»Deitsch on frei wolln mer sei«
Unterstützung der Terrorgruppe aus dem Erzgebirge
Stadt des Schwibbogens nennt sich die beschauliche Gemeinde Johanngeorgenstadt tief im südlichen Erzgebirge. Gerade einmal 5.000 Einwohner_innen zählt die ehemalige Bergbaukommune. Mindestens fünf von ihnen werden nun verdächtigt, im Zusammenhang mit der rechten Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) zu stehen.
Das Erzgebirge ist gerade in der Weihnachts- und Winterzeit Ausflugsziel für viele Tourist_innen und verfügt seit jeher über eine tiefverwurzelte Heimatverbundenheit. So verweist auch der Internetaufritt von Johanngeorgenstadt auf den regionalen Dichter Anton Günther, der in örtlicher Mundart sang: »Deitsch on frei wolln mer sei, on do bleibn mer aah derbei, weil mer Arzgebirger sei!«1
. Sein Liedgut gilt als heimats- und identitätsstiftend und dürfte auch zum Schulrepertoire der möglichen TerrorunterstützerInnen aus Johanngeorgenstadt Matthias Dienelt (34), Mandy Struck, die Zwillingsbrüder Maik und André Eminger (32) sowie dessen Ehefrau Susann (30) gehört haben.
Rosen auf den Weg gestreut
Sämtliche erzgebirgischen UnterstützerInnen kennen sich aus ihrer gemeinsamen Jugendzeit in Johanngeorgenstadt und bildeten um die Jahrtausendwende die örtliche Neonaziclique. Die Zwillinge Eminger standen schon damals im Ruf, Kontakte zur überregionalen rechten Szene zu pflegen. Mitglieder der Gruppe hingen zum Kommunalwahlkampf 1999 NPD-Plakate auf und griffen dabei linke Jugendliche an. Es ist davon auszugehen, dass die Kontakte nach Thüringen auch aus dieser Zeit stammen, die schließlich zur Unterstützung der untergetauchten Neonazis führen sollte.
Über zehn Jahre später zeigt sich erneut auf fatale Weise das Versagen der sogenannten sozial akzeptierenden Jugendarbeit, die um die Jahrtausendwende auch in Johanngeorgenstadt praktiziert wurde. Während alternative Jugendliche mehrfach angegriffen und ihre Konzerte gar mit Verweis auf »extremistische Ausschreitungen, die sogar bis in den Bereich der RAF gehen sollen«2
verboten wurden, wuchs im örtlichen Jugendklub eine Neonaziclique heran, die sich Jahre später als aktive Unterstützerszene von rassistischen Mördern zeigen sollte. Anstatt sich, wie sein Jenaer Kollege, mit dem Handeln von damals auseinanderzusetzen, verfolgt der örtliche Sozialarbeiter Michael S. weiter seine - wie er sie nennt - »aufsuchende Jugendarbeit (...). Die hilft und wirkt. Jeden Rechten, den wir verteufeln, schieben wir in den Untergrund.«3
Dass sowohl das Konzept wissenschaftlich und praktisch seit Jahren überholt ist und seine Schützlinge trotz oder gerade wegen »seiner Hilfe« in der rechten Terrorszene gelandet sind, scheint in den Bergen nicht angekommen zu sein.
Who is who – Hintergründe zu den erzgebirgischen UnterstützerInnen
Die augenfälligste Verbindung zur NSU sind die bekannt gewordenen Aliasnamen von Beate Zschäpe »Susann Dienelt« sowie »Mandy Struck«. Ist ersterer eine wohl nicht zufällige Verbindung des Vornamens der Ehefrau Emingers sowie des Wohnungsmieters Matthias Dienelt, ist zweiterer eine real existierende Person aus der rechten Szene in Johanngeorgenstadt.
