflüchtete erhalten ein Nahverkehrsticket, etwa 90 Euro „Taschengeld“ pro Monat, und können – wo möglich – auf 80-Cent-Basis arbeiten.

Nachdem Geflüchtete mithilfe des „EASY-­Systems“ (Erstaufnahme Asyl) auf die Bundesländer verteilt wurden, müssen sie die ihnen zugewiesenen Lager beziehen. In den AZs angekommen, soll die persönliche Anhörung direkt bei Stellung des Asylantrags durchgeführt werden, meist innerhalb der ersten zwei Tage. Hier lernen die Geflüchteten erstmals ihre „Entscheiderinnen und Entscheider“ [sic!] kennen, welche über den Ausgang des Asylantrags, nun ja, entscheiden. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist dies „der wichtigste Termin innerhalb ihres Asylverfahrens“.2

 Da die Lager jedoch abgelegen sind, ist es für Geflüchtete schwer, in oft weit entfernten Städten einen Anwalt zu finden. „Dies wird zur Folge haben, dass Asylantragsteller während der persönlichen Anhörung überwiegend nicht anwaltlich vertreten sein werden“, warnte die Bundesanwaltskammer 2018.3   Zusätzlich haben Hilfsorganisationen oft nur beschränkten Zugang zu den Lagern, da die Lagerleitungen kritischen Organisationen oft den Zugang verwehren. In bayerischen AZs übernimmt das BAMF selbst die „unabhängige“ Beratung, wobei fraglich ist, ob im Falle eines negativen Bescheides BAMF-Berater_innen ausreichend über die Möglichkeiten der Klage gegen den eigenen Arbeitgeber informieren. Eine unabhängige Rechts- und Verfahrensberatung kann so in den Lagern nicht oder nur unzureichend gewährleistet werden.

Eine „gute Bleibeperspektive“ haben nur Menschen aus Ländern, deren Schutzquote über 50 Prozent beträgt. Welche Länder diesem Kriterium entsprechen, wird halbjährlich festgelegt – anhand der Prozentzahl erfolgreicher Asylanträge im jeweiligen Zeitraum, der sogenannten „Schutzquote“. Im Jahr 2019 sind das Irak, Iran, Syrien, Eritrea und Somalia. Zwar ist das BAMF eine Bundesbehörde und alle Asylanträge sollten unter den gleichen Maßgaben entschieden werden, doch gibt es erhebliche Unterschiede der Schutzquoten in den verschiedenen Bundesländern. 2017 etwa lag die „bereinigte Schutz­quote“ für Afghan_innen bundesweit bei etwa 47 Prozent, in Bayern jedoch bei nur 38 Prozent und in Brandenburg bei etwa 32 Prozent. Im oberbayerischen Ankerzentrum in Manching, damals noch „Transitzentrum“ genannt, sogar nur bei 27 Prozent.

Insgesamt soll die Aufenthaltszeit eines Erwachsenen dort in der Regel 18 Monate nicht überschreiten, bei Familien mit minderjährigen Kindern in der Regel sechs Monate. Streben Asylsuchende allerdings Gerichtsverfahren gegen negative Asylbescheide an, müssen sie oft Jahre auf eine Entscheidung warten. Während dieser Zeit müssen sie im Lager bleiben. Gegen rund 90 Prozent der negativen Asylbescheide wird geklagt. In den ersten drei Quartalen 2018 gingen knapp ein Drittel aller Gerichtsentscheidungen zu Gunsten von Geflüchteten aus, bei Afghan_innen sogar etwa 58 Prozent.4

Die Probleme der politisch schön geredeten Effektivitätssteigerung und der Maßgabe der Asylpakete I & II 2015/2016, schnell viele Entscheidungen zu produzieren, werden hier ersichtlich. Besonders deutlich wird der Irrsinn bei Geflüchteten, die zwar „ausreisepflichtig“ sind, bei denen aber die „Abschiebung vorübergehend ausgeschlossen“ ist. Geflüchtete mit solch einer „Duldung“ müssen ebenso in den AZs bleiben, wie Geflüchtete, deren Identität nicht eindeutig geklärt ist oder deren Heimatländer nicht mit den deutschen Behörden kooperieren. 2017 lebten 25.318 Menschen länger als acht Jahre in diesem prekären aufenthaltsrechtlichen Zustand der Duldung.

Besonders Kinder und Familien leiden unter der Lagerunterbringung und ihnen steht gesetzlich besonderer Schutz zu. Von den etwa 8.000 Geflüchteten in bayerischen AZs sind 2.000 Kinder und Jugendliche. 2017 waren fast 45 Prozent der Geflüchteten Kinder und Jugendliche. Alleinreisende Jugendliche müssten laut Sozialgesetzbuch (SGB) vom Jugendamt betreut werden, werden aber zwecks Altersfeststellung auch in AZs verbracht. Kinder müssten laut EU-Recht nach drei Monaten Zugang zum Regelschulsystem erhalten, der unterkunftsinterne Ersatzunterricht ist unzureichend. Oft wird der Schulbesuch jedoch erst nach einer Gerichtsentscheidung gewährt.

Und dann sind da noch die Abschiebungen. Menschen, die nach ihrer Flucht in die Lager „aufgenommen“ werden, müssen mit ansehen, wie Geflüchtete mit Polizeigewalt abgeschoben werden. In diesem Klima der Hoffnungslosigkeit und Angst, vielleicht auch Wut, sollen sich Geflüchtete deutsche Werte einverleiben, sich dankbar zeigen. Der deutschen Bürokratie in ihrer ungerechtesten Form ausgeliefert, schwebt über ihnen stets die Ablehnung des Asylantrags, die Ausreisepflicht, Verzweiflung. Und Warten. Jahrelanges Warten. Diese Perspektivlosigkeit, das Gefühl, völlig machtlos und allein zu sein, ist zynisches Kalkül. Menschen und ihre Rechte werden fahrlässig mit Füßen getreten. Alles für die Abschreckung und ein fadenscheiniges Gefühl der Sicherheit.