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Der »rechte« Geist der Arbeit

Einleitung

Mit feinem Gespür für erfolgversprechende Agitationsfelder nimmt sich die Rechte vermehrt des Schlüsselproblems »Arbeit und Erwerbslosigkeit« an und gibt sich dabei verstärkt Sozialrevolutionär. Die folgende Auswertung der Erwerbslosenproteste 1998 in Berlin stützt allerdings die These von Angelo Lucifero1 , daß es weniger die Rechten selbst sind, die Erfolge verzeichnen, sondern eher der ideologische Gleichklang in Sachen »Wir wollen einen Arbeitsplatz!«, der das politische Spektrum von der NPD über SPD und Gewerkschaften bis hin zu traditionalistisch orientierten K-Gruppen erfasst.

  • 1Angelo Lucifero in AIB Nr. 46: Sozial und rechts ? Ein Situationsbericht aus Ostdeutschland
Foto: Christian Ditsch

Berliner Erwerbslosenproteste im Rückblick

Auch bei den Aktionen der Erwerbslosen in Berlin versuchten rechte Gruppen anfangs, Fuß zu fassen. Ihre mit »Arbeit zuerst für Deutsche - NPD Macht Ordnung« überschriebenen Faltblätter, in denen multinationale Konzerne attackiert und auch zum Nachdenken »über Alternativen zur Globalisierung« aufgerufen wird, wurden aber beim ersten Aktionstag am 5. Februar umstandslos zerfetzt und die Verteiler vertrieben, unter ihnen auch JN-Kader Andreas Storr1 . Ebenso umstandslos solidarisierte sich später das "Berliner Aktionsbündnis Erwerbslosenproteste" mit MigrantInnen und Illegalen, in dem es seine Forderungen - bis hin zu der nach einheitlichem Existenzgeld - generell auf diese ausdehnte. Insoweit zeigten sich die hiesigen Erwerbslosen - überwiegend frisch anpolitisiert und aus allen Ecken und Altersgruppen der prekarisierten Berliner Bevölkerung - also immun gegen Versuche rechter Einflußnahme.

»Fall erledigt« dachten offenbar auch diejenigen AntifaschistInnen, die am 5. März, dem 2. Aktionstag, auf dem Hacken kehrt machten, als klar war, daß die NPD-Jugend es dort nicht ein zweites Mal probieren würde. Daß gerade an diesem Morgen unter den DemonstrantInnen vor dem Landesarbeitsamt politische Widersprüche offen und mitunter lautstark verhandelt wurden, wie sie krasser kaum sein könnten, entging ihnen. Da forderten am offenen Mikrofon namentlich Frauen ein neues Verständnis von Arbeit als am Wohlergehen der Menschen und ökologischen Notwendigkeiten orientierte, allgemeine gesellschaftliche Tätigkeit, wurde Zwangsarbeit angegriffen, plädierten MigrantInnen für ein Zusammengehen aller Deklassierten, wurde das Recht auf Faulheit ebenso propagiert wie die Forderung nach Existenzgeld für alle.

Dagegen, eher aus der Masse vorgetragen: dumpf anschwellende Sprechchöre »Kohl muß weg«, »Wir sind das Volk - wir wollen Arbeit«, »Gegen die Bonner Bonzen«. Die Antwort anderer DemonstrantInnen: »Kein Kohl, kein Rotkohl, kein Grünkohl, kein Braunkohl - Kohle her!« - an diesem Protesttag behielten emanzipatorische Stimmen das letzte Wort. Kontrafaktisch aber illustrierte etwa die Süddeutsche Zeitung ihren Bericht2 von der Kundgebung mit einem Foto der Parole »Wir sind das Volk!«, hochgehalten von zwei eher belächelten Randfiguren, und überschrieb das Ganze mit »Ruf nach Arbeit«. Diese hochgradig ideologisierte Presseresonanz erwies sich später als höchst symptomatisch für das Verhalten der Medien zu den Erwerbslosenprotesten: Die anwesenden JournalistInnen ließen in auffälliger Einmütigkeit erkennen, daß sie eine ganz bestimmte Schablone einer »Volksbewegung« im Kopf hatten, zu denen sie sich die passenden Belege im Erscheinungsbild der Proteste suchten: Die nationalistische '89er »Aufstands«-Dynamik, codiert in der Parole: »Wir sind das Volk«, kombiniert mit »französischen Verhältnissen« als Metapher für Wut und Gewaltbereitschaft und der eigentlich einzigen Forderung, die »Arbeitslose« nach herrschender Ideologie auf den Lippen führen dürfen: »Wir wollen Arbeit«.

