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„Die Erfolge der HDP gaben uns neue Hoffnung“

Euferates K. (HDP Berlin)
Einleitung

Über die Situation linker Kurd_innen und Türk_innen in Berlin sowie das Erstarken rechter türkischer NationalistInnen sprachen wir mit Euferates K. von der "Halkların Demokratik Partisi" (HDP) in Berlin.

Foto: ISKU / ANFKurdi.

Zerstörungen im Berliner HDP Büro.

AIB: Du bist in den frühen 1990er Jahren als kurdischer Jugendlicher in Berlin-Kreuzberg aufgewachsen. Wie bist du damals mit dem türkischen Nationalismus konfrontiert worden?

Euferates K.: Ich bin am Kottbusser Tor aufgewachsen und wir haben immer auf dem Hinterhof Fußball gespielt. Mit 14, 15 fingen Jugendliche an, die türkische Flagge zu tragen. Es waren die heißen 1990er, wo das Thema Identität hier in Deutschland sehr stark diskutiert wurde und sich vor allem junge Türken immer mehr in ihre Community zurückzogen. Manche liefen dann aber mit drei Halbmonden rum und haben den Wolfsgruß gezeigt. Ich habe versucht aufzuklären, was die natürlich nicht so gut fanden und hab gesagt: „Ey guckt mal, ich bin Kurde, ihr grenzt mich damit aus.“ Dann haben wir uns geschlagen. Das häufte sich dann immer mehr. Man hat mit den Leuten jahrelang Fußball gespielt, sich auf dem Hinterhof getroffen, gechillt und dieselben Interessen gehabt, aber dann kam der Bruch, als der starke Nationalismus bei den Jugendlichen wach wurde.

AIB:  Wenn über rechte Gewalt in Deutschland gesprochen wird, fallen an einigen Orten in Deutschland Worte wie „Angstzonen“ oder „No-Go-Areas“. Gibt es so etwas für Kur­d_in­nen oder linke Türk_innen in Berlin?

Euferates K.: Wenn wir von Bezirken wie Kreuzberg, Wedding oder Neukölln reden, ist es unproblematisch, sich auf der Straße zu bewegen. Das liegt auch daran, dass man nicht gleich ausstrahlt, welcher Gruppe man angehört. Wenn ich ein Symbol um den Hals hätte, das eine bestimmte kurdische Gruppe symbolisiert, ist es natürlich kritisch, wenn ich an einem Laden vorbeilaufe, wo mehrheitlich türkische Nationalisten und „Graue Wölfe“-Anhänger sitzen. Es gibt Cafés, Fußballclubs und Vereine, in die man lieber nicht reingehen sollte und wo man mich vielleicht auch erkennt, weil ich politisch aktiv bin. Auch gehe ich lieber in die Obst- und Gemüseläden, bei denen ich weiß, dass sie keinem Nationalisten gehören.

AIB: Erkennst du „Graue Wölfe“ im Alltag und wie laufen solche Begegnungen ab?

Euferates K.: Wenn gewisse Symbole getragen werden, erkennt man das, ansonsten eher nicht. Aber sobald man in eine Diskussion kommt oder beispielsweise einen Infostand zum Thema Flüchtlingsdeal mit der Türkei macht, dann sieht man schon an der Gestik und Mimik, dass einige damit nicht einverstanden sind. Das Problem ist ja auch, dass man türkische Nationalisten schwer voneinander trennen kann. Die sind zum Teil alle gleich radikalisiert, wobei die „Grauen Wölfe“ noch zur Gewalt neigen. Aber auch die Sozialdemokraten sind streng kemalistisch, was wiederum ein starker Nationalismus ist.

AIB: Was sind denn die Symbole, die auf der Straße getragen werden und woran könnte man das erkennen?

Euferates K.: Die drei Halbmonde, das Wolfszeichen und dann gibt es diese zahlreichen Motorradgangs, die ihre eigenen Symbole haben. Aber allein die türkische Flagge um den Hals zu tragen zeigt eigentlich schon, dass ein tiefer Nationalismus in den Jugendlichen steckt. Vor allem als Kurde fühle ich mich von der türkischen Flagge gestört, wobei ich als Linker Nationalfahnen natürlich an sich verabscheue.

AIB: Findest du, dass sich die Situation nach dem Putschversuch in der Türkei verschärft hat?

Euferates K.: Der Putschversuch ist natürlich ein Wendepunkt, aber ich sehe den größeren schon bei den ersten Parlamentswahlen im Juni letzten Jahres. Da fing es an, dass sich türkische Nationalisten, also die „Grauen Wölfe“, zum Teil mit den religiösen Fundamentalisten der AKP verbündet haben und sich deren Politik bewusst gegen die kurdische Friedensbewegung, Aleviten und andere Minderheiten gerichtet hat. Hier in Deutsch­land geschah das dann zeitversetzt. In der Türkei wurden alevitische Dörfer und HDP-Büros angegriffen und wenige Tage später gab es auch hier wieder mehr Angriffe. Die Radikalisierung die hier stattfindet, wird auch von der Türkei aus gelenkt. Das geschieht z.B. dadurch, dass Vereine finanziert werden die Jugendliche agitieren. Doch wurde auch zugelassen, dass Jugendliche ihre Parallelwelt — eine Welt, die ihre Eltern aus der Türkei und ihrer Schulzeit mitgebracht haben — unkritisch ausleben, anstatt Themen wie z.B. die Armenienfrage und die Kurdistanpolitik kritisch — etwa in der Schule — zu diskutieren.

