Veit Harlan. Die Auseinandersetzungen um den »Jud-Süß«-Regisseur in der frühen Bundesrepublik
Vor 50 Jahren: 1952 kommt es in zahlreichen Städten zu heftigen Zusammenstößen zwischen AntifaschistInnen und Anhängern Veit Harlans. Die Geschichte der Auseinandersetzungen um diesen wohl prominentesten Filmregisseur des »Dritten Reichs« verdeutlicht die weite Verbreitung antisemitischer und rechtsextremer Einstellungen in der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft, verweist aber auch auf die Existenz einer politisch äußerst heterogenen antifaschistischen Bewegung.
Im Hamburger Landgericht spielten sich am 14. April 1950 tumultartige Szenen ab. Verhandelt wurde gegen Veit Harlan, der Vorwurf lautete: Mit dem unter seiner Leitung 1940 gedrehten antisemitischen Propagandafilm »Jud Süß« habe Harlan dazu beigetragen, den Holocaust ideologisch vorzubereiten und sich somit eines »Verbrechens gegen die Menschlichkeit« schuldig gemacht. Der Regisseur, der während der NS-Zeit mit finanzieller und logistischer Unterstützung durch das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMfVP) über 20 Filme gedreht und eine immense Popularität erreicht hatte, behauptete vor Gericht, er sei von Josef Goebbels gezwungen worden, an »Jud Süß« mitzuwirken. Er leugnete grundsätzlich den antisemitischen Charakter des Films und gab sich das Image eines »patriotischen«, aber im Grunde unpolitischen Künstlers.
Freispruch für Harlan
Als nun an jenem 14. April die jüdische Zeugin Karena Niehoff, die in der Filmabteilung des RMfVP gearbeitet hatte, angab, Harlan habe das Drehbuch für »Jud Süß« abgeändert, um die antisemitischen Aussagen des Films zu verschärfen, kam es im Zuschauerraum von Anhängern Harlans zu Zwischenrufen und Beschimpfungen der Zeugin. Noch im Justizgebäude wurde Niehoff unter Rufen wie »Judensau, mach, daß du aus Deutschland rauskommst!« bedroht. Sie stellten den Anfang einer ganzen Reihe antisemitischer Ausschreitungen dar, die in den folgenden Jahren die Auseinandersetzungen um Veit Harlan begleiteten. Zwei Wochen nach den von der Presse aufmerksam verfolgten Tumulten im Landgericht wurde der Regisseur schließlich freigesprochen. Richter Walter Tyrolf, der, wie später bekannt wurde, im Nationalsozialismus als Staatsanwalt des Sondergerichts Hamburg an zahlreichen Todesurteilen mitwirkte, erklärte, Harlan habe »Jud Süß« nicht freiwillig produziert, sondern sich in einem »Notstand« befunden, der ihm keine Wahl gelassen hätte. Zwar könne der Film durchaus als antisemitisch charakterisiert werden, dennoch, so der zynische Hinweis des Richters, sei »Antisemitismus an sich« nicht strafbar. Mit dieser juristischen Absolution stand einem Comeback Harlans als Regisseur nichts mehr im Wege.
Eine Protestbewegung entsteht
Veit Harlans erstes Nachkriegsprojekt war die Verfilmung des Melodrams »Unsterbliche Geliebte« mit seiner Frau Kristina Söderbaum in Hauptrolle. Noch bevor der Film anlief, kam es zu weiteren juristischen Auseinandersetzungen. Erich Lüth, Beamter der staatlichen Pressestelle in Hamburg, hatte anläßlich der »Woche des deutschen Films« 1950 zum Boykott Harlans aufgerufen, da »dessen ganzes Wirken [...] die Mordhetze der Nazis und die Massenvernichtung für Andersdenkende und Andersrassige« gefördert habe. Gegen den Boykottaufruf beantragten die Göttinger Produktionsfirma Domnick und der Herzog-Filmverleih eine einstweilige Verfügung, der eine Zivilkammer des Hamburger Landgerichts stattgab. Der Rechtsstreit, ob Lüth gegen das Beamtenrecht verstoßen habe, zog sich über Jahre hin. Im Januar 1958 entschied das Bundesverfassungsgericht zu dessen Gunsten und im Sinne der grundrechtlich garantierten Meinungsfreiheit. Trotz der einstweiligen Verfügung forderten zahlreiche Personen und Organisationen ebenso dazu auf, den »Jud Süß«-Regisseur zu boykottieren. Vor allem in den Jahren 1951 bis 1954 kam es anläßlich der Vorführungen von Veit Harlan Filmen in der BRD, in Österreich und der Schweiz zu Demonstrationen, Stör- und Blockadeversuchen. Sie gingen in der Regel von Gruppen wie der VVN, der »Notgemeinschaft der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen«, der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, verschiedenen jüdischen Gemeinden, den Gewerkschaften und zum Teil auch der SPD aus. Massive Proteste gab es zudem in den meisten Universitätsstädten.
