Der „Migrantenschreck“-Komplex und die "Compact"-Connection
Robert Fietzke„60 Joule Mündungsenergie strecken jeden Asylforderer nieder“ - Mit diesem und anderen rassistischen Slogans werden auf dem Höhepunkt der sogenannten „Flüchtlingskrise“ 2016 mindestens 198 Waffenverkäufe an Privatpersonen über den Online-Waffenhandel „Migrantenschreck“ abgewickelt. Die Käufer dieser Waffen mit den wenig doppeldeutigen Namen „Migrantenschreck MS 60 Professional“ oder „Antifaschreck AS 125“ heißen Harald, Jürgen oder Heinz und geben im Schnitt 400 Euro für Revolver mit Hartgummigeschossen und Schreckschusswaffen aus.1
- 1Süddeutsche Zeitung, 2. Februar 2017: "Illegaler Waffenhandel: Zu Besuch bei den Kunden von "Migrantenschreck"" von Max Hoppenstedt, Simon Hurtz und Daniel Mützel
Die meisten „Migrantenschreck“-Kund*innen kommen aus Bayern, dicht gefolgt von Baden- Württemberg und Nordrhein-Westfalen. „Ich will ja keine Flüchtlinge töten. Es geht um einen Denkzettel“ sagt einer, als er Besuch von einem Recherche-Team von SZ und dem Tech-Magazin ‚Motherboard‘ erhält. Ein anderer Kunde ist Allgemeinmediziner, der sich ein Gewehr des Typs „Migrantenschreck DP120 Professional Bautzen Edition“ völlig unverschlüsselt und ungeschützt direkt in seine Praxis nach Brandenburg schicken lässt. Insgesamt kommt die Kundschaft dem nahe, was allgemeinhin wohl als „Mitte der Gesellschaft“ bezeichnet werden könnte: Physiker*innen, Doktorand*innen, Steuerberater*innen, Zierfisch-Züchter*innen, Ärzt*innen – Und ein paar AfD-Lokalpolitiker und "Reichsbürger" dürfen natürlich auch nicht fehlen.
Das Beispiel „Migrantenschreck“ verdeutlicht wie kaum ein anderes, wie eng rassistische Stimmungsmache, das „Notwehr“-Narrativ und die Bereitschaft zur konkreten Gewaltanwendung zusammenhängen. Auf der Webseite werden bestimmte Waffen wie Armbrüste sehr konkret als „absolut tödlich“ beworben. In Videos ist zu sehen, wie Hartgummigeschosse Melonenschalen sprengen. Auf der werberischen Ebene sind die Botschaften eindeutig: Die zu erwerbenden Produkte halten, was sie versprechen, nämlich „jeden Asylforderer niederzustrecken“. 198 Privatpersonen in Deutschland und einige mehr in Österreich und der Schweiz fühlen sich von rassistischen Mordfantasien angesprochen und bestellen eifrig. Einige Tage später erhalten sie ein Paket aus Ungarn.
Verhaftung und Prozess
Am Morgen des 28. März 2018 versammeln sich ungarische Spezialeinheiten und Beamte des Berliner Landeskriminalamts vor einer Adresse in Budapest. Es ist der Tag der Verhaftung von Mario Rönsch, dem mutmaßlichen Betreiber der Plattform. Schon seit Anfang 2016 soll er sich in Ungarn aufhalten, immer wieder seine Adresse wechselnd. In dieser Zeit kauft er mehrere Grundstücke und Häuser. Seit spätestens Ende November kennen die deutschen Behörden seinen Aufenthaltsort, doch erst eineinhalb Jahre später kommt es zum Zugriff.
Währenddessen verdient Rönsch mindestens 99.000 Euro mit den Waffenverkäufen. Ab dem 28. November 2018 wird ihm dann am Landgericht Berlin der Prozess gemacht. Im Dezember wird er wegen unerlaubten Handeltreibens mit Schusswaffen in Tateinheit mit unerlaubtem Verbringen von Schusswaffen in den Geltungsbereich des deutschen Waffengesetzes zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt.
