Der „Fall Simon Brenner“
Michael DandlZwischen November 2009 und Dezember 2010 gab sich in Heidelberg ein Verdeckter Ermittler (VE) als Student „Simon Brenner“ aus, um politische und persönliche Informationen über linke Aktivist_innen in detaillierter Berichtform an das baden-württembergische Landeskriminalamt (LKA) in Stuttgart und die einsatzanordnende Polizeidirektion Heidelberg weiterzugeben.
Spitzeleinsatz war rechtswidrig
Der LKA-geführte Beamte konnte sich tiefgehende Einblicke in politische und private Zusammenhänge verschaffen. Nach anfänglicher Mitarbeit in der Hochschulgruppe des Sozialistisch-Demokratischen Studierendenverbandes hatte er vor allem die Kritische Initiative sowie einige, auch überregionale Kampagnenbündnisse und lose Netzwerke ausgespäht. Der VE konnte am 12. Dezember 2010 in der Heidelberger Altstadt enttarnt werden. Sieben von seinem Einsatz Betroffene aus Heidelberg reichten am 8. August 2011 Fortsetzungsfeststellungsklage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe (VG KA) ein, um die polizeiliche Repressionsmaßnahme für rechtswidrig erklären zu lassen. Am 26. August 2015 fand die von starkem medialen Interesse begleitete Hauptverhandlung gegen das Bundesland Baden-Württemberg vertreten durch das Polizeipräsidium Mannheim statt. Zwei Monate später erreichte die Beteiligten das schriftliche Urteil: Darin beschließt die 4. Kammer des VG KA, dass der gegen alle Kläger_innen gerichtete Einsatz des Verdeckten Ermittlers formal und materiell rechtswidrig war.
Was war der Hintergrund?
Auf Insistieren der Heidelberger Staatsschutzabteilung ordnete der Leitende Kriminaldirektor ihres Polizeipräsidiums offiziell den auf mehrere Jahre angelegten Einsatz des Verdeckten Ermittlers an, um mit seiner Hilfe ab Mitte November 2009 die gut vernetzte „linksalternative Szene" des Rhein-Neckar-Kreises „aufzuhellen“ und im weiteren Verlauf an den „inner circle“ der seit April 1999 existierenden Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD) heranzukommen. Simon Bromma, so der Realname des vom LKA Stuttgart nach Heidelberg entsandten Polizei-Spitzels, sollte sich — idealtypisch betrachtet — von den politisch eher unbedarften Rändern dieser „Szene“, in deren Umfeld sich laut Staatsschutz auch vermeintliche linksradikale Politaktivist_innen bewegen, zum „harten Kern“ der militanten Antifa herantasten und dabei von unten nach oben alle Stufen der in Ermittlungskreisen analytisch präferierten „Radikalisierungspyramide“ durchlaufen. Erfolgreich dort angekommen, sollte sich sein vorher „erworbener“ Vertrauensvorschuss soweit entfaltet haben, dass er — im direkten politischen und persönlichen Umfeld seiner beiden aktenkundigen Einsatzziel- und Kontaktpersonen aus der Heidelberger Antifa — jederzeit aus einem Pool an kriminalisierungstechnisch verwertbaren Informationen hätte schöpfen können. Für die mittel- und langfristige Zukunft sollte es vor allem darum gehen, lebens-, sachwert- und vermögenswertbedrohende Angriffe auf „politische Feinde“ auf ihre Ursprungsbefehlsgeber_innen zu rekurrieren und polizeilich zu unterbinden, bevor sie überhaupt hätten realisiert werden können.
Nachweislich gelungen ist ihm das beim „Heldengedenken“ auf dem „Ehrenfriedhof“ in Heidelberg, als am 14. November 2010 ein starkes Polizeiaufgebot jeglichen antifaschistischen Widerstand verunmöglichte. Bromma hatte — eigenen Aussagen beim protokollierten Konfrontationsgespräch am 12. Dezember 2010 zufolge — bei einem Telefonat mit der örtlichen Polizeieinsatzleitung empfohlen, die Zugänge zum zentralen Ort des rechtskonservativen Gedenkens für antifaschistische Gegendemonstrant_innen undurchlässig zu machen. Er war der Meinung, seine Zielperson aus der AIHD habe beim persönlichen Mobilisieren für die bereits traditionelle antifaschistische Gegenkundgebung, bei der bisher linke Flugblätter verteilt und antimilitaristische Transparente hochgehalten worden waren, zum Ausdruck gebracht, dass mit „spektakulären militanten Aktionen“ zu rechnen sei...
Warum wurde der VE eingesetzt?
In der Einsatzanordnung der Heidelberger Polizeidirektion wird deutlich: Der behördenintern unter der Codebezeichnung „Operation Morpheus“ laufende Auftrag des proaktiven Einsatzes des VEs lautete, mittels des „von außen“ ins grob gerasterte linke Polit-Milieu eingeschleusten Beamten „rechtzeitig gegen sich bildende terroristische Vereinigungen einzuschreiten“. Dabei wurde davon ausgegangen, dass die Planung, Organisation und Durchführung politisch motivierter „Straftaten mit erheblicher Bedeutung“ logistisch und materiell direkt in der AIHD zu verorten wären. Im juristischen Diskurs über „unbestimmte Rechtsbegriffe“ müssen solche „Straftaten mit erheblicher Bedeutung“, auch wenn sie eine politische Konnotation haben, mindestens „dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen sein, den Rechtsfrieden empfindlich stören und dazu geeignet sein, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen“.
