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SVP – Die etablierte Protestpartei der Schweiz

Björn Resener
Einleitung

Die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) konnte bei den Nationalratswahlen am 18. Oktober 2015 fast 30 Prozent der Stimmen auf sich vereinen und wurde damit wieder zur stärksten Partei in der großen Kammer.

Foto: Screenshot YouTube/SVP

Welcome to SVP: Christoph Blocher von der SVP in ihrem Werbespot.

Schon das offizielle Wahlkampfvideo „Welcome to SVP“ lässt vermuten, dass Niemand in der Partei an diesem Erfolg gezweifelt hatte. Statt politischer Inhalte wurde sich über sich selbst lustig gemacht: SVP-Patriarch Christoph Blocher schneidet mit der Nagelschere den englischen Rasen seiner Luxusvilla und befördert seinen halbnackten Körper danach per Bauchklatscher in den Pool. Sein Kronprinz Roger Köppel sitzt auf dem WC und liest dort heimlich die linke Wochenzeitung (WOZ). Zwischendurch hüpfen junge Tänzerinnen zu Dorfdisco-Dancefloor-Beats durch das Bild. SVP-Bundesratskandidat Thomas Aeschi schießt sich mit K.O.-Tropfen ab, vermutlich um zu verdeutlichen, wie ernst er die Vergewaltigungsvorwürfe gegen seinen Zuger Parteikollegen Markus Hürlimann nimmt. Und der Banker Thomas Matter schaufelt Geldscheine in eine Waschmaschine. Hier wirbt eine Partei um Wähler, die sich diesen schrillen Unsinn leisten kann.

Phantom „Asylchaos“

Die sogenannte Flüchtlingskrise dominierte die Berichterstattung von der ersten bis zur letzten Wahlkampfwoche, und bei diesem Thema ist das Profil der SVP ohnehin bekannt. Dabei hatte die Schweiz bis zum Wahltermin keinen Anlass, die schon zu Jahresanfang veröffentlichten Prognosen für Asylgesuche nach oben zu korrigieren. Geflüchtete mieden die Alpenrepublik lange, weil sie sich in Deutschland und Skandinavien bessere Chancen auf eine Perspektive ausrechneten. Erst seit einigen Wochen verzeichnet auch die Schweiz eine zunehmende Zahl Asylsuchender. Die Gesetzesverschärfungen in Deutschland und Schweden zeigen offenbar Wirkung.
Die Schweiz hatte Ende September selbst eine Asylgesetzrevision beschlossen. Haupt­ziel war es, die Mehrheit der Asylgesuche in höchstens 140 Tagen erledigen zu können und Geflüchtete aus vermeintlich sicheren Herkunftsstaaten entsprechend schnell abzuschieben. Die betroffenen Asylsuchenden werden im Zeitraum der Bearbeitung in zentralen Bundeslagern untergebracht. Weil auch die Rekurs- und Verfahrensfristen mit der Gesetzesänderung deutlich verkürzt wurden, bekommen die Geflüchteten dort kostenlose Rechtsbeistände. Daran stört sich wiederum die SVP. Sie kündigte im Wahlkampf an, die beschlossene Asylgesetzrevision mit einem Referendum zu bekämpfen. Sie will damit auch verhindern, dass der Bund gegen lokalen Widerstand Bundeslager eröffnen kann.

Budgetierte Abschottung

Bei der Verteilung bereits anerkannter Flüchtlinge in den Gemeinden blockiert die Partei ebenfalls. So erlangte etwa die kleine Aargauer Gemeinde Oberwil-Lieli Mitte September über die Landesgrenzen hinaus Bekanntheit. Da wurde öffentlich, dass sie lieber 19.000 Franken pro Jahr bezahlt, als Geflüchtete aufzunehmen. Als die Kantonsregierung eine Gesetzesrevision veranlasste, um die Kosten für diesen Ablasshandel ab kommendem Jahr zu verzehnfachen, reservierte der SVP-Gemeindepräsident Andreas Glarner sogar 290.000 Franken im 2016er Budget der Ortschaft.

Die Flüchtlinge an den Grenzen Europas müssen alle wieder umkehren“, kommentierte er in die Kamera des Ersten Deutschen Fernsehens (ARD). Einen guten Monat später wurde der SVP-Hardliner von den Wählern mit einem Sitz im Nationalrat belohnt.
In der SVP-Propaganda wird das angebliche „Asylchaos“ geschickt mit einem anderen Kernthema verknüpft. Denn die Partei bekämpft auch die Annäherung an die EU. Sie stört sich insbesondere an der Personenfreizügigkeit innerhalb Europas. Tatsächlich sank die Zustimmung zu den bilateralen Verträgen im Zuge der europäischen „Flüchtlingskrise“ weiter. Dabei besteht zwischen beiden Themen kein unmittelbarer Zusammenhang. Nun wittert die SVP auch bei diesem Anliegen wieder Morgenluft. Auf die Frage, was die Partei mit der neu gewonnenen Macht tun wolle, sagte SVP-Präsident Toni Brunner: „Wir möchten die Umsetzung der Massenzuwanderungsinitiative vorantreiben (und) eine zusätzliche Anbindung an die EU verhindern“.