AIB: Türk_innen in Deutschland dürfen bei Wahlen in der Türkei ihre Stimme abgeben und diese sind nicht unerheblich. Du hast in Berlin den Wahlkampf der linken HDP mitorganisiert. Wie lief das hier ab?

Euferates K.: Wir fingen mit dem Wahlkampf in Berlin im März 2015 an. Die Erfolge der HDP in der Türkei gaben uns neue Hoffnung. Verschie­denste gesellschaftliche Gruppen konnten ihre Themen einbringen und dazu kam noch die Situation in Rojava, wo das Modell einer Basisdemokratie versucht wird umzu­setzen. Diese Euphorie haben wir auch hier gespürt und dementsprechend war der Wahl­kampf richtig schön. Es waren ja noch die Friedensverhandlungen auf dem Weg und wir konnten unseren Wahlkampf in Ruhe machen, bis die AKP kurz vor den Wahlen merkte, dass die Kurden ihre eigenen Ideen umsetzen. Die gesamte linke Bewegung in der Türkei und auch die HDP wurde zum Feindbild erklärt. Kurz vor den Wahlen dann ist in Diyarbakir die erste Bombe mit zahlreichen Toten auf einer HDP-Kundgebung hochgegangen. Da fing es an, dass die Friedensverhandlungen aufgegeben wurden und wir hier auch keinen richtigen Wahlkampf mehr machen konnten.
Die AKP hat sich nach rechts orientiert und viele ultranationalistische Abgeordnete rekrutiert. Diese Entwicklung hat sich hier wiedergespiegelt. Unsere Infostände wurden angegriffen und es gab Hassbotschaften wie „Kurden-HDP gleich Terrorismus“. Der neu entstandene Nationalgedanke à la „das Osmanische Reich und die ganzen Turkvölker werden eins“, gab den Nationalisten Rückenwind. Neben ständigen Angriffen auf unsere Infostände erhielten wir Morddrohungen und unsere Jugendlichen konnten nicht mehr allein auf die Straße, weil man sie von unseren Demos kannte.

AIB: Du hast gesagt, eure Infostände wurden angegriffen. Wisst ihr wer das war?

Euferates K.: Es waren Leute, die den Wolfsgruß gezeigt haben und Türkeifahnen oder Flaggen mit den drei Halbmonden trugen. Die sind immer wieder aufgetaucht. Die Polizei ist dazwischen gegangen, hat aber dann unsere Leute festgenommen, obwohl wir immer wieder dazu gedrängt haben, Ruhe zu bewahren. Wir sind eine Partei, die in der Türkei für Frieden kämpft und dafür, dass die Friedensverhandlungen wieder aufgenommen werden. Wir lassen uns nicht provozieren, aber das ist natürlich schwer, wenn die Ultranationalisten kommen und unsere Infostände mit Steinen bewerfen.

AIB: Auf das HDP-Büro in Berlin Kreuzberg gab es mehrere Angriffe. Es wurde Feuer gelegt und eingebrochen. Habt ihr eine Ahnung wer das war oder hat sich dazu jemand bekannt und wie war die Reaktion der Polizei?

Euferates K.: Die Angriffe fingen direkt am Abend der Eröffnung an. Wir haben den Laden dicht gemacht, sind gegangen und dann gab es zwei Molotow-Brandsätze. Da wird sich jemand von unserer Politik gestört gefühlt haben. Bei diesem Angriff gab es viele Indizien: Fingerabdrücke, Schuhabdrücke und der Hausmeister hat ja den Brand bemerkt und sofort reagiert, sonst wäre vielleicht das gesamte bewohnte Gebäude abgebrannt. Trotz der Beweislage ist von Seiten der Polizei nicht viel ins Rollen gekommen. Ich persönlich hatte das Gefühl, dass wenig Interesse bestand, den Fall aufzuklären.
Im November waren dann die Wahlen und bis dahin gab es ständig Angriffe, wodurch z.B. unsere Rollläden zweimal zerstört wurden. Nach der Wahl sind Leute eingebrochen und haben den gesamten Laden, den wir gerade frisch gestrichen hatten und abgeben wollten, mit türkisch-nationalistischen und „Graue Wölfe“-Symbolen beschmiert. Deshalb gehen wir davon aus, dass alle Aktivitäten gegen uns auch von diesen Gruppen verübt wurden.

AIB: Wie stellst du dir eine gemeinsame antifaschistische Praxis vor?

Euferates K.: Gute Frage! Um ein Bündnis zu schaffen, das auch gegen die „Grauen Wölfe“ vorgeht, ist es wichtig, sich nicht voneinander abzugrenzen und die Kräfte zu bündeln. Wir müssen uns besser vernetzen und gemeinsam auf die Straße gehen, sodass wir wieder zahlreich und laut sind und unsere Stimme erheben.

AIB: Vielen Dank für das Gespräch.