Faschistisches Potential in Serbien. Ein Bericht aus Niš
Eine kleine Gruppe junger Antifaschist_innen aus der südserbischen Stadt Niš hat uns einen Bericht über die Situation in ihrer Stadt und in Serbien allgemein geschrieben. Wir dokumentieren ihn gerne an dieser Stelle.
Wenn man einen durchschnittlichen Serben fragen würde, was er über Faschismus in Serbien denkt, so würde er wahrscheinlich sagen, dass es so etwas nicht gibt oder er 1945 ausgestorben sei; nichtsdestotrotz würde er gleichzeitig sagen, dass er Ratko Mladić1 unterstützt, dass er nichts gegen Angriffe auf die Gay Parade hat und dass alle Roma schmutzig sind und klauen. Es gibt nur wenige NGOs, die sich gegen Faschismus wenden.
So wie vermutlich an vielen Orten auf der Welt gibt es auch in Serbien eine Zusammenarbeit zwischen der Polizei und Faschisten. Eines der deutlichsten Beispiele in Serbien ist die klero-faschistische Organisation »Obraz«2 . Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Hauptverantwortung für deren Gründung die Staatssicherheit Serbiens3 trägt. Polizei und Staat tolerieren deren Gewalt auf den Straßen, da sie wissen, dass sie in naher Zukunft diese Leute für die Drecksarbeit brauchen werden.
Wir wollen ein offensichtliches Beispiel für deren Zusammenarbeit geben: Am 7. April 2009 kam es in Novi Beograd zu einem schweren Überfall durch 30 bewaffnete Neonazis auf die »Karton-City«, eine überwiegend von Roma bewohnte Slum-Siedlung. Die Polizei griff nicht ein. Lokale Machthaber und Großunternehmer hatten das Gelände für den Bau eines Komplexes der Universiade (Internationale Weltsportspiele der Studenten) vorgesehen. Drei Tage zuvor hätte mit dem Abriss begonnen werden sollen, die Bewohner lebten jedoch noch hier, sie hatten noch keine Alternativ-Wohnungen. Natürlich wurde dieser Vorfall nie geklärt; aber Polizisten, welche dort anwesend waren und angeblich die Siedlung geschützt haben, sagten aus, dass sie sich nicht einmischen durften. In jenen Tagen war es immer wieder zu pogromartigen Szenen und Überfällen gekommen, in der Bevölkerung herrschte eine sehr Roma feindliche Stimmung.
Gay Pride 2010 in Belgrad und serbische Hooligans in Italien
Nach dem gescheiterten Versuch einer Gay Pride 2001 wurde erst neun Jahre später ein neuer Versuch unternommen. Dieses Mal hatte der Staat mit 6000 Polizist_innen alle verfügbaren Kräfte eingebunden, um die Parade zu schützen. Auf diese Art sollte sich einerseits einer EU-Mitgliedschaft würdig erwiesen und gezeigt werden, dass Serbien ein »nicht-homophobes« Land sei. Andererseits ging es darum, das staatliche Gewaltmonopol unter Beweis zu stellen. Das wurde dadurch bestätigt, dass die Gay Parade trotz der großen Zahl von Gegnern (ein Mob von ultra-rechten Organisationen, orthodoxen Christen und anderen Homophoben), welche auf die Straßen gingen und die »halbe Stadt« zerstörten, ohne verletzte Teilnehmer_innen stattfinden konnte.
Ein weiterer, international bekannt gewordener Vorfall ereignete sich am 12. Oktober 2010, als serbische Fußballhooligans vor der EM-Qualifikationspartie im »Luigi Ferraris Station« in Genua (Italien) einen Torwart attackierten und ihre Aktionen im Stadion fortsetzten. Das Spiel begann verspätet und kurz nach Anpfiff war es auch schon wieder vorbei. Bereits in der 6. Spielminute war der Schiedsrichter gezwungen, das Duell zwischen Italien und Serbien abzubrechen. In der Spielübertragung war deutlich sichtbar, wer die Vorfälle maßgeblich initiiert hat. Der 28-jährige Ivan Bogdanov, ein kräftiger Typ mit einem Haufen Tattoos und einer Sturmhaube auf dem Kopf, hielt eine bengalische Fackel und eine Zange in den Händen, mit der er das Netz zur Tribüne zerschnitt. Die Bilder von ihm gingen um die Welt.