Mit einer „Selbstbestimmungsinitiative“ möchte sie sich zudem gegen die Übernahme „fremden Rechts“ zur Wehr setzen. So sollen etwa die Entscheide des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) für die Schweiz nicht mehr verbindlich sein.
Die politische Linie der SVP ist eine kuriose und nicht immer widerspruchsfreie Mischung aus nationalkonservativem und wirtschaftsliberalem Gedankengut. Denn auch wirtschaftspolitisch vertritt die Partei Hardliner-Positionen und orientiert sich an der neoliberalen Dreifaltigkeit von Deregulierung, Privatisierung und Liberalisierung. Nur im Agrarbereich verteidigt die SVP hartnäckig die staatlichen Subventionen ihres Stammklientels. Hier fusst auch ein entscheidender Unterschied im oftmals gezogenen Vergleich mit der FPÖ oder dem französischen Front National. Das Trio Blocher, Hans Fehr und Hans-Rudolf Abächerli prägten ihren konfrontativen Stil erst ab Mitte der 1980er Jahre. Zuvor war die SVP eine zentristische Kleinpartei, die sich konsensorientiert für die Partikularinteressen von Landwirtschaft und Gewerbe einsetzte. Die Partei hat also keine Wurzeln im Faschismus oder Nationalsozialismus.

Asylpolitische Zäsur

Heute bezeichnet die Zeitschrift "Der Spiegel" die Partei als „die erfolgreichsten Rechtspopulisten Europas“. Und das Rekordergebnis der SVP bei den Nationalratswahlen vom 18. Oktober ist tatsächlich als Rechtsrutsch zu bewerten. Doch das spezielle politische System der Schweiz hält die Wirkungsmächtigkeit dieses Wahlsieges in engen Grenzen. Im 200 Köpfe umfassenden Nationalrat kommen die Rechtspopulisten gemeinsam mit der FDP1 und den kleinen Rechtsparteien2 auf eine knappe Mehrheit von 101 Sitzen. Allerdings gibt es noch den 46 Sitze umfassenden Ständerat. Und in der kleineren Kammer konnte die SVP nur fünf Sitze gewinnen.

Neue Gesetze sind ohne Mehrheiten in beiden Kammern nicht zu machen. Die SVP wird sich also nicht nur mit der FDP, sondern auch mit anderen Mitte-Parteien arrangieren müssen. Bei wirtschaftsliberalen Anliegen wie der Rentenaltererhöhung, dem Ausstieg aus der Energiewende oder Steuersenkungen dürfte es für sie einfach werden. Doch auf parlamentarischem Weg werden Initiativen, die eine zunehmende Abschottung innerhalb Europas zum Ziel haben, nicht umzusetzen sein.
Für Asylsuchende könnte sich die Situation jedoch drastisch verschlechtern. SVP-Parteichef Toni Brunner kündigte am Tag nach der Wahl bereits an, „geschlossene Zentren für renitente Asylbewerber“ schaffen zu wollen. Für derartige Forderungen könnten sich jetzt Mehrheiten finden. Claude Longchamp, Leiter des Umfrageinstituts GFS in Bern behauptet: „Es hat innerhalb der Parteien eine Bewegung nach rechts gegeben.“

Das trifft besonders für die Christliche Volkspartei (CVP) zu. Gemeinsam mit der CVP hätten SVP und FDP auch im Ständerat eine Mehrheit. In asylpolitischen Fragen ist ein solches Bündnis nicht unwahrscheinlich. Im Wahlkampf forderte die CVP bereits Gutscheine statt Sozialhilfe für vorläufig Aufgenommene.

Für immer Protestpartei

Am 9. Dezember 2015 wählt die Bundesversammlung aus vereintem National- und Ständerat die neue Regierung. Bisher befand sich lediglich das Departement für Verteidigung von Bundesrat Ueli Maurer in der Hand der SVP. Sehr wahrscheinlich bekommt die Partei nun einen zweiten Regierungsposten zugestanden.3 Aber auch das ist für SVP und FDP nicht ohne Absprachen mit weiteren Parteien durchzusetzen. Dafür muss sie konsensfähige Kandidaten statt Hardliner ins Rennen schicken.
Allerdings wird sich die SVP auch mit einem zweiten Bundesrat weiterhin als Opposition gegen die "Classe Politique" präsentieren. So kann sie Probleme anprangern, ohne sie lösen zu müssen. Und wenn sie ihre Interessen im Gesetzgebungsverfahren nicht durchsetzen kann, wird sie auch in Zukunft mit populistischen Referenden auftrumpfen. Ihre polarisierenden Ideen, gepaart mit ihrer schier grenzenlosen Finanzkraft, werden die Schweizer Politik auch in den kommenden vier Jahren vor sich her treiben.

  • 1Die Freisinnig-Demokratische Partei der Schweiz und die Liberale Partei der Schweiz fusionierten 2009 zur FDP.Die Liberalen.
  • 2Zwei Sitze gingen an die im Tessin aktive Lega di Ticinesi, ein weiterer Sitz an das ebenfalls identitäre Mouvement Citoyens Genevois (MCG) aus Genf.
  • 3Im Idealfall wird der Schweizer Bundesrat nach der sogenannten „Zauberformel“ gebildet: Die drei Parteien mit der größten parlamentarischen Vertretung bekommen in der Regierung je zwei und die viertgrösste Partei einen Platz.