Matthias Dienelt
Matthias Dienelt soll im Jahr 2001 auf Bitten eines gemeinsamen Bekannten zunächst eine Wohnung in der Zwickauer Polenzstraße für Böhnhardt und Mundlos angemietet haben. 2008 mietete er die bekannt gewordene Wohnung in der Frühlingsstraße im besseren Stadtviertel Zwickau-Weißenborn, in der das Trio dann gemeinsam lebte. Entsprechende Umbaumaßnahmen, wie die Zusammenlegung von zwei Wohnungen zu einer über hundert Quadratmeter großen Einheit sowie der Einbau einer Schallschutztür, wurden durch Dienelt veranlasst. Der Wohnungsverwalter ist sich jedoch sicher, die persönlichen Verhandlungen mit Uwe Böhnhardt geführt zu haben. Zumindest aber die Mietzahlungen gingen all die Jahre von einem Konto auf den Namen Dienelt ab. Der Rechtsbeistand des heute als Fernfahrer tätigen Dienelt führt aus, die Wohnungsuntervermietung hätte für diesen finanzielle Vorteile im Rahmen der Betriebskostenabrechnung gebracht und seine Untermieter hätten sich ihm unter anderem Namen vorgestellt. Gleichzeitig räumt er aber auch ein, dass Dienelt gelegentlich, wenn er in Zwickau weilte, in der Wohnung übernachtet habe. Es erscheint lebensfremd, dass man über Jahre Namen, Konto und Gehaltsnachweise für einen geringfügigen »finanziellen Vorteil« hergibt. Viel eher wird Dienelt als »treuer Freund und Kamerad« eingeschätzt. Er dürfte gewusst haben, dass es sich bei seinen UntermieterInnen nicht um »Max«, »Gerry« und »Lissi« handelte, welche nur aus »Schufa«-Gründen auf seine Unterstützung angewiesen seien. Nach Ansicht der Ermittler, soll er die NSU-Zelle unterstützt haben, ein Leben unter falscher Identität zu führen und unentdeckt Terroranschläge verüben zu können. Am 11. Dezember 2011 wurde er deswegen verhaftet. Im Landkreis wurden drei Wohnungen vom BKA durchsucht. Darunter die von Dienelt und die einer weiteren möglichen Unterstützerin. Hierbei dürfte es sich um Mandy Struck handeln.
Mandy Struck
Lange Zeit muss Beate Zschäpe insbesondere szeneintern unter dem Namen Mandy Struck bekannt gewesen sein. Dass der Name nicht zufällig gewählt ist, zeigt die Verbindung nach Johanngeorgenstadt. Mandy Struck verkehrte ebenso in der örtlichen rechten Szene wie die anderen Verdächtigen und war Mitglied der »Hilfsorganisation Nationaler Gefangener«4
. Die Friseurin, die heute im nahegelegenen Schwarzenberg arbeitet, soll nach Erkenntnissen des BKA das NSU-Trio im Februar 1998 für mehrere Monate in der Wohnung ihres damaligen Freundes Max B. in Chemnitz einquartiert haben. Im Jahr 2000 luden sie und ihr damaliger Freund zu einem konspirativen Treffen in deren damalige Chemnitzer Wohnung ein, bei dem auch Uwe Böhnhardt erschien. Dass »Mandy Struck« bzw. deren Aliasträgerin Beate Zschäpe in der Szene ein Begriff waren, zeigen die Leaks des »Aktionsbüro Rhein-Neckar« und des »Hatecore« Forums sowie des »Mitteldeutschen Gesprächskreises«. In allen Plattformen und auch für private Mailaccounts benutzte der Kader des »Freien Netzes« Thomas Gerlach aka »ACE« »struck-mandy« als Passwort.
Emingers
Die Zwillinge André und Maik Eminger waren wohl eine der treibenden Kräfte in der Johanngeorgenstädter Neonaziszene. Ob beide oder einer von ihnen bereits um die Jahrtausendwende an der Organisation von Rechtsrockkonzerten, die auch im Zusammenhang mit »Blood & Honour« standen, beteiligt waren, konnte bis zum Redaktionsschluss noch nicht geklärt werden. So fand beispielsweise im nahegelegenen Breitenbrunn im Mai 1998 ein Konzert u.a. mit der Band »Proissenheads« statt, welches durch »Blood & Honour« organsiert wurde.