Aus der AIHD sollte demnach eine „gefügte Struktur“ konstruiert werden, die sich — angeleitet von einigen „besonders konspirativ agierenden Führungspersonen“ — in turnusmäßigen Abständen zu geschlossenen, nicht-öffentlichen Gruppen-Treffen zusammenfinde, um dabei gemeinsame, strafrechtlich relevante „Aktionen im Bereich des Antifaschismus“ zu planen. In der „Feststellung der Rechtswidrigkeit des Einsatzes eines Polizeibeamten als Verdeckter Ermittler“ des VG KA heißt es hierzu: „Ein Ziel [der AIHD] sei die Bekämpfung des Faschismus insbesondere in Heidelberg und Umgebung, da nach Auffassung dieser Gruppe diese Bekämpfung auf staatlicher Seite nicht energisch genug betrieben werde. Im Zuge dieser Bekämpfung werde auch die Konfrontation mit rechten Gruppierungen und einzelnen rechts stehenden Personen gesucht.“ Damit reiht sich die „Causa Brenner“ in eine lange Geschichte staatlicher Kriminalisierungswellen gegen die antifaschistische Bewegung ein, deren spektakulärste Fälle die in den 1990er Jahren angestrengten §129a-Verfahren gegen Passauer und Göttinger Antifa-Strukturen waren.1
Die Methode ermittlungsbehördlicher „Aufklärungsarbeit“
Auch wenn im Heidelberger Fall die Strafprozessordnung außen vor gelassen und stattdessen § 22 des baden-württembergischen Landespolizeiaufgabengesetzes als Ermächtigungsgrundlage herangezogen wurde, und hier aktentechnisch nur zwei konkret benannte Zielpersonen und deren jeweilige Kontaktpersonen ins VE-Visier genommen wurden: Die Methode solcher ermittlungsbehördlicher „Maßnahmen zur Lageerhellung“ ist letzten Endes immer dieselbe. In Staatsschutzkreisen wird für eine bestimmte Stadt, eine bestimmte Region oder ein bestimmtes Bundesland ein eklatanter Anstieg „links motivierter Gewalttaten“ konstatiert, der mit mutmaßlichen empirischen Daten unterfüttert wird. Im Heidelberger Fall stellten die für „Gefahrenprognosen“ mitverantwortlichen Staatsschutzabteilungen der Kriminalpolizeien in Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsbehörden fest, dass im Jahr 2009 in Baden-Württemberg ein Anstieg „links motivierter Gewalttaten“ zu verzeichnen sei, auf den unbedingt „reagiert“ werden müsse. Nehme die messbare Rate solcher „Gewalttaten“ staatlich unbeantwortet weiter zu, so drohten der Bestand und die Sicherheit eines Bundeslandes in eine gefährliche Schieflage zu geraten.
Was bedeutet das für die Antifa?
Verbindlich und kontinuierlich arbeitende Antifa-Gruppen, deren politisches Engagement im emanzipatorischen Sinne über die derzeit herrschenden Verhältnisse hinausweist, müssen staatliche Repression in all ihren präventiven, reaktiven und proaktiven Ausformungen mitdenken und in die Reflexionsprozesse ihrer theoretischen und praktischen Ambitionen mit einbauen, ohne sich dabei in schubweiser Paranoia oder binnenstruktureller Panik zu verfangen! Unter panoptischen Prämissen ist davon auszugehen, dass bei staatlich legitimierten, subventionierten und letztlich physisch organisierten Überwachungsmaßnahmen implizit immer auch mitschwingt, dass die einzelnen Disziplinargesellschaftssubjekte automatisch ein zu regelkonformem Verhalten zwingendes „Sich-Überwacht-Fühlen“ internalisieren und es dadurch in ein individuell handlungsleitendes Moment übersetzen lassen.
Das Problem mit der Rechtsstaatskonformität
Das Problem bestand im Heidelberger Fall für die VE-einsetzenden Behörden darin, dass die Rechtsstaatskonformität mit einer formal und materiell rechtswidrigen „Datenerhebungsmaßnahme“ erzeugt werden sollte, in deren Verlauf unzählige rechtsstaatliche Mindeststandards über Bord geworfen wurden, ohne dass dies zu personellen Konsequenzen im vollziehenden Gewaltapparat geführt hätte. Die Heidelberger Polizeibehörde mutierte hier zur politischen Akteurin, die unter umfassender Anwendung personalisierter geheimdienstlicher Methoden „Aufhellungsarbeiten“ in der antifaschistischen Szene durchführte. Überraschenderweise sieht dies das Verwaltungsgericht Karlsruhe genauso: Es hat mit Nachdruck festgehalten, dass sich das „nachgeordnete Vollzugsorgan“ Polizei hier in einen von Willkürmaßnahmen geprägten rechtsfreien Raum begeben und die im demokratischen Rechtsstaat BRD verbürgten Grundrechte einer sehr großen Anzahl von Menschen für einen bedeutenden Zeitraum ausgehebelt habe — und das ohne das Wissen der Betroffenen.
Trotzdem ist davon auszugehen, dass die jeweiligen Landeskriminalämter und Landespolizeidienststellen auch in Zukunft nichts unversucht lassen werden, die vom staatlichen Gewaltmonopol getragene Rechtsstaatskonformität hegemonial werden zu lassen. Auch wenn die dabei angewandten Methoden nachträglich als rechtswidrig eingestuft werden.
Weitere Informationen unter: spitzelklage.blogsport.de
- 1Vgl. AIB Nr. 52