Repression in Bremen
Kampagne „Gegen Nazis und Repression — Freiheit für Valentin“ (Gastbeitrag)Fast 20 Wochen saß der Bremer Antifaschist Valentin im Gefängnis. Er soll an Auseinandersetzungen zwischen Neonazi-Hooligans und Ultras beteiligt gewesen sein.
Nordderby in Bremen. Werder Bremen spielt gegen den Hamburger SV. Immer wieder kommt es bei dieser fußballerischen Begegnung zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Fans. Doch am 31. März 2015 — das gab es in Bremen seit langem nicht mehr — greifen während des Spiels Neonazis und rechte Hooligans eine Gruppe antifaschistischer Ultras an. Sie sind auf dem Weg zum Stadion und werden unvermittelt aus der Kneipe „Zum Verdener Eck“ attackiert. An vorderster Front sollen laut Augenzeug_innen u.a. Marcel Kuschela und Hannes Ostendorf beteiligt gewesen sein. Marcel Kuschela alias „Captain Flubber“ tritt als Führungsperson im rechten Hooligan Verein „Gemeinsam sind wir stark“ auf und war zeitweilig Mitglied der Hooligan-Band „VollKontaCt“. Hannes Ostendorf ist Sänger der RechtsRock-Band „Kategorie C“ 1
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Die Ultra-Gruppen „Infamous Youth, Ultra Team Bremen, Caillera und L’Intesa Verde“, die sich im Stadion aufhielten, entschlossen sich dazu, das Stadion vor Abpfiff zu verlassen, um ihre Freund_innen draußen zu unterstützen. Es kam auf der Straße oberhalb des Stadions zu einem Prügeleinsatz der Polizei. Diese trieb die Ultras in Richtung der Neonazis und rechten Hooligans, die sich immer noch in der Kneipe aufhielten. Es kam zu Schlägereien. Eine dieser Auseinandersetzungen helt ein Anwohner auf einem Handyvideo fest. Auf diesem Video will die Bremer Polizei u.a. Valentin erkannt haben. Er wurde am 1. Juli 2015 in Untersuchungshaft genommen. Auch bei anderen Bremer Ultras wurden die Wohnungen von Spezialkräften gestürmt und Hausdurchsuchungen durchgeführt.
Insgesamt hat die Polizei zum jetzigen Zeitpunkt circa 30 Verfahren gegen antifaschistische Ultras eröffnet, die an den Auseinandersetzungen um das „Verdener Eck“ beteiligt gewesen sein sollen. Von Ermittlungsverfahren gegen Neonazis und rechte Hooligans ist hingegen nichts bekannt. Das mediale Echo war für Bremer Verhältnisse ungewöhnlich heftig. Der Weser-Kurier schreibt über „Hemmungslose Gewalt beim Nordderby“2
, die Bremer BILD Zeitung titelt zur Inhaftierung von Valentin „Irrer Fussballschläger in Haft“. Und auch die Ermittlungsarbeit der Polizei erreicht für Bremen bis jetzt unbekannte Dimensionen. So veranlasste Polizeipräsident Lutz Müller die Bildung einer eigenen Ermittlungsgruppe, die sämtliche Anwohner_innen der Verdener Straße zu den Auseinandersetzungen befragte.
Taktik der Polizei war es, ähnlich wie beim Überfall von Bremer Hooligans auf eine Feier der antirassistischen Ultragruppe „Racaille Verte“ in den Räumen des Bremer Fanprojekts am 20. Januar 2007, die Auseinandersetzung als unpolitische Schlägerei zwischen Gruppen innerhalb der Fanszene zu verharmlosen. Die Bremer Innenbehörde ließ verlauten: „Die Gewalttätigkeiten zwischen einigen Ultras und Hooligans haben mit Politik nichts zu tun, auch wenn sich diese Ultras nach außen einen politischen Anstrich geben. Am Ende verhalten sie sich wie Gewalttäter, denen mit polizeilichen Mitteln Einhalt geboten werden muss und auch wird.“
Unbestreitbar ist nach Ansicht von Antifaschist_innen in Bremen, dass es in der Hansestadt schon seit Jahren Bemühungen der rechten Hooliganszene gibt, ihre verlorene hegemoniale Stellung innerhalb der Fanszene zurück zu erlangen. Das antifaschistische Engagement der Bremer Ultraszene ist ihnen ein Dorn im Auge. Das durch die HoGeSa bzw. „Gemeinsam Stark“-Aktionen entstandene Geflecht aus altgedienten Neonazi-Hools wie Henrik Ostendorf und Andre S. sowie Personen, die erst mit den HoGeSa-Demonstrationen (wieder) auf der Bildfläche erschienen sind wie u.a. Marcel Kuschela und Michael H., versucht mit dem Angriff auf die antifaschistischen Ultras die bereits erwähnte Hegemonie ein weiteres Mal zurückzuerlangen. Henrik Ostendorf betreibt den Internetversand „soldatenbiographien.de“ und war zeitweilig Geschäftsführer des NPD-Verlages „Deutsche Stimme Verlags GmbH“. Die Brüder Ostendorf zählten 1999 zu den ausgewählten Neonazi-Aktivisten, die die Hochzeitsfeier des Neonazi-Führers Thorsten Heise besuchen durften.
