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Security-Gewalt in Unterkünften für Geflüchtete

Aino Korvensyrjä (Justizwatch Berlin)
Einleitung

Die Meldungen über rassistische Übergriffe durch Sicherheitsdienste in Asylunterkünften häufen sich – besonders im Kontext der neuen bayerischen AnkER-Zentren (Ankunfts-, Entscheidungs- und Rück­führungseinrichtungen). Für die Opfer ist es nahezu unmöglich, gegen die Aggressoren rechtlich vorzugehen. Denn sie werden oft selbst kriminalisiert oder ihnen wird meistens der Zugang zu Rechtsmitteln verweigert. Die Leitungen der Unterkünfte zeigen mitunter ebenso wenig Interesse an der Aufklärung wie Polizei, Justiz oder die Bayerische Staatsregierung1 , die – wie auch die Bundesregierung – kein Problem erkennen möchten.2

  • 1Antwort der Bayerischen Staatsregierung auf die Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Christine Kamm, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Externes Sicherheitspersonal in Flüchtlingsunterkünften .BL-Drs. 17/22065, 06.04.2018.
  • 2Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. Wachdienstgewalt in Flüchtlingsunterkünften. BT-Drs. 19/2486, 05.06.2018, 5.
Foto: Symbolbild von Christian Ditsch

In der Nacht zum 15. November 2017 stirbt in der Aufnahmeeinrichtung in Ober­franken (AEO) – einem heutigen AnkER-­Zentrum – ein Eritreer bei einem Brand in seinem Zimmer. Laut Ermittlungen soll das Opfer für das Feuer „selbst verantwortlich gewesen sein“ und es gebe „keine Anhaltspunkte1 dafür, dass es bei der Rettung zu Verzögerungen gekommen sei. Nach Aussagen von Bewohner*innen hätte es jedoch 40 Minuten bis zum Eintreffen der Feuerwehr gedauert, da die Sicherheitsmitarbeiter zuerst nicht auf den Alarm reagierten hätten. Schon im Sommer 2017 hatten westafrikanische Geflüchtete u.a. wegen Übergriffen von Sicherheitsmitarbeitern ein Krisentreffen mit der Leitung der AEO organisiert. Diese unternahm danach jedoch nichts.

Ende September 2017 eskalierte die Gewalt in der AEO, als Sicherheitsmitarbeiter mehrere Geflüchtete schwer verprügelt haben sollen.2 Im Oktober 2017 wurden dann in einem Fall Ermittlungen wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung eingeleitet. Diese Ermittlungen dauern noch an, aber schon im Frühjahr 2018 äußerte die Staats­anwaltschaft Bamberg, dass Widersprüche aufgetreten seien, die erhebliche Zweifel daran bestehen lassen, dass strafrechtliche Tatbestände verwirklicht worden seien.3 Der Vertrag der Regierung Oberfranken mit der Security-Firma „Fair Guards Security“ läuft weiter, lediglich die von den Ermittlungen betroffenen Mitarbeiter wurden temporär vom Dienst suspendiert.

Security „Sonderteam“?

Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die AEO-Leitung leugnen bisher das Gewaltproblem in der AEO, obwohl ihnen bekannt ist, dass sich im Sommer 2017 innerhalb der Firma "Fair Guards" und deren Subunternehmen ein sogenanntes „Sonderteam“ gebildet hatte. Laut Berichten ehemaliger Sicherheitsmitarbeiter soll dieses Team durch rassistische Äußerungen und durch Gewalt besonders gegen Schwarze4 Asylsuchende aufgefallen sein.2 Damalige Kollegen berichteten, dass die Gruppe mehrfach Übergriffe gegen Geflüchtete begangen und gezielt Konfliktsituationen eskaliert habe, anstatt sie zu beruhigen. Besonders brutal waren demnach die Übergriffe gegen drei Senegalesen Ende September 2017 in der AEO-Kantine und am AEO-Eingang.5

Brutaler Alltag

Nach Aussagen von Bewohner*innen und ehemaligen Sicherheitsleuten soll es immer wieder Übergriffe und Provokationen durch das Wachpersonal gegeben haben. Bis zu einer Razzia im Wachbüro Ende Oktober 2017 wurden zwar zahlreiche Geflüchtete von der Polizei festgenommen, vom Wachdienst jedoch wurde kein Fall bekannt. Die Polizei schien kaum an den Aussagen der Geflüchteten interessiert zu sein, denn muttersprachliche Dolmetscher*innen wurden nicht hinzugezogen. Weil Sicherheitsmitarbeiter Strafanzeigen erstatteten, folgten häufig sogar strafrechtliche Ermittlungen gegen die Opfer. Wenn diese Strafbefehle erhielten, sollen die Sozialarbeiter*innen der  AEO ihnen davon abgeraten haben, Rechtsmittel einzulegen. Sie sollen den Betroffenen somit kaum bei der Wahrnehmung ihrer Rechte geholfen haben.