Tatsächlich war diese Tendenz - vor allem unter den männlichen Teilnehmern - ja auch vorhanden, und das ist aus antifaschistischer Sicht das eigentlich Beunruhigende an den deutschen Erwerbslosenprotesten. Wo auch immer diese. Tendenz in Erscheinung trat, stürzten sich Fotografen und Kameraleute geradezu elektrisiert in Aufnahmeposition, während sie konträre Aussagen (»Wer nicht arbeitet, soll wenigstens gut essen!«) sorgsam ausblendete.

Am 8. Mai, dem 4. Aktionstag, wurde als Ziel der Demonstration die Börse in der Fasanenstraße ausgewählt. Erfundene, eng parallelisiert steigende Börsenkurse und »Arbeitslosen«-Zahlen auf Flugzetteln des Aktionsbündnisses suggerierten eine Kausalität, die keine ist: Die Spekulanten, die Finanzhaie und internationalen Banken, mithin die Zirkulationssphäre, seien verantwortlich für  die Erwerbslosigkeit. Mit der Börse als Symbol, den »reichen Spekulanten« und »bürokratischen Bonzen« als den »Verantwortlichen« hatte sich in den Berliner Protesten voerst jenes nicht einfach nur simplifizierende Deutungsmuster der Erwerbslosigkeit durchgesetzt, das nicht zufällig auch zum Kernbestand rechter Ideologie und Parolen gehört. Es entspricht exakt dem vulgärmarxistischen, halben - und deshalb gefährlich falschen - Anti-Kapitalismus, der als das benannt werden muß, was er ist: Moderner Antisemitismus.

Dessen Kerngehalt liegt in der weit verbreiteten Weigerung, sich des zunehmend bedrohlichen, stummen Zwangs der Verhältnisse als das zu erwehren, was er ist: Ein umfassendes, abstraktes, ausbeuterisches gesellschaftliches Verhältnis - das Warenverhältnis. Das antisemitische Weltbild sucht nach Faßbarem, nach Verkörperungen dieser abstrakten Bedrohungen. Also setzt es »Geld« an die Stelle von Ausbeutung und sucht sein Heil in Tauschringen. Also setzt es »Globalisierung« an die Stelle fortschreitender Vergesellschaftung und erklärt sich die eigene Malaise mit der Bedrohung des »guten«, produktiven heimischen Kapitals durch das spekulative »internationale Finanzkapital«. Also sucht es eine Gruppe von »Profiteuren«, menschliche Verkörperungen dieser angsteinflößenden, abstrakten Bedrohung. Diese Gruppe bedarf - im antisemitischen Weltbild im Gegensatz zum rassistischen - keiner gemeinsamen äußeren Merkmale. Es muß nur eine Bezeichnung für sie durchgesetzt werden - deshalb der Judenstern3 .

Beim 5. Aktionstag im Juni geriet dann ein gedankenlos-satirisch aufgezogenes »Arbeitslosen-Gelöbnis« am Marx-Engels-Forum zu gruseligem, selbstverarschenden Probehandeln. Eine Schar in blaue Müllsäcke gehüllter »Arbeits-Looser« mit Schrubbern und Strohhüten ließ sich von einem »Arbeitslosen-Hauptfeldwebel« als »Wohlstandsmüll« zum Schwur bitten und marschierte in ungelenkem Gleichschritt hinter einer Art Standarte her, die auf schwarzem Grund ein um neunzig Grad verdrehtes rotes Arbeitsamts-Emblem im weißen Kreis zeigte. Allein Exaktheit, Geometrie und Farbwahl dieses seltsam inhaltsleeren Fetischs konnte einem schon die Fußnägel hochrollen, aber das fast ängstliche Nicht-sehen-wollen dieser - wahrscheinlich eher unbewußt produzierten - faschistoiden Symbolik auf Seiten ansonsten sehr verständiger Beobachter verursachte dann ein Vakuum in der Magengegend. Die Medien reagierten exakt wie oben beschrieben.