Italienische Carabinieri wollten mit ihm keine Auseinandersetzung im Stadion haben, vermutlich um größere Zwischenfälle zu vermeiden. Die italienische Polizei nahmen ihn sowie weitere 16 Personen, von denen nicht alle Hooligans waren, nach dem Spiel fest. Die meisten wurden allerdings schnell wieder entlassen, unter ihnen auch Leute aus Niš.
Bogdanov war bereits 2004 bei Ausschreitungen gegen die Unabhängigkeit des Kosovo aufgefallen und gehörte zu einer Gruppe, die 2008 bei einer nationalistischen Kundgebung unter dem Motto »Kosovo ist Serbien« die US-Botschaft in Brand steckte. Während er früher ein nützlicher Idiot nationalistischer Politiker war, gilt er nach dem Vorfall in Genua als Schmuddelkind. Hooligans des Roten Stern Belgrad haben eine lange Geschichte als fünfte Kolonne der Nationalisten. So rekrutierte der später ermordete Kriegsverbrecher Željko »Arkan« Ražnatović zu Beginn der 1990er Jahre die im Jugoslawienkrieg berüchtigte Miliz der Serbischen Freiwilligengarde auch aus ihren Reihen. Das was in Genua passierte, ist die größte Schande in der Geschichte des serbischen Fußballs und wird schwere Konsequenzen sowohl für die Nationalmannschaft als auch für die Fußballclubs haben. Das Spiel wurde 3:0 für Italien gewertet. Das folgende Heimspiel gegen Nordirland musste vor leeren Tribünen ausgetragen werden, für die restlichen Spiele der EM-Qualifikation durften keine Auswärtstickets mehr an ihre Fans verkauft werden und es wurde eine Strafe von 120.000 Euro verhängt. Durch erneute Ausschreitungen beim Spiel gegen Estland, das eigentlich ohne serbische Fans hätte stattfinden müssen, wird wohl ein weiteres Heimspiel in leerem Stadion folgen.
Rechte Organisationen und Gruppen in Serbien und in Niš
Die internationale militante Neonazi-Organisation Крв и Част (Blood and Honour)4 , welche Rassismus, Antisemitismus und Antikommunismus durch Musik und Publikationen propagiert, ist in Serbien stark vertreten. In Niš gibt es zwar einzelne Anhänger von ihr, doch ihre Arbeit wurde in unserer Stadt noch nicht besonders bemerkt. Deutlich aktiver war sie vor ca. zehn Jahren. Die meisten ihrer Mitglieder gingen in die 2005 gegründeten Nacionalni Stroj über. Deren Gründung ist Ergebnis der Bemühungen heimischer Neonazis um radikalere Kampfformen. Sie soll ihnen einen deutlich organisierteren und politischen Charakter zu verleihen sowie den Weg für die Organisation einer legalen neonazistischen Partei in Serbien zu bereiten. Hiermit hatten sie Ende 2007 Erfolg. Es entstand die Partei Novi Srpski Program (NSP). Eine wichtige Figur ist hier der Parteisekretär Goran Davidović, genannt Firer (dt.: Führer), der Autor des Buches »Der Fall Nacionalni Stroj« ist.5 Vor allem ist Nacionalni Stroj jedoch für die Anwendung von Gewalt gegenüber Menschen anderer Herkunft, Staats- oder Religionszugehörigkeit bekannt.
Eine Organisation, die eher eine klero-faschistische Ausrichtung hat, ist Otačastveni pokret Obraz (Patriotische Bewegung). Sie setzt sich für ein politisches System nach dem Modell von Milan Nedić und Dimitri Ljotić (Kollaborateure im Zweiten Weltkrieg) ein. Bei fast allen ihren Aktionen lassen sich Vertreter der serbischen orthodoxen Kirche blicken. Ihr Anführer ist Mladen Obradović. Wie bereits erwähnt, wurden sie vermutlich von der Staatssicherheit Serbiens gegründet.
