Das lange Ende: Zwischenstand im NSU-Prozess
RA Alexander HoffmannNach beinahe drei Jahren Prozessdauer schleppt sich die Verhandlung seit dem Spätsommer 2015 mehr schlecht als recht dahin. Lange Zeit konnten sich die Prozessbeteiligten nicht so recht erklären, warum der Vorsitzende die Beweisaufnahme auf ein Minimum heruntergefahren und den Prozess beinahe zum Stillstand hatte kommen lassen, als ziemlich überraschend die Mitteilung kam, Beate Zschäpe würde eine Einlassung abgeben.
Am 10. November 2015 teilte der Vorsitzende mit, was die Presse schon am Vortag berichtet hatte: Bereits am 31. August 2015 hatte Rechtsanwalt Borchert, der Kanzleisenior des neuen Pflichtverteidigers Grasel ihm gegenüber eine Einlassung Zschäpes angekündigt. Gleichwohl hatte es der Vorsitzende bis zu diesem Zeitpunkt nicht für nötig gehalten, die anderen Prozessbeteiligten zu informieren. Grasel erklärte, es würden Fragen des Gerichts, aber nicht Fragen der Nebenklage beantwortet, und das schriftlich über ihn oder Rechtsanwalt Borchert.
Diese Ankündigung löste einen Reigen von Anträgen aus, der bis heute nicht abklingt: Entpflichtungsanträge der Altverteidiger_innen, Befangenheitsanträge der Verteidigung Ralf Wohlleben, alle für das Verfahren nicht wirklich gefährlich aber doch massiv. Kurz nach Bekanntwerden der Entscheidung Zschäpes erklärte dann auch die Verteidigung Wohlleben, dieser werde ebenfalls eine Erklärung „selbst“ abgeben und die Fragen aller Prozessbeteiligten beantworten. Der Vorsitzende kann nunmehr immerhin für sich als Erfolg verbuchen, dass die zwei Hauptangeklagten ihr Schweigen brechen.
Die Erklärung Zschäpes
Am 9. Dezember 2015 verlas dann schließlich, nach erneutem hin und her, Zschäpes Verteidiger Grasel eine Einlassung, wonach sie mit den Taten des NSU nichts zu tun gehabt habe. Die über 50 Seiten lange Einlassung wirkte vollkommen unglaubwürdig. Die zwei zentralen Aspekte der Einlassung sind eine vorgetragene Entschuldigung gegenüber den Opfern sowie die Behauptung, Zschäpe habe immer erst nach den Straftaten durch Böhnhardt und Mundlos von diesen erfahren und habe sich nicht von den Beiden trennen wollen, weil sie Angst hatte, sie würden hierauf mit Suizid reagieren.
Die Erklärung Zschäpes ist völlig lebensfremd, konstruiert und trieft in Teilen vor Selbstmitleid. Zwar wird bei jeder überfallenen Bank detailliert das Datum und die Adresse mitgeteilt, bei vielen der Mordopfer wird dagegen nicht einmal der Name genannt. Und am Ende erdreistet sie sich, eine „Entschuldigung“ für ihre „moralische Verantwortung“ abzugeben. Gleichzeitig verkündet ihr Rechtsanwalt Grasel, weder Fragen der Nebenklägervertreter noch der Nebenkläger_innen selbst würden beantwortet.
Zschäpe deckt weiterhin alle NSU-UnterstützerInnen. Sie sagte kein Wort zur Rolle des Angeklagten André Eminger, der bis zuletzt zum engsten Umfeld von ihr, Mundlos und Böhnhardt zählte, kein Wort zu den zahlreichen Neonazis aus dem Umfeld der „Kameradschaft Jena“ und von „Blood & Honour“ Chemnitz, die dem Trio beim Untertauchen halfen – und das, obwohl sie natürlich sehr genau Angaben zu diesen hatte machen können. Lediglich die Neonazis Tino Brandt, Thomas Starke und Jan Werner werden erwähnt. Letzterer habe Böhnhardt und Mundlos eine Waffe besorgen wollen, sie sei sich zwar nicht sicher, glaube aber, es sei auch von einem Schalldämpfer die Rede gewesen. Offensichtlich ein Versuch, Zweifel an der Lieferkette der Ceska von der Schweiz über Wohlleben und Carsten Schultze zum NSU zu wecken.
