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Trumps Amerika: Vorbote eines neuen Faschismus?

Jan Rehmann
Einleitung

Ob sich die gegenwärtige Lage in den USA als Faschismus beschreiben lässt, ist nicht so leicht zu beantworten. Den Begriff inflationär zu verwenden, um reaktionäre Gegner zu kennzeichnen, verharmlost die faschistische Gefahr. Dennoch sollte der Begriff nicht auf die spezifischen Umstände der faschistischen Regime in Europa und Japan beschränkt werden, denn das birgt die Gefahr, die (neo-)faschistischen Ten-denzen des 21. Jahrhunderts nicht identifizieren zu können.

Foto: Blink O‘fanaye; CC BY-NC 2.0

„Alt-Right“-Aufmarsch mit Trump-Fahne und Hitlergruß in Washingston DC.

Donald Trump kündigte an, die Briefwahlergebnisse bei den US-Wahlen möglicherweise nicht anzuerkennen. Seither ist erneut die Debatte entbrannt, ob die USA in den Faschismus rutschen. Doch ist dieser Begriff wirklich anwendbar?

Da sich die Trump-Regierung nach den klassischen Definitionen wohl nicht als faschistisch bezeichnen lässt, ist es doch umso wichtiger, die Tendenzen der Faschisierung zu identifizieren. Die Frage ist daher weniger, ob es sich beim Trumpismus „noch“ um Rechtspopulismus oder „schon“ um (Neo-)Faschismus oder Proto-Faschismus handelt, sondern vielmehr, ob sich in Amerika gegenwärtig eine Faschisierung beobachten lässt.

Der Vorteil des Begriffs der „Faschisierung“ liegt darin, dass er die Aufmerksamkeit auf Prozesse und Dynamiken innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft richtet.

Der „starke Mann“

Seit der Wirtschaftskrise 2007 bis 2008 ist das US-Imperium in Bedrängnis geraten: Global haben die USA in der Hochtechnologiekonkurrenz mit China merklich an Status eingebüßt, und im Inneren durchleben sie eine Repräsentationskrise, in der sich große Teile der Bevölkerung politisch nicht mehr vertreten fühlen. Dies kann grundsӓtzlich auch linken Bewegungen neue Spielräume eröffnen, aber bisher profitiert vor allem der Politikertyp des „starken Mannes“, der abseits der etablierten Partei- und Kommunikationsstrukturen das „Volk“ gegen die „Elite“ mobilisiert – zu der er in der Regel selber gehört.

Von Beginn trat Donald Trump als Anwärter auf die Reorganisation des bürgerlichen Lagers an. In Gestalt des brutal-rücksichtslosen Bau-Moguls verkörpert er die kapitalistische Logik der Herrschaft des Stärke-ren und stellt sich gegen die traditionellen (neo-)liberalen Politiker.

Wie die durch Covid-19 hervorgerufene Massenarbeitslosigkeit, Wohnungs- und Gesundheitskrise diese populistische Dynamik beeinflussen wird, ist noch nicht absehbar. Aber auch wenn Trump jetzt gescheitert ist, wird das politische Begehren nach einem charismatischen Krisenretter andauern und sich spӓtestens bei den Wahlen 2024 zurückmelden.

Weißer Rassismus

Gleichzeitig lässt sich eine Intensivierung eines weißen Rassismus beobachten. Aufgrund der durch die Sklaverei geprӓgten US-Geschichte richtet sich dieser – anders als beim (prä-)faschistischen Antisemitismus in Europa – in erster Linie gegen die afro-amerikanische Bevölkerung. Dieser Rassismus ist bekanntlich nicht nur ein Bewusstseinsphänomen, sondern „struktureller“ Natur: Er organisiert die gesellschaftliche Arbeitsteilung so, dass Afro-Amerikaner_innen die am meisten Prekarisierten innerhalb der Arbeiterklasse sind und den relativ höchsten Anteil der Opfer polizeilicher Gewalt und der Gefängnispopulation darstellen.

Eine zweite Achse der White Supremacy ist die gegen Immigrierende gerichtete Fremdenfeindlichkeit, deren rassistische Stoßrichtung von Trump akzentuiert wird, wenn er z.B. verkündet, er hätte lieber mehr Zuwanderung aus Norwegen und weniger aus „Dreckslöchern“ wie Haiti und Afrika.

Eine dritte Komponente bildet eine seit 9/11 dramatisierte Islamophobie, mit der die Bedrohungsängste der Bevölkerung gebündelt werden.

Keiner dieser Stränge ist neu, aber neuartig ist die Intensität, mit der sie verknüpft, verallgemeinert und verschwrungs-mythologisch aufgeladen werden, wie etwa durch die „digitale Trump-Armee“ QAnon.

Aktuelles Beispiel ist die Denunziations-Kampagne gegen die nichtweißen demokratischen SozialistInnen des „Squad“, und hier besonders gegen die Muslimin Ilhan Omar – bei einer Wahlkampfveranstaltung skandierte Trumps-Anhängerschaft: „Send her back“ (to Somalia).

Verschiebungen im Staat

Vergleichbar mit dem historischen Faschismus verbreiten sich rassistische und autoritäre Einstellungen zunehmend in Teilen des repressiven Staatsapparats wie z.B. der Homeland Security, der Einwanderungsbe-hörde (ICE) und in der stark militarisierten Polizei. Die Polizeigewalt gegenüber Afro-Amerikaner_innen hat sich im Verlauf der Black-Lives-Matter-Proteste nach dem Polizeimord an George Floyd noch gesteigert, mit zahlreichen Verletzten und Verhaftungen (darunter auch mehr als 50 Journalistinnen und Journalisten).

