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Zur Rolle der Polizei im Staat

Volker Eick (Gastbeitrag)
Einleitung

Die Frage der AIB-Redaktion, „warum in der Polizei mit einem erhöhten Aufkommen von Personen mit (extrem) rechten Weltbildern zu rechnen“ ist, hat ihren Reiz, wirft aber auch einige Probleme auf. Das historische Wissen – von den Polizeieinsätzen in den deutschen ›Schutzgebieten‹ bis zum ›Reserve-Polizei-Bataillon 101‹ –, das in diesem Heft (und anderswo) ausgebreitete empirische Material der jüngeren Vergangenheit (und Gegenwart) zu polizeilichen Neonazi-Banden und neonazistischen Polizei-Bünden sowie sozialwissenschaftliche Studien, die sich etwa mit dem ›autoritären Charakter‹ von Polizeikräften auseinandersetzen und deren ›wertkonservative Weltbilder‹ herausarbeiten, legen das zwar nahe, sind für die in der Frage angelegte These aber noch kein valider Beleg.

Foto: PM Cheung

Allerdings bringt es die gegenwärtige Struktur der Polizeien – institutionalisierte Intransparenz nach Außen, vehemente Ver­weigerung von unabhängigen Kontrollinstanzen, um zunächst nur zwei Aspekte zu nennen – mit sich, dass Polizeikräfte gute Voraussetzungen für rechtes Engagement vorfinden.

Dass in der Polizei sich mehr rechte Gesinnungskameraden finden als in anderen verbeamteten Berufsgruppen (und nur die wären ja sinnvoll als Vergleich heranzuziehen), gewinnt seine Plausibilität zunächst aus der spezifischen Ausbildung von Polizeikräften, die auf allgegenwärtiges Misstrauen und kontingenten Verdacht, auf selektive Wahrnehmung und eindimensionale Erfahrungshaushalte sowie auf deren Rolle als bewaffnete1 ›Frontkämpfer‹ für ›Recht und Ordnung‹ gegen ein vermeintlich permanent drohendes ›Chaos‹ zielt;2 das alles impliziert die (präventive) Stigmatisierung des ›polizeilichen Gegenübers‹, des ›Polizeifremden‹ – um zwei polizeioffizielle Begriffe zu verwenden. Ein dergestalt geformtes Bewusstsein darf als notwendige, kann aber nicht als hinreichende Bedingung für die These von der besonderen Anfälligkeit des Polizeiberufs und des Poli­zeiapparats für (extrem) rechte Weltbilder betrachtet werden.3

Damit wären wir bei der Besonderung des Staates, wenn auch noch nicht zwingend bei der besonderen Anfälligkeit der Polizei für rechtes Gedankengut: Mit der Ende der 1920er-Jahre vom Juristen Eugen Paschukanis aufgeworfenen Frage, warum nimmt die Klassenherrschaft „die Form einer offiziellen staatlichen Herrschaft an, oder – was dasselbe ist – warum wird der Apparat des staatlichen Zwanges nicht als privater Apparat der herrschenden Klasse geschaffen, warum spaltet er sich von der letzteren ab und nimmt die Form eines unpersönlichen, von der Gesellschaft losgelösten Apparates der öffentlichen Macht an?“,4 ist das Problem skizziert.

Kapitalistische Klassen- und Ausbeutungsbeziehungen sind so strukturiert, dass die ökonomisch herrschende Klasse nicht unmittelbar politisch herrschen kann, sondern für ihre Herrschaft eine politische Form, den Staat, benötigt. Dabei ist der Staat weder ein neutrales Instrument, das sich die eine oder andere Klasse beliebig nutzbar machen kann, noch gar ein eigenständiges Subjekt, sondern ein struktureller Bestandteil des kapitalistischen Produktionsverhältnisses. Er steht aber nicht außerhalb des Kapitals, sondern bleibt in seiner Besonderung oder „relativen Autonomie“ (Poulantzas) – wie die anderen sozialen Formen (Ware, Geld, Kapital, Recht) auch5 – der Struktur- und Funktionslogik kapitalistischer Gesellschaften unterworfen. Sein Handeln ist, in den Worten von Nicos Poulantzas, „größtenteils […] ein reaktives und punktuelles Zusammenbasteln von Maßnahmen gegenüber Bedingungen, die der vom Staat nicht zu beherrschende Verwertungsprozess des Kapitals bereits fixiert hat“.6

