Was wollen Nationalisten im Europaparlament?
Carsten HübnerDie parlamentarische Praxis im Europaparlament unterscheidet sich erheblich von nationalen Parlamenten. Den Parteien der extremen Rechten kommt das sehr entgegen. Sie können sich vor allem auf die Politik in ihren Heimatländern konzentrieren. Das Europäische Parlament dient ihnen insbesondere als Bühne.
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Europäischen Parlament eine bittere Wahrheit ins Stammbuch geschrieben, als es Ende 2011 erst die 5-Prozent-Hürde und im Februar 2014 schließlich auch die daraufhin vom Bundestag beschlossene 3-Prozent-Hürde gekippt hat. Denn wie zuvor schon bei seiner Entscheidung zur Aufhebung der Sperrklausel bei Kommunalwahlen ließ es in seiner Urteilsbegründung durchblicken, dass es sich beim Europäischen Parlament nicht um ein vollwertiges Parlament handele.
Parlament light
Zwar sei das Europaparlament auf dem Weg sich als institutioneller Gegenspieler der EU-Kommission zu profilieren, so eine Mehrheit der Verfassungsrichter. Diese Entwicklung könne aber noch nicht mit der Situation im Bundestag verglichen werden, „wo die Bildung einer stabilen Mehrheit für die Wahl einer handlungsfähigen Regierung und deren fortlaufende Unterstützung nötig ist“. Eine Sperrklausel sei deshalb gegenwärtig nicht erforderlich, „um die Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments zu erhalten“. Geklagt hatten mehrere kleinere Parteien, darunter die NPD.
Tatsächlich teilt sich das Europaparlament zwar die Gesetzgebungsfunktion mit dem Rat der Europäischen Union, es nimmt also europäische Richtlinien, Verordnungen und Gesetze an. Gleichzeitig verfügt es aber nicht über ein unmittelbares Initiativrecht, kann also keine eigenen Gesetzesvorlagen einbringen. Das Initiativrecht liegt allein bei der EU-Kommission, neben dem Rat das zweite von den nationalen Regierungen dominierte EU-Gremium.
Um diese Schieflage etwas abzumildern, ist es seit 2010 erklärter Wille, dass die Kommission aktiv werden muss, wenn sie von einer Parlamentsmehrheit dazu aufgefordert wird. Die Abgeordneten verfügen seither also zumindest über ein eingeschränktes bzw. mittelbares Initiativrecht.
Große Koalition mit System
Doch selbst dieses beschränkte Recht ist nicht so einfach wahrzunehmen. Denn für die Verabschiedung eines Beschlusses ist die absolute Mehrheit der gewählten — und nicht nur der anwesenden — Mitglieder des Europaparlaments notwendig. Damit kann das Parlament die notwendigen Mehrheiten faktisch nur durch eine Zusammenarbeit der beiden großen Fraktionen (Europäische Volkspartei, EVP und Sozialdemokraten, S&D) organisieren. Deren Mitgliedsparteien führen jedoch in aller Regel auch die nationalen Regierungen, die wiederum nach Länderproporz sowohl die EU-Kommissare benennen als auch die Mitglieder des Rates stellen.
Letztlich kann man also von einem mehr oder weniger geschlossenen System sprechen, das die kleinen Fraktionen systematisch benachteiligt. Das betrifft natürlich auch die Rechtsfraktionen, deren parlamentarische Wirksamkeit gegen null geht. In der zurückliegenden Wahlperiode hat keine extrem rechte Initiative eine Mehrheit in einem Ausschuss bzw. im Parlament gefunden.
Die Gründung einer Fraktion zahlt sich dennoch aus, zumindest finanziell. So erhielt die Rechtsaußenfraktion „Europa der Freiheiten und Demokratie“ (EFD), der Vorläufer der jetzigen Fraktion „Europa der Freiheit und direkten Demokratie“ (EFDD), in der vergangenen Wahlperiode jährlich rund 2,5 Millionen Euro für Personal und ihre politische Arbeit.
Nationalisten machen keine europäische Politik
Die politische Arbeit auf europäischer Ebene ist nicht das vordergründige Ziel der extrem rechten Parteien, ihrer Abgeordneten und Fraktionen. Das hat seine innere Logik. Ihre Ideologie ist nationalistisch und auf das Herkunftsland ausgerichtet. Die europäische Integration wird abgelehnt. Ihre Institutionen, zu denen auch das Europaparlament gehört, sollen an Einfluss verlieren. Es ist deshalb nur folgerichtig, dass die jeweilige programmatische Grundlage der Rechtsfraktionen in der Regel nur einige wenige Allgemeinplätze umfasst. Gemeinsame Positionspapiere oder thematische Ausarbeitungen sind selten. Gleichzeitig ist das Abstimmungsverhalten bei Entscheidungen des Parlaments so uneinheitlich wie bei keiner anderen Fraktion bzw. keinem anderen politischen Lager.
