#HaltdieFresseBild
Atticus Vinckel„Diese Zeitung ist ein Organ der Niedertracht“, schrieb der deutsche Schriftsteller Max Goldt einst über die Bild-Zeitung, „es ist falsch, sie zu lesen. Jemand, der zu dieser Zeitung beiträgt, ist gesellschaftlich absolut inakzeptabel. Es wäre verfehlt, zu einem ihrer Redakteure freundlich oder auch nur höflich zu sein. Man muss so unfreundlich zu ihnen sein, wie es das Gesetz gerade noch zulässt. Es sind schlechte Menschen, die Falsches tun.“ Und eigentlich wissen wir das alle. Aber noch immer ist Bild die größte Tageszeitung des Landes und kann wie kaum ein anderes Medium in Deutschland die politische Meinung eines großen Teiles der Bevölkerung beeinflussen.
Das belegen verschiedene Studien und Statistiken zur Meinungsmacht und Reichweite des Springer-Produktes. Zum Beispiel wird das Boulevardblatt täglich von über 8 Mio. Leser*innen aller Schichten konsumiert, während „bild.de“ monatlich zeitweise auf über 400 Mio. Visits kommt und damit das meistgelesene Nachrichtenportal ist. Zum anderen schafft es die Redaktion immer wieder, öffentliche Debatten anzustoßen oder zu drehen. So auch im vergangenen Oktober, als der Hashtag #HaltDieFresseBild trendete. Was war passiert?
Angesichts des grassierenden Antisemitismus in Deutschland hatte der hier lebende jüdische Musiker und Aktivist Igor Levit gesagt, dass AfD-Mitglieder „ihr Menschsein verwirkt“ hätten. Dem hatte er, angesichts der Gewalt, die er auch selbst alltäglich erfährt, hinzugefügt: „Deutschland hat ein Menschenverachtungsproblem.“ In klassisch deutscher Manier wurde sich daraufhin nicht etwa mit dem Inhalt dieser Kritik eines offensichtlich unter Diskriminierung leidenden Menschen beschäftigt, sondern vor allem seine Wortwahl angeprangert. Ganz laut dabei: Bild-Journalist Ralf Schuler, der nicht müde wird, das Engagement des Aktivisten gegen Rechts in Frage zu stellen. Dabei ignorierte er Levits Hinweis, er habe das Wort „Menschsein“ im Sinne des jiddischen Wortes „Mensch“ gebraucht (dort meint es einen „ehrenhaften, umsichtigen Menschen“).
Die Schwarze Autorin Jasmina Kuhnke, manchen vielleicht bekannt unter dem Twitter-Usernamen Quattromilf (@ebony-plusirony), setzte dem menschenfeindlichen Gezwitscher des Springer-Schreiberlings deshalb ein simples „Halt die Fresse“ entgegen. Auch das griff der Redakteur in einer herablassenden Antwort auf und fuhr, unterstützt vor allem von weißen Konservativen, mit arroganter Tonfallkritik fort. Letztendlich hatte der Bild-Mann mit seinen Whataboutismen entscheidend dazu beigetragen, den Fokus der Debatte von der Kritik an einer Gesellschaft, in der antisemitische Angriffe wie in Halle oder Hamburg passieren, abzulenken. Diskutiert wurde nicht mehr darüber, unter welchen Zuständen marginalisierte Personen in Deutschland leiden und inwiefern ihre Existenz bedroht ist, sondern vor allem darüber, wie diese Personen gefälligst ihre Kritik daran vorzutragen hätten, damit privilegiertere Weiße sich vielleicht mal dazu herablassen, ein bisschen zuzuhören.
Eine solche Verdrehung gehört zum Standardrepertoire der Zeitung, die seit Jahrzehnten rechten Wirklichkeitsdeutungen breiten Raum gibt und mit Vorliebe gegen Schwarze, People of Color, Hartz IV-Empfänger*innen und allzu selbstbewusste Frauen wettert.
Dabei ist die Hetze meistens nicht mehr ganz so plump und auf den ersten Blick erkennbar wie in den 1990er Jahren, als das Blatt geradeheraus gegen „Asyl-Hotels“ und „Ausländer“ Stimmung machte – eine Stimmung, die sich in den Pogromen von Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda und anderen Orten entlud. Heute gibt sich die Zeitung weltoffener und progressiver, wie beispielsweise während der „Migrationskrise“ (besser gesagt Solidaritätskrise) 2015/16. Einerseits heuchelte die Redaktion mit der Kampagne „Refugees Welcome“ Solidarität, in deren Rahmen u.a. alle Spieler der 1. Herrenfußballbundesliga aufgefordert waren, ein entsprechendes Logo auf dem Trikotärmel zutragen (der 1. FC St-Pauli bewies als einer der wenigen Clubs Rückgrat und sagte ab). So hoffte die Redaktion wohl vom Mitleidsdiskurs zu profitieren, der vor allem durch den Tod von Alan Kurdi ausgelöst wurde, einem syrischen Kind, dessen Leichnam nach seinem Ertrinken an der türkischen Mittelmeerküste angeschwemmt worden war. Dass es dabei lediglich darