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„Sicherheit“ als Diskurs- und Aktionsfeld von RassistInnen und Neonazis

Einleitung

Das Selbstbewusstsein (extrem) rechter Akteure ist in den letzten Jahren massiv gewachsen. Dies zeigt sich in entsprechenden Mobilisierungszahlen rassistischer Agitationen sowie den Fallzahlen der Opferberatungsstellen. Auch die Qualität ändert sich: Gefährliche Körperverletzungen und Brandstiftungen haben wieder Konjunktur.

Foto: RechercheNetzwerk Berlin

Gabor G., hier als Teil einer "German Security" auf einer Wahlkampfveranstaltung der AfD im September 2017 in Potsdam tätig, tritt auch als Aktivist der organisierten Potsdamer Neonazi-­Szene in Erscheinung.

Grundlage dessen ist nicht zuletzt der rechte Bedrohungsdiskurs. (Extrem) rechte Akteure hegen eine dauerhafte „Defend“-­Attitüde (Defend Cottbus, Defend Europe, usw.) und agitieren gegen eine vermeintliche Umvolkung. Parolen, Einstellungen und Weltbilder propagieren Abwehr, Kampf und Widerstand. Dass dies den autoritären Charakteren und völkischen Fans der Abschottung notwendig erscheint, hängt nur bedingt mit dem zusammen, was in der Öffentlichkeit als „Flüchtlingskrise“ benannt wird. Neonazis leben nicht erst seit dem Jahr 2015 in permanenter Angst, Abwehr und Unsicherheit. Die stete Bedrohung durch den imaginierten Volkstod, die Denunziation durch vermeintlich kontrollierte Medien, die allgegenwärtige Repression eines „linksgrünversifften Staates“, der die Antifa subventioniert und im Gegenzug alles Erdenkliche in die Waagschale gegen nationale Aktivisten – wie sie sich selber gerne nennen – wirft, gehören seit eh und je zum extrem rechten Repertoire. Dennoch haben entsprechende Narrative derzeit Hochkonjunktur und finden durch eine inzwischen hochprofessionelle rechte Medienlandschaft und sogenannte Fake News eine weite Verbreitung. In vielen Bildern und Begriffen verbirgt sich eine anti-moderne Sehnsucht nach Einheitlichkeit und Eindeutigkeit, die in den verschiedenen Bereichen, in denen RassistInnen und Neo­nazis Phantasmen der nationalen Sicherheit leben, ihre Entsprechungen finden.

Neonazis und RassistInnen in der Security-Branche

Einige Netzwerke im Sicher­heits- bzw. Security-Bereich sind einige der wahrnehmbaren Dreh- und Angelpunkte einer sogenannten Misch­szene aus organisierter Kriminalität, Rocker- und Kampfsportstrukturen. Anders als bei Kampfsportevents oder Tattoomessen, bei denen sich Neonazis und ihr Umfeld punktuell und eventbezogen treffen, gestalten sich einige Bereiche des Security-Business als alltäglicher Begegnungs-, Austausch- und Wirkungsort. Hier überschneiden sich private und gewerbliche Sphären. Das Knüpfen von Kontakten und Vernetzung sind so einfacher möglich.

Neonazis können im Sicherheitsgewerbe vielfältig Einfluss nehmen, dabei Geld verdienen, Fähigkeiten erlernen und sich in sicherheitstechnischer Hinsicht professionalisieren. Als Wachpersonal in Unterkünften für Geflüchtete, als Fahrkartenkontrolleure oder an Clubtüren können sie rassistisch agieren und die von Rassismus Betroffenen drangsalieren und schikanieren. Das Sicherheitsgewerbe ist jedoch auch an sich ein interessantes Betätigungsfeld für Neonazis, Macht und Gewalt können in Übereinstimmung mit ihrer Ideologie, aber nicht notwendiger Weise abhängig davon ausgeübt werden. Die Professionalisierung ermöglicht zudem eine Organisierung von gewalttätigen Strukturen. Mit einer auch im medialen Diskurs stattfindenden Ethnisierung von Kriminalität können Neonazis aus einer, vermeintlich professionellen, „Security-Perspektive“ die Debatte entsprechend mitprägen.

Auch die Sicherheitsbranche ist von der zunehmenden Privatisierung aller gesellschaftlichen Bereiche nicht ausgenommen. Der Rückzug staatlicher Autorität zugunsten privater Anbieter wird zudem durch den Stellenabbau bei der Polizei, insbesondere in den neuen Bundesländern bzw. in dünn besiedelten Gebieten begünstigt. Dass eine linke Kritik hieran nicht der Ruf nach einem starken Staat sein kann, liegt genauso auf der Hand wie offensichtlich ist, dass private Sicherheitsunternehmen oder auch Bürgerwehren genau in diese Kerbe schlagen.

Nach Informationen des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft stieg die Zahl der Zusammenschlüsse in Form von Bürgerwehren seit 2015 und insbesondere im Januar 2016 sprunghaft an. Anlass hierfür war die Debatte um die sexualisierten Übergriffe in der Silvesternacht 2015 in Köln (siehe AIB Nr. 110).

