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Berlin Anziehungspunkt von Neonazis

Einleitung

Berlin (Ost wie West) wird zum Anziehungspunkt von Neonazis. Nach den Demonstrationsversuchen der "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) in Frankfurt am Main und den Aufmärschen der „Nationalen Liste" des Michael Kühnen Flügels in Hamburg, war der Westberliner Stadtteil Steglitz Mitte März 1990 Schauplatz einer Neonazi-Demonstration.

Neonazi-Angriff auf ein besetztes Haus in Prenzlauer Berg am 17. März 1990. Mit dabei der West-Berliner NF-Aktivist Christian F. (vorne links).

Die Neonazis, unter ihnen Michael Kühnen, waren in zwei Bussen aus Westdeutschland angereist und trafen sich in der Kneipe »Elephant« am Steglitzer Damm. Andere TeilnehmerInnen wurden über einen Treffpunkt am Bahnhof Zoo dorthin geschleust. Über hundert von ihnen nahmen an einem Treffen in den Versammlungsräumen des Lokals teil, welches von der "Initiative Volkswille" angemeldet worden war. Diese Organisation wurde von Kühnen und Co als Ersatz für die im Februar 1989 verbotene »Nationale Sammlung« gegründet. Vor Ort waren zahlreiche bundesweite Neonazi-Funktionäre wie Michael Thiel aus Duisburg (Deutsche Alternative), Fred Eichner aus München (GdNF) und Toni D. aus Groningen. Aus Österreich waren Neonazis von der VAPO angereist.

Gegen 19.30 Uhr formierten sich die Neonazis direkt vor dem Treffpunkt zu einem Aufmarsch. Die hauptsächlich aus Westdeutschland und der DDR angereisten Neonazis waren teilweise uniformiert, streckten die Arme zum "Hitler-Gruß" und führten in ihrer Marschordnung schwarz- weiß-rote Fahnen und die Reichskriegsflagge mit. Begleitet wurde der Zug von drei, später vier Mannschaftswagen, der Westberliner Polizei, die keinerlei Anstalten machte den Aufmarsch zu verhindern. Der Aufmarsch war von kurzer Dauer, unter Parolen wie »Deutsche Jugend für deutsche Einheit« zogen die Neonazis auf den Hermann-Ehlers-Platz vor dem Steglitzer Rathaus und hielten eine Kundgebung ab. Für eine öffentliche Würdigung, da sich ja sonst kaum Menschen auf den Straßen befanden, sorgten zwei mitgebrachte bzw. bestellte Kamerateams, die ihr Material am nächsten Abend auch im Fernsehen ausstrahlten. Anschließend verschwanden die Neonazis in der U-Bahn.

Rechter Aufschwung auch in Berlin

Es ist das erste Mal seit 1986, als die "Bürgerinitiative für Demokratie und Identität" (BDI) eine Kundgebung am Fehrbelliner Platz gegen eine »Asylflut« abgehalten hatte, das Neonazis in Westberlin in dieser Anzahl wieder ungehindert aufmarschieren konnten. Sie halten ihre Stunde durch das Aufleben des deutschen Nationalismus im Zuge des Anschlusses der DDR und der wachsenden AusländerInnenfeindlichkeit für nunmehr gekommen.

Die "Republikaner" (REP) versuchen ebenfalls die Stimmungen der AnwohnerInnen des sogenannten „Polenmarktes“ auszunutzen und riefen in Flugblätter zur Demonstration gegen den Markt auf. Das Phänomen „Polenmarkt“ ist für die REPs natürlich nicht der ökonomischen Situation geschuldet, vielmehr wird der Handel der Mentalität eines Volkes zugeschrieben. Das ist eine Zeit auf die die (extreme) Rechte lange gewartet hat, obwohl die Geschwindigkeit der Rechtsentwicklung anfangs auch alle Fraktionen der Rechten überrascht hatte. Den meisten extrem rechten Gruppen gemeinsam ist die Forderung nach einem Volksentscheid über den Anschluss der DDR und die Aufforderung gegen den »US- und Sowjetimperialismus« einzutreten, mit der Forderung »Besatzer Raus«, »Ausländer Raus« und gegen »kulturelle Überfremdung«.

