Australische Dystopie: Rechte Unterstützung für Anti-Lockdown-Proteste
Seit Australien mit Covid19-Ausbrüchen zu kämpfen hatte und mit harten Lockdown-Maßnahmen reagierte, war eine erstaunliche Rückkopplungsschleife zwischen der extremen Rechten in Australien und den führenden rechten Medien in den USA zu beobachten.
Insbesondere extrem rechte Moderator_innen des amerikanischen Nachrichtensenders Fox News wie Tucker Carlson und Laura Ingraham prangerten Australiens Covid-Beschränkungen scharf an. Das Beispiel Australien dient den Rechten in den Vereinigten Staaten dabei weniger als Objekt echter Besorgnis, sondern vielmehr als nützliches Schreckensbild. Die australischen (rechten) Stichwortgeber erhalten im Gegenzug ihren Auftritt im rechten Rampenlicht. Die gegenseitige Bespielung etwa zwischen „Sky News Australia“ und ihrem Pendants „Fox News“ in den USA hilft auf diese Weise beiden Formaten. Sky News Australia gehört zum Medienimperium von Rupert Murdoch und vertritt dessen rechte Positionen. Murdochs US-Sender „Fox News“ betätigte sich in den USA recht erfolgreich als Propagandakanal für Donald Trump. Eine YouTube-Löschung von „Sky News“ (wegen medizinischen Falschinformationen) wurde in den USA so zum Ende der Meinungsfreiheit und Australien kurzerhand zur „Covid-Diktatur“ erklärt.
Das Bild einer australischen Tyrannei fand jedoch auch über die rechte Medienblase hinaus Verbreitung. Der Gouverneur von Florida vertrat sogar die Ansicht, die USA sollten ihre diplomatischen Beziehungen zu Australien überprüfen. Bei einer Protestkundgebung gegen die Maskenpflicht in New York trugen Teilnehmende australische Flaggen und skandierten „Save Australia“. Protagonisten der amerikanischen Rechten zeichneten ein dystopisches Bild, welches es in den USA zu verhindern gelte. Dabei stützen sie sich auf die Statements von rechten Randfiguren in Australien wie den selbsternannten „Freiheitsanwalt“ Tony Nikolic, der versucht hatte, den australischen Gesundheitsminister zu verklagen.
Die Journalisten Christopher Knaus und Michael McGowan gingen im „The Guardian“ der Frage nach, wer hinter den australischen Anti-Lockdown-Protesten steckt. Sie schilderten, dass insbesondere deutsche Verschwörungsgruppen an Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen in Australien beteiligt waren, wobei sie von lokalen Impfgegnern unterstützt wurden. Nach Recherchen von „logically“ hat die in Deutschland ansässige „Worldwide Demonstration“ für diese Zwecke mobilisiert, eine Gruppe mit 45.000 Facebook-Followern und 70.000 Telegram-Abonnenten auf ihren Hauptkonten und etlichen Weiteren auf speziellen Länderkonten. Auch zwei deutsche „Impfgegner“ von „Freie Bürger Kassel“ und eine dritte Person aus England versorgten die australischen Impfgegner mit einer Mischung aus Anti-Impfstoff- und Covid-19-Verschwörungen, QAnon-Erzählungen und Islamophobie. Die Gruppe „Worldwide Demonstration“ koordinierte so hunderte Veranstaltungen in Australien mit, bei welchen es zwar inhaltliche Überschneidungen mit Themen der extremen Rechten gab, diese aber nicht von der extremen Rechten angeführt wurden.