Srpski Narodni Pokret 1389 (Serbische Nationale Bewegung 1389)6 ist auf der Demagogie zum Kosovo-Mythos und dem orthodoxen Klerikalismus gegründet. Sie gewinnt seit der Unabhängigkeit des Kosovo an Bedeutung. Ihre Mitglieder versuchen militanten Nationalismus und die nostalgische Verherrlichung der Kriege, die Jugoslawien vor ca. 20 Jahren zerstört hatten, als Patriotismus zu tarnen. Sie setzen sich für nationalen Revanchismus sowie eine Verehrung von Kriegsverbrechern ein. Ihr Anführer ist Miša Vacić. Die Organisation hat einen Beschluss zu einer Unterschriftenaktion gefasst, um sich als politische Partei anzumelden und bei den nächsten Parlamentswahlen anzutreten.
Neben diesen Organisationen gibt es eine Menge Fußballfan-Gruppen, bei denen die Mehrheit der Mitglieder offen oder versteckt zu Rassismus und Nationalismus, bis hin zum Lynchen von Minderheiten aufrufen. In Niš sind vor allem NZC (Niš-Fanclub des Erstligisten Crvena Zvezda aus Belgrad), Cartel 1970 (Niš-Fanclub, der Partizan Belgrad unterstützt) und Meraklije (Fans des Arbeitervereins FK Radnički Niš) aktiv. Viele der Fans tragen patriotische bzw. nationalistische Symbole auf Transparenten und auf ihrer Kleidung. Eine explizit rechte Fan-Gruppe in Serbien ist United Force. Das sind Fans des FK Rad (Fußball Club Arbeit) aus Belgrad, die für die Propagierung von Neonazismus und Rassismus sowie extreme Gewaltanwendung bekannt sind.
Kontakte zu Faschisten aus anderen europäischen Ländern werden vor allem von Mitgliedern der Gruppe Blood & Honour gehalten, da die Organisation aus einem großen internationalen Netzwerk besteht. Außerdem ist bekannt, dass rechte Gruppen Kontakte zum Beispiel zu der russischen »Obraz« und der griechischen »Goldenen Morgenröte« pflegen. Diese Zusammenarbeit basiert vor allem auf der gleichen, nämlich orthodoxen, Ausrichtung des christlichen Glaubens, wobei Parolen wie »orthodoxe Brüder« oder »gleiches Volk – gleicher Glaube« verwendet werden.
Faschistische Gewalt und Dominanz an den Universitäten in Niš
Was die Universität in Niš angeht, so studieren die meisten Faschisten an der Philosophischen Fakultät. Über ein paar von ihnen wissen wir, dass sie Mitglieder der Neonazi-Organisation »Nacionalni Stroj« sind. Die meisten von ihnen studieren am Institut für Geschichte, obwohl es sie auch in anderen Fachbereichen wie Philosophie, Pädagogik etc. gibt. Neben denjenigen, die nicht verstecken, dass sie Faschisten sind, teilt eine große Zahl der Studierenden an der Philosophischen Fakultät die gleichen Ansichten, obwohl sie sich niemals so nennen würden. Sie benutzen gesellschaftlich mehr akzeptierte Termini wie Nationalisten, Rechte oder Patrioten. Selbst die Spitze des studentischen Parlaments besteht aus solchen Leuten, so dass die Veranstaltungen, die an der Fakultät organisiert werden, vor allem entsprechende Themen haben.