Antisemitische Exzesse
Es formierten sich neben den Harlan-Gegnern auch dessen Anhänger, die aus ihrer aggressiv-antisemitischen Einstellung oftmals keinen Hehl machten. In einigen Städten kam es zu gewalttätigen Übergriffen auf demonstrierende AntifaschistInnen. So in Freiburg im Januar 1952. Als dort Harlans zweiter Nachkriegsfilm »Hanna Amon« anlief, verteilten Mitglieder des SDS und Angehörige der »Christlich-Demokratischen Hochschulgruppe« Flugblätter vor den Kinos. Dort rückte ein Überfallkommando der Polizei an, das unter dem Applaus der Passanten einige DemonstrantInnen festnahm. StudentInnen, die am folgenden Tag erneut protestieren wollten, wurden von einer Menschenmenge mit Parolen wie: »Judensöldlinge!«, »Ich würde heute noch Heil Hitler rufen!« und »Juden raus!« bedroht. Die Polizei schritt, begleitet vom Gejohle der Harlan-Anhänger, ausschließlich gegen die StudentInnen ein. Ähnliche Szenen spielten sich eine Woche später auch in Göttingen ab. Vor dem Kino, in dem »Hanna Amon« anlaufen sollte, demonstrierten ca. 100 Personen mit Transparenten wie »Friede mit Israel« oder »Wir wollen keine Harlans mehr!«. Ihnen standen 300 Harlan-Anhänger gegenüber, die lautstark »Juden raus«, »Schlagt die Judenlümmel doch zusammen!«, »Niederknüppeln!« oder »Aufhängen« skandierten.
Am Abend wurden in der Innenstadt Anti-Harlan-DemonstrantInnen gezielt angegriffen, wobei 23 Menschen verletzt wurden. Werner Schwier beschrieb die Szenerie in der »Zeit« folgendermaßen: »Im Verlauf des Nachmittags wurde die Haltung der Menge immer drohender und radikal antisemitisch [...] die Straße bot haargenau den Anschein wie einst in der Kampfzeit, als des Führers treueste Garde den Nationalsozialismus mit brutaler Gewalt praktizierte [...] die systematisch aufgeputschte Menge kennt kein Halten mehr.« In der Göttinger Lokalpresse, die einseitig gegen die Anti-Harlan-AktivistInnen polemisierte, wurden diese Vorfälle verschwiegen. Erst als sich 48 Göttinger Professoren mit den DemonstrantInnen solidarisch erklärten, erwähnte das Göttinger Tageblatt in einem Nebensatz, dass es zu »verurteilenswerten« antisemitischen Übergriffen gekommen sei. Die schlimmsten Exzesse mit pogromartigem Charakter hatten sich schon im April 1951 in Östereich ereignet. In Salzburg protestierten ca. 100 jüdische DemonstrantInnen, vor allem »Displaced Persons«, mit Zwischenrufen während des Films »Unsterbliche Geliebte«. Daraufhin durchkämmten bereitstehende Polizisten unter grosser Anteilnahme des Publikums den Kinosaal und nahmen Personen in Gewahrsam, die ihrer Meinung nach »jüdisch« aussahen.
Vor dem Gebäude wurden Harlan-Gegner mit antisemitischen Sprechchören beschimpft. Am folgenden Tag ging die Polizei mit Schlagstöcken und der Unterstützung eines tausendköpfigen, Steinewerfenden Mobs gegen eine kleine Gruppe von DemonstrantInnen vor, der keine andere Wahl blieb, als sich in die Räume der jüdischen Gemeinde zu retten, die daraufhin mit Steinhagel attackiert wurde. Die Ereignisse in Freiburg, Göttingen und Salzburg, aber auch in anderen Städten lassen erahnen, wie weit verbreitet antisemitische Einstellungen innerhalb der deutschen (und österreichischen) Gesellschaft in den Nachkriegsjahren waren. In einer Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie im Herbst 1949 gaben 48 Prozent der Befragten an, Juden reserviert bis feindlich gegenüberzustehen. 53 Prozent wollten als zentrale Ursache für den Antisemitismus die »Eigenheiten jüdischer Volksgruppen« wie »Profitgier«, »Verschlagenheit« und »Schmuddeligkeit« sowie deren »fremdrassiges Wesen« ausgemacht haben. Die Auseinandersetzungen um den »Jud Süß«-Regisseur dienten Teilen der Bevölkerung augenscheinlich als willkommene Gelegenheiten, ihre nach 1945 mehr oder weniger inkriminierten Ressentiments offen auszuleben. Zwar gingen gewalttätige Übergriffe oftmals von organisierten Gruppen, wie z.B. Studentenverbindungen aus. Hoch war jedoch die Bereitschaft »normaler« Bürger, an den Ausschreitungen teilzunehmen oder sich lautstark zu Antisemitismus und Nationalsozialismus zu bekennen. Unter solchen Umständen scheint die Existenz einer breiten, in sozialer wie politischer Hinsicht äußerst heterogenen Protestbewegung, die zudem die Kontinuität und das Fortbestehen antisemitischer Denkformen anprangerte, umso bemerkenswerter.