Beim Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt am 2. Mai 2015 sammelten sich Neonazi-Hooligans aus Bremen und Essen laut Augenzeugenberichten unter der Führung von Henrik Ostendorf in der Bremer Bahnhofsvorstadt unter den Augen szenekundiger Beamter der Bremer Polizei. Kurz vor Spielende bewegte sich die Gruppe in Richtung Steintorviertel. Dort war den Berichten zufolge schon seit dem Vormittag Martin Elsner, der Betreiber des rechten Internetversandes „Sieg oder Spielabbruch“, auf einem Fahrrad unterwegs. Seine Aufgabe bestand augenscheinlich darin herauszufinden, wo sich Bremer Ultras aufhielten.3
Nach einem gescheiterten Angriffsversuch erhielten die Hooligans einen Platzverweis und wurden anschließend ohne Polizeibegleitung freigelassen. Die Einsatzleitung der Polizei bezeichnete die Vorkommnisse beim Frankfurt-Spiel später als „Laufspiele“ zwischen Hooligans, Ultras und der Polizei.4
Valentin
Seit der Inhaftierung von Valentin am 1. Juli 2015 kam es zu weltweiten Solidaritätsbekundungen mit den antifaschistischen Bremer Ultras und Valentin, die nicht ihm sondern auch allen anderen antifaschistischen Ultras viel Kraft gaben.
In einer eigens einberufenen Pressekonferenz am 2. Juli 2015 zeigte die Staatsanwaltschaft Bremen den anwesenden Pressevertreter_innen Sequenzen aus dem Video und stellte Valentin als politisch motivierten Gewalttäter dar. Um seine Inhaftierung zu rechtfertigen wurden zudem verschiedene schon laufende Ermittlungsverfahren gegen ihn zu einem Verfahren zusammengefasst. Während der Pressekonferenz hob der Sprecher der Staatsanwaltschaft hervor, dass Valentin während der Proteste gegen die Neonazidemonstration in Rostock am 1. Mai 2014 Steine geworfen haben soll, einer dieser Steine habe einen Pressefotografen getroffen.
Die von Valentin’s Anwalt Horst Wesemann gestellten Haftverschonungsanträge wurden vom zuständigen Gericht mit unterschiedlichen Begründungen abgelehnt: Einmal diente die angebliche Wiederholungsgefahr als Grund, ein anderes Mal die breite Unterstützung aus der linken Szene. Da auch die Bremer Juso’s und die Grüne Jugend die Freilassung von Valentin fordern, lud Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) Vertreter beider Organisationen am 5. August 2015 zu einem Gespräch in die Innenbehörde und sagte im anschließenden Pressegespräch mit Radio Bremen „...da wo Gewalttaten begangen werden, wo es wirklich massiv zur Sache geht, da gibt es auch kein Pardon bei uns. Weder links noch rechts und deswegen bleibt es auch bei diesem Haftbefehl, und bei dem Vorgehen der Polizei.“5
Diese hier deutlich werdende recht verwässerte Gewaltenteilung, angesichts der gesetzlich klar getrennten Zuständigkeiten von Innenressort, Justiz und Polizei, kritisiert auch Horst Wesemann in einer Stellungnahme.6
Es drängt sich immer mehr die Vermutung auf, dass die Bremer Innenbehörde an Valentin und den Ultras ein Exempel statuieren will. Innensenator Mäurer möchte sich als durchsetzungsfähig inszenieren — beim letzten Anti-Terroreinsatz gegen die salafistische Szene in Bremen ist ihm dies nicht gelungen. Die Neonazi-Hooligans, die am Überfall 2007 auf das Bremer Fanprojekt beteiligt waren und zum Teil einschlägig vorbestraft sind, wurden alle nur zu Geldstrafen verurteilt.
Gegen Neonazis und Repression
Mit unserer Kampagne gegen Neonazis und Repression wollen wir Ultras unterstützen, die aufgrund ihres antifaschistischen Engagements von staatlicher Repression betroffen sind. Der Fokus liegt im Moment auf der Unterstützung von Valentin. Mit der Demonstration vom 15. August 2015, an der sich über 800 Menschen beteiligten, ist es der Kampagne gelungen, ein deutliches Zeichen zu setzen gegen den Versuch von Neonazis, antifaschistisches Engagement aus dem Weserstadion zu drängen.
Nachdem Valentin in der Bremer JVA für 21 Tage von anderen Gefangenen isoliert wurde und an keinen Gemeinschaftsaktivitäten teilnehmen durfte, wurde er in die JVA Hameln verlegt. Als Begründung für diese Maßnahme dient ein in seiner Zelle gefundenes Mobiltelefon.
Nach 134 Tagen wurde Valentin am 11. November 2015 unter Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen. Er muss mindestens einmal die Woche an einer Anti-Gewaltberatung teilnehmen, darf sich bei Heimspielen nicht dem Bremer Weserstadion nähern und auch nicht zu Auswärtsspielen des SV Werder Bremen anreisen. Die Bremer Staatsanwaltschaft hat Widerspruch gegen die Aufhebung der U-Haft eingelegt. Der Prozess gegen Valentin wird wahrscheinlich Ende des Jahres beginnen.
Spendenkonto:
Rote Hilfe e.V. Ortsgruppe Bremen
IBAN: DE71 2001 0020 0481 9122 06
BIC: PBNKDEFF
Postbank Hamburg
Verwendungszweck/Reference: Freiheit für Valentin
- 1Vgl. AIB Nr.107
- 2Weser Kurier: „Hemmungslose Gewalt beim Nordderby“, 22. April 2015
- 3Einen detaillierten Überblick bietet u.a. der Artikel Rechte Hooligans attackieren Werder-Ultras auf antifa-bremen.org
- 4POL-HB: Nr.: 0277: „Polizeiliche Bilanz zum Fußballeinsatz der Polizei Bremen Werder gegen Frankfurt“, 03. Mai 2015
- 5Zitiert nach Radio Bremen: Interview von „Buten und Binnen“, 05. August 2015
- 6Presseerklärung als Verteidiger des „Valentin“, Rechtsanwalt Horst Wesemann, 7. August 2015.