Neu ist auch die von Trump gegen den Willen der demokratischen GouverneurInnen und Bürgermeister angeordnete Entsendung der Nationalgarde und die groß inszenierte Androhung des „Law-and-Order-Präsidenten“, gegen die „Aufstände“ das Kriegsrecht (Insurrection Act) einzusetzen. Zwischen und innerhalb der verschiedenen Staatsapparate verschieben sich die Kräfteverhältnisse von rechtsstaatlichem zu gewaltmäßigem Vorgehen. Das zeigt sich etwa in den Entführungen von Demonstrierenden in nicht gekennzeichneten Fahrzeugen der Nationalgarde sowie im jüngsten Skandal, um die Zwangssterilisationen, die in US-amerikanischen Auffanglagern an migrantischen Frauen vollführt wurden.

Paramilitärs

Die unter anderem von Nicos Poulantzas für den historischen Präfaschismus festgestellte Verlagerung von Parteien zu paramilitärischen Milizen ist ebenfalls in den USA zu beobachten.

Kürzlich marschierten sie schwer bewaffnet gegen Black-Lives-Matter-Demonstrierende und Linke auf. Dabei kommt es immer wieder auch zur Zusammenarbeit mit der Polizei. Die Weigerung des Präsidenten, sich vom Terror neofaschistischer Gruppen zu distanzieren („Fine people on both sides“, also etwa „Es gibt in beiden Lagern gute Leute“) und seine Aufforderung an die Miliz der „Proud Boys“, sich für den Kampf gegen die Antifa „bereitzuhalten“ („Stand back and stand by“), markieren eine nun auch öffentlich zur Schau gestellte Verzahnung zwischen Regierung und neofaschistischen Stoßtrupps.

Kurz nachdem Trump die Teilnehmenden einer Demonstration gegen den Covid-19-Lockdown über Twitter dazu aufrief, die demokratisch regierten Staaten Michigan, Minnesota und Virginia zu „befreien“, drangen Schwerbewaffnete in das Regierungsgebäude von Minnesota ein. Den Plan einer rechtsradikalen Terrorgruppe, die demokratische Gouverneurin Gretchen Whitmer zu entführen und in der Mitte des Lake Michigan auszusetzen, konnte das FBI noch frühzeitig aufdecken.

Die Lage ist auch wegen der hohen Waffendichte in der Bevӧlkerung brandgefährlich.

Aushebelung des Wahlsystems?

Die Faschisierungstendenzen erfuhren eine Verallgemeinerung durch die Ankündigung Trumps, die Briefwahl bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen wegen angeblicher Fälschungen nicht anzuerkennen. Damit stellte er den Wahlausgang selbst und das Prinzip des demokratisch legitimierten Amtswechsels infrage.

Parallel wurden seit einigen Jahren verstärkt Wahllokale in armen und afro-amerikanischen Gemeinden geschlossen. Trumps Appell an seine Wählerschaft, mehrfach abzustimmen, war eine Aufforderung zu einer kriminellen Handlung. Die Ankündigung, seine Anhänger würden sich als Wahlbeobachter betätigen, klang wie ein Einschüchterungsversuch. Ziel war offensichtlich, ein Chaos zu erzeugen, um die Wahlen zu torpedieren und zu erwirken, dass die Briefwahl-Auszählung nach dem 3. November 2020 durch die dann noch eindeutigere konservative Mehrheit des Obersten Gerichts gestoppt wird.

Keine Parallelen zum Faschismus?

Die Argumentation, man kӧnne den Trumpismus wegen fehlender „Gleichschaltung“ und anderer Merkmale nicht als Teil einer Faschisierung kennzeichnen, ist in mehrfacher Hinsicht irreführend. Diese Ansicht legt einen unangemessenen „totalitären“ Maßstab an, der auch den Unterschieden zwischen dem italienischen und deutschen Faschismus sowie ihren verschiedenen Phasen nicht gerecht wird.

Dabei wird außerdem übersehen, dass Trump bei einer zweiten Amtsperiode aller Voraussicht nach die autoritäre Umformung noch weiter getrieben hätte. Und dies wäre auch von einem anderen, vielleicht geschickteren Rechts-Politiker 2024 zu erwarten.

Es sollte nicht vergessen werden, dass auch im italienischen Faschismus zwischen Mussolinis Regierungsantritt 1922 nach dem „Marsch auf Rom“ und dem Mord am sozialistischen Politiker Giacomo Matteotti im Juni 1924 das parlamentarische System noch nicht abgeschafft worden war. Erst nach der durch den Mord ausgelösten Staatskrise ließ Mussolini sich zum Duce ganz Italiens ausrufen und die Oppositionsparteien verbieten.

Auch wenn die konkreten Formen sich ändern: solche und andere historische Parallelen auszuschließen, wäre voreilig. Jetzt kommt es darauf an, die drohende Faschisierung durch breite antifaschistische Bündnisse zu verhindern.

(Gekürzte Fassung. Der ungekürzte Text ist erscheinen bei ‚Jacobin‘: www.jacobin.de/artikel/donald-trump-prasidentschaftswahl-us-wahl-faschismus)