Von Kollaboration und Rehabilitierung
Jelena Durcinovic, Übersetzung: Ulysses»Wer die Vergangenheit kontrolliert,
kontrolliert die Zukunft:
wer die Gegenwart kontrolliert,
kontrolliert die Vergangenheit.«
George Orwell
Geschichte als Wissenschaft ist ständiger Revision ausgesetzt, die revisionistische Geschichtsschreibung ist dagegen konstant von politisch motivierter Neuschreibung der Geschichte geprägt. In ehemals sozialistischen Ländern wird der Sozialismus stets revisionistisch neuinterpretiert und stigmatisiert. Zudem findet eine Rehabilitierung der Menschen und Werte statt, von denen man dachte, sie durch den Kommunismus überwunden zu haben. Diese Menschen setzen praktisch, ihrer »alten« Ideologie entsprechend, in der Kontinuität jener Werte an. Dies geschieht zeitgleich mit der Ablehnung des Antifaschismus als Wert sowie dem Herunterspielen der Wichtigkeit der Roten Armee und der jugoslawischen Partisanen im Kampf gegen den Faschismus. In Jugoslawien wurde der Nationale Befreiungskrieg glorifiziert, der Antifaschismus war Staatsräson. Nach Titos Tod begannen sich nationalistische Gesinnung und Bestrebungen auszubreiten, was das Zerbröckeln des Staates sowie den Untergang antifaschistischer Erinnerung zur Folge hatte. Der Anspruch einer nicht »kommunistischen« Vergangenheit verwirklichte sich durch den Wegfall der offiziellen Ehrung der Partisanen. Der Anti-Antifaschismus sowie der Antikommunismus nahmen ihren Lauf, wurden stärker und begegnen einem heute in Gesetzen und Geschichtsbüchern, in den Medien sowie im öffentlichen Diskurs in Serbien. Bezeichnend dafür ist die Rehabilitierung von Dragoljub Drazˇa Mihailovi´c, Anführer der serbischen nationalistisch-monarchistischen Cetnik-Bewegung, der nach dem Zweiten Weltkrieg wegen Verrates und Kollaboration mit den Okkupationsmächten zum Tode verurteilt wurde.
Kollaborateure werden gegenwärtig jedoch als Antifaschisten bezeichnet, da der kommunistische Antifaschismus als durch die kommunistischen Parteien sowie die Komintern aufgezwungen, verleumdet wird. Daraus wird geschlossen, dass der wahre Antifaschismus nationalisiert sein muss. In Serbien begründet sich daraus die Rehabilitierung der Cetnik-Bewegung und ihrer Anführer. Eine weit verbreitete Meinung ist, dass die Aktionen der jugoslawischen Partisanen nicht das Ziel der militärischen Auseinandersetzung und Befreiung von den Besatzern hatte, sondern vielmehr die Bekämpfung politischer Opponenten. Tatsächlich aber gab es eine antifaschistische Bewegung im serbischen Gebiet während des Zweiten Weltkrieges, nämlich die Volksbefreiungsarmee. Außer der Befreiung des Landes war es nötig, zwei Kollaborateursbewegungen daran zu hindern, ihren Einflussbereich zu erweitern bzw. überhaupt erst an die Macht zu gelangen und Nationalstaaten zu gründen: Die kroatischen Ustasa1
und die »Jugoslawische Armee im Heimatland« (Cetniks). Die Cetniks gaben ihr Bestreben, die Besatzer zu bekämpfen bald auf und verbündeten sich mit den Deutschen, um den Aufstieg der Partisanen, die durch die Kommunistische Partei angeführt wurden, zu verhindern. Hauptziel war es, einen großserbischen Staat zu gründen, der aus den Landesteilen Serbien sowie zu zwei Dritteln aus Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro und Makedonien bestehen sollte. Die Kommunistische Partei Jugoslawiens und die während des Volksbefreiungskampfes entstandenen Pläne für den föderalistischen Umbau Jugoslawiens bedrohten dieses Vorhaben. Der Konflikt der Partisanen mit den Cetniks gipfelte 1944 in der Schlacht um Serbien, als sich Mihailovi´cs Armee auf die Seite der Besatzer schlug. Die Cetnikbewegung war schlicht und ergreifend nicht antifaschistisch. Genauso verhält es sich mit den faschistischen Ustasˇa in Kroatien, die durch die systematische Ermordung von Juden, Serben, Roma, Kommunisten und anderer »unerwünschter« ethnischer oder religiöser Gruppen sowie durch die Kollaboration mit den Besatzern um jeden Preis einen größeren Nationalstaat errichten wollten. Die Cetniks unterstützten die Besatzer in vielen Gebieten, in denen sie organisiert waren. Mihailovi´c erklärte in seiner Strafverhandlung, dass er Partisanen in deutsche Konzentrationslager schicken ließ. Nicht zu vergessen die Schlacht von Neretva, bei der ca. 20. 000 Cetniks die deutschen und italienischen Divisionen im Kampf gegen die Partisanen unterstützten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Jugoslawien gegründet und bald begannen die Strafverfahren gegen Kollaborateure. Mihailovi´c wurde 1946 verurteilt und eingesperrt, seine Armeen wurden auch Jahrzehnte später als Verräter und Kollaborateure betrachtet.