Darüber hinaus gibt es in Niš keinen Ort, von dem sich sagen lässt, dass es ein fester Treffpunkt faschistischer Gruppierungen ist. Trotzdem gibt es einen Club (»Feedback«), in welchem zwei Neonazi-Skinheads als Sicherheitsleute arbeiten, einer von ihnen ein aktives Mitglied des »Nacionalni Stroj«. Dadurch ist auch seine Clique dort häufig zu Gast. Der Umstand wird dadurch noch trauriger, dass es sich eigentlich um einen Club handelt, in dem die Gäste, DJs und Bands als alternativ gelten. Dass sich jedoch niemand gegen diesen Zustand ausspricht, ist bezeichnend für die Situation in Niš, wo die Leute kein Problem mit Faschisten oder Angst vor ihnen haben und sie nicht als ein ernstes Problem in der Gesellschaft wahrnehmen. Wir haben mehrmals erfolglos E-Mails an den Betreiber und Bands, die dort spielen, geschrieben und dem Publikum das Problem dargestellt. Einmal haben wir dann die Sache in die eigenen Hände genommen und ein großes Graffiti an eine Clubwand gesprüht, es wurde jedoch kurz darauf entfernt.
Auf den Straßen ist das Bild noch deutlicher: Jeder, der sich öffentlich gegen sie oder ihre Ideologie, Rassismus, Christentum, die Idee von Groß-Serbien etc. ausspricht, wird automatisch zur Zielscheibe von »rassisch und national bewussten« Aktivisten. Häufige Drohungen, Zerstörung von Eigentum, körperliche Angriffe unter Benutzung von Hieb- und Stichwaffen sind ihre Methoden. Die meisten Opfer, die in den Fokus der Faschisten geraten, sind von uns oder gehören zu unseren Freund_innen- bzw. Bekanntenkreisen. Ebenfalls häufig sind Störungen von Musikveranstaltungen, bei welchen Anarcho- und Antifa-Bands auftreten. Fast all ihre Angriffe führen sie aus, wenn sie zahlenmäßig überlegen sind.
Antifaschistische Aktion in Niš
Es gibt eine informelle Gruppe von momentan ca. zehn Personen, die versucht, auf die wachsende Verbreitung von Faschismus und Neonazismus sowohl in Niš als auch in ganz Serbien aufmerksam zu machen und zum Kampf dagegen aufruft.
Da die Gruppe klein ist und sich selbst finanziert, bestehen die Aktionen vor allem in der Gestaltung von Aufklebern, dem Aufhängen von Transparenten und Graffiti-Sprühereien in der Stadt. Zu den Transpis und Graffitis, welche sich gegen die faschistische Ideologie und alles, was sie anzieht, richten, hatten wir auch einige Aktionen zu konkreten Anlässen (z.B. 9. November, Unterstützung russischer Antifas, Thematisierung der Verbrechen der christlichen Kirche zu großen kirchlichen Feiertagen...). Zudem haben wir Musikveranstaltungen mit serbischen und internationalen Anarcho- und Antifa-Bands organisiert.
- 1Ein ehemaliger bosnisch-serbischer General und Oberbefehlshaber der bosnischen Serbenrepublik »Republika Srpska«. Er ist wegen Völkermordes, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem UN-Tribunal in Den Haag angeklagt, u.a. wegen des Massakers von Srebrenica.
- 2Das Wort »Obraz« läßt sich nur schwer übersetzen. Die eine Bedeutung ist Wange; im übertragenen Sinne soll das so etwas wie Charakter oder Moral bedeuten. Oft wird es als »Antlitz« oder »Ehre« übersetzt und letzteres ist vermutlich auch am ehesten das dt. Äquivalent.
- 3Bei der seit 1993 bestehenden Organisation wird staatliche Steuerung oder zumindest Kontrolle vermutet, sie lässt sich aber nicht belegen.
- 4Innerhalb der europäischen Neonazi-Szene galt nach Aussagen von Szene-Insidern Dimitrij Ljotic als ein Ansprechpartner für B&H Serbia.
- 5Davidović wurde am 3. Februar 2010 auf Grund eines internationalen Haftbefehls wegen Volksverhetzung in Bayern verhaftet und nach Serbien ausgeliefert.
- 61389 ist die Jahreszahl der Schlacht auf dem Amselfeld im Kosovo. Hier kämpften Serben und Bosnier gegen die Osmanen. Um die Schlacht ranken sich viele Mythen, sie ist einer der wichtigsten Bezugspunkte des serbischen Nationalismus.