Beim 6. Aktionstag in Berlin-Friedrichshain rückte die soziale Realität der Erwerbslosigkeit wieder in den Vordergrund. »Vom Arbeitsamt zum Sozialamt - kein langer Weg« war das Motto der Veranstaltung und die Demonstrierenden forderten auf ihrem Leittransparent: »Schluß mit der sinnlosen Arbeiterei - 1.500 DM + Warmmiete = Existenzgeld« und attackierten mit Farbbeuteln ein Neonazi-Lokal. Die taz dokumentierte den Zug mit einem Foto der oben beschriebenen »Arbeitslosen-Standarte« samt Träger.

Im August gingen die Proteste baden und im Oktober scheiterte der Plan, die »reichen Schmarotzer im Grunewald« (0-Ton aus dem Erwerbslosen-Plenum) zu besuchen - die »Bewegung« hatte sich totgelaufen. Dieses Abflauen der Proteste ist, neben der eklatanten organisatorischen Schwäche des Berliner Aktionsbündnisse, dem erbärmlichen Agieren der Gewerkschaften und Illusionen über die Wirkungen eines Regierungswechsels, maßgeblich auf die unbearbeiteten und in der Sache auch unüberbrückbaren politischen Widersprüche unter den Erwerbslosen zurückzuführen. Diskussionsversuchen linker AktivistInnen schlug eine mitunter feindselige Stimmung entgegen, die sich in ebenfalls symptomatischen Abwehrhaltungen äußerte: Da wurden »Intellektuelle« gegen »einfache Arbeitslose« gestellt und angebliche Unterschiede zwischen »Wessis und »Ossis« aufgemacht. Das daraus resultierende interne Gegeneinander führte zu einem uneinheitlichen, notdürftig verkleisterten äußeren Erscheinungsbild und darüberhinaus zur vielleicht entscheidenden Hemmung einer dynamischen Zunahme der Proteste: Die Rückkopplung zwischen »Volkes Stimme« und den bürgerlichen Medien in den oben beschriebenen ideologischen Bahnen blieb aus, und damit der erhoffte »Volksaufstand gegen die Arbeitslosigkeit«.

Wäre dieser zustande gekommen, und im Frühjahr lag das einige Monate in der Luft, die Linke hätte hilflos einer reaktionären Massenbewegung zur sozialen Frage gegenübergestanden, in der die Rechte wohl unwiderruflich das ideologische Kommando übernommen hätte. Nicht so sehr organisierte, erkennbare Neonazis, die von außen versuchen die Proteste zu instrumentalisieren, stellten bei den Erwerbslosenprotesten - zumindest in Berlin - das eigentliche Problem dar. Der beschriebene ideologische Boden dafür jedoch, der hegemoniale Diskurs über die Arbeitsplätze, die angeblich zu wenig da seien, und die erschreckend weit verbreiteten, tendenziell antisemitischen Deutungsmuster der ökonomischen Krise von Seiten der Betroffenen, sie bilden den politischen Knackpunkt von kaum zu überschätzender Brisanz. »Arbeit her !« - diese herrschende Redeweise über das Problem bildet die gemeinsame Basis der Rechten, der Konservativen, der Gewerkschaften, aber auch einer weitverbreiteten Tendenz traditionalistischer K-Gruppen.

Eine antifaschistische Linke, die hier nur auf das Eindringen organisierter Rechter schaut, die im Politikfeld Erwerbslosigkeit selbst sich zuspitzende diskursive Auseinandersetzung aber mit Mißachtung straft, gerät in Gefahr, ihrer ureigensten Aufgabe nicht gerecht zu werden: Der konsequenten Bekämpfung antisemitischer und faschistischer Tendenzen. Sie ließe aber auch eine ziemlich einmalige Chance vorüberziehen, in dieser - den Kern der aktuellen gesellschaftlichen Probleme treffenden - Auseinandersetzung linksradikale Politik wieder auf eine politische Basis zu stellen.

  • 1AAB: Vorsicht Nazis auf Erwerbslosenprotesten. Flugblatt, Berlin März 1998
  • 2SZ vom 5.3.1998
  • 3Dazu grundlegend Moishe Postone: Nationalsozialismus und Antisemitismus - ein theoretischer Versuch