Runder Geburtstag der Bombardierung
AK Antifa MagdeburgDer Magdeburger „Gedenkmarsch“ und die regionale Neonaziszene
Eine politische Einschätzung der jährlichen Neonazidemonstration, ihrer Verankerung in der regionalen Szene und den Bedingungen einer antifaschistischen Intervention für Januar 2015.
Auch 2014 wurde der sogenannte „Gedenkmarsch“ in Magdeburg durch ein massives Polizeiaufgebot und den flexiblen Einsatz mehrerer Ausweichrouten durchgesetzt. Mit rund 900 Neonazis im Stadtgebiet pegelte sich die Teilnehmendenzahl auf einem konstant hohen Niveau ein.
Die Anfänge des „Gedenkmarsches“ liegen in der Beteiligung Magdeburger Neonazis an der städtischen Gedenkveranstaltung, welche anlässlich der Bombardierung Magdeburgs 1945 jedes Jahr am 16. Januar stattfindet. Nach einer Distanzierung der bürgerlichen Trauerkundgebung von ihrem neonazistischen Flügel, führten die Neonazis eigene Gedenkkundgebungen durch, aus welchen sich der seit 2001 stattfindende „Gedenkmarsch“ entwickelte. Im Januar 2015 jährt sich die Bombardierung der Stadt zum 70. Mal, wodurch mit einer weiteren Steigerung der Teilnehmendenzahl zu rechnen ist.
Die „Initiative gegen das Vergessen“
Der „Gedenkmarsch“ wird von der 1999 gegründeten „Initiative gegen das Vergessen“ organisiert. Diese bildete sich aus Mitgliedern der Kameradschaft „Festungsstadt Magdeburg“, welche später als „Nationale Sozialisten Magdeburg“ auftrat. Zwischen der „Initiative“ und den Organisator_innen des „Trauermarsches“ in Dresden gibt es eine enge Zusammenarbeit, was sich u.a. in einer gemeinsamen Internetseite ausdrückt.
Aus der Gründergeneration der „Initiative gegen das Vergessen“ übernehmen die früheren NPD-Kandidaten Tino Steg und Christian Schwidder regelmäßig Ordneraufgaben auf den „Gedenkmärschen“, so auch am 18. Januar 2014. Drei weitere Neonazis präsentieren sich öffentlich für die „Initiative“: Andy Knape, Andreas Biere und Sascha Braumann.
Andy Knape ist das wahrnehmbarste Gesicht der „Initiative“. Die Organisation der Demonstration und dessen Etablierung im Szenekalender geben seiner NPD-Karriere Auftrieb. Knapes Arbeitsschwerpunkt hat sich in den letzten Jahren von der Region Magdeburg auf die Bundesebene der NPD verlagert. Er ist Mitarbeiter der Fraktion im Sächsischen Landtag, leitet den bundesweiten NPD-Ordnerdienst, ist seit 2012 Bundesvorsitzender der JN und hat einen Beisitz im Bundesvorstand der NPD. Knape war 2013 und 2014 Anmelder des „Gedenkmarsches“.
Andreas Biere war der führende Kopf der 2007 aufgelösten Kameradschaft „Festungsstadt Magdeburg“. Ein Blick auf seine Vergangenheit zeigt deutlich, wie fest der 36-Jährige Klein Wanzlebener in der Szene verankert ist. Anfang 2001 reiste Biere gemeinsam mit einem weiteren Mitglied des „Selbstschutz Sachsen-Anhalt“ nach Südafrika und besuchte in der Region um Kapstadt ein neonazistisches „Trainingszentrum“ (vgl. Nr. AIB Nr. 99). Zeitweise war Biere stellvertretender Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes Magdeburg und zudem in „Blood and Honour“-Strukturen eingebunden. Derzeit tritt er mit Redebeiträgen, Vorträgen und Publikationen in Erscheinung. Biere ist Herausgeber des einschlägigen Magazins „Ein Fähnlein“ und veröffentlichte allein im NPD-nahen „Nation und Wissen“ Verlag zehn Bücher mit NS-Biographien, vorwiegend von SS-Mitgliedern. Am 18. Januar 2014 hielt er einen Redebeitrag auf der Zwischenkundgebung und leitete die Schweigeminute an.
Der dritte öffentlich präsente Aktivist der „Initiative gegen das Vergessen“ ist Sascha Braumann, welcher ebenfalls eine typische Magdeburger Neonazi-Laufbahn vorweisen kann. Er organisierte Konzerte für „Blood and Honour“ und spielte selbst als Bassist in der NSHC Band „System Coffin“. Nach der Auflösung der Kameradschaft „Festungsstadt Magdeburg“ 2007 trat er der NPD bei und kandidierte 2009 für den Magdeburger Stadtrat. Im Januar 2013 meldete Braumann einen zweiten Termin für den „Gedenkmarsch“ an, welcher in antifaschistischen Kreisen für Verwirrung sorgen sollte. In diesem Jahr übernahm er Ordneraufgaben.
