"Die Normalisierung des Rechtsrucks sabotieren!"
»the future is unwritten — Leipzig« (Gastbeitrag)Spätestens seitdem bestätigt wurde, dass die Leipziger Buchmesse auch im Jahr 2018 nicht von ihrem Kurs abrücken würde, der extremen Rechten Ausstellungsflächen zur Verfügung zu stellen, war ein reibungsloser Ablauf der Messe die unwahrscheinlichste aller Optionen. Bei diversen Akteur_innen schien zumindest in der Ablehnung der rechten Ideologie Einigkeit zu bestehen. Doch die Heterogenität der strategischen Einschätzungen zeigt, dass die linke Strategiedebatte anlässlich des Rechtsrucks noch lange nicht ausgefochten ist.
Bereits Monate vor der Leipziger Buchmesse im März 2018 hatte der Verleger Christoph Links, einer der Unterstützer_innen der Initiative „Verlage gegen Rechts“ betont: „Alles, was nicht gegen die Gesetze verstößt, soll ausgestellt werden dürfen, das gebietet die Meinungsfreiheit“.1 Zwischen dieser Position und der Auffassung, mindestens die Diskussionsveranstaltungen der Rechten auf der Messe müssten verhindert werden, bewegte sich die Bandbreite der Aktionsformen. Den Auftakt bildete eine Kundgebung der „Verlage gegen Rechts“ vor der Buchmesse-Eröffnung. Am Samstag fokussierten sich linke Akteur_innen dann auf die Veranstaltungen des rechten „Antaios“-Verlags.
Das Bündnis „Buchmesse gegen Rechts“ und die Gruppe „Prisma“ führten eine „Show für die Meinungsfreiheit“ neben der Lesebühne durch, auf der der rechte Verleger Götz Kubitschek wenig später seinen Vortrag halten sollte. Nach dem Ende dieser spontanen Kundgebung verließen deren Teilnehmer_innen geschlossen das Messegelände. Als Kubitschek mit seinem Vortrag anfing, begannen einige Aktivist_innen diesen mit Parolen und einem Transparent zu stören. Mitglieder der rechten Gruppierung „Identitären Bewegung“ (IB) drängten die Aktivist_innen aus der Lesebühne. Spontan entfaltete sich der Protest von circa 60 anwesenden Antifaschist_innen mit Parolen, welche die Lesung störten. Entgegen der von Kubitschek ausgegebenen Anweisung, nicht mit dem Rufen rechter Parolen auf Proteste zu antworten, kamen Sprüche wie „Jeder hasst die Antifa“ und „Pro Border, Pro Nation – Stop Immigration“. Das Medienecho im Nachgang war wenig überraschend. Die Ereignisse wurden zu „Tumulten“ überinterpretiert, die bürgerlichen Medien warfen „der Antifa“ vor, die Lage eskaliert zu haben.
Auch wenn nicht alle Linken mit dieser Rezeption zufrieden waren, können wir unsere Freude darüber nicht verhehlen. Die Leipziger Buchmesse hatte vor, sich als demokratischen Diskursraum zu inszenieren, der auch der Debatte mit „Neurechten“ und Neonazis Raum geben müsse. Anstatt in die Diskursfalle der Messe-Organisator_innen zu tappen und als linker Teil der inszenierten demokratischen Debatte zu fungieren, verhagelten einige den Plan der Messe. Aus diesem Grund hatten wir bereits den Eingang zur Eröffnungsfeier der Buchmesse für kurze Zeit mit einem Transparent mit der Aufschrift „Staat. Nation. Buchmesse. Scheiße“ blockiert. Wir wollten die Normalisierung des Rechtsrucks zumindest punktuell sabotieren. Diese Form der Eskalationsstrategie hießen nicht alle linken Akteur_innen gut. So kritisierte die Gruppe „Prisma“, dass die Störaktion am Samstag den Rechten „ihre erwartete Kulisse bot, in der sie sich als Opfer linker Zensur und Retter*innen der Meinungsfreiheit inszenieren konnten“.2 Dem halten wir entgegen, dass die „Neue Rechte“ sich immer als Opfer „linken Meinungsterrors“ inszeniert — völlig unabhängig davon, ob es Gegenprotest gibt und wie dieser aussieht. Weiterhin argumentiert „Prisma“, der Vormarsch der „Neuen Rechten“ erfordere auch eine Neuausrichtung antifaschistischer Strategie. Statt die Meinungsfreiheit der Rechten aktiv zu unterbinden, wie wir es gefordert hatten3 , müsse die Linke ihre Wirkung „vor allem auf der Ebene der Bilder“ erzielen, dies sei „der zentrale Punkt in unserer strategischen Analyse“, so die Gruppe. In zwei Punkten stimmen wir zu.
1. Der Rechtsruck ist tatsächlich eine derartig tiefgreifende Veränderung unserer politischen Ausgangslage, dass er eine strategische Anpassung erfordert.
