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München: Gedenken als solidarische Praxis

"Antisexistische Aktion München" (Gastbeitrag)
Einleitung

Am 7. Januar 1984 werfen zwei Männer je einen Kanister Benzin in den Eingangsbereich der Diskothek „Liverpool“ in der Münchner Schillerstraße und setzen das Lokal in Brand. Acht Menschen werden verletzt. Corinna Tartarotti, eine 20-jährige Barangestellte, erliegt drei Monate später ihren schweren Verletzungen. In München gedenken am 36. Jahrestag des Anschlags rund 60 Antifaschist*innen Corinna Tartarotti und den mindestens 14 weiteren Todesopfern, die dem mörderischen Terror der „Gruppe Ludwig“ zum Opfer fielen.

Foto: Robert Andreasch

In München erinnert die Demo „Rechten Terror bekämpfen - Antifaschistischen Widerstand aufbauen!“ an das Attentat der „Gruppe Ludwig“ am 7. Januar 1984 in der Schillerstraße und an die dabei ermordete Corinna Tartarotti.

Verübt wurde der Anschlag auf das „Liverpool“ von Wolfgang Abel und Marco Furlan, auch bekannt als „Gruppe Ludwig“, die mal mehr mal weniger gezielt Menschen ermordeten, die nicht in ihr extrem rechtes und reaktionäres Weltbild passten: Sexarbei­ter*innen, Homosexuelle, Drogenabhängige, vermeintlich vom richtigen Weg abgekommene Geistliche oder Besucher*innen von Clubs wie dem „Liverpool“ werden von ihnen auf grauenhafte, menschenverachtende Art und Weise ermordet. Zwischen 1977 und 1984 töten sie mindestens 15 Menschen in Italien und Deutschland.

Nach dem Anschlag auf das „Liverpool“ ermittelt die Münchner Polizei in allzu bekannter Manier zunächst ausschließlich im sogenannten Zuhältermilieu. Ein rechter Anschlag? Iwo. Und der Boulevard greift das Narrativ genüsslich auf: „Ein heißer Krieg um kalte Sexmark“ titelt die Münchner Abendzeitung. Erst als sich die Täter einige Tage später bei der Mailänder Nachrichtenagentur Ansa zum Anschlag in München bekennen, wird klar, dass die Täter aus dem christlich-fundamentalistischen, extrem rechten Spektrum stammen. „Im Liverpool wird nicht mehr gefickt“ heißt es in Runenschrift im Bekennerschreiben, und „Eisen und Feuer sind die Strafe des Nazismus“.

Im März 1984 werden Wolfgang Abel und Marco Furlan in Italien, bei einem erneuten Anschlagsversuch verhaftet und später zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Beide sind nach Presseinformationen mittlerweile wieder auf freiem Fuß.

Respektvolles Gedenken braucht die Perspektive der Opfer

Ohne die Arbeit des Münchner Journalisten Robert Andreasch, der zum Anschlag auf das „Liverpool“ recherchierte und ihn als rechten Anschlag identifizierte, wäre der Fall mittlerweile vermutlich in Vergessenheit geraten. Heute sind es ausschließlich antifaschistische Gruppen, die den Terroranschlag bei Demonstrationen oder antifaschistischen Stadtspaziergängen thematisieren. Ansonsten erinnert in München nichts und niemand an die Opfer, in der Öffentlichkeit überwiegt die Auseinandersetzung mit den Tätern.

Bei der Kundgebung in München zitiert eine der Rednerinnen İbrahim Arslan, der den rassistischen Brandanschlag in Mölln 1992 als kleiner Junge überlebte und sich heute für ein Gedenken einsetzt, das nicht von offizieller Politik dominiert, sondern von den Betroffenen gestaltet wird: „Indem wir unsere Opferperspektive in den Vordergrund rücken, verändern wir diese Gesellschaft.“ In ihrem Redebeitrag betont sie zudem, dass Gedenken, neben der Trauer um die Opfer rechter Gewalt, auch die Taten und ihre gesellschaftlichen Ursachen sichtbar machen sollte. Ohne die Betroffenen sei das nicht möglich.

Bei der Aufarbeitung der Taten der „Gruppe Ludwig“ fehlt diese Opferperspektive. Ausgiebig sezieren Journalist*innen die Persönlichkeit und Biographien der beiden Terroristen. En detail wird beschrieben, in welchen „untadeligen“ familiären Verhältnissen die beiden aufwuchsen, wann und wo sie sich kennenlernten und wie der eine ein schmächtiger, talentierter Gitarrenspieler, der andere ein rationaler und sportiver Praktiker sei.

Derweil ist über die Opfer oft nicht mehr bekannt als ihr Name beziehungsweise wo und wie sie ermordet wurden. Von Corinna Tartarotti weiß man, dass sie die Tochter eines ZDF-Journalisten war und familiäre Wurzeln in Südtirol hat. Bekannt ist auch, dass rund 25 weitere Personen am Tag des Anschlags im „Liverpool“ waren, um sich einen Film anzusehen. Acht davon wurden bei dem Angriff verletzt. Wer sie sind, ihre Perspektive auf den Fall, was sie dazu zu sagen hätten … all das ist derzeit nicht bekannt. Alle Versuche, Angehörige oder Betroffene des Anschlags ausfindig zu machen, liefen bislang ins Leere.

