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»Es steckt viel Hitler in Wagner«

Einleitung

Anmerkungen zum »Richard-Wagner-Jahr«

Mit dem aus Anlass des 200. Geburtstags des Komponisten ausgerufenen »Wagner-Jahr« 2013 erreichte ein medialer Hype seinen Höhepunkt, der zugleich als Prozess der zunehmenden Rehabilitierung des »größten Antisemiten unter den Komponisten« (Jüdische Allgemeine) betrachtet werden kann.

Foto: Screenshot von youtube.de/3sat

Der Wagner-Clan mit »Onkel Wolf« als Hausfreund. V.l.n.r. Wieland Wagner, Adolf Hitler, Wolfgang Wagner.

Im Zeichen eines nach Events hechelnden Medienbetriebs sind Wagner-Opern heutzutage zum multimedialen Ereignis geworden. Es gibt einen regelrechten Wettbewerb zwischen den führenden internationalen Opern­häusern um die aufwändigste Neuins­zenierung von Wagners monumentalem Ring des Nibelungen. Dass Wagner ein fanatischer Antisemit und glühender Nationalist gewesen ist, ein Vorläu­fer der NS-Ideologie und -propaganda, Impulsgeber nationalsozialistischer Masseninszenierungen und Reichs­parteitagschoreographien und überdies eine wichtige Inspirationsquelle für Hitlers Selbstverständnis als Führer und Erlöser des deutschen Volkes – das gerät dabei gerne zur Nebensache.

Im Kern geht es beim Streit um die Causa Wagner um die Frage nach dem Verhältnis von Person und Werk und dem Maß an Verantwortung, das man Wagner für seine spätere Inanspruchnahme durch die Nationalsozialisten zuschreiben kann. In der Geschichte des deutschen Antisemitismus spielt Richard Wagner eine nicht unwichtige Rolle. Mit seinen theoretischen Schriften hat er den Vordenkern der nationalsozialistischen Rassentheorie, allen voran Houston Steward Chamberlain und Alfred Rosenberg – und schließlich auch Adolf Hitler, wichtige Impulse gegeben. Was jedoch seine Bühnenwerke betrifft, ist der Fall komplizierter. Kann und darf man die Opern unabhängig von ihrem Schöpfer und seiner Gesinnung betrachten? Und wie steht es um die Musik? Kann Musik als Vehikel politischer Gesinnung gelten – oder steht sie außerhalb gesellschaftlicher und historischer Diskurse?

Zentraler Manifestationspunkt des Wagnerschen Antisemitismus ist der 1850 entstandene Text »Über das Judentum in der Musik«, den Wagner zu Lebzeiten in mehreren Auflagen verbreiten ließ. Es handelt sich bei diesem Text im Wesentlichen um eine krude Aneinanderreihung antijüdischer Ressentiments. Der Schlussabsatz des Textes gilt als zentrale Belegstelle für ein exterminatorisches Moment des Wagnerschen Antisemitismus. Wagner verwirft hier die Emanzipation als Mittel einer gesellschaftlichen Integration der Juden – um anschließend »Erlösung« als einzig möglichen Ausweg zu proklamieren. Erlösung freilich qua Untergang: »Gemeinschaftlich mit uns Mensch werden, heißt für den Juden aber zu allernächst soviel als: aufhören, Jude zu sein. [...] Aber bedenkt, dass nur eines eure Erlösung von dem auf euch lastenden Fluche sein kann: die Erlösung Ahasvers – der Untergang!«

Adorno erläutert die Passage folgendermaßen: »Ungeschieden liegen darin beisammen der Marxsche Gedanke von der gesellschaftlichen Emanzipation der Juden als der Emanzipation der Gesellschaft vom Profitmotiv, für das sie symbolisch einstehen, und der von der Vernichtung der Juden selber.« Der Akzent liegt dabei unzweideutig auf dem Motiv der Vernichtung. In diesem Punkt berührt sich Wagners Denken unmittelbar mit der nationalsozialistischen Rassenideologie und ihren furchtbaren Konsequenzen: »Der Wagnersche Antisemitismus versammelt alle Ingredienzien des späteren in sich. [...] Selbst den Gedanken von der Vernichtung der Juden hat er bereits konzipiert. Von seinen ideologischen Nachfahren unterscheidet er sich dabei nur, indem er die Vernichtung der Rettung gleichsetzt.« Oder, mit Thomas Mann auf den Punkt gebracht: »Es steckt viel ›Hitler‹ in Wagner.« Wer von einem Missbrauch Wagners durch den Nationalsozialismus spricht, muss diesen Akt ideologischer Wegbereitung ausblenden.

Wie steht es aber um die Werke Wagners? Man kann feststellen, dass sich in einzelnen Opern Versatzstücke antisemitischen Denkens ausmachen lassen, etwa in der Gestalt der Zwerge Mime und Alberich aus dem Ring, die dem zeitgenössischen Klischeebild des raffgierigen und krummbeinigen Juden nachempfunden sind. Nimmt man aber das Gesamtkorpus von Wagners Opern in den Blick, so scheint an­gesichts des marginalen Bestands an Referenzstellen eine antisemitische Haltung nicht so einfach belegbar.

Stärker ins Gewicht fällt das in praktisch allen Opern Wagners zentrale Motiv der Erlösung qua Untergang, das sich als ein roter Faden nicht nur durch die Bühnenwerke zieht. Erlösung als Schlüsselmotiv des Wagnerschen Denkens kulminiert in seiner letzten Oper Parsifal. 1975 löste der Germanist Hartmut Zelinsky in Fachkreisen und Wagnerzirkeln einen veritablen Skandal aus, als er das im Parsifal verherrlichte Gralsritual als protofaschistischen Blutskultus decouvrierte, in dem die auf Reinheit des Blutes abhebende nationalsozialistische Rassenlehre ihren bildlichen Anknüpfungspunkt fand.