Die Einlassung Wohllebens — das 11. Opfer
Schon am 16. Dezember 2015 folgte auch die Einlassung Wohllebens. Er bestreitet die ihm von der Anklage vorgeworfenen Taten. Er habe zwar seinen Freunden beim Untertauchen geholfen, es aber niemals für möglich gehalten, dass diese solche Straftaten begehen. Er sei davon ausgegangen, dass Uwe Böhnhardt die Waffe nur haben wollte, um sich im Falle einer Festnahme selbst zu töten. Er habe sich in seiner politischen Arbeit, aber auch privat immer gegen die Anwendung von Gewalt, insbesondere gegen fremdenfeindliche Gewalt ausgesprochen: Wohlleben inszeniert sich als Opfer. Als Opfer der Wende, welche nicht die von ihm gewünschte nationalistische Ausrichtung brachte, sondern Globalisierung, Migration und Kapitalismus. Als Opfer der Polizei, die willkürlich gegen „Nationalisten“ vorgegangen sei. Als Opfer der Antifa, die ihn und seine Kameraden immer wieder angegriffen habe. Als Opfer der Mitangeklagten Holger Gerlach und Carsten Schultze, die nicht nur sich selbst, sondern auch ihn belasten.
Bemerkenswert an der Erklärung Wohllebens ist, dass sie ähnlich der Einlassung Zschäpes stark auf den angeblichen Selbstmordplan Böhnhardts aufbaut. Wo Zschäpe allerdings abstruse Erklärungen für bestimmte Behauptungen gesucht hat, beschränkt sich Wohlleben auf das bloße Leugnen. Wo Zschäpe ihre politische Einstellung zu verbergen versucht hat, nutzt Wohlleben den Auftritt im Gerichtssaal für politische Propaganda, verliest ausführlich aus dem Aufruf zum von ihm mitveranstalteten „Fest der Völker“, spielt ein Neonazi-Propaganda-Video ab, das Theorien des „Ethnopluralismus“ darstellt.
Die Wohlleben stark belastenden Aussagen der Angeklagten Schultze und Gerlach, die zu einem frühen Zeitpunkt bereits gegenüber der Polizei gemacht worden sind und später vor Gericht wiederholt wurden, werden sich mit bloßem Leugnen nicht widerlegen lassen, zumal eine Einlassung zu einem so späten Zeitpunkt, die auf die bereits durchgeführte Beweisaufnahme zugeschnitten ist, ohnehin nur geringen Beweiswert hat.
Im Übrigen zeigte sich schon bei der allerersten Frage an Wohlleben, dass er seine Ankündigung, er wolle alle Fragen beantworten, nicht durchhalten wird: gefragt nach dem Passwort seiner verschlüsselten Festplatte, weigerte er sich, dieses herauszugeben und behauptete, die Daten seien identisch mit denen auf der nicht verschlüsselten Platte. Eine wenig plausible Erklärung — wenn die Dateien mit den schon bekannten Daten identisch wären, wäre es ja kein Problem, das Passwort herauszugeben.
Das lange, lange Ende
Die Fortsetzung der Einlassung Zschäpes zieht sich dahin. Nach wie vor hat Zschäpe noch nicht auf alle ihr gestellten Fragen antworten lassen. Dieses Spiel wird sich mit Sicherheit noch bis in den Frühsommer 2016 hinziehen. Währenddessen werden nun die letzten Bank- bzw. Postüberfälle abgearbeitet. Ende März soll nun auch nochmals die Ehefrau des Käufers der Ceska in der Schweiz vernommen werden. Damit könnte die Beweisaufnahme eigentlich bald abgeschlossen werden. Allerdings hat der Vorsitzende bislang noch versäumt, einen großen Teil der Asservate und für die Ermittlungen relevanten Beschlüsse ordnungsgemäß einzuführen. Außerdem hat er zuletzt angefangen, Zeugen aus dem kriminellen Milieu Jenas der 1990er und 2000er Jahre zu laden. Diese hatten zahlreiche Beziehungen zur Neonaziszene, aus der sie größtenteils selbst stammten, und könnten Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos mit Waffen beliefert haben. Bislang gibt es allerdings keinen ernstzunehmenden Hinweis darauf, dass dies tatsächlich so war und dass dabei auch eine Waffe mit Schalldämpfer im Spiel war.
Vorsorglich hat das Gericht inzwischen allerdings fast alle Beweisanträge der Nebenklage abgelehnt, die auf Aufklärung der Verstrickungen des Inlandsgeheimdienstes gerichtet waren. In einem dieser ablehnenden Beschlüsse führt der Senat aus, die Frage ob und warum ein Beamter im Bundesamt für Verfassungsschutz die Vernichtung von V-Mann-Akten anordne, ließe keinen unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit der Schuld- und/oder Straffrage hinsichtlich der angeklagten Personen erkennen.
Damit ist deutlich: das zwischenzeitlich geweckte Interesse des Gerichts an der tatsächlichen Einbindung des NSU in Neonazinetzwerke und die Verstrickung des Inlandsgeheimdienstes ist erloschen. Der Senat bereitet sich auf das Urteil vor, das womöglich doch zu der völlig eingeengten Sicht der Anklage der Bundesanwaltschaft, dem NSU als isolierte Gruppe von drei Personen, zurückkehrt.