USA: Ein wahnhaftes Antifazerrbild mit tödlichen Folgen
Gelegte Waldbrände, marodierende Antifa-Busse, „Flaggenschändung“ – in den USA hat ein wahnhaftes Antifazerrbild tödlichen Folgen.
Während es wissenschaftlich unstrittig ist, dass rechte Gewalt die vorherrschende inländische Bedrohung für die USA ist, wird die Rhetorik gegen „die Antifa“ immer grotesker. Ex-Präsident Trump und seine Verbündeten versuchten, die antifaschistische Bewegung als „inländische Terrororganisation“ zu brandmarken. Im Juni 2020 forderte der Kongressabgeordnete Matt Gaetz (Florida) die US-Regierung auf, „die [Antifa] zu jagen, wie wir es mit denen im Nahen Osten machen“. Rechte PolitikerInnen und Liberale sehen „die Antifa“ als Strippenzieher_innen der Black Lives Matter-Proteste. Seit Jahren wird behauptet, der Milliardär George Soros, ein jüdischer Holocaust-Überlebender, habe die antifaschistische Bewegung, Black Lives Matter und andere finanziert.
Als im September 2020 in Molalla Waldbrände ausbrachen, die in weiten Teilen von Oregon und Kalifornien wüteten, wurden Gerüchte über Brandstiftungen schnell zu „Insiderberichten“, die sich in den sozialen Medien verbreiteten und auf (rechte) Nachrichtenseiten überschwappten: „Die Antifa“ hätte die Brände gelegt, um die Häuser der Evakuierten plündern zu können. Die Webseite „Info-Wars“ beschuldigte „demokratische Terroristen“, die Webseite „Gateway Pundit“ wusste zu berichten, ein „Antifa-Radikaler“ sei verhaftet worden. Die „Fox News“-Moderatorin Laura Ingraham erklärte in einem Interview, der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden habe es versäumt, „die Antifa“ zu verurteilen, welche „absichtlich“ Brände in Kalifornien gelegt habe. Am Ende musste die Polizei von Molalla öffentlich versichern, dass es „keine Antifa in der Stadt gegeben hat“ und appellierte „(...) bleibt ruhig und handelt mit gesundem Menschenverstand.“
Vergeblich: Der „antifa-hoax“ war nicht aufzuhalten. In Douglas County kapitulierte die Notrufzentrale nach einem Twitter-Post des republikanischen Senatskandidaten Paul Romero, wonach sechs „Antifa“ in Polizeigewahrsam seien, welche die Brände gelegt hätten. „Das ist nicht wahr“, dementierte das Büro des Sheriffs und sogar das FBI twitterte ein Dementi.
Bereits im Sommer 2020 sorgten mystische Busse mit „Antifa-Demonstrant_innen“ in ländlichen Gemeinden der USA für Panik - obwohl ihre Existenz nie festzustellen war. Die „Associated Press“ zählte mindestens fünf Fälle, in denen Einheimische vor vermeintlich bevorstehenden Angriffen warnten. „NBC News“ berichtete über eine Fake-News-Welle, die oft von rechten Gruppen wie „Identity Evropa“ als „Antifa-Berichte“ getarnt wurden. Dass all diese Berichte als Gerüchte entlarvt wurden, verhinderte nicht, dass es zu Gewalttaten kam. In Forks (Washington) wurde eine vierköpfige Familie von bewaffneten Einheimischen belästigt, die glaubten, es würde sich um einen Einmarsch der „Antifa“ handeln. Die Familie war auf einem Campingausflug in die Stadt gekommen und reiste in einem Schulbus. Nach Angaben der örtlichen Polizei sahen sie sich mit „sieben oder acht Wagenladungen“ von Personen konfrontiert, die sie aggressiv zu ihren Antifa-Verbindungen befragten. Als die Familie versuchte wegzufahren, wurden Bäume quer über die Fahrbahn gelegt, um sie an der Fahrt zu hindern. In anderen Fällen wurden Bus-Unternehmen bis zum Beweis des Gegenteils als mutmaßliche Antifa-Truppenkonvois behandelt.
Manchmal kamen die Fehlinformationen von den Sheriffs selbst. In Curry County (Oregon) wusste Sheriff John Ward auf Facebook Anfang Juni 2020 zu berichten: „Ich habe Informationen, dass drei Busse mit Antifa-Demonstranten in den Bezirk fahren“ und fügte hinzu: „Ich weiß nicht, ob die Gerüchte wahr sind oder nicht“. Sowohl die Polizei von Medford als auch die lokale Abteilung für öffentliche Sicherheit von Grants Pass teilten mit, dass sie die Meldung für unbegründet hielten. Bewaffnete Einwohner_innen tauchten dennoch auf, um ihre Stadt zu „schützen“. Ein Mann wurde festgenommen, weil er seine Waffe auf Andere gerichtet hatte und „all lives matter“ skandierte.
Häufig zielen diese „Social-Media-Hoaxes“ mit Erfolg darauf ab, eine Konfrontation zwischen antirassistischen Gruppen und rechten Milizgruppen oder „Blue Lives Matter“ (Pro-Polizei-Bewegung) zu forcieren. Diese Gerüchte können von Menschen, Social-Media-Bots und Personen in öffentlichen Ämtern verstärkt werden. Trump behauptete in einem Interview mit der „Fox-News“, dass „Schläger“ in „dunklen Uniformen“ per Flugzeug geschickt worden seien, um den Nationalkonvent der Republikaner zu stören.