2. Die radikale Linke muss als politische Akteurin sichtbarer werden und ihre Gesellschaftskritik sowie ihre politischen Ziele in inhaltlich verständlicher Form einer breiten Öffentlichkeit vermitteln. Doch für das Wie einer strategischen Neuausrichtung und einer Neujustierung eigener Darstellungsformen sehen wir noch viel Potenzial für Diskussionen.
Zum ersten Argument ist anzumerken, dass sich eine strategische Neuausrichtung nicht anhand einzelner Ereignisse und Aktionen festmachen lässt, sondern Organisationsstrukturen, das Verhältnis zu konkreten Kämpfen, theoretische Analysen und öffentliche Kommunikation im Allgemeinen berührt. Dabei reicht eine Feststellung der gegebenen Probleme und eigenen Fehlleistungen nicht aus. Vielmehr muss analysiert werden, was an der eigenen Theorie, Organisationsform und Praxis sich bewährt hat, um darauf aufbauend eine realistische Transformation der eigenen Bewegung einzuleiten. Bleibt dieser Teil der Analyse aus, liefe die radikale Linke Gefahr, eigene Errungenschaften aus jahrzehntelangen Kämpfen voreilig aufzugeben und Fehler von Vor-Vorgängerbewegungen zu wiederholen. Dazu gehört die Erkenntnis, dass eine Teilnahme an bürgerlich-demokratischen Institutionen und die Akzeptanz ihrer Diskursregeln auf Dauer nicht nur die linksradikale Strategie, sondern auch deren Ziele zu systemaffirmativen transformieren4 .
So sehr wir die Gegenkundgebung vor der Kubitschek-Lesung begrüßen: eine neue Aktionsform war das keinesfalls. Bündnisse gegen Rechts praktizieren das schon lange — mit mäßigem Erfolg. Unser zentraler Kritikpunkt ist, dass die Antwort auf den Rechtsruck keine gesteigerte Anpassung an bürgerlich-demokratische Diskursregeln sein darf. Zugegeben, an unseren Aktionsformen zur Buchmesse war überhaupt nichts neu. Sie war der Teil „alter“ Antifa-Strategien, die wir positiv aus der Vergangenheit übernehmen und die wir auch im Rechtsruck nicht aufgeben wollen. So zeigt sich an der Absage einer Kundgebungstour des US-Alt-Right-Aktivisten Richard Spencer mit dem Zitat „it isn‘t fun anymore“, dass militanter Antifaschismus heute noch erfolgreich sein kann. Darauf beschränken dürfen wir uns nicht.
Das führt uns zum zweiten Argument. Zusätzlich zur Sabotage reaktionärer Diskursräume müssen wir eine eigene Gesellschaftskritik vermitteln. Dies ist uns allen in der Vergangenheit unzureichend gelungen. Möglich ist dies nur durch die Beteiligung an konkreten, sozialen Kämpfen und durch die Vermittlung der Erkenntnis, dass die aktuellen sozialen Probleme nicht innerhalb der bestehenden Gesellschaftsordnung gelöst werden können. Dazu muss die radikale Linke verstärkt an Arbeitskämpfen, feministischen Auseinandersetzungen sowie Kämpfen gegen die „Festung Europa“ teilnehmen und zu deren Verknüpfung beitragen. Zur Vermittlung unserer emanzipatorischen Inhalte wird eine einfache Teilnahme am öffentlichen Diskurs nicht ausreichen. Unsere Kritik der Verhältnisse und unsere Organisationsangebote werden dann Menschen erreichen, wenn sie in ihrer Radikalität wahrnehmbar bleiben.
Der Punkt, den wir letztlich vermitteln wollen, ist: Freiheit, Selbstbestimmung und soziale Sicherheit sind nur gegen Kapital und Staat zu haben. Diese Erkenntnis ist in Zeiten des Rechtsrucks wichtiger denn je.
(Die Gruppe „the future is unwritten“ ist eine antiautoritäre, antinationale, feministische und kommunistische Gruppe aus Leipzig. Sie ist Teil des bundesweiten „..um’s Ganze!“-Bündnisses. Ihr nächstes Projekt ist die Gründung der Kampagne „Nationalismus ist keine Alternative“ in Sachsen anlässlich der kommenden Landtagswahl.)
- 1Matthias Meisner: "Wie Leipzig von Frankfurt lernen will" in "der tagesspiegel", 16.11.2017.
- 2Prisma — interventionistische Linke Leipzig: "Vom ersten Versuch, das Unerwartete zu tun — Eine Auswertung", 21. März 2018
- 3the future is unwritten — Leipzig: "Meinungsfreiheit für Nazis?", 22.2.2018.
- 4Das mahnte Rosa Luxemburg schon 1899 an: „Wer sich daher für den gesetzlichen Reformweg anstatt und im Gegensatz zur Eroberung der politischen Macht und zur Umwälzung der Gesellschaft ausspricht, wählt tatsächlich nicht einen ruhigeren, sicheren, langsameren Weg zum gleichen Ziel, sondern auch ein anderes Ziel, nämlich statt der Herbeiführung einer neuen Gesellschaftsordnung bloß unwesentliche Veränderungen in der alten.“, aus: Rosa Luxemburg: "Sozialreform oder Revolution?".