2004 verabschiedete das serbische Parlament jedoch eine Gesetzesänderung des Grundrechts für Veteranen, nach der sowohl Partisanen wie auch Cetniks als serbische antifaschistische Bewegungen im Zweiten Weltkrieg bezeichnet werden. Dadurch haben Cetnik-Veteranen denselben Status wie Mitglieder der Volksbefreiungsarmee. Ein weiteres revisionistisches Gesetz, das Rehabilitierungsgesetz von 2006, beinhaltet die »Rehabilitierung von Menschen, die ohne Rechtsgrundlage und nur aufgrund von politischen oder ideologischen Gründen, mit oder ohne administrativen Beschluss, nach dem 6. Dezember 1941 getötet oder gefangen genommen wurden« und machte damit die Rehabilitierung derer möglich, die mit den Faschisten kollaborierten und deshalb von den Partisanen exekutiert oder inhaftiert wurden. Der Antrag zur Rehabilitierung von Mihailovi´c folgte, wie zu erwarten, nur wenige Zeit später. Die ersten Rehabilitierten waren die zwei kollaborierenden Offiziere Bogdan Lonc˘ar und Milenko Brakovi´c, die von dem Partisan und Freiwilligem im Spanischen Bürgerkrieg, Zikica Jovanovi´c Spanac am 7. Juli 1941 getötet wurden. Dieses Datum wurde später als Tag des Aufstandes des serbischen Volkes gefeiert, 2001 jedoch als offizieller Feiertag gestrichen und im Dunste des Revisionismus und Antikommunismus inzwischen als der Tag betrachtet, an dem die Serben einen Bürgerkrieg gegen ihre eigene Nation begannen. Folgende Feiertage haben in Serbien ebenfalls keinen offiziellen Status mehr: Der Tag des Sieges über den Faschismus, der Tag der Befreiung Belgrads und der Tag des Aufstandes (in Serbien). Daneben wurden Denkmäler, die der Nationalen Befreiungsfront gewidmet waren, zerstört und/oder entfernt.
Der Antrag auf Rehabilitierung von Mihailovic fordert die Annullierung des Gerichtsentscheids von 1946. Das Hauptargument lautet, dass das Strafverfahren durch das kommunistische Regime inszeniert worden sei und Mihailovi´c keine Möglichkeit einer fairen Verteidigung und eines neutralen Gerichtes gehabt habe. Trotz aller Proteste in Serbien und anderen Ländern in denen die Cetniks Völkermord begingen, ist es ziemlich wahrscheinlich, dass er rehabilitiert werden wird. Dies würde nicht nur die Anerkennung einer negativen historischen Figur, sondern auch die offizielle Akzeptanz der Ideologie und Praxis seiner Bewegung bedeuten. Mihailovi´c trug die Führungsverantwortung, weil er über die Aktionen seiner Einheiten, ihre Verbrechen an den Partisanen, deren Anhängern und auch an Zivilisten sowie über Aktionen der Kollaboration der örtlichen Kommandeure täglich unterrichtet wurde. Anstatt Kriegsverbrecher und Verräter zu bestrafen, bestätigte und belohnte Mihailovi´c diese. Somit war er selbst Teil der Kollaboration und nicht Opfer historischer Umstände, wie oft falsch dargestellt wird.
Das Vermächtnis dieser Bewegung zeigte sein hässliches Gesicht in den Kriegen der 1990er Jahre, die stark von Cetniksymbolen, -liedern und -parolen geprägt waren. Die heutigen Bewunderer der Cetniks marschieren weiterhin am Jahrestag des Massakers durch Srebrenica.2
Sie schänden damit das Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkrieges und der jugoslawischen Kriege in den 1990ern.
Die gerichtliche Rehabilitierung Mihailovi´cs (sie ist aktuell unterbrochen, um Beweise über seinen Tod zu sammeln) bedeutet die offizielle Rehabilitierung durch die Rechtsprechung. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass er politisch bereits vollkommen rehabilitiert ist.
Das Ganze ist nur ein Teil des Prozesses, der zur offiziellen Rehabilitierung weiterer faschistischer Kollaborateure aus dem Zweiten Weltkrieg führen wird. Die Rehabilitierung stellt Cetniks und Partisanen auf eine Stufe. Die aktuelle serbische Geschichtsschreibung spuckt damit in die Gesichter des jugoslawischen Antifaschismus und der Menschen, die gegen den Faschismus kämpften und heute noch kämpfen.