Dazu kommt, dass die Zusammenarbeit, selbst im eigenen politischen Spektrum, regelmäßig aufgrund nationalistischer und rassistischer Ressentiments in Frage gestellt ist. Beispielhaft ist das Thema Südtirol, das in der Vergangenheit wiederholt zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen deutschen und österreichischen auf der einen und italienischen Rechten auf der anderen Seite geführt hat. Im Jahr 2007 sorgten rassistische Sprüche der italienischen Neofaschistin Alessandra Mussolini über Rumänen sogar dafür, dass die Großrumänienpartei die gerade erst gegründete Fraktion „Identität, Tradition, Souveränität“ (ITS) platzen ließ.
Europa als Bühne
Vor diesem Hintergrund richten sich die häufigen Wortmeldungen rechter Abgeordneter im Plenum zuallererst an das Publikum im eigenen Land. Nigel Farage, Frontmann der nationalistischen „United Kingdom Independence Party“ (UKIP) und Chef der EFDD, hat es auf diese Weise zu einem Wortführer der anti-europäischen Rechten in Europa gebracht. Gleichwohl kündigte er bereits an, sich aus dem Europaparlament zurückzuziehen, sollte er im nächsten Jahr bei den britischen Unterhauswahlen das Mandat im Wahlkreis South Thanet gewinnen.
Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders, der gemeinsam mit Marine Le Pen, der Vorsitzenden des französischen Front National (FN), vor der Europawahl 2014 unter großem Tamtam ein rechtes Wahlbündnis aus der Taufe gehoben hatte, verzichtete gleich ganz auf sein Mandat, als die angestrebte Fraktionsgründung mangels Masse scheiterte. „Da es kurzfristig keine Fraktion geben wird, in der die PVV Mitglied ist, gibt es für mich keinen Grund mehr für ein Doppelmandat.“ Er wolle sich stattdessen auf seine Abgeordnetentätigkeit im niederländischen Parlament konzentrieren, so Wilders.
Europa zahlt sich aus
Nicht viele Abgeordnete der extremen Rechten haben, wie Geert Wilders, eine solche Wahlmöglichkeit. Insbesondere in Frankreich und Großbritannien, beides Länder mit Mehrheitswahlrecht, hatten bzw. haben selbst vergleichsweise große und erfolgreiche Rechtsparteien wie der FN oder die UKIP keine Sitze im nationalen Parlament. Deshalb haben sie traditionell ihre Parteispitze über Mandate im Europaparlament abgesichert, das in allen Mitgliedsstaaten nach dem für kleine Parteien deutlich günstigeren Verhältniswahlrecht gewählt wird.
Bestes Beispiel dafür ist Jean-Marie Le Pen, der langjährige Vorsitzende des FN. Er wurde 1984 erstmals ins Europaparlament gewählt und gehörte ihm bis zur letzten Wahlperiode, also für insgesamt dreißig Jahre an. Ähnliches gilt für Nigel Farage, der 1999 ins Europaparlament kam sowie für den Ex-Chef der „British National Party“ (BNP), Nick Griffin, der zwischen 2009 und 2014 im Europaparlament saß. Aus Sicht anderer Länder bzw. der etablierten Parteien ist dies ein eher ungewöhnlicher Zustand. Dort gilt eher der despektierliche Satz: „Hast Du einen Opa, schick ihn nach Europa.“
Ebenfalls von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist, neben den monatlichen Abgeordnetendiäten in Höhe von 7.956,87 Euro, Sitzungsgeldern und der steuerfreien monatlichen Kostenvergütung von 4.299 Euro für die Amtsausstattung (z.B. Büromiete), die sogenannte Sekretariatszulage. Sie darf maximal 21.209 Euro monatlich betragen und dient zur Deckung der Personalkosten eines oder mehrerer Mitarbeiter.
Ein Blick auf die katastrophale Finanzlage der NPD und den Verlust der Abgeordnetenmandate und Mitarbeiterstellen der NPD-Landtagsfraktion in Sachsen macht deutlich, dass es sich hierbei insbesondere für kleinere Rechtsparteien um eine relevante Größenordnung handelt. Für den 2011 geschassten NPD-Chef und jetzigen Europaabgeordneten Udo Voigt sicher eine solide Basis, um seinen Einfluss in der Partei wieder zu vergrößern.