Die Staatsanwältin Wettley macht im Prozess deutlich, dass Rönsch die „hohe Energieleistung“ der Waffen und dementsprechend auch die Gefährlichkeit derselben bewusst gewesen sein muss. Ein Rechtsmediziner bestätigt dann auch die Tödlichkeit der Hartgummigeschosse. Außerdem habe Rönsch als „rechter Überzeugungstäter“ aus der politischen Situation Kapital schlagen wollen, also gezielt Angst vor Geflüchteten geschürt, um damit Geld zu verdienen.1
Besonders interessant sind die Bankdaten, die die Ermittler*innen auswerten. Demnach soll er sowohl vom Compact-Magazin als auch vom KOPP-Verlag hohe fünfstellige Summen auf sein Schweizer Konto überwiesen bekommen haben.2
Aktivismus, AfD + Compact-Connection
Die Verbindung zum "Compact-Magazin" bzw. zu dessen Herausgeber Jürgen Elsässer beginnt spätestens 2014, als sich beide auf den verschwörungsideologischen „Mahnwachen für den Frieden“ begegnen. Am 24. März redet Rönsch als Schlussredner auf der zweiten „Montagsmahnwache“ in Berlin. Er inszeniert sich als geläuterter Ex-Banker, der nun „Vollzeitaktivist“ sei. Dann umgibt er sich selbst mit dem Schleier der Historizität, schlägt einen Bogen zur sogenannten „friedlichen Revolution“: „Haltet euch bitte vor Augen, wie das 1989 begonnen hat. Es ist mit 1500 Leuten losgegangen, zwei Monate später standen Millionen auf der Straße!“ In den darauffolgenden Wochen baut er eine „Mahnwache“ in seiner Heimatstadt Erfurt auf, zu der er den extrem rechten Netzwerker Elsässer als Hauptredner am 26. Mai einlädt. An diesem Tag stehen beide gemeinsam auf der Bühne und reichen sich das Mikrofon.
Zu diesem Zeitpunkt ist Rönsch auch noch Mitglied einer damals noch recht neuen Partei. Seine Mitgliedsnummer bei der AfD ist die 9328. Eine Mail der Landtagsabgeordneten Corinna Herold an „Parteifreunde“ verrät, dass seine Kontakte bis in die Landtagsfraktion reichen müssen, denn auch seine Adresse findet sich in diesem ausgewählten Verteiler.3
Ebenfalls zum selbigen Zeitpunkt kursieren im Internet handfeste Indizien, dass Rönsch der alleinige Betreiber der reichweitenstarken Facebook-Seite „Anonymous.Kollektiv“ sei, nachdem er die drei anderen Admins rausgeschmissen habe. Rönsch mahnt mit Hilfe seiner Anwälte Journalist*innen ab, die darüber berichten und seinen Namen im Zusammenhang mit der Seite nennen. Mitte 2014 zählt sie bereits knapp eine halbe Million „Fans“. Bis zu ihrer Löschung am 21. Mai 2016 wächst sie auf zwei Millionen an, die nahezu jeden Tag mit zutiefst rassistischer, antisemitischer Hetze, Verschwörungsideologien, Compact- Links und konkreter AfD-Werbung „versorgt“ werden – und zum Schluss auch mit Werbung für „Migrantenschreck“. Nach der Löschung durch Facebook entsteht ein weniger reichweitenstarker Klon auf der russischen Plattform „vk.com“ sowie die Webseite anonymousnews.ru, die bis heute aktiv ist.