Eine mysteriöse Figur verkündete in den sozialen Medien seine Pläne, als „Antifa“ am „Independence Day“ im Juli 2020 amerikanische Flaggen verbrennen zu wollen. Rechte Milizen, Biker und Neonazis verkündeten sodann ebenfalls nach Gettysburg zu kommen, um die Bürgerkriegsdenkmäler und die „Flagge der Nation“ vor Schändungen zu schützen. Zu Hunderten strömten sie schwer bewaffnet herbei, ohne zu realisieren, dass sie einem unglaubwürdigen Internetphantom hinterherjagten. Im Jahr 2017 führten bereits ähnliche Gerüchte dazu, dass eine große Gruppe bewaffneter Milizionäre auftauchte. Sie trafen niemanden von der Antifa, aber einer der Milizionäre schoss sich vor Aufregung mit seinem Revolver ins Bein.
„Roter Schrecken“ in Wiederholung?
Die antikommunistische Hysterie hat in den USA eine Geschichte seit dem frühen 20. Jahrhundert, erinnerte Patrick Strickland Ende September 2020 in einer Aljazeera-Reportage („Antifa and America’s revamped Red Scare“). So wurden bereits im Dezember 1919 aus dem New Yorker Hafen 249 Einwanderer, die für Kommunisten und Anarchisten gehalten wurden, in die neu gegründete Sowjetunion abgeschoben. Fast 200 waren am 7. November im Rahmen von Razzien verhaftet worden. Bis zum Ende dieser Razzien wurden fast 3.000 Menschen verhaftet und 549 von ihnen deportiert. Die Razzien markierten den Höhepunkt des „First Red Scare“ (1917-1920), einer Zeit, in der die US-Regierung den Patriotismus des Ersten Weltkriegs nutzte, um die Angst vor einer angeblich bevorstehenden kommunistischen oder anarchistischen Revolution zu schärfen und gegen Kommunist_innen, Anarchist_innen, Immigrant_innen, streikende Arbeiter_innen und schwarze Amerikaner_innen vorzugehen.
Mehr als 20 Jahre später, am Ende des Zweiten Weltkrieges, erlebte der „Rote Schrecken“ seine Wiederholung in der Angst vor einer kommunistischen Unterwanderung der amerikanischen Gesellschaft und der US-Regierung. Unter Politikern wie Joseph McCarthy und dem FBI-Direktor J. Edgar Hoover wurden Hunderte verhaftet und Tausende verloren ihren Arbeitsplatz dank „Schwarzer Listen“, die mutmaßliche Linke brandmarkte. Joseph McCarthy, ein republikanischer Senator, wurde bekannt für die Leitung von Ermittlungen, die darauf abzielten, angebliche Kommunisten in der US-Regierung, der Filmindustrie und an Universitäten bloßzustellen.
Der Auftritt von US-Generalstaatsanwalt William Barr vor dem Justizausschuss des Repräsentantenhauses Ende Juli 2020 erinnerte bereits an diese Manöver. Im September 2020 soll er die Staatsanwaltschaft angewiesen haben, die Möglichkeit zu prüfen, Protestierende wegen „Aufruhr“ anzuklagen. Eine selten angewandte Anklage, die normalerweise nur gegen diejenigen erhoben wird, die eine ernsthafte, unmittelbare Bedrohung für die Regierung darstellen.
„Direkt zum Schuss“
Als Sondereinsatzkommandos der US-Marshals am 3. September 2020 den Antifa-Aktivisten Michael Reinoehl töteten, lobte der damalige Präsident Trump die Tat als „Vergeltung“.
Reinoehl war auf der Flucht. Nachdem ein Konvoi von Trump-AnhängerInnen am 29. August 2020 in Portland einfiel und mit antirassistischen Demons-trant_innen zusammenstieß, zeigte eine Sicherheitskamera, dass Reinoehl einen der Aggressoren im Auge behielt - Aaron J. Danielson, einen Anhänger der neonazistischen Gruppe „Patriot Prayer“, der mit einem Reizgas zur Bärenabwehr und einem ausziehbaren Schlagstock unterwegs war.
In seinem letzten Interview mit „Vice News“ sagte Reinoehl, er habe in Notwehr auf den „Patriotic Prayer“ geschossen. Die „Washington Post“ und die „New York Times“ recherchierten, dass die Beamten offenbar ohne Vorwarnung und sofort auf Reinoehl geschossen hatten. Generalstaatsanwalt William P. Barr nannte die Tötung eine „bedeutende Errungenschaft“, die einen „gewalttätigen Agitator“ beseitigte. Auch Trump konnte seine Begeisterung kaum verbergen: „Dieser Typ war ein Gewaltverbrecher, und die US-Marshals haben ihn getötet“, äußerte er gegenüber „Fox News“. „Und ich werde Ihnen etwas sagen, so muss es sein. Es muss Vergeltung geben, wenn es Verbrechen wie dieses gibt.“ Auf einer Wahlkampfrede in Greenville (North Carolina) im Oktober räumte Trump die Tötungsabsicht - mit Liveübertragung auf „Fox News“ - ein: „We sent in the US Marshals, took 15 minutes and it was over (...) - Jubelschreie aus Menge - (...) They knew who he was, they didn‘t want to arrest him and 15 minutes that ended“.