Am 20. September 2021 wurde das Büro der Gewerkschaft „Construction, Forestry, Maritime, Mining and Energy Union“ (CFMEU) in Melbourne aus einer Versammlung von Impfgegnern und Arbeitnehmer_innen der Baubranche heraus angegriffen. Unter den Angreifenden waren auch rechte Protagonisten und insbesondere ihre sozialen Medien. Zuvor hatte die Regierung des Bundesstaates Victoria angekündigt, dass die Covid-19-Impfung für die Bauindustrie obligatorisch werden solle. Am selben Abend wurde entschieden, dass die Bauarbeiten in Melbourne aus Gründen der öffentlichen Gesundheit für zwei Wochen gestoppt werden sollten. Neben den extrem rechten „Impfgegnern“, die an der Versammlung teilnahmen, konnte über Social-Media-Plattformen wie Telegram ein weitaus größeres Publikum erreicht werden. Der Telegram-Kanal „Melbourne Freedom Rally“ (MFR), ein Schlüsselknotenpunkt, wird von dem ehemaligen Cheerleader und IT-Programmierer Harrison McLean verwaltet. „The Guardian“ enthüllte dessen Engagement für eine Reihe extrem rechter Online-Gruppen u.a. der „Proud Boys“ oder des „National Socialist Network“ (NSN)1 und stützte sich dabei auf Recherchen der antifaschistischen „White Rose Society“.
Andy Fleming - ein in Melbourne lebender Anarchist, langjähriger Beobachter der extremen Rechten in Australien und Autor des Blogs slackbastard - berichtete im Magazin „Overland“, der MFR-Kanal sei von der Propaganda des NSN und seiner Anhänger überschwemmt worden. Andere Protagonist_innen, die wenig oder keine expliziten extrem rechten Beweggründe haben, hätten durch das Livestreaming dieser Veranstaltungen ein großes - und vermutlich letztendlich lukratives - Publikum gewonnen. Zwar haben sich auch einige Gewerkschafter_innen beteiligt, denen sich aber weit mehr unorganisierte Arbeitnehmer_innen angeschlossen hätten - ergänzt durch Anhänger der Anti-Impf-Bewegung, Anbieter von rechten Inhalten, Mitglieder der „Proud Boys“ und andere Figuren aus dem klassischen rechten Randbereich.
Fast ausnahmslos betrachtet die extreme Rechte die Bewegung gegen Impfungen und andere Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit als einen politisch fruchtbaren Boden. In dieses Umfeld versucht sich die extreme Rechte einzufügen, indem sie gleichzeitig die Gewerkschaften wegen ihrer mutmaßlichen Mitschuld an der Verweigerung des Rechts der Arbeitnehmer, ihre Arbeitskraft auf dem „freien“ Markt zu verkaufen, anprangern und sich als Verfechter der Arbeitnehmer gegen die tyrannische Kontrolle der Regierung darstellen. In dem Maße, in dem Gewerkschaften wie die CFMEU als „Handlanger“ der Regierung verstanden werden, die für die Durchführung einiger der strengsten und längsten Schließungen der Welt verantwortlich ist, werden sie zu einem Blitzableiter des Dissenses.
„White Australia“
Es waren weiße Britische SiedlerInnen die 1788 das Land unterwarfen und bereits zu Beginn der australischen Eigenständigkeit im Jahr 1901 wurde eine „White Australia Policy“ festgelegt, wonach gesetzlich vorgeschrieben (!) ausschließlich weiße EuropäerInnen einwandern durften. Erst ein „Racial Discrimination Act“ im Jahr 1975 machte zumindest offiziell mit der „White Australia Policy“ Schluss. Leser_innen des AIB kennen dazu die Texte zu Australiens Politik gegenüber den indigenen Gemeinden (AIB Nr. 119) und zur „Tampa-Affäre“ um das norwegische Frachtschiff „MS Tampa“ mit mehr als 400 hauptsächlich afghanische aus Seenot geretteten Geflüchteten (AIB Nr. 117) von Felix Heese. Es bleibt bei einer australischen Politik der Abschreckung und Auslagerung von geflüchteten ins „Niemandsland“. Jörg Kronauer hat „Australien auf dem Weg nach rechts“ in der Ausgabe Nr. 81 der „LOTTA – Antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen“ detailliert nachgezeichnet.