Während Maik Eminger nach Brandenburg verzog und dort beim »Schutzbund Deutschland« aktiv war sowie später auch Stützpunktleiter der JN Potsdam wurde, verblieb sein Bruder in der Region. Wie sich jetzt herausstellte, hatte er seit 2003 engen Kontakt zu dem Zwickauer Trio. Im ausgebrannten Wohnmobil wurden Bahncards gefunden, die auf Susann und André Eminger ausgestellt waren. Genutzt hatten diese Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt. André Eminger wird verdächtigt, im Jahr 2007 die Bekenner-DVD der NSU hergestellt zu haben. Das technische Know-How dürfte er durch seine vormalige Firma »Aemidig« gehabt haben, die sich auf die Digitalisierung von Videos spezialisiert hatte. Flyer der Firma fanden sich in den Trümmern der in die Luft gejagten Wohnung. Zudem betrieb André Eminger einen Internetversandhandel namens »Caput mortem«. Das Ehepaar Eminger lebte ebenso wie Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos in Zwickau.
Sachsensumpf
Augenfällig halten sich die sächsischen Behörden mehr als bedeckt, was ihre Verstrickung in den braunen Sumpf angeht. Dabei ist seit Jahren bekannt, dass der Verfassungsschutz in der sächsischen Neonaziszene seine Finger mit im Spiel hat.
So sollen die Behörden beispielsweise über das konspirative Treffen im Jahr 2000 in Chemnitz, bei dem dann auch Böhnhardt erschien, informiert gewesen sein. Bereits 1998/99 sollen Zielfahnder des Thüringer LKA Presseberichten zufolge das Trio in Chemnitz aufgespürt haben, die Festnahmen aber abgebrochen worden sein. Auch verwundert es, dass die zehn Banküberfälle von 1999 bis 2006 in Chemnitz und Zwickau nie aufgedeckt wurden. Eine auffällige Häufung, die bereits zu der Zeit begann, als Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe noch zur Fahndung ausgeschrieben waren und die Ermittler_innen zwischen 1998 und 2000 mehrfach Hinweise auf den Aufenthalt des Trios in Chemnitz hatten.
Im Jahr 2003 antwortete die Sächsische Staatsregierung widerwillig über ihre Erkenntnisse zur rechten Szene in Johanngeorgenstadt. Es lägen zwar Informationen vor, diese seien aber nicht öffentlich, da »sonst Rückschlüsse auf die Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörden« gezogen werden könnten. Ein Hinweis auf eine mögliche V-Person vor Ort. Und auch die Hammerskins, die nach dem Blood & Honour-Verbot im Jahr 2000 in Sachsen quasi zu einer Ersatzorganisation wurden, standen unter Beeinflussung des Geheimdienstes. Bekanntermaßen war Mirko Hesse als V-Mann des Bundesamtes an der Erstellung unzähliger Rechtsrock-CDs beteiligt.
Aktuelles Beispiel zur Verschwiegenheit der Behörden ist der nach wie vor unaufgeklärte Mord an Jamal Al M. am 1. November 2011 in Döbeln. Obwohl Bezüge zur NSU möglich erscheinen oder der Gedanke einer rassistischen Tat zumindest naheliegt, dementiert die Polizei vehement. Aufklärung und Information der Öffentlichkeit – in Sachsen wieder einmal Fehlanzeige.
- 1»Deutsch und frei wollen wir sein, und da bleiben wir dabei, weil wir Erzgebirgler sind!«
- 2damaliger Johanngeorgenstädter Bürgermeister Wolfgang Kraus (CDU), Freie Presse vom 28.11.1997
- 3zitiert nach Sächsische Zeitung: »Johanngeorgenstadt will nicht an den Pranger« vom 21.11.2011
- 4Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V.