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Misogynie: Die Diskriminierung von FLINTA in den sozialen Medien

Veronika Kracher
Einleitung

Der Neonazi Sven Liebich steht vor der JVA Chemnitz. Über ein Megafon brüllt er Hassnachrichten gegen die dort inhaftierte Antifaschistin Lina E, sie möge „im Knast verrecken“ oder ihr sollten „Würste, Zucchini und Gurken“ für den „Rest ihres Lebens nur noch in Scheiben“ gereicht werden. Dabei kommt er sich vermutlich wie ein richtig großer, starker Junge vor. Er teilt das Video auf seinen Telegram-Kanälen, der größte davon hat über 10.000 AbonenntInnen. Die Kommentare unter dem Video strotzen vor mindestens genau so viel Frauenverachtung wie das Video, das selbstverständlich nicht ohne einen grobschlächtigen Sexwitz auskommen konnte - Zucchini und Gurken als phallisches Gemüse, vastehste?

Screenshot von Tumblr

Die misogyne Community stellt sich in ihren Internetmemes als "Pepe the Frog" dar. Der Schöpfer des Comic-Frosches geht gegen die Vereinnahmung der Figur durch die extremen Rechte gerichtlich vor.

Wenn FLINTA1 attackiert werden, dann werden sie in der Regel mittels ihrer Diskriminierung im Geschlechterverhältnis attackiert. Dies impliziert misogyne und queerfeindliche Abwertung, Sexualisierung und sexuelle Gewalt. Lina E., über deren Minirock die bürgerliche Presse wesentlich lieber berichtete, als über die Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft und Anklage, ist nur eine von vielen Frauen, die zur Zielscheibe der bürgerlichen und extremen Rechten geworden sind.

Die misogyne GamerGate-Kampagne gegen eine „feministische und kulturmarxistische Bedrohung der Videospielszene“, welche als Ursprung der „Alt Right“-Bewegung begriffen werden muss oder die sexistischen Angriffe auf die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton sind recht prominente Beispiele der letzten Jahre. Auch in Deutschland gab und gibt es zahlreiche Attacken gegen vor allem linke, oder auch nur einen Millimeter links vom konservativen Status Quo abweichende, in der Öffentlichkeit stehende FLINTA. Die Drohbriefe des NSU 2.0 gingen vor allem an Politiker*innen und Aktivist*innen wie die Linken-Abgeordneten Jule Nagel, Martina Renner, Anne Helm und Janine Wissler, Kabarettistin Idil Baydar und taz-Kolumnist*in Hengameh Yaghoobifarah. Der Wahlkampf gegen die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, wird mit niederträchtigen Mitteln wie gefälschten Nacktbildern geführt – was man bei einem männlichen Kandidaten niemals getan hätte.

Im Frühjahr 2021 erreichten auch die immer wieder aufflammenden Angriffe gegen die Comedienne und Aktivistin Jasmina Kuhnke einen Höhepunkt: Trolle veröffentlichten ihre Adresse und schickten ihr Postkarten mit implizierten Vergewaltigungsdrohungen. Diese Angriffe erfolgen auch auf niedrigschwelliger Ebene in sozialen Medien: Jede Frau oder queere Person mit einer gewissen Reichweite, die sich auf Facebook oder Twitter wagt, öffentlich zu äußern, muss mit einer ganzen Reihe sexistischer oder antifeministischer Kommentare rechnen.

Dies ist jedoch keine Sache von Trollen oder der extremen Rechten. Gerade in den Atacken gegen linke Frauen spielen sich die bürgerlich-konservative Sphäre und User mit Groyper-Profilbildern2 gerne den Ball zu.

Ein Beispiel ist die vom WELT-Journalisten Reiner Meyer initiierte Schmierenkampagne gegen die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl. Meyer, der in einer besseren Welt ein kläglicher „4chan“-Troll ohne Reichweite geworden wäre, hatte im Juli 2020 einen diffamierenden Artikel gegen Strobl veröffentlicht, der darin mündete, dass die Wissenschaftlerin im Minutentakt Drohnachrichten erhielt, die Gedenkseite ihres verstorbenen Vaters verschandelt wurde, und sie sich letztendlich dazu genötigt sah, Twitter zu verlassen. Wie der Faktenchecker-Blog „Volksverpetzer“ herausarbeitete, besteht Meyers Publikum zu einem nicht unbeträchtlichen Teil aus Fans der „Identitären Bewegung“ oder der AfD; seine Artikel werden sogar von der (extrem) rechten „Burschenschaft Danubia München“ geteilt3 3. Während Männer wie Meyer Aufmacher über die Bedrohung der Meinungsfreiheit durch „Cancel Culture“ schreiben, werden durch solche Angriffe regelmäßig progressive Stimmen aus der Öffentlichkeit verdrängt.

Ein anderes Beispiel aus dem Hause Springer ist der BILD-Redakteur Ralf Schuler, der in Momenten der Langeweile gerne Tweets von teils sehr jungen Antifaschistinnen auf Twitter veröffentlicht und mit hämischen Kommentaren versieht. Ein Zeichen an die Community, sich an diesen unbotmäßigen Weibern etwas abzuarbeiten. Gerade für junge FLINTA kann dies ausgesprochen belastend sein. Derartige Artikel oder Tweets müssen bei Springer-Zeitungen nicht als „Ausrutscher“, sondern als integraler Bestandteil der reaktionären Agenda des Verlagshauses begriffen werden.

