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Neben-Außenpolitik für die Orbán-Regierung

Lucius Teidelbaum (Gastbeitrag)
Einleitung

Ungarn mutiert immer mehr zum autoritären Ein-Parteien-Staat. Wahlen finden noch statt, aber viel ändern sollen sie möglichst nicht. Eine Mehrheit der Bevölkerung wählt weiter Viktor Orbán, obwohl dieser Opposition und kritische Medien einschränkt. Deswegen sprach das Europäische Parlament im September 2022 Ungarn den Status einer Demokratie ab. Das Land sei „zu einem hybriden System einer Wahlautokratie geworden“, heißt es in einer Erklärung des Europaparlaments.

Bauer Bence
(Foto: Screenshot/YouTube/@HIRTVvideok)

Bence Bauer, der ehemalige Projektkoordinator und Stellvertreter des Leiters des Auslandsbüros der "Konrad-Adenauer-Stiftung" in Ungarn.

Der ungarische Staat gilt schon lange unter vielen konservativen, christlichen und extremen Rechten als Vorbild. Bereits in der April-Ausgabe 2011 hieß es auf dem Titelblatt des extrem rechten Magazins „Zuerst!“ zu einem Foto Orbáns hinter einer Ungarn-Flagge „Einer gegen alle. Ungarn macht Ernst mit der konservativen Revolution“.

Kaderschmiede

Orbán hat sich mit dem „Mathias Corvinus Collegium“ (MCC) eine Kaderschmiede geschaffen, die seine Regierung ideologisch stützt und eine rechte Eliten-Bildung gewährleisten soll. Nach Eigenangabe hatte das MCC Ende 2022 „fast 6.000 Studenten an 24 Ausbildungsstandorten im ganzen Karpatenbecken“. Neben Standorten in Ungarn und in den Nachbarländern bei den ungarischsprachigen Minderheiten verfügt die Denkfabrik auch über ein Zentrum in Brüssel.

Träger des MCC ist eine Tihany-Stiftung, die im April 2020 zwei ehemals staatliche Immobilien, sowie 14 Hektar am Balaton-See, und zehn Prozent vom staatlichen Aktienpaket des größten Mineralölkonzerns Ungarns und am führenden ungarischen Pharmaunternehmen Gedeon Richter erhielt. Insgesamt soll 2020 die Träger-Stiftung das MCC mit umgerechnet 1,5 Milliarden Euro ausgestattet haben.

Mit diesem Budget ist einiges möglich: Zum Beispiel die internationale „National Conservatism Conference“ mitzufinanzieren oder im MCC-Hausverlag „MCC Press“ ungarische Übersetzungen von Büchern rechter und erzkonservativer Autor*innen aus dem Ausland zu veröffentlichen.

So erschien in dem Verlag die Übersetzung eines Buches des neurechten Althistorikers David Engels oder die ungarische Ausgabe von „Finis Germania“ von Rolf Peter Sieferle, welches im Original posthum 2017 beim neurechten Verlag Antaios erschienen ist. Von dem renommierten Journalisten Lars Haider, Chefredakteur des „Hamburger Abendblatts“, erschien eine Übersetzung eines aufklärerischen Buchs über Olaf Scholz. Inhaltlich ist an dem Buch sicherlich nichts zu beanstanden, aber die Funktion der ungarischen Ausgabe dürfte es auch sein, die Erzählung von korrupten linken Politiker*innen zu untermauern.
Die Übersetzung des Buchs „Neue Zeit. Neue Verantwortung“ des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, die ebenfalls bei „MCC Press“ erschien, wirkt zwar eher harmlos, passt aber dennoch ins Konzept. Das MCC kooperiert in Form von Übersetzungen, einzelnen Veranstaltungen oder so genannten Fellowships mit konservativen Rechten in Deutschland.
 

Das „Deutsch-Ungarische Institut“ für konservative Rechte aus Deutschland

Ziel im Hinblick auf eine deutsch-ungarische Partnerschaft ist es offenbar Personen vom rechten Rand der CDU und aus dem Raum zwischen Union und AfD zu unterstützen. Dafür existiert seit Dezember 2020 mit dem „Deutsch-Ungarischen Institut für Europäische Zusammenarbeit“ (DUI) ein eigenes Institut. 

Kooperationspartner ist anlassbezogen die CDU-nahe "Konrad-Adenauer-Stiftung". Direktor ist Dr. Bence Bauer, der ehemalige Projektkoordinator und Stellvertreter des Leiters des Auslandsbüros der "Konrad-Adenauer-Stiftung" in Ungarn. Als Leiter der „European Democrat Students“ war er sogar Mitglied des erweiterten Vorstands der „Europäischen Volkspartei“ (EVP). Bauer wurde 2021 mit dem ungarischen Verdienstkreuz in Gold ausgezeichnet, vermutlich nicht für eine kritische Haltung zur ungarischen Regierung. 

Berater des DUI ist laut der Homepage Frank Spengler, der frühere Leiter des Auslandsbüros der "Konrad-Adenauer-Stiftung" in Ungarn. 

