Spanien: Auseinandersetzungen um das „Valle de los Caidos“
Silke HüneckePer Dekret und mit Zustimmung einer knappen Mehrheit von sechs Stimmen beschloss das spanische Parlament im September 2018, die sterblichen Überreste des Diktators Francisco Franco aus dem Mausoleum im „Valle de los Caidos“ zu entfernen. Ein monatelanger Streit mit der rechtskonservativen „Partido Popular“ (PP), franquistischen AnhängerInnen und Angehörigen des Diktators war diesem Beschluss vorausgegangen. Dieses Beispiel zeigt, dass auch vierzig Jahre nach Erlass der demokratischen Verfassung ein antifranquistischer gesellschaftlicher Konsens noch nicht erreicht wurde.
Wie kein anderes Bauwerk verkörpert das gigantische ‚Valle de los Caidos‘ (dt. Tal der Gefallenen) bei Madrid bis heute die franquistische Diktatur (1939-1975/77). Seit dem Ende der Diktatur wurden hier keine Veränderungen vorgenommen. Der 1959 fertiggestellte massive Bau umfasst einen Aufmarschvorplatz, eine Kapelle, ein Benediktinerkloster und das höchste freistehende Kreuz der Welt. Es ist ein Paradigma der franquistischen Architektur, welches die besondere Symbiose von katholischer und franquistischer Weltanschauung widerspiegelt. Unter der Inschrift ‚Caidos por Dios y España‘ (dt. "Gefallen für Gott und Spanien") wird bis heute nicht nur der franquistischen Gefallenen gedacht, sondern im Zentrum der Basilika liegen die sterblichen Überreste von dem Begründer der faschistischen Falange José Antonio Primo de Rivera und von Franco selbst.
Bis zum Verbot 2007 organisierten franquistische Gruppierungen dort jährlich am 20. November – dem gemeinsamen Todestag von Primo de Rivera (1936) und Franco (1975) – öffentliche Gedenkveranstaltungen. Neben der franquistischen Symbolkraft ist es ein Ort, der die repressive Brutalität der franquistischen Diktatur und deren fehlende Aufarbeitung widerspiegelt. Das Valle wurde in 18-jähriger Bauzeit von rund 20.000 Zwangsarbeiter_innen, die gegen die franquistischen Kräfte während und nach dem Spanischen Bürgerkrieg gekämpft hatten und inhaftiert wurden, errichtet. Bis heute ist ungeklärt, wie viele von ihnen aufgrund der extremen Bedingungen wie Misshandlungen, Nahrungsmangel, Kälte und fehlenden Arbeitsschutz umgekommen sind. Es ist ebenso ein anonymes Massengrab von tausenden unbekannten antifranquistischen Soldat_innen und Verschwundenen. Unterschiedliche Gründe hatten Franco dazu bewogen, den ursprünglich nur für franquistische Gefallene vorgesehen Ort auch mit sterblichen Überresten von Antifranquist_innen aufzufüllen. Im Valle selbst gibt es keine erinnerungspolitische Aufarbeitung, nicht einmal eine Gedenktafel erinnert an diese Verbrechen.
Jahrzehntelange Verschleppung der Auseinandersetzung
Der unveränderte Fortbestand dieses Wallfahrtsortes ist der fehlenden Aufarbeitung der Diktatur im spanischen Staat geschuldet. Erst in den 2000er Jahren wurde mit dem jahrzehntelang vorherrschenden „Pakt des Schweigens“ über die diktatorische Vergangenheit vor allem durch die neu entstandene Erinnerungsbewegung gebrochen.1 So waren es erinnerungspolitische Gruppen, die 2005 erstmalig einen Vorschlagskatalog zum Umgang mit dem ‚Valle de los Caidos‘ veröffentlichten. Dieser Katalog umfasste die Konstruktion eines Dokumentationszentrums über die franquistische Diktatur, die Entfernung der sterblichen Überreste der franquistischen Führer sowie die Exhumierung und Übergabe der sterblichen Überreste der Anti-franquist_innen an ihre Angehörigen. Ihre zentrale Forderung war, dass das Valle nicht weiter als franquistischer Gedenkort bestehen bleiben sollte.