Australiens politischer Rechtsdrift wird von Gruppen der extremen Rechten und vom konservativen Establishment seit Jahrzenten weiter gepflegt: 1931 die paramilitärische „New Guard“, deren Gründer ab 1933 regelmäßig Kontakt zum nationalsozialistischen deutschen Generalkonsul in Sydney hielt, ab 1941 das „Australia First Movement“, ab 1946 die „Australian League of Rights“ bis hin zu zahlreichen kleineren Neonaziorganisationen wie die „National Front of Australia“ (NFA), die 1978 in Melbourne gegründet wurde.
Nach dem offiziellen Ende der „White Australia Policy“ in den 1980er Jahren spielten sich in den 1990er Jahren das konservative Establishment und die extreme Rechte gegenseitig die Bälle zu: Mit einem rassistischen Wahlkampf gegen Einwanderer*innen aus asiatischen Ländern und über die australischen Aborigines konnte die Partei „One Nation“ 1998 in Australien teils Wahlerfolge erzielen. Die Regierung des Premierministers John Howard übernahm in seiner Amtszeit die Angriff auf die Interessen der Aborigines, fuhr Angriffe auf die australischen Gewerkschaften sowie ab 2001 schließlich eine Kampagne gegen Flüchtlinge. Ab 2014 führten die Proteste gegen den Bau einer Moschee in der Stadt Bendigo im südöstlichen Bundesstaat Victoria einen weiteren Durchbruch der extremen Rechten.
Neue Organisationen entstanden, etwa im Jahr 2015 „Reclaim Australia“ oder der Neonaziclub „United Patriots Front“ (UPF). „Eureka Brigade“, die Metalband von UPF-Gründer Shermon Burgess, besang eine antimuslimische Menschenjagd 2005 in Cronulla (Sydney) als „Australiens Muslim-Holocaust“. Phillip Galea, ein Mitglied von „Reclaim Australia“, wurde im November 2020 zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Galea hatte Anschläge auf anarchistische und sozialistische Gruppen geplant. Galea gehörte auch der Bürgerwehr „True Blue Crew“ an, die gegen vermeintliche „afrikanische Gangs“ vorging.
Der wegen Gewalttaten bereits verurteilte UPF-Führer Blair Cottrell konnte 2018 im Nachrichtensender „Sky News Australia“ ein Interview geben - obwohl er offen Positionen vertrat wie „in jeder Schule“ sei ein Foto von Adolf Hitler aufzuhängen und Juden „infiltrierten im Streben nach Weltmacht ganze Generationen“. Auch in Australien treiben dessen Medien das politische Klima seit Jahrzehnten nach rechts. Im Sommer 2019 ergab eine Untersuchung, dass 71 Prozent der befragten indigenen Australier_innen, 81 Prozent der Einwohner_innen mit nah- und mittelöstlichem sowie 82 Prozent der Einwohner_innen mit asiatischem Hintergrund rassistische Diskriminierung erfahren hatten.
- 1Die Aktivitäten des „National Socialist Network“ geriet als terroristische Gefahr in den Fokus, nachdem Video- und Audioaufnahmen aufgetaucht waren, die ihr gewalttätiges Innenleben und ihre Hoffnung auf einen Rassenkrieg zeigen. Recherchen enthüllten die Identität der führenden Mitglieder, ihre Unterstützung für den Neonazi-Attentäter von Christchurch und anderen Terrorverdächtigen. Der Anführer der Gruppe Tom Sewell war wegen des Vorwurfes eines bewaffneten Raubüberfalls in Untersuchungshaft genommen worden. Die Regierung hat bisher noch keine Neonazigruppe im Inland verboten, wohl aber mehrere islamistische Gruppen und eine britische Neonazi-Organisation. Das NSN-Netzwerks und deren Gruppenführer hatten sich gegen Lockdown und Impfungen positioniert und an Kundgebungen teilgenommen.