Ehemalige (rechte) Jugoslawien-Söldner auf freiem Fuß
Katja LihtenvalnerWährend der Jugoslawienkriege in den 1990er Jahren kämpften "Freiwillige" verschiedener Länder für die "Војска Републике Српске" („Armee der Republika Srpska“/ "Vojska Republike Srpske"/ VRS). Neben Russen und Bulgaren gesellten sich auch die sogenannten „griechischen Freiwilligen“ zu der ausländischen nicht-serbischen orthodoxen christlichen Koalition.
Der Begriff „Freiwillige“ sei jedoch völlig irreführend, so die Griechenland-Korrespondentin Ingeborg Beugel: „Das waren Söldner an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit, aber im griechischen Fall waren es Bürger, die von überall Geld bekamen“. Während des Jugoslawienkriegs berichtete Ingeborg Beugel für die niederländischen Medien und reiste oft nach Bosnien und Herzegowina. Im Jahr 2002 erstellte sie eine der wichtigsten Dokumentationen über die griechische Beteiligung am Jugoslawienkrieg mit dem Titel „Greek Way“. Die genaue Zahl der griechischen Paramilitärs in der bosnisch-serbischen Armee ist unbekannt, die Schätzungen schwanken zwischen 150 und 300 Soldaten.
Die ersten griechischen Kämpfer wurden in den VRS-Einheiten während der Belagerung von Sarajevo 1993 gesichtet. Nach einer Werbekampagne griechischer Medien, der griechisch-orthodoxen Kirche und neonazistischer Organisationen stieg ihre Anzahl jedoch rasch an. Bei ihnen handelte es sich es sich um Berufssoldaten, Söldnern und Mitgliedern der extremen Rechten mit Verbindungen zur faschistischen und inzwischen verbotenen Partei „Goldene Morgenröte.“
„Die vorherrschende Meinung ist immer noch, dass Griechenland in seinem nationalen Interesse gehandelt hat, indem es die Serben unterstützte“, erklärt der Journalist Takis Michas. Mit seinem Buch „Unheilige Allianz: Griechenland und Miloševićs Serbien“ schrieb Michas das wichtigste Zeugnis über die griechische Beteiligung am Jugoslawienkrieg. Erst vor sechs Jahren wurde die Unterstützung griechischer Paramilitärs beim Völkermord in Srebrenica 1995 einer größeren griechischen Öffentlichkeit bekannt, aber nur wenige Medien berichteten darüber. Heute beschäftigen sich nur noch wenige lokale Journalist_innen, Ermittler_innen, Wissenschaftler_innen und politische Aktivist_innen mit dem Thema.
Unsere Recherchen ergaben, dass griechische Paramilitärs, die in Jugoslawien gekämpft hatten, in extrem rechten Kreisen nach wie vor äußerst aktiv sind, während die griechische Justiz bis heute nichts unternommen hat, um ihre Beteiligung an den Kriegsverbrechen zu untersuchen und sie strafrechtlich zu verfolgen.
Kollektiver Konsens
„Das Phänomen der konsequenten Unterstützung des serbischen Regimes bei gleichzeitigem Wegsehen gegenüber den Verbrechen an unschuldigen Männern, Frauen und Kindern in Bosnien und im Kosovo war letztlich ein Volksphänomen“, argumentiert Michas. Er erklärt, dass die Griechen „Geschichten serviert bekamen, die sie hören wollten“. Während des Krieges in Bosnien und Herzegowina schickte Griechenland regelmäßig Journalist_innen, um über den Krieg zu berichten, doch nur aus serbischer Perspektive. „Ich erinnere mich noch, als Sarajevo bombardiert wurde, berichteten die griechischen Medien nur, dass Sarajevo bombardiert wurde, ohne zu erwähnen, wer hinter der Bombardierung steckte“, erzählt Vassilis Tsarnas, Mitglied von „Greek Helsinki Monitor“. Tsarnas erinnert sich, dass er in den 1990er Jahren Mitglied einer anarchistischen Gruppe war: „Als Reaktion auf die voreingenommene Berichterstattung der griechischen Mainstream-Medien begannen wir, unsere eigenen Texte zu verfassen und sie an die Öffentlichkeit zu bringen“.
Während die griechischen Medien extrem schlechte Arbeit leisteten, unterstützten Politiker_innen der regierenden rechtskonservativen "Νέα Δημοκρατία" („Nea Dimokratia“), der sozialdemokratischen ΠΑΣΟΚ (PASOK) und des Oppositionspartners "Κομμουνιστικό Κόμμα Ελλάδας" („Kommunistische Partei Griechenlands“), die das Regime verehrten, den Präsidenten Слободан Милошевић (Slobodan Milošević) noch bis zu seiner Verhaftung und Auslieferung an das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag im Jahr 2001.