Aufgrund des Drucks der Straße erlies die sozialdemokratische PSOE-Regierung 2007 erstmalig ein Erinnerungsgesetz, das den Opfern der Diktatur zugute kommen sollte. Im Artikel 16 des Gesetzes wurde festgelegt, dass eine Expertenkommission einen Plan zum Umgang und zur Umgestaltung des Mausoleums entwickeln soll. Allerdings wurde die Bildung der Kommission um vier Jahre verschleppt. In dem 2011 veröffentlichten 30seitigen Bericht empfahl die Kommission, die sterblichen Überreste Francos umzubetten, die Krypten für Exhumierungen zu öffnen und eine Wahrheitskommission einzusetzen, um das Schicksal Tausender Verschwundener zu klären. Allerdings fand der Bericht keine weitere Beachtung, da die rechtskonservative PP kurz zuvor an die Regierung gekommen war. Bereits Mitte der 1990er Jahre hatte sich die damalige PP-Regierung eindeutig positioniert: Sie ließ die sterblichen Überreste der Gefallenen der Division Azul2 exhumieren und subventionierte mit Steuergeldern die Stiftung "Fundación Nacional Francisco Franco" (FNFF), die es sich zur Aufgabe gemacht hat, das „Andenken Francos zu schützen“. Im Wahlkampf 2011 hatte die PP bereits angekündigt, die von der PSOE eingeleitete Erinnerungspolitik sofort zu beenden.
Notwendige umfangreiche Aufarbeitung
2017 beantragte die PSOE als Oppositionspartei die Umbettung Francos aus dem Valle und bekam dafür eine Mehrheit im Parlament. Allerdings enthielt sich die damalige PP-Regierung nicht nur dem Antrag, sie setzte ihn auch nicht um. Zu einem Richtungswechsel hinsichtlich des Valle kam es 2018, nachdem die PP zurücktreten musste. Die neue PSOE-Regierung forderte erneut, dass die sterblichen Überreste der franquistischen Führer exhumiert und den Familien übergeben werden sollten. Gegen dieses Bestreben organisieren seitdem profranquistische Gruppierungen Kundgebungen am Mausoleum unter dem Slogan „El Valle no se toca“ (dt. "Das Tal wird nicht angerührt"). Bei den Protesten sind die franquistische Hymne „Cara al sol“ und „Viva Franco“-Rufe zu hören, franquistische Symbolik und Uniformen zu sehen und Hunderte zeigen den „römischen Gruß“. Und dies obwohl das Erinnerungsgesetz von 2007 jede öffentliche Veranstaltung zur Verherrlichung des Franquismus am Valle untersagt.
Öffentlichkeitswirksam wurden in Madrid Transparente der Kampagne aufgehängt, Plakate geklebt und soziale Medien zur Mobilisierung genutzt. Als eine treibende (finanzielle) Kraft hinter der Kampagne gilt die Franco Stiftung (FNFF). Zum breiten Spektrum gegen das PSOE-Vorhaben gehören auch Teile der Benedikterabtei. Sie gedachten in einer Messe am 18. Juli – dem Jahrestag des franquistischen Putsches und Beginn des Spanischen Bürgerkrieges – „ihren Brüdern Francisco und José Antonio“. Zudem weigert sich die Familie Francos der Exhumierung der sterblichen Überreste zuzustimmen und verzögert dadurch das Vorhaben. Die PP sowie die zweite große rechte Partei "Ciudadanos" haben das Dekret zur Exhumierung im Parlament mit ihren 165 Abgeordneten nicht unterstützt. Diese unterschiedlichen Akteure formen den starken rechten Gegenpol, der sich gegen eine erinnerungspolitische Aufarbeitung der Diktatur stellt.
Wenngleich die Exhumierung des Diktators ein wichtiger symbolischer Schritt ist, bedarf es im spanischen Staat weit mehr als der Umgestaltung des Valle. Dies wurde in dem jüngst auf der Berlinale ausgezeichneten Dokumentarfilm „El silencio de los otros“ (dt. "Das Schweigen der Anderen") von Almudena Carracedo und Robert Bahar deutlich. Der Film zeigt die franquistischen Verbrechen und die Problematik der fortwährenden Straflosigkeit auf. Denn durch das 1977 erlassene Amnestiegesetz musste sich bis heute niemand für die begangenen Verbrechen während der Diktatur verantworten.
Während europaweit die PSOE-Regierung für ihr Vorgehen hinsichtlich des Valle gelobt wurde, wurden im spanischen Inland neue Erkenntnisse über den Folterer Antonio González Pacheco öffentlich. González Pacheco alias "Billy the Kid" ist einer der bekanntesten Folterer der Diktatur im Spätfranquismus gewesen. Jetzt wurde bekannt, dass er für seine „Verdienste“ zwischen 1972-1982 mit mehreren Medaillen geehrt wurde, wodurch seine heutige Rente verdoppelt wurde. Die erinnerungspolitischen Gruppen „Foro por la Memoria und Asociación de presxs y represaliadxs del franquismo“ fordern deswegen nicht nur die sofortige Umgestaltung des Valle, sondern auch die Verurteilung aller franquistischen Folterer.