Die Philosophin und Autorin Kate Manne bezeichnet dieses Verhalten als Misogynie: Das aktive Bestrafen von Frauen dafür, sich den patriarchalen Anforderungen an das „Frausein“ zu widersetzen. Dazu zählt einerseits das Bereitstellen „weiblich codierter Güter“ wie Zeit, Zuneigung, Aufmerksamkeit und Sex. Andererseits sollten Frauen darauf verzichten, männlich codierte Güter wie „gesellschaftliche Führungspositionen, Autorität, Einfluss, Geld und andere Machtformen, sowie gesellschaftlicher Status, Prestige, Rang und deren Marker4 für sich in Anspruch zu nehmen.

Konkret bedeutet das, sich aus männlich konnotierten Sphären, wie der öffentlichen Meinungsäußerung, fernzuhalten. Es gibt kaum eine größere Verweigerung patriarchaler Weiblichkeitsanforderungen als den Feminismus, weshalb gerade Feminist*innen immer wieder Opfer misogyner Attacken werden.

Hierbei sollte auch die Verbindung zwischen Antifeminismus und Antikommunismus betrachtet werden: Weder die bürgerlich-populistische, noch die extreme Rechte zeichnen sich durch eine besondere Begriffsschärfe aus, und mit einer derartigen antikommunistischen Tradition wie in Deutschland wird im Großen und Ganzen jede Form progressiven Aktivismus unter dem gespenstischen Label des Kommunismus wahrgenommen. So ist die Abwehrhaltung gegenüber emanzipatorischen Kämpfen nicht nur die Angst um die eigene, auf der systematischen Unterdrückung anderer basierender Vormachtstellung, sondern steht in der Tradition jahrhundertealter, reaktionärer Ressentiments.

Besonders bitter ist es, wenn sich andere Marginalisierte in die Attacken gegen jene, denen sie eigentlich verbündet gegen die Herrschaft zur Seite stehen sollten, einreihen. Initiatorin des letzten Shitstorms gegen Jasmina Kuhnke war die Journalistin Anna Dobler. Nachdem Kuhnke einen rassistischen Tweet Doblers mit „Halt die Fresse“ kommentiert hatte, rief Dobler ihre über 15.000 Follower dazu auf, den Hashtag „HaltdieFresseJasmina“ trenden zu lassen – der Beginn von Wochen andauerndem Online-Terror.

Der von der Schwarzen Feministin Moya Bailey geprägte Begriff der „Misogynoir“ beschreibt das intersektionale Zusammenfließen von Rassismus und Misogynie gegenüber Schwarzen Frauen, denen man es in einer Weißen Mehrheitsgesellschaft besonders übel zu nehmen scheint, wenn sie diese kritisieren.

Diese hat sich bei den Angriffen gegen Kuhnke deutlich gezeigt; sei es in klassischen Vorwürfen gegenüber Schwarzen Frauen als laut oder unbequem, als auch in rassistischen Karikaturen oder Kommentaren über die Aktivistin als vierfache Mutter. „Seht, nicht alle Frauen sind hysterische Feministinnen! Ich zähle zu den guten Mädchen!“ scheint Dobler ihrem aus reaktionären InfluencerInnen bestehenden Netzwerk beweisen zu wollen. Einerseits, weil ihr Schultertätschler von Chauvinisten wichtiger scheinen als Solidarität, andererseits, um sich potentiell selbst durch ihren Antifeminismus und Rassismus vor Angriffen aus der eigenen Blase zu schützen, und drittens, weil man sich als Weiße Frau vermutlich selbst gut narzisstisch überhöhen kann, indem man sich rassistisch verhält.

Leider leben wir nach wie vor in einer Gesellschaft, die von Grund auf antisemitisch, rassistisch, klassenchauvinistisch, misogyn und queerfeindlich ist. Und leider können wir auch reaktionäre Menschen nicht einfach auf eine Insel ohne Zugang zu Druckerpressen oder Internet verbannen. Deswegen ist jene Waffe, die uns vorerst bleibt, die Solidarität mit Betroffenen. Also: Schreibt Genossin Lina solidarische Briefe, schickt ihr Spenden, mischt euch in misogyne Debatten auf Social Media ein. Das ist das mindeste, was man tun sollte.

  • 1FLINTA: Frauen, Lesben, Intergeschlechtlige, Nichtbinäre, Transgeschlechtliche und Agender Personen
  • 2Das Internet-Meme "Pepe the Frog" wurde in den 2010er Jahren ein Symbol der "Alt-Right"-Bewegung und von weißen Rassisten. Matt Furie - der "Pepe der Frosch"-Schöpfer - gewann 15.000 Dollar in einem Vergleich gegen des rechte Format "Infowars" und eine Reihe von Klagen gegen die Übernahme seiner Karikatur durch die extreme Rechte. Eine Variante von Pepe - die "Groyper" wurde 2017 populär. Eine froschähnliche Kreatur, deren Kinn auf verschränkten Fingern ruht.
  • 3Laschyk, Thomas: Pseudo-“Panoramagate“: Lügen, Ablenkungen & rechtsextreme Gewaltandrohungen, auf: volksverpetzer.de, 29.07.2020
  • 4Manne, Kate: Down Girl – Die Logik der Misogynie, Suhrkamp Verlag, Berlin 2020, S. 193