Entpolitisierung und Pathologisierung sind Kontinuitäten rechten Terrors

Neben der einseitigen Auseinandersetzung mit den vermeintlichen Motiven der Täter und ihren Lebensläufen ist eine weitere Kontinuität rechten Terrors die Entpolitisierung der Taten und dass die Täter von Ermittlungsbehörden, Medien und Öffentlichkeit für psychisch krank erklärt werden. Ein Blick in die Münchner Stadt­geschichte liefert zahlreiche Beispiele:

• Vor 40 Jahren, am 26. September 1980 reißt Gundolf Köhler bei einem Spreng­stoffanschlag auf das Oktoberfest zwölf Menschen mit sich in den Tod. Köhler war Mitglied der neonazistischen "Wehrsportgruppe Hoffmann" und doch spricht die Bundesanwaltschaft vom Einzeltäter, der sich in einer persönlichen Krise befunden haben muss. 

• Zwei der insgesamt zehn Morde des "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) wurden hier in München verübt. Habil Kılıç und Theodoros Boulgarides wurden Opfer von Rechtsterror doch dauerte es mehr als zehn Jahre, bis zur Selbstenttarnung des NSU, dass der rechte Charakter der Morde auch bei den Behörden erkannt wurde. Sie ermittelten gegen die Angehörigen, statt ihnen zuzuhören, ihnen zu glauben und den Hinweisen auf Rechtsterrorismus nachzugehen. 

• Und dann der rechte Terror vom 22. Juli 2016 als David Sonboly neun Menschen im Münchner Olympia Einkaufszentrum und anschließend sich selbst erschoss. Er wählte die Opfer nach rassistischen Motiven aus, verehrte Hitler und die AfD. Bis heute tun sich die Behörden schwer, die extrem rechten Merkmale der Tat als solche anzuerkennen.1

Auch in den Tagen nach dem Anschlag auf das „Liverpool“ laufen die polizeilichen Ermittlungen zunächst in nur eine Richtung: ins so genannte Zuhältermilieu. Nach dem Bekennerschreiben der „Gruppe Ludwig“ wird vom rechten Charakter der Taten abgelenkt. Abel und Furlan hätten in einer „Adoleszenzkrise“ gesteckt, sie seien „todeswütige Exorzisten“ und „psychopatische Neonazis“. Das Nichterkennen, die Verharmlosung und Pathologisierung von rechtem Terror und den Täter ist neben dem Terror selbst eine Gefahr. Verhindert es doch, dass diese Hassverbrechen richtig eingeordnet und aufgearbeitet werden.

Antifeminismus und (selbst)zerstörerische Männlichkeit

Rechter Terror kann nicht losgelöst von antifeministischen Ideologien analysiert werden. Vielmehr sind Antifeminismus und die Befürwortung von Gewalt zwei von mehreren Bestandteilen eines (extrem) rechten Weltbildes und viele Fälle rechter, rassistischer, antisemitischer und antilinker Gewalt haben eine Genderkomponente2 .

Der Attentäter von Halle, der seine Taten mittels einer am Helm befestigten Kamera aufnimmt, sagt gleich zu Beginn der Aufzeichnung, dass „der Feminismus“ Grund für sinkende Geburtenraten im Westen sei und diese wiederum zu vermeintlicher Massenmigration führen würden. Verantwortlich dafür seien Jüdinnen und Juden. Er ist nicht der erste rechte Attentäter der diese verschwörungstheoretischen Narrative miteinander verbindet und zum Mörder wurde.

Eike Sanders und Judith Götz benennen das Problem: Männer und gewisse Ausformungen von Männlichkeit.3 Denn zentrales verbindendes Element der Terroranschläge von Christchurch, El Paso oder nun Halle ist, dass die Gewalt in einem Zusammenhang mit Geschlecht steht. Die Täter haben Verschwörungstheorien, bei denen Antisemitismus, Rassismus und Frauenhass Hand in Hand gehen. Die Gesellschaft werde einerseits von außen durch Migration bedroht, andererseits durch Feminismus von innen. Gegen diesen imaginierten Untergang müsse der Mann sich zur Wehr setzen. Diese Narrative sprechen in erster Linie Männer an, denen in einer patriarchalen Gesellschaft die Rolle der Beschützer zugesprochen wird und die aus diesem nicht vorhandenen Bedrohungsszenario ein aktivierendes Moment ableiten. Und so wird männliche Gewalt zu tödlicher Gewalt.

Diesen extrem rechten, antifeministischen Ideologien liegt meist eine (selbst)zerstörerische Vorstellung von Männlichkeit zugrunde, bei der alles vermeintlich Schwache verachtet und weiblich Konnotiertes abgelehnt wird. Über Marco Furlan und Wolfgang Abel ist bekannt, dass sie sich an den Wochenenden mit langen Märschen in der Natur abhärteten und so ihre männerbündlerische Kameradschaft formten. Im Kern dieser idealisierten Männlichkeit steht die Bereitschaft und Fähigkeit zur Gewaltausübung.