Zum Tod des Faschismusforschers Kurt Gossweiler
Im Mai 2017 ist der Faschismusforschers Kurt Gossweiler im Alter von 99 Jahren verstorben.
Verdienste und Irrtümer
In den 1970er Jahren hatte die Debatte um Faschismustheorien nicht nur in der Sozial-und Geschichtswissenschaft, sondern ebenso in den tagespolitischen Debatten der alten Bundesrepublik Hochkonjunktur. Linke aller Schattierungen hegten den Verdacht, die postnazistische Elite Westdeutschlands bereite die Rückkehr zum Faschismus vor. In der westdeutschen Forschung zu Ursachen und Voraussetzungen der Nazi-Herrschaft dominierten Ansätze wie die These von der charismatischen Herrschaft Hitlers oder phänomenologischen Deutungen, wie jene Ernst Noltes. Die marxistische Faschismusforschung war zwar an einigen Universitäten wie in Marburg mit Reinhard Kühnl vertreten, sah sich aber vor dem Hintergrund des kalten Krieges ausgegrenzt.
Anders in der DDR. Dort war nach dem Krieg mit der bürgerlichen Geschichtswissenschaft und ihren Kontinuitäten zur NS Zeit gebrochen worden. An ihre Stelle trat jedoch das Primat einer marxistischen Auffassung von Geschichte, die in einem leninistischen Sinne Waffe im Klassenkampf sein sollte. Die Geschichtswissenschaft, und noch stärker die Erforschung des Aufstiegs des Faschismus in Europa und Deutschland, wurde in Ost wie West als Instrument der Systemauseinandersetzung im kalten Krieg angesehen.
Eine der zentralen Kontroversen war etwa jene über die Ursachen des Endes der Weimarer Republik. Bereits in den 1950er Jahren veröffentlichte Karl Dietrich Bracher sein für Westdeutschland prägendes Werk über das Ende der Weimarer Rebublik, in dem sich die bürgerlichen, national-konservativen Eliten von ihrer Verantwortung für den Aufstieg des Faschismus entlastet sahen. Dem setzte die DDR-Geschichtswissenschaft eine detaillierte Erforschung der Rolle des Kapitals als wesentlicher Motor des Aufstiegs des Faschismus entgegen.
Unter ihnen war der Kommunist Kurt Gossweiler. Nach dem Machtantritt der Nazis war er illegal für den kommunistischen Jugendverband (KJVD) tätig. Als Soldat zur Wehrmacht eingezogen, desertierte er und lief 1943 zur Roten Armee über. Nach der Kriegsgefangenschaft kehrte er 1947 nach Ostberlin zurück und arbeitete in der SED-Bezirksleitung. Ab 1955 arbeitete er als Asisstent am Institut für Geschichte der Humboldt-Universität Berlin, wo er 1963 bei Erich Paterna über die sogenannte „Röhm-Affäre“ promovierte. Darin versuchte Gossweiler den Nachweis zu führen, dass die im Juni 1934 von der SS durchgeführte Enthauptung der SA Ausdruck einer Auseinandersetzung nicht nur zwischen Machtgruppen im Apparat von Reichswehr und sich formierendem NS Staat, sondern verschiedener Kapitalfraktionen war.
In den Faschismus-Theorie-Debatten der Zeitschrift „Das Argument“ war Gossweiler ein scharfer Kritiker westlich-marxistischer Lesarten des Aufstiegs des Faschismus. Der neomarxistischen westlichen Neuen Linken warf Gossweiler Revisionismus vor, und sah sie als Gefahr für den Deutungsanspruch der marxistisch-leninistischen Orthodoxie an. Vor allem gegenüber dem Historiker Tim Mason und dessen Thesen einer im Laufe der NS-Herrschaft zunehmenden Entfremdung zwischen Wirtschaft und NS-Führung, profilierte sich Gossweiler als orthodoxer Vertreter der Dimitroff-Thesen der kommunistischen Bewegung. Gossweiler hielt an der Auffassung fest, der Faschismus sei Ausdruck einer Herrschaftsform des „staatsmonopolistischen Kapitalismus“ der bürgerlichen Gesellschaft.
Seine Arbeiten zur Verstrickung des Kapitals in den Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland wurden in der westdeutschen Linken zunächst als Raubdrucke rausgebracht und heftig diskutiert. Sie waren Quelle für den Nachweis eines Zusammenhangs zwischen Faschismus und Kapitalismus. Gossweilers Verdienst in der Forschung zum Machtantritt der Nazis bestand darin, systematisch herausgearbeitet zu haben, welche Kapitalgruppen aus welchen Gründen die NSDAP in ihrer Aufstiegsphase unterstützten und finanzierten. Dies war in der alten Bundesrepublik lange ein Tabu. Zugleich teilte Gossweiler mit anderen marxistisch-leninistischen Historikern die Blindheit gegenüber der Dynamik der Ideologie des Antisemitismus, und dessen Schlüsselrolle für die Ziele und die Machtausübung der Nazis. An der führenden Auffassung, dass Kapital habe sich des Antisemitismus‘ für seine Ziele bedient, hielt er nach dem Ende der DDR fest. In einem Debattenbeitrag in der Zeitschrift „konkret“ über die Leistungen und Fehler der DDR-Forschung zum Thema Holocaust wies Gossweiler 1992 die Kritik ehemaliger Kollegen, die DDR-Forschung habe den Antisemitismus als sekundäre Frage behandelt, mit dürren Argumenten zurück.
Nach dem Ende des Sozialismus änderte Gossweilers marxistisch-leninistische Sicht auf die Geschichte ihre Richtung in einem neostalinistischen Sinne. So veröffentlichte er in den 1990er Jahren zwei Bände, die den Nachweis liefern sollten, dass und wie Chrustschow den Grundstein für die Zerstörung des sozialistischen Lagers gelegt habe, dessen Höhepunkt der Ausverkauf der Sowjetunion unter Gorbatschow gewesen sei. Damit isolierte sich Gossweiler nicht nur in der undogmatischen Linken.
Im Mai 2017 ist Kurt Gossweiler im Alter von 99 Jahren verstorben. In der Zeitung „Neues Deutschland“ erschien nur eine Notiz, in der Zeitung „junge Welt“ ein hagiographischer Nachruf des Leiters der DKP-Partei-Schule, Jürgen Lloyd. Eine kritische Würdigung der Verdienste und schweren Irrtümer Kurt Gossweilers steht noch aus.