In den extrem rechten Publikationen wird festgestellt, das der »Einigungsprozess« bisher nur von der DDR - Bevölkerung auf die Straße gebracht wurde und das die (extreme) Rechte in der BRD daran noch wenig Anteil habe. Die Neonazis sind auf dem Sprung ihre gesellschaftliche Isolierung zu überwinden, indem sie nur an die Themen anknüpfen müssen, die in der medialen Öffentlichkeit verbreitet werden. Rückendeckung erhielten sie in den letzten zwei Fällen in Westberlin und Hamburg von einem SPD geführten Senat, der sie marschieren ließ bzw. sie gegen eine 6.000 Menschen zählende Gegendemonstration verteidigte.

Rassistische und rechte Gewalt

Das ist der Moment an dem sich eine antifaschistische Selbsthilfe bewähren muss. Die Neonazis setzen den Kampf auf der Straße auf die Tagesordnung, die Zahl der Überfälle von Neonazi-Skinheads und RassistInnen hat in den letzten Monaten zugenommen: Im Grenzgebiet zur DDR, auf dem U- und S-Bahnhof Friedrichstraße sowie am Schlesischen Tor vergeht keine Woche ohne Überfälle. In der Silvesternacht waren mehrere Frauen am Schlesischen Tor Opfer von Überfällen einer Gruppe von circa 20 Neonazis. Die besetzten Häuser in der Westberliner Marchstrasse/Einsteinufer wurden nach einem abgewehrten Angriff von Neonazis dafür von Polizisten zwei Stunden belagert. Die Antwort der BesetzerInnen war eine Demonstration durch den Berlin-Charlottenburger Kiez. Der pakistanische Doktorand Mahmud Azhar wurde am 7. Januar 1990 von einem DDR-Bürger auf dem Gelände der Freien Universität Berlin rassistisch beschimpft (»Deutschland den Deutschen«) und geschlagen. Als er telefonisch Hilfe rufen wollte, schlug ihn der Angreifer mit einem Feuerlöscherrohr auf den Kopf. Am 6. März 1990 erlag er seinen Verletzungen. Die Gewalt von Rechts hat auf der Straße in beiden Teilen der Stadt zugenommen, sie verschärft das Klima zwischen MigrantInnen, Polen und den übrigen Bevölkerungsteilen.

Antifaschistischer Selbstschutz

Die zunehmenden Überfälle von »Deutschen« auf »Nicht-Deutsche« sind die Hauptursache für „Straßengewalt“. Hauptsächlich junge MigrantInnen antworten ihrerseits und verteidigen sich gegen eine Welt des Rassismus. Dafür werden sie seit Monaten verstärkt von der Polizei verfolgt und kriminalisiert.
Wir wollen dieser Entwicklung eines Klimas in dem Neonazis offen auftreten und ihren Terror ausbreiten können nicht tatenlos zusehen. Die antifaschistische Bewegung hat um den 20. April letzten Jahres bewiesen, das es möglich ist eine wirksame antifaschistische Selbsthilfe mit denjenigen zu organisieren, die angegriffen werden, die sich wehren wollen, die nicht warten wollen bis sie an der Reihe sind. In dieser Selbstschutz-Kampagne wurden viele Erfahrungen gesammelt, die heute von Nutzen sind, das rechte Klima hat sich zwar verschärft, doch wir sind immer noch viele, wenn wir zusammenarbeiten. Die antifaschistische Selbsthilfe kann nicht von einer Gruppe oder einem Zusammenhang alleine organisiert werden, zu zahlreich sind die Überfälle geworden, doch gibt es in fast allen Westberliner Stadtteilen eine Gegenwehr, die die Neonazis bis jetzt davon abgehalten hatte wieder öffentlich zu marschieren. Auch wenn wir wissen, das die Neonazis gegenwärtig keinen dumpfen Hitler-Kult mehr vertreten, ist der „Führergeburtstag“ am 20. April ein Datum, an dem außer Feiern auch Überfälle zu erwarten sind. Wenn im letzten Jahr ein Großteil der geplanten Veranstaltungen der Neonazis abgesagt worden sind, so lag das an einer Rücksichtnahme auf die Wahlergebnisse der "Republikaner". Wir wissen dass zwischen der militanten Rechten und den sich gemäßigter gebenden Rechten ausreichend Verbindungen bestehen. Für den 20. April 1990 ist jedenfalls höchste Aufmerksamkeit verlangt.