Die Oper Parsifal ist das letzte Mosaikstück im Prozess der Selbstüberhöhung Wagners und der von ihm und seinen Epigonen betriebenen Etablierung einer protofaschistischen Kunstreligion, in deren Mittelpunkt der »Grüne Hügel« in Bayreuth steht – als Weihestätte und Pilgerort des Wagner-Kultes. In der Auratisierung des Ortes Bayreuth und der damit einhergehenden messianischen Selbstinszenierung des Komponisten fand schließlich Hitler das Modell der eigenen Stilisierung als Führer und Heilsbringer des deutschen Volkes. Schon in den frühen zwanziger Jahren gehörte Hitler zu den Besuchern Bayreuths, und Bayreuth, das sich unter dem Regiment von Wagners Witwe Cosima mehr und mehr zu einer Keimzelle antisemitischer Propaganda entwickelt hatte, empfing den Führer der »Bewegung« mit offenen Armen. Nicht nur die greise Cosima, die selbst eine glühende Antisemitin war – auch Houston Stewart Chamberlain war, nachdem er im Jahre 1908 Cosimas Tochter Eva geheiratet hatte, Bewohner der Hauses »Wahnfried«. Mit dem Buch »Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts« hatte Chamberlain einen Schlüsseltext des deutschen Antisemitismus geschaffen, auf den sich sowohl Rosenberg als auch Hitler berufen haben. Die Wagners waren also nicht nur ideologisch, sondern auch dynastisch mit den Wegbereitern des NS verbunden.

Mit dem politischen Aufstieg Hitlers und der Übernahme der Festspielleitung durch Winifred, der Ehefrau von Richards Sohn Siegfried, intensivierte sich die Verbindung des Wagner-Clans mit den nationalsozialistischen Eliten in jeder Hinsicht. Winifred war eine glühende Verehrerin Hitlers, so wie Hitler ein glühender Verehrer des Komponisten war. Diese Verbindung zahlte sich auch finanziell aus. Hitler rettete den Festspielbetrieb, der seit seiner Gründung ein Minusgeschäft war, vor dem Ruin und sorgte fortan für eine solide finanzielle Ausstattung. Hitler war weit mehr als bloßer Gast der Wagner-Familie, er wurde zum Hausfreund und Vertrauten, den man auf Wahnfried für gewöhnlich »Onkel Wolf« nannte.

Hitler blieb in der Bayreuther Welt auch nach 1945 allgegenwärtig. Was sich änderte, war lediglich die Sprachregelung. Statt familiär-freundschaftlich von »Onkel Wolf« zu sprechen, bediente sich Winifred fortan eines Akronyms, wenn die Rede auf Hitler kam: USA – das stand in Winifred Diktion für »Unser Seliger Adolf«.1

Eine »Stunde Null« hat es in Bayreuth ebenso wenig gegeben wie in der BRD. Zwar proklamierte Wieland Wagner die Neugeburt Bayreuths als »Neo-Bayreuth« und ersetzte den herkömmlich-altväterlichen Inszenierungsstil mit Flügelhelm und Bärenfell durch eine abstrakt-symbolistische Ästhetik. Für den, der es sehen wollte, blieb der historische Kontext dennoch präsent, denn Wielands mit abstrakten Lichteffekten arbeitenden Inszenierungen wiesen eine frappante Nähe zu der von Albert Speer entwickelten Ästhetik von »Licht-Domen« auf.

Wie soll man unter diesen Voraussetzungen mit Wagners künstlerischem Erbe umgehen? Die Forderung nach einem generellen Aufführungsverbot erscheint unangemessen. Selbst in Israel, wo ein solches Verbot gesetzlich verankert wurde, ist es umstritten. Sinnvoller wäre eine diskursivere Aufführungspraxis, also Inszenie­rungen, die den histo­risch-politischen Kontext kenntlich machen. Wie jüngst das Beispiel der Tannhäuser-Inszenierung an der Düsseldorfer Rheinoper zeigte, erscheint eine solche Forderung angesichts des Wettlaufs der Opernhäuser um den größtmöglichen medialen Hype jedoch illusorisch.2 Und solange die deutsche »Eliten« es opportun finden, sich jährlich an der Bayreuther Aura zu berauschen, wird auch die Forderung nach einer Einstellung der öffentlichen Finanzierung des Festspielbetriebes eine unrealistische Forderung bleiben.

  • 1Vgl. dazu den fünfstündigen Interviewfilm von Hans Jürgen Syberberg »Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfried 1914–1975«, BRD 1975, sowie die autobiographischen Aufzeichnungen von Wielands Sohn Gottfried: Gottfried Wagner: Wer nicht mit dem Wolf heult. Autobiographische Aufzeichnungen eines Wagner-Urenkel, Köln 1997
  • 2In seiner Inszenierung wählte Regisseur Burkhard C. Kosminski drastische Bilder, um auf die Verbindung zwischen Wagnerschem Antisemitismus und der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik anzuspielen. Teile der Handlung ließ er in einem KZ spielen, Erschießungen und sogar der Tod in den Gaskammern wurden auf der Bühne nachgestellt – unter Einsatz von reichlich Kunstnebel. Nicht nur die jüdische Gemeinde protestierte energisch gegen die effekthascherische Zurschaustellung der Shoah, so dass sich die Rheinoper schließlich genötigt sah, die Inszenierung abzusetzen. Vgl. www.zeit.de/kultur/musik/2013-05/tannhauser-duesseldorf-wird-angesetzt