Rassistische Annahmen und Bilder in der Security-Ausbildung

Die Relevanz rassistischer Bilder in der Sicherheitsbranche lässt sich auch durch einen Blick in die Literatur zur Sachkundeprüfung im Bewachungsgewerbe verdeutlichen. Hier sind weit verbreitete rassistische und kulturalisierende Zuschreibungen gegenüber „Ausländern“ zu finden.

Der Umgang mit Menschen nimmt nicht nur formal eine zentrale Rolle in der Ausbildung ein. Ein IHK-Ausbilder (und Youtuber mit zum Teil mehreren hunderttausend Klicks) bezeichnet es als „das gewichtigste Thema im Rahmen der IHK-­Sachkundeprüfung“. In diesem Kontext attestiert er „vielen Völkern des Südens und des Ostens [eine] starke Autoritätsgläubigkeit“. Solche Zuschreibungen zeichnen und verfestigen das rassistische Bild des „archaischen fremden Mannes“ und seines imaginierten Herkunftsmilieus in „primitiven Bedingungen“, wie es weiter heißt. Dort herrsche ein „absolutes Patriarchat“, in dem „unsere Auffassung der Gleichberechtigung der Geschlechter (...) fremd“ sei.

Ganz andere rassistische Zuschreibungen lassen sich in einem beliebten und vielfach verkauften Buch zur Thematik finden. Unter dem Punkt „Umgang mit Menschen“ bezüglich der „Spezifika ausgewählter sozialer Gruppen“ heißt es dort, dass „Ausländer (...) oft über ein großes Maß an Freiheitsliebe“ verfügen und ihnen „die Übernahme unseres Verständnisses von Disziplin (...) nicht leicht“ fallen würde.

Das Buch ist von Autoren und Ausbildern der "Industrie-und Handelskammer" (IHK) verfasst. Diese nimmt die Sachkundeprüfungen zur Bewachungserlaubnis ab, bekannt als „§34a-Schein“. Wenn dieses Menschenbild Teil der Ausbildung für Secu­ritykräfte ist, verwundert es wenig, wenn wir regelmäßig von Gewalt und Machtmissbrauch in Unterkünften für Geflüchtete oder öffentlichen Verkehrsmitteln lesen. Denn die Selbstwahrnehmung als fortschrittlich und zivilisiert gehört ebenso zur rassistischen Weltsicht wie einfache Projektionen gegenüber „den Anderen“.

Bedarf nach Sicherheit

Im Kontext deutschland- und europaweiter rassistischer Mobilisierungen befassen sich viele Debatten der letzten Jahre regelmäßig implizit oder explizit mit dem Thema Sicherheit – gerade jene, die sich um die Schlagwörter Migration, Asyl, Integration oder einer ethnisierten und ethnisierenden Lesart von Kriminalität bewegen.

Das Thema Sicherheit ist allgegenwärtig, denn alle wollen in Sicherheit leben – was auch immer das genau bedeuten soll. So passt es ins Bild, dass u.a. Kampfsportvereine wie „K4 Alliance“ in Brandenburg Sicherheitsausbildungen und -kurse anbieten, und gleichzeitig in einem Werbevideo über ihr beworbenes Verteidigungssystem „Slow Motion“ angeben, damit „ihre Familien schützen zu können“. In den Kreisen der "K4 Alliance" bewegte sich zeitweilig auch der Neonazi-Kampfsportler Martin M.1

Weiterhin wird durch die breite Verfügbarkeit von Pfefferspray in Drogerien oder die regelmäßige Berichterstattung über Geflüchtete und Migration im Kontext von Kriminalität deutlich: Die Facetten dieser Denkart werden medienvermittelt immer wieder mit den Begriffen der „Ängste und Sorgen“ assoziiert und haben, aus guten Gründen aber mit den falschen Konsequenzen, in den letzten Jahren eine mediale und politische Aufmerksamkeit bekommen, die ihresgleichen sucht.

So können sich RassistInnen und Neonazis, über einen vermeintlich empathischen und die entsprechenden Ängste und Sorgen ernst neh­­menden Umgang öffentlich als MacherInnen und BeschützerInnen wahlweise der Nation, des Volkes oder der Frauen präsentieren. Sie vertrauen nicht auf den Staat, sondern nehmen das Recht – Stichwort Bürgerwehr oder Widerstand – in die eigenen Hände. Schauen wir uns die Folgen dieses Wirkens an, stellen wir fest, dass sich Neonazis und ihre SympathisantInnen in der jüngeren Vergangenheit selten so erfolgreich in der Um- und Durchsetzung ihrer gewalttätig artikulierten Vorstellung von Sicherheit erlebt haben, wie in den letzten Monaten und Jahren der rassistischen Mobilisierungen in Freital, Heidenau, Köthen, Chemnitz und anderswo.

  • 1Vgl. u.a.: Facebook Posting von "Bernauer Fightnight" am 16. Juni 2015: "Vielen Dank an das K4-Zentrum und Martin Muckwar für unseren diesjährigen Trailer." und http://antifa-nordost.org; "Weißensee: Neonazi-Aktivist Martin Muckwar kämpfte beim MMA-Turnier »Sprawl & Brawl« Nr. 2", 6. April 2016.