Das DUI scheint gezielt rechte Stimmen in Diskurs und Wissenschaft zu fördern. Unterstützt werden als Fellows oder Referent*innen konservative Rechte wie Dr. Klaus-Rüdiger Mai und Dr. Alexander Grau oder die Antifeministin Birgit Kelle (CDU). Vor allem aber sind es einschlägig bekannte Professor*innen, die vom DUI gefördert werden, wie Prof. Dr. Peter Hoeres (Universität Würzburg) oder Prof. Dr. Frank-Lothar Kroll (Universität Chemnitz), die Kontakte zur Neuen Rechten aufweisen, sowie Prof. em. Werner J. Patzelt oder Prof. Dr. Andreas Rödder (Universität Mainz), die dem rechteren Flügel der CDU zuzuordnen sind.

Der aus Dresden stammende Patzelt beispielsweise war 2021 bis Februar 2022 Gastdozent am MCC in Budapest und ist derzeit Forschungsdirektor am MCC-Ableger in Brüssel. Vergangenes Jahr erschien sein Buch „Ungarn verstehen: Geschichte - Staat – Politik“, was den Eindruck einer Apologie der Orbán-Regierung erweckt. Das Buch stellte er laut Ankündigung am 20. Februar 2024 in Berlin an der ungarischen Botschaft vor, Moderator war Alexander Marguier, Chefredakteur von Cicero.

Durch diese Netzwerkarbeit entwickeln sich auch Rezensions-Kartelle. In der rechten Zeitung „Jungen Freiheit“ (Nr. 8/2024) findet sich von Prof. Fritz Söllner (Universität Ilmenau) eine lobhudelnde Rezension des Buchs „Ungarn ist anders“ von Bence Bauer. Auch Söllner nahm 2022 an einer Podiumsdiskussion des DUI ihm Rahmen des „Budapest Summit“ des MCC teil.

Die meisten „Fellows“ scheinen eine Mitgliedschaft im „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ gemeinsam zu haben, was sich vor allem gegen die vermeintliche Bedrohung einer linken „Cancel Culture“ wendet. Auch Dr. Sandra Kostner, Gründerin des „Netzwerks Wissenschaftsfreiheit“, war mit dabei. Es mutet wie eine Realsatire an, sich für "Wissenschaftsfreiheit“ auszusprechen und gleichzeitig in Ungarn bei der Kaderschmiede einer Regierung aufzutreten, die ganze Studienfächer wie Gender-Studies aus ideologischen Motiven abgeschafft hat. Weitere Überschneidungen scheinen zu der marktradikalen Hayek-Gesellschaft zu bestehen.

Auftritte beim MCC beziehungsweise DUI hatten aus dem publizistischen Bereich unter anderem Ralf Schuler, damals noch Leiter der Parlamentsredaktion von BILD, der Ex-BILD-Chefredakteur Kai Diekmann, Roland Tichy, Herausgeber von „Tichys Einblick“, Roger Köppel, Chefredakteur der „Weltwoche“, aber auch Hermann Binkert, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter des Meinungsforschungsinstituts INSA sowie AfD-Spender.

Als Gastautor darf DUI-Direktor Bence Bauer in der rechten „Preußischen Allgemeinen Zeitung“ (48/2023) auf einer ganzen Seite unter dem Titel „Eine Frage der Selbstbehauptung“ Ungarns Außenpolitik erläutern.

AfD-nah und doch fern

Dass mit Birgit Kelle eine deutsche Antifeministin mit CDU-Parteibuch durch eine 2022 erschienene Buch-Übersetzung von „Gendergaga: wie eine absurde Ideologie unseren Alltag erobern will“ bei „MCC Press“ die Regierungsideologie des ungarischen Autokraten speist, ist bisher kaum bekannt. Überhaupt erfährt besonders der deutsche Instituts-Ableger des MCC wenig kritische Aufmerksamkeit. Dabei ist es durchaus möglich, dass bei der Finanzierung auch EU-Gelder an Ungarn Verwendung gefunden haben.

Bei all diesen Fakten und Aufzählungen ist auffällig, dass die Deutschen in diesem Pro-Orbán-Netzwerk der AfD vielleicht inhaltlich nahe, aber organisatorisch zumeist fern stehen. Vielleicht auch, weil man die eigene Parteien-Entwicklung als vorbildhaftes Beispiel sieht. Ungarn zeigt, dass die gerne verkündete Lehre, dass Konservative mit einer extrem rechten Politik am Ende immer verlieren, weil die Menschen das Original wählen, so nicht eintreffen muss. Besser macht es das kaum, weil sich in diesem Fall die Konservativen in Ungarn, aber auch in den USA in eine extrem rechte Partei transformiert haben.

Bei allen Versuchen der Union unter Friedrich Merz einen rechten Kulturkampf zu betreiben, wird es aber dazu nicht reichen. Es wird zu beobachten sein, wie sich dieses Netzwerk gegenüber der frisch gegründeten Partei „WerteUnion“ verhält. Deren neuer Vorsitzender Hans-Georg Maaßen trat am 5. Mai 2023 in Budapest auf der „Conservative Political Action Conference” (CPAC) auf, die vom MCC mitveranstaltet wurde. AfD-Mitglieder durften nur als Besucher teilnehmen.