Entwicklungen in der regionalen Naziszene
Obwohl der „Gedenkmarsch“ die sichtbarste und konstanteste neonazistische Veranstaltung in der Region ist, entwickelt sich die Neonaziszene unabhängig von diesem weiter. Die politische Entwicklung von Biere und Braumann stehen stellvertretend für viele organisierte Magdeburger Neonazis: um 2007 herum lösten sich Teile der Kameradschaftsstrukturen auf. NPD und JN bekamen starken Zuwachs. In den folgenden Jahren war die NPD die dominierende neonazistische Struktur in der Region. Die Landtagswahl 2011 wurde vom NPD-Spitzenkandidaten Matthias Heyder als „Schicksalswahl für die gesamte nationale Bewegung in Deutschland“ ausgerufen und mit bundesweiter Unterstützung geführt. Das Ergebnis von 4,6 Prozent zerlegte den Landesvorstand und schwächte die Partei nachhaltig. Heute steht die NPD Sachsen-Anhalt ohne fähige Kader, ohne Landesgeschäftsstelle und ohne politische Perspektive da.
Andere neonazistische Gruppen in der Region gewinnen seit 2011 wieder an Bedeutung. So machten die „Freien Kräfte Magdeburg-Schönebeck“ in den vergangenen zwei Jahren mit einer Demonstration am 26. Januar 2013, konstanter Beteiligung an bundesweiten Neonazidemonstration und zahlreichen Übergriffen auf sich aufmerksam. Mitglieder der Gruppe waren u.a. an einem rassistischen Übergriff am 31. August 2013 beteiligt, der jedoch mit Stich- und Schnittverletzungen bei den angreifenden Neonazis endete. Dass die meisten Angeklagten im aktuellen Bernburg-Prozeß ebenfalls aus Schönebeck kommen, scheint in diesem Zusammenhang kein Zufall. In Bernburg wurde am 21. September 2013 ein Imbissbetreiber von neun Angreifern rassistisch beleidigt und anschließend schwer verletzt. Ob Mitglieder der „Freien Kräfte Magdeburg-Schönebeck“ tatsächlich beteiligt waren, wird der Verlauf des Prozesses zeigen.
Neben explizit neonazistischen Gruppen sorgen auch Entwicklungen am Rande der NS-Szene für Unbehagen. So soll Florian B., der einen Ruf als Neonazi-Hooligan genießt, den Motorrad Club „Division 39 Magdeburg“ gegründet haben. Das Logo des Vereins, welches 2013 auf den Kutten der Mitglieder sowie auf der Facebook-Seite der „Division“ in Erscheinung trat, bestand aus einem SS-Totenkopf mit dem Schriftzug „Division 39“. Die 39 bezieht sich dabei auf die Postleitzahl der Region. Als Reaktion auf antifaschistische Veröffentlichungen verschwand die Seite aus dem Netz. Seit Februar 2014 ist die Facebook Seite wieder öffentlich. Das neue Logo der „Division“ enthält keinen SS-Totenkopf mehr. Es bleibt abzuwarten, ob die „Division 39“ ein kontinuierliches Projekt wird und wie neonazistisch sie ihr Profil gestaltet.
Verhinderung des „Gedenkmarsches“: Blockade, Bratwurst, Antifa?
Die bürgerlichen Protestformen gegen den „Gedenkmarsch“ unterliegen in den letzten Jahren einem langsamen, aber stetigen Wandel. Beweis dafür waren in diesem Jahr die sogenannten „Meilensteine der Demokratie“, welche vom „Bündnis gegen Rechts“ organisiert wurden und als Anlaufpunkte für friedliche Blockaden dienten. Mit „Block MD“ trat 2014 erstmalig ein Blockadebündnis auf die Bühne, welches nicht von Antifa-Gruppen initiiert wurde, sondern sich aus Partei- und Gewerkschaftsstrukturen zusammensetzt. Auch wenn die bürgerlichen Blockaden den „Gedenkmarsch“ am 18. Januar 2014 kaum beeinträchtigten, scheint dieser Protest für die Verhinderung des Aufmarsches zukunftsweisend. Für antifaschistische Gruppen besteht die Gefahr, in der politischen Beliebigkeit staatstragender Bündnisse und friedlicher Sitzblockaden unterzugehen.
Der AK Antifa strebt für Januar 2015 eine bundesweite antifaschistische Mobilisierung gegen den „Gedenkmarsch“ an, die in einem solidarischen Verhältnis zu bürgerlichen Blockadeakteur_innen steht, jedoch auf eigene Aktionskonzepte und klar formulierte politische Inhalte setzt. Das Ziel der Kampagne ist es, den bundesweiten „Gedenkmarsch“ zu verhindern und zugleich antifaschistische Strukturen in der Region Magdeburg zu stärken.