Insoweit ist der bürgerliche Staat zwar Klassenstaat, aber ohne unmittelbar Instrument einer Klasse zu sein, zumal auch seine ›Bediensteten‹ – also die politischen und bürokratischen Funktionstragenden, zu denen die Polizei gehört – „ein Interesse an sich selbst“ (Claus Offe) und insoweit auch an der Reproduktion des kapitalistischen Systems haben, das sie gegen unmittelbare politische und ökonomische Einflüsse zumindest teilimprägniert.

Die Organisation mit Gewaltlizenz

So ist im Staat als „materielle Verdichtung von Kräfteverhältnissen“ (Poulantzas) die physische Zwangsgewalt monopolisiert zusammengefasst, deren zentrale Funktion darin besteht, das Privateigentum an Produktionsmitteln zu gewährleisten. Denn nur wenn die ökonomisch herrschende Klasse auf unmittelbare Gewaltanwendung verzichtet und die physische Zwangsgewalt von allen gesellschaftlichen Klassen getrennt ist, können sich formelle Freiheit der Lohnabhängigen, Privatproduktion, Konkurrenz und ungehinderter Warentausch auf dem Markt, also kapitalistische Verhältnisse voll herausbilden.7 Aus dieser Notwendigkeit heraus erklärt sich das staatliche Gewaltmonopol.

Was die Polizeien als (potentiell extrem rechte) Akteure besonders gefährlich macht, sind die ihnen zugestandenen Besonderungen, also die ihnen konzedierten Zwangsmittel bzw. Eingriffs- und Befugnis­rechte, die konstitutiv sind für die Sicherstellung der kapitalistischen Vergesellschaftungsweise. Zuvörderst gehört dazu die an sie vom Staat übertragene Aufgabe, mit der Durchsetzung des „Monopols legi­timer physischer Gewaltsamkeit8 zu drohen. Wenn wir einige Sonderfälle außer Acht lassen,9 ist die Polizei die Organisation mit Gewaltlizenz, die sie, mit Beginn ihrer Existenz, zunächst gegen Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Arme, bald auch gegen Nicht-Deutsche und andere Minderheiten weidlich zu nutzen begann.

Die Polizei ist – neben den Geheimdiens­ten – auch die Organisation, die ihre Erkennt­nisse, also ihr ›Wissen‹, das sie aus nahezu allen verfügbaren Datenbanken und eigenen statistisch aufbereiteten Alltagserfahrungen generiert, monopolisieren kann. Und auch unkontrolliert so interpretiert, dass es zu ›gesichertem Wissen‹ und zu polizei-politischer Praxis gerinnen kann. Ihr Wissensdurst ist dabei tendenziell unendlich und die Löschung dieses Durstes einer öffentlichen Kontrolle weitgehend und zunehmend entzogen.

Schließlich, eine dritte Besonderung von anderen Berufsgruppen, die im Englischen mit dem Begriff ›discretion‹, also Ermessen, gefasst wird, bezieht sich darauf, dass sie – ob als „street level bureaucrat“ (Michael Lipsky) oder „street corner politician“ (William K. Muir Jr.) – Entscheidungsfreiheit dahingehend haben, was sie vor Ort tun oder lassen; wieder weitgehend ohne eine öffentliche Kontrolle, die diesen Namen verdient, und kaum kontrollierbar durch Vorgesetzte, wie zuletzt die (z.T. erfolgreichen) Skandalisierungen des polizeilichen racial profiling gezeigt haben. Wollte man es mit den Besonderungen noch weitertreiben, dann sähen wir in der Bundespolizei gar einen Apparat, dessen Kern­aufgabe sie zu einer veritablen Migrations­polizei hat werden lassen.