Während die Welt von den erschütternden Szenen des Jugoslawienkriegs schockiert war, wurde der mutmaßliche Drahtzieher der Verbrechen, Радован Караџић (Radovan Karadžić) in Griechenland als Held gefeiert und ihm zu Ehren große Zeremonien veranstaltet, zum Beispiel 1993 organisiert von der griechisch-orthodoxe Kirche. Das gesamte politische Establishment war damals anwesend. Karadžić bedankte sich mit den Worten: „Alle sagen uns, wir sollen unsere Waffen niederlegen, weil wir allein sind. Wir sagen nein, wir sind nicht allein. Wir haben Gott und die Griechen an unserer Seite“.
Im heutigen Griechenland versucht vor allem die progressive Linke die Beteiligung griechischer Milizionäre an den Verbrechen in Jugoslawien kritisch aufzuarbeiten. Immer wieder gab es auch Versuche die Paramilitärs vor Gericht zu stellen.
Kein Interesse der Justiz an einer Strafverfolgung
Im Jahr 2005 forderte der Abgeordnete Andreas Andrianopoulos eine Untersuchung der Beteiligung griechischer Milizionäre in Srebrenica. Zeitgleich forderten 163 Akademiker_innen, Politiker_innen, Journalist_innen und politische Aktivist_innen die griechische Regierung dazu auf, sich offiziell bei den Familien der Opfer von Srebrenica für die Anwesenheit in dem Gebiet des Massakers zu entschuldigen. Sie konstatierten, die Öffentlichkeit sei über die Allianz mit den bosnisch-serbischen Streitkräften falsch informiert worden und forderten den Staat auf, die Milizionäre anzuklagen. Im Jahr 2005 schloss die Staatsanwältin Athina Theodoropoulou die Akte jedoch mit der Erklärung: „Die Identität der Täter wurde nicht aufgedeckt“, obwohl die Namen in den Akten, das Fotomaterial und die Aussagen der Täter mit ihrem eigenen Wissen veröffentlicht wurden.
2014 forderte die Abgeordnete Maria Yiannakaki, Mitglied der linken Partei "Δημοκρατική Αριστερά" ("Dimokratiki Aristera"), Antworten vom Justizminister Haralabos Athanasiou. „Ich wollte wissen, was mit der gerichtlichen Untersuchung der Beteiligung von Griechen an solch schweren Verbrechen geschehen ist“, erinnert sie sich. Die Antwort, die sie erhielt, war die gleiche, die Theodoropoulou vor fast zehn Jahren geschrieben hatte. Doch Yannakaki gab nicht auf. 2017 wurde sie Sekretärin des Justizministers in der ersten progressiven Regierung unter Aleksis Tsipras und bat darum, die Unterlagen erneut einsehen zu dürfen. „Wir sprechen hier über das größte Verbrechen, das nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa geschehen ist.“, sagte sie frustriert. „Die Akte ist definitiv archiviert, sagte mir der Staatsanwalt. Da die Identität der Täter bekannt ist, kann der Staatsanwalt den Fall eröffnen, wann immer er will“, betont Yannakaki.
Enttäuscht ist auch Vassilis Tsarnas, der zusammen mit „Helsinki Monitor“ seit Jahren versucht, die Paramilitärs vor Gericht zu bringen. „Nachdem wir vom Staatsanwalt 2015 nicht angehört wurde, beantragten wir eine weitere Anhörung“, erinnert er sich. Sie erhielten dieselbe Antwort. Die Justiz zeigte kein Interesse an einer Strafverfolgung der griechischen Paramilitärs, die bis heute frei herumlaufen.
Kriminelle Banden und Leugnung des Völkermords
Beunruhigend bleibt die Tatsache, dass Männer, deren Namen auf der Liste der Paramilitärs stehen, die an den Verbrechen der bosnisch-serbischen Armee beteiligt waren, weiterhin mit ihrer Zeit im Krieg öffentlich prahlen können. Ein Kommandeur einer griechischen Einheit in Сребреница (Srebrenica) verweist bis heute stolz in den sozialen Medien auf seine Zeit in Bosnien und Herzegowina. Er spricht in öffentlich zugänglichen Chats darüber und zeigt auf mehreren Social Media-Profilen ein Titelfoto mit den Kriegsverbrechern Ratko Mladić und Zvonko Bajagic. Ein weiterer griechischer Ex-Söldner betätigt sich als Schriftsteller, Redner und Leugner des Völkermords: „Vor ein paar Tagen wurde uns wieder die bekannte Propaganda über das Völkermord-Massaker präsentiert.“, schrieb er kürzlich auf seinem Social Media-Profil. Ein anderes Mitglied der Paramilitärs ist in den sozialen Medien unter den ultra-rechten Junta-Nostalgikern zu sehen, die Militärchef Papadopoulos loben. Ein weiterer ist bei der Durchführung von Militärausbildungen, auch in Serbien, zu finden.
Während Griechenland sich noch immer nicht bei den Opfern der Jugoslawienkriege entschuldigt hat, bleibt die entscheidende Frage offen: Wann werden die griechischen Behörden bereit sein, ihre gewalttätigen Söldner, die derzeit den Status einer „persona grata“ genießen, strafrechtlich zu verfolgen?