Ab 2015 wird die ideologisch-personelle Verbindung zum Elsässer-Magazin "Compact" zur Arbeitsbeziehung. Rönsch fängt als freier Mitarbeiter an und übernimmt später das Online-Marketing. Dafür erhält er monatlich über 1000 Euro.4 Er wird zum Gesellschafter des Magazins. Im Januar 2016 wird ihm eine Summe in Höhe von 40.000 Euro überwiesen, im Februar 36.000, im März fast 10.000. Insgesamt erhält er bis November 110.000 Euro von "Compact". Andere Einnahmequellen soll er zu diesem Zeitpunkt nicht gehabt haben. Sein Untertauchen, seinen Lebensunterhalt und die Grundstücks- und Wohnungskäufe bestritt er also mit dem Geld der extrem rechten Top-Verlage, was ihn folglich erst in die Lage versetzte, aus dem Ausland heraus den lukrativen Waffenhandel aufzubauen.
Wie eng das Band zwischen Rönsch und "Compact" zeitweise ist, zeigt auch ein gemeinsamer Besuch mit dessen Herausgeber Kai Homilius im Ungarischen Parlament im Mai 2016 auf Einladung der neofaschistischen "Jobbik"-Partei. Wenige Tage später interviewt Homilius den umtriebigen Waffenhändler und bezeichnet ihn als „Friedensaktivisten“, weil dieser gemeinsam mit Elsässer die „Friedensmahnwachen“ organisiert habe. Im selben Interview erklärt Rönsch, er habe nichts mit den Webseiten „Anomyous. Kollektiv“ und „Migrantenschreck“ zu tun. Jemand habe sich seines Namens bedient und den Waffenhandel darauf angemeldet. Wenige Tage später, am 11. Juni 2016, verschickt „Mirgantenschreck“ Mails an sämtliche Kund*innen von "Compact", in denen der Kauf einer der Hartgummigeschoss- Waffen angepriesen wird. Die Leser*innen sollten sich „gegen Erlebnisse der orientalischen Art wappnen“ und auf „soziale Unruhen“ vorbereiten. Am Ende der Mail findet sich dann auch ein Verweis auf den Klon-Ableger von „Anonymous.Kollektiv“: „Unsere Kriegskasse ist dank zahlloser Unterstützer prall gefüllt. Wir können auch ohne Facebook und zwar sehr, sehr, sehr lange. Ideen und Ideale, liebe Blockwarte und Mietmäuler der Lügenpresse, sind kugelsicher. Erwartet uns!“5
Der Fall „Migrantenschreck“ verdeutlicht die Verbindungslinien zwischen On- und Offline-Propaganda, strategischer Radikalisierung durch Netzwerker und Parteien sowie extrem rechtem Gewaltpotenzial. Es bleibt abzuwarten, welche Rolle Mario Rönsch nach seiner Haftentlassung Ende 2021 innerhalb der in der Corona-Krise neu formierten extremen Rechten einnehmen wird. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er sich bald in einem weiteren Prozess verantworten muss, denn ein weiteres Strafverfahren wegen Volksverhetzung,seiner (mutmaßlichen) Rolle bei „Anonymous. Kollektiv“, Verleumdung und Aufruf zu Straftaten ist anhängig.
- 1VICE, 28. November 2018: "Prozess gegen mutmaßlichen Waffenhändler: Ermittlungen offenbaren Geldflüsse von rechten Verlagen" von Max Hoppenstedt
- 2Correctiv.org, 21. Dezember 2018: "Erst hat er Hass geschürt – dann hat er dem Hass Waffen verkauft" von Anna Mayr
- 3FOCUS, 30.05.2016: "Holocaustleugnung auf Facebook. Die dunklen Seiten des Mario R." von Hannes Vogel
- 4Süddeutsche Zeitung, 28. März 2018: "Mario Rönsch:Deutsche Ermittler nehmen untergetauchten Rechtsextremen in Budapest fest" von Max Hoppenstedt, Simon Hurtz, Daniel Mützel, Sebastian Pittelkow und Katja Riedel
- 5BR, 13. Juni 2016: "E-Mail von ganz rechts" von Rüdiger Hennl