Eine wirksame Kritik an der Besonderung des Staates – d.h. am Herrschafts­anspruch des Staates qua Gewaltmonopol insgesamt sowie an illegitimer Gewalt im Besonderen – und an den skizzierten Besonderungen der Polizei wird sich, nach Lage der Dinge, nur gegen den Staat durch­setzen lassen. Das sollte die Forderung zunächst nach mehr demokratischer Kontrolle und gleicher Teilhabe umfassen; unabhängige Polizeibeauftragte wären dazu ein erster Schritt. Zur Aufhebung der Besonderung gehörte es aber auch, sich an gesellschaftspolitische Alternativen heranzuarbeiten10 – möglichst, bevor die polizeilichen Besonderungen sie wieder in die Katastrophe führen.

  • 1Eine spezifische Affinität zu Gewalt und Waffen der einzelnen Polizeiindividuen, soll hier als weiteres Indiz für rechte Neigungen einmal ausgeklammert bleiben – auch weil die Geschichte lehrt, dass das analytisch vermutlich nicht sehr weit führt, jedenfalls nicht nach nur rechts, sondern viel fundamentaler in aggressive Maskulinitätsvorstellungen und -praktiken; vgl. R. Gerwarth und J. Horne (Hg.), Paramilitärische Gewalt in Europa nach dem Ersten Weltkrieg. Göttingen 2013, S. 19f, 289ff.
  • 2E. Bittner, The Functions of the Police in Modern Society. Washington D.C. 1970; R. Reiner, The Politics of the Police. New York 1992, S. 138ff.; deutschsprachige Auszüge in: D. Klimke, A. Legnaro (Hg.), Kriminologische Grundlagentexte. Wiesbaden 2016, S. 187-201.
  • 3Insgesamt ist das sozialwissenschaftliche Wissen selbst zur Frage rassistischer Stereotypen im Polizeiapparat prekär, nicht zuletzt, weil das Polizeiführungen und Innenministerien – mithin Teile des Staatsapparats – so wollen: K. Ahlheim, B. Heger, ›Fremdenfeindlichkeit und Polizei‹ als Thema politischer Bildung in der Aus- und Fortbildung der Polizei, in: Kuratorium der Polizei-Führungsakademie (Hg.), Fremdenfeindlichkeit in der Polizei? Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie. Münster 1996, S. 167-198; M. Quent et al., ›Die haben uns nicht ernst genommen‹. Neudietendorf 2014; H.-J. Asmus, T. Enke, Der Umgang der Polizei mit migrantischen Opfern. Wiesbaden 2016; R.C. van Ooyen, Polizei und Fremde – zu einem (ver)störenden Thema im Spiegel neuerer Literatur, in: C. Kopke, W. Kühnel (Hg.), Demokratie, Freiheit und Sicherheit. Baden-Baden 2017, S. 273-282; vgl. T. Konicz, Inflation der Einzelfälle? (28.12.2018), unter: https://www.heise.de/tp/features/Inflation-der-Einzelfaelle-4259590.html; BT-Drs. 19/5793 (Die Polizei und die Bekämpfung des Rechtsextremismus) v. 15.11.2018, S. 6.
  • 4Eugen Paschukanis, Allgemeine Rechtslehre und Marxismus. Frankfurt/M. 1970 [russ. Orig. 1924], S. 119f.
  • 5Mit sozialen Formen werden also den Menschen äußerlich und fremd gegenüberstehende Objektverhältnisse bezeichnet, in denen ihr gesellschaftlicher Zusammenhang in einer verstellten, nicht unmittelbar durchschaubaren Weise zum Ausdruck kommt“, vgl. J. Hirsch, Materialistische Staatstheorie. Hamburg 2005, S. 24.
  • 6N. Poulantzas, Staatstheorie. Politischer Überbau, Ideologie, Sozialistische Demokratie. Hamburg 1978, S. 177.
  • 7Hirsch (En 5), S. 23ff.  8
  • 8Heute dagegen werden wir sagen müssen: Staat ist diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes – dies: das ›Gebiet‹, gehört zum Merkmal – das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht“, vgl. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen 1980 [Orig. 1921], S. 822.
  • 9Dazu gehören etwa die ›Beleihung‹, die auch nichtstaatlichen Akteuren hoheitliche Aufgaben überträgt, oder die sog. Jedermann-Rechte, die das gewaltsame Eingreifen und die gewaltsame Selbstverteidigung gestatten.
  • 10Vgl. K. Williams, Our Enemies in Blue. Brooklyn/NY 2004, S. 261ff.