Aarona K. und Ndiame D. waren unter den wenigen, die gegen ihre Kriminalisierung rechtzeitig Einspruch einlegten. Aarona K. hatte ohne Gewaltanwendung versucht, einem anderen westafrikanischen Asylsuchenden zu helfen, der Anfang September 2017 in der AEO-Kantine von den Wachen misshandelt wurde.6 Diese setzten Pfefferspray gegen Aarona K. ein und fesselten ihn. Später wurde er mit weiteren Geflüchteten zur Polizeiwache gebracht. Ein größerer Polizeieinsatz folgte, um die Ordnung gegenüber der „aggressiven“ Gruppe von „Schwarzafrikanern“ wieder herzustellen und um „weitere Straftaten“ zu verhindern. Gegen Aarona K. und Ndiame D. wurden Strafbefehle zu 120 Tagessätzen wegen gefährlicher Körperverletzung erlassen. Zwar gründete sich eine Unterstützungskampagne7 , der Prozess vom Amtsgericht Bamberg wurde jedoch solange ausgesetzt, bis Ndiame D. abgeschoben wurde und Aarona K. aus Verzweiflung das Land verlassen hatte. Im September 2018 hat das Amtsgericht sogar noch Haftbefehl gegen Aarona K. erlassen. Viele Bewohner der AEO waren nicht so entschlossen wie Ndiame D. und Aarona K. und hatten auch nicht das Glück, solidarische Anwälte zu finden. Deren Strafbefehle wurden daher rechtskräftig und stehen somit einem Urteil gleich.

Die gewalttätigen Übergriffe in der AEO gehen laut Berichten von vor Ort weiter. Sie sind zwar inzwischen etwas zurückgegangen, aber Übergriffe nach dem Muster „Sonderteam“ ereigneten sich u.a. Ende Januar, Anfang Mai und im Sommer 2018. Auch in der Nacht zum 11. Dezember 2018 kam es zu einem groß angelegten Polizeieinsatz. Dass die Geflüchteten angeben, die Security habe sie angegriffen, interessierte die Polizei wieder kaum. Mehrere Geflüchtete wurden festgenommen.

Ausreise als Ziel

Viele der Betroffenen flüchteten – wenn sie nicht abgeschoben wurden – in andere europäische Länder. Bamberg ist kein Einzelfall. Die sogenannten AnkER-Zentren und Dependancen in Manching/Ingolstadt, Fürstenfeldbruck und Donauwörth gelten unter Geflüchteten als berüchtigt für gewalttätige Übergriffe von Securitymitarbeitern. Es gab auch Fälle in Deggendorf und Regensburg. Ziel dieser bayerischen Lager ist es anscheinend, die Zustände für Menschen mit angeblich „geringer Bleibeperspektive“ so unerträglich wie möglich zu gestalten, um sie so zur Ausreise zu bewegen. Abschiebungen wären sonst schwer durchzuführen, weil Reisedokumente fehlen oder in „Dublin-Fällen“ beispielsweise durch Zimmertausch verhindert werden könnten.

Ob nun gewollt oder ungewollt: Security-Gewalt funktioniert also als eine Art weiteres Mittel, um Asylsuchende zur Ausreise zu bewegen. Diese waren – neben Arbeits- und Studienverboten, Sach- statt Geldleistungen, Verweigerung der medizinischen Versorgung, rassistischen Polizeikontrollen und anderen Kriminalisierungen der Geflüchteten – Gegenstand vieler Proteste, die es seit 2017 in bayerischen Lagern gab.8

Parallelen

Die vielen Berichte von Security-Gewalt in bayerischen Lagern haben nicht nur strukturelle Ähnlichkeiten mit dem Fall Oury Jalloh, der 2005 in einer Dessauer Polizeizelle unter ungeklärten Umständen verbrannte, sondern auch mit dem NSU-­Komplex: Hinweise zu rassistischen Tatmotiven und Täter*innen werden in polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen häufig ignoriert, falls es überhaupt zu solchen kommt. Im Gegenteil: Die Betroffenen werden oft selbst verdächtigt oder sogar beschuldigt, die Angreifer gewesen zu sein. Es besteht mitunter eine Art Zusammenspiel zwischen Security-Firmen, Lagerleitung, Polizei, Justiz und Medien mit dem Ziel, Geflüchtete zu kriminalisieren. Bei der Gewalt von Securities in Abschiebelagern handelt es sich nicht um wenige isolierte Einzelfälle, sondern sie kann auch als ein Bestandteil des staatlichen Gewalt-Komplexes analysiert werden. Ziel dieser Einrichtungen ist es demnach, durch verschiedene Formen staatlicher und struktureller Gewalt die Bewohner*innen zur Ausreise zu treiben. In diesem Zusammenhang bekommt die Äußerung eines Angestellten der Security in der AEO Bamberg mehr als eine bloß anekdotische Bedeutung: Im Sommer 2017 soll dieser gegenüber einer senegalesischen Bewohnerin behauptet haben, dass er ein staatliches Mandat habe, ausreisepflichtige AEO-­Bewohner*innen anzugreifen.

(Aino Korvensyrjä promoviert zum deutschen Abschieberegime und zur Kriminalisierung der Migration und veröffentlicht Videos und andere Materialien zur Migrationskontrolle auf der Website http://cultureofdeportation.org. Mehr Informationen zu der Situation in den bayerischen Geflüchteten-Unterkünften auf: https://justizwatch.noblogs.org)