Rechter Terror ?
Nach Zählung der Amadeu Antonio Stiftung und Pro Asyl hat es deutschlandweit bis November 2014 bereits 55 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte gegeben. Fast die Hälfte dieser Angriffe waren Brandstiftungen. Bislang wurden bei diesen Anschlägen keine Menschen verletzt. Können diese Anschläge als Terror bezeichnet werden? Hat sich seit der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 die Definition für rechten Terror verändert?
Am 12. Oktober 2014 wurde in Groß Lüsewitz bei Rostock eine Flüchtlingsunterkunft mit Brandsätzen angegriffen.1
Es entstand vor allem Sachschaden durch Verrußungen an dem Gebäude, in dem derzeit acht Familien untergebracht sind.2
Etwa ein Jahr zuvor, im November 2013, wurde eine Flüchtlingsunterkunft in Essen mit Feuerwerkskörpern beschossen. Das Holzgebäude geriet glücklicherweise nicht in Brand. Ein 9-jähriges Kind musste in der Folge im Krankenhaus psychologisch behandelt werden. Dies sind nur zwei der Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, die in den letzten Jahren die Diskussion um die Neuerrichtung von Unterkünften für geflüchtete Menschen begleitet haben. Bundesweit stieg die Zahl von Anschlägen von 2012 zu 2013 auf nahezu das Doppelte an.
Ein Begriff von Terror
Terror ist zunächst eine Form politischer Gewalt, wenn man so will, eine ihrer Eskalationsstufen. Rassistische Gewalt ist nicht zu trennen von anderen Gewalt- und Aggressionsformen in einer Gesellschaft. Der Gewaltbegriff darf also nicht zu eng gefasst werden, sondern muss verschiedene Formen von Gewalt einschließen. Das können neben direkter körperlicher Gewalt auch strukturelle (patriarchalische oder die kapitalistische Organisation einer Gesellschaft) Gewalt, sowie psychische Gewalt sein.3
Häufig erzeugen insbesondere Formen von psychischer Gewalt dauerhaftere Einschränkungen als direkte personale Gewalt. Obwohl v. a. psychische Formen der Gewaltanwendung, wie z. B. die Bedrohung, subjektiv sehr unterschiedlich empfunden werden, ist es doch wichtig, sie als gewaltvoll anzuerkennen. Ein objektives Maß an (für alle sichtbaren oder besonders schweren) Verletzungen ist hier nicht entscheidend, sondern allein die Perspektive der Betroffenen. Der Angriff einer Flüchtlingsunterkunft stellt neben seinen sichtbaren Schäden am Gebäude immer auch eine Androhung konkreter Gewalt an Personen dar. Häufig sind die geflüchteten Menschen zudem bereits durch Gewalterfahrungen in ihrem Herkunftsland traumatisiert. Die Vorbelastung führt zu erschwerten Verarbeitungsmöglichkeiten von Bedrohungen und Einschüchterungsversuchen.
Neben dieser Perspektive der Betroffenen, die derartige Angriffe als Terror empfinden können, ist es die Wirkungsabsicht der Täter, die hier beachtet werden muss. Wer Brandsätze auf ein Haus wirft, in dem sich Menschen befinden, muss damit rechnen, dass dabei Menschen getötet werden. Die Folge dieser Angriffe sind Angst und Einschüchterung bei den Betroffenen und potentiell Betroffenen. Ein Ziel von Terror ist damit erreicht. Die rassistisch motivierte Gewaltanwendung dient dazu, Machtansprüche gegen die Menschen durchzusetzen, die als fremd, unterlegen, minderwertig, bedrohlich oder nicht-deutsch bezeichnet werden. Die scheinbare Willkür in der Auswahl des Opfers bei rassistischen Angriffen auf konkrete Personen wiederholt sich bei dem Angriff auf eine Flüchtlingsunterkunft. Es geht nicht um konkrete Personen, mit denen die Täter_innen eine persönliche Erfahrung verbinden, sondern um vermeintliche Eigenschaften, die Menschen als „Exemplare“ einer Feindgruppe ausweisen. Die Opfer solcher Angriffe sollen sich nicht sicher fühlen, sie sollen spüren, dass sie nicht erwünscht sind. Gerade die Ungewissheit, ob ihr Überleben von der Ungeschicklichkeit der Täter_innen oder ihrem absichtsvollem Tun abhängt, kann als eine Form von rassistischem Terror bezeichnet werden. Damit ist Terror eine Form von ausgeführter oder angedrohter Gewalt.
Politische Analyse und politische Praxis
Dennoch gibt es einen guten Grund, bei der Beschreibung dieser jüngsten Angriffe als Terror zurückhaltend zu sein. Wenn alle Angriffe unter einen gleichen Begriff geordnet werden, geht der Blick für die graduellen Eskalationsstufen von Gewalt verloren. Die Wahrnehmbarkeit dieser Stufen kann aber beim Verständnis des Zusammenhangs von gesellschaftlichen Diskursen (die Bezeichnung von Geflüchteten als zu lösendes „Problem“ für die deutsche Gesellschaft) und öffentlicher Gewaltakzeptanz (Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, Pogrome) helfen. Die Erfahrung rechten Terrors hat zuletzt der NSU seinen Opfern und anderen (potentiell) Betroffenen aufgenötigt. Erschießungen, Nagelbomben- oder Sprengstoffanschläge sind unbestritten gravierendere Ausprägungen von Gewalt als ein Angriff mit einem Feuerwerkskörper und die mit ihm verbundene Bedrohung. Wie haben die Taten des NSU den gesellschaftlichen Umgang mit dem Begriff des rechten Terrors geprägt? Eine politisch-theoretische Analyse als Teil antifaschistischer Arbeit kann diese unterschiedlichen Arten von Gewalt nicht gleichermaßen als Terror verabsolutieren.
Gleichwohl muss die antirassistische und antifaschistische Praxis die Einschätzungen und Empfindungen der Betroffenen eines konkreten Angriffes ernst nehmen. Dies hieße, bewusst mit doppelten Standards zu arbeiten, denn die politische Sprache (von bspw. Pressemitteilungen, Flyern, Aufrufen) darf skandalisieren, um die Opferperspektive zu verdeutlichen. Wenn folglich betroffene Personen den Angriff auf eine Unterkunft als Terror(isierung) einstufen, dann sollte dieser Einschätzung in der politischen Praxis in jeder Hinsicht Geltung verschafft werden. Das hieße auch die offiziellen Definitionen von Terror zu kritisieren, die einerseits auf das Vorhandenseins schwerer Körperverletzungen fixiert und anderseits an das Motiv der Erzwingung eines bestimmten Regierungshandelns bzw. an das Erreichen politischer Ziele gebunden sind. Hier wäre ein Terrorbegriff zu entwickeln, der seinen Ausgang bei den Opfergruppen nimmt und daraus Ableitungen über eine spezifische Tätermotivation treffen kann. Dieser Zugang würde auch die, insbesondere durch staatliche Stellen, gern betriebene Gleichsetzung von linker, rechter, islamistischer Gewalt auf Basis der so genannten Extremismustheorie erschweren.
Eine weitere noch zu untersuchende Frage wäre, wie sich die Einschätzung von Anschlägen als terroristisch bzw. als nicht terroristisch seit der Selbstenttarnung des NSU verändert hat. Haben die Morde durch den NSU eine neue Messlatte für den Begriff Terror geprägt?
Die rassistische Gewalt der 1990er Jahre — eine Zeit in der Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und weitere Unterstützer_innen des NSU politisiert wurden — stand im engen Zusammenhang mit der Asyl- und Einwanderungspolitik der Bundesrepublik. Auch die momentanen Angriffe und Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte sind politisch von einer gesamteuropäischen Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen gerahmt. Der politische Ton ist heute unbestritten vorsichtiger als zu Beginn der 1990er Jahre; auch die medialen Darstellungen einer „Flüchtlingsflut“ oder „Flüchtlingswelle“ auf die europäischen Grenzen sind nicht mehr so platt — die Grenzzäune aber um so höher. Rassistische Vorstellungen werden jedoch nicht zuerst an den extremen Rändern der Gesellschaft ausgebrütet, sondern sind Produkt einer Gesellschaft, die denjenigen Politiker_innen zustimmt, die die Kontrolle und Abwehr von geflüchteten Menschen an den EU-Außengrenzen vorantreiben und die Selektion von Flüchtlingen nach Herkunftsland jüngst mit der Änderung des Asylrechts beschlossen hat.4
Der Rassismus der Neonazis ist nur der offen sichtbare Teil des gesellschaftlichen Ganzen, den es ohne die weite Verbreitung rassistischer Alltagspraxen und institutioneller Rassismen nicht geben würde.
Mehr zum Thema
- 1www.kombinat-fortschritt.com/2014/10/12/brandanschlag-auf-fluechtlingsunterkunft
- 2www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Brandsaetze-auf-Asylbewerberheim-geworfen,brandanschlag 182.html
- 3.Der Begriff der strukturellen Gewalt ist aufgrund seiner Dehnbarkeit umstritten, da er nur schwer vom Begriff der Macht zu unterscheiden ist.
- 4Im September 2014 hat der Bundesrat einer Änderung des Rechts auf Asyl zugestimmt. Asylanträge von Menschen aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien können nun schneller abgelehnt werden. Diese Länder gelten fortan als sichere Herkunftsländer, in denen nicht zu erwarten ist, dass Geflüchtete dort von Folter, Verfolgung oder Krieg bedroht seien.