"Nationale Bewegung": Die Nicht-Aufklärung einer rechten Anschlagsserie
"NSU Watch Brandenburg" (Gastbeitrag)Eine Gruppierung namens „Nationale Bewegung“ verübte in den Jahren 2000 und 2001 in Potsdam und Umgebung eine Reihe von Anschlägen und Propagandaaktionen, die nie aufgeklärt wurden.
Nachdem die „Nationale Bewegung“ in der Nacht vom 7. auf den 8. Januar 2001 einen Brandanschlag auf die Trauerhalle des jüdischen Friedhofs in Potsdam verübte, übernahm die Generalbundesanwaltschaft die Ermittlungen. Trotz vieler Hinweise, trotz vieler Indizien, trotz vieler Verdächtiger, trotz einer Sonderermittlungsgruppe „Soko NaBe“ und trotz V-Leuten, die in der Neonaziszene der Region platziert waren, wurden dieser Anschlag und weitere Taten nie aufgeklärt. Dass auf Behördenseite einiges schief lief, ist offenkundig. Im Brandenburger Landtag arbeitet seit 2016 ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss, der NSU-Verbindungen im Bundesland, aber auch andere Episoden des rechten Terrors in Brandenburg wie die Taten der „Nationalen Bewegung“ aufklären soll.
Die Verdächtigen und eine fragwürdige Ermittlungspraxis
Ein Blick zurück: Am 30. Januar 2001 überreichte der Brandenburger Verfassungsschutz der Polizei ein Behördenzeugnis. Unter Berufung auf den zu dieser Zeit noch nicht aufgeflogenen V-Mann Christian K. wird darin behauptet, der Neonazi Marcel K. hätte mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ den Anschlag auf die Trauerhalle verübt. Doch die nun auf Marcel K. ausgeweiteten Ermittlungen der Soko „NaBe“ bringen keine Beweise für dessen Täterschaft hervor.
Mit der „Nationalen Bewegung“ brachte die Polizei insgesamt 55 Neonazis in Verbindung. Dazu gehörten der Potsdamer Rechtsrockmusiker Uwe „Uwocaust“ Menzel, der „Landser“- und „Proissenheads“ Musiker Christian Wenndorf, der Proissenheads-Musiker Ilja Schartow sowie die „Blood & Honour“-Funktionäre Stefan Rietz und Dirk Horn. Die genannten Musiker sind schon zuvor durch Militanz in Erscheinung getreten. Ilja Schartow etwa versandte 1998 eine Morddrohung an einen linken Potsdamer Aktivisten. Bei Menzel wurden im Sommer 2000 im Zuge einer Hausdurchsuchung Waffen sichergestellt, die ihm der Verfassungsschutzspitzel „Piatto“, Carsten Szczepanski, vermittelt hatte.
Am 1. Februar 2001 überwachte das LKA ein Telefongespräch. Der Potsdamer Neonazi Marcus Sch. äußerte darin gegenüber Uwe Menzel: „Gut ich wollt nur sagen, ich habe die Bombe gelegt. Nationale Bewegung, hehehe“. Vermutlicher Hintergrund: Am 30. Januar 2001 las der Kabarettist Serdar Somuncu aus Hitlers „Mein Kampf“. Am 30. und 31. Januar 2001 erhielten verschiedene Stellen Drohbriefe der „Nationalen Bewegung“.
Im Brandenburger Untersuchungsausschuss wurden über mehrere Monate verschiedene Akteur_innen der damaligen Ermittlungen befragt. Dadurch wurde immerhin bekannt, dass zwischen dem Neonazi Uwe Menzel und dem LKA Brandenburg ein sehr distanzloses Verhältnis bestand. So gab ein LKA-Beamter bei einer nur wenige Tage nach dem Brandanschlag auf die jüdische Trauerhalle erfolgten Vernehmung von Uwe Menzel ihm gegenüber Wissen aus dem Ermittlungsverfahren preis. Menzel wurde offenbar weniger als Zeuge oder Beschuldigter, sondern eher als Sachverständiger befragt. Dem Neonazi wurden im Gespräch unter anderem Details aus Abhörmaßnahmen und das Bekennerschreiben der „Nationalen Bewegung“ vorgelesen. Zudem sei Menzel aufgefordert worden, mit Stefan Rietz und Marcel K. Rücksprache zu halten.
Ein Sachstandsbericht der „Soko NaBe“ vom April 2001 bestätigte die von Antifas vorgelegte Recherche, dass die „Nationale Bewegung“ im Umfeld der Potsdamer RechtsRock-Band „Proissenheads“ zu verorten sei. Die Ermittler regten darin an, gegen Uwe Menzel und das Umfeld der „Proissenheads“ wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung zu ermitteln. Warum in der Folge gegen diese Personen trotzdem nicht ermittelt wurde, konnten die vor dem Ausschuss im Juni 2017 als Zeugen geladenen LKA-Beamten nicht erklären.
Für den 17. Februar 2001 plante die Polizei eine Razzia gegen Verdächtige aus der Potsdamer Neonaziszene. Vor dem Ausschuss wurde immer wieder betont, dass die Razzia angeblich „allgemeinpräventiv“ ausgerichtet und kein Teil der Ermittlungen wegen der „Nationalen Bewegung“ war. Sie betraf aber in jedem Fall genau das fragliche Neonazimilieu. Die Razzia wurde jedoch durch den Verfassungsschutz-V-Mann „Backobst“ Christian K. an den brandenburgischen „Blood & Honour“-Kader Sven Schneider verraten. Da letztgenannter in einer anderen Sache telefonisch überwacht wurde, erfuhr das LKA zufällig von dem Verrat. Eilig wurde die Durchsuchung auf den Folgetag, den 7. Februar 2001, vorgezogen, doch wurde nichts Relevantes gefunden. Die „Nationale Bewegung“ selbst trat nach der Razzia nicht mehr in Erscheinung.
Geheimnisverrat ohne Konsequenzen für VS und LKA
Erst 2003 kam der Razzienverrat durch Medienberichte ans Licht. Christian K. wurde angeklagt und zu fünf Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Er belastete gegenüber der Presse seinen V-Mann-Führer mit bisher nicht belegten Aussagen: Dieser habe ihn über den Termin der Razzia informiert und ihn animiert, diese Information an Sven Schneider weiterzugeben. Offen blieb, wer dem V-Mann-Führer den Termin der Razzia verraten hatte. Die internen Ermittlungen in dieser Frage leitete damals die Oberstaatsanwältin Marianne Böhm. Sie hatte 2003 gegen den damaligen LKA-Chef Axel Lüdders einen Anfangsverdacht wegen Strafvereitelung im Amt festgehalten. Damals soll Lüdders den Verrat der Razzia durch den V-Mann zwar der Polizei mitgeteilt, jedoch keine Anzeige wegen Verrats von Dienstgeheimnissen erstattet haben. Als Böhm ermitteln wollte, wurde sie zurückgepfiffen. Die Ermittlungen seien zu einer Chefsache erklärt worden, berichtete Böhm im Untersuchungsausschuss. Sie bekam von ihrem Vorgesetzten, dem Leitenden Oberstaatsanwalt Heinrich Junker, die Anweisung, keine Ermittlungen gegen den LKA-Chef anzustellen. Auch über den Brandenburger Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg ist ein ähnlicher Vermerk überliefert. So wurde nur das letzte Glied in der Kette — der V-Mann — für den Razzienverrat verurteilt, während die Beteiligten in den Behörden ungeschoren davonkamen.
Steckt der Verfassungsschutz dahinter?
Rautenberg selbst war am 18. November 2016 und 28. April 2017 vor den Untersuchungsausschuss geladen. Laut Rautenberg hatte sich zu seiner Verwunderung damals der Verfassungsschutz gegen die Übernahme des Ermittlungsverfahrens durch die Generalbundesanwaltschaft ausgesprochen. Die Ermittlungen seien zudem durch die Veröffentlichung eines Bekennerschreibens der „Nationalen Bewegung“ auf der Internetseite des Brandenburger Verfassungsschutzes direkt behindert worden. Rautenberg stellte vor dem Untersuchungsausschuss die These in den Raum, dass es nicht auszuschließen sei, dass es die Gruppe „Nationale Bewegung“ in dieser Form tatsächlich gar nicht gegeben habe. Damit legte er nahe, dass in Wirklichkeit der Verfassungsschutz selbst hinter der „Nationalen Bewegung“ stehen könne. Eine Erklärung hierfür wäre die geheimdienstliche Strategie eines „Honigtopfs“.
Auch Generalbundesanwalt Wolfgang Siegmund verwies vor dem Untersuchungsausschuss auf einige Besonderheiten. So fand sich etwa nach dem Brandanschlag auf einen türkischen Imbiss ein Bekennerschreiben, das keinerlei Brandspuren aufwies, was den Verdacht nährte, das Schreiben könnte erst im Nachhinein dort platziert worden sein.
Behinderung der Aufklärung durch Behörden
Letztlich sind die durch den Untersuchungsausschuss gewonnenen Erkenntnisse zur „Nationalen Bewegung“ nur minimal. Die Behörden haben die Aufklärung des Untersuchungsausschusses unterlaufen, indem relevante Akten erst nicht geliefert und dann nur im Geheimschutzraum unter Aufsicht gesichtet werden durften. Geschwärzte Dokumente, darunter sogar Presseartikel, wurden zunächst in viel zu hoher Geheimhaltung eingestuft. Wer hinter den Taten der „Nationale Bewegung“ steckt, ist somit weiterhin nicht aufgeklärt.
Weitere Informationen zur „Nationalen Bewegung“ im AIB Nr. 93: „Deliktserie“ oder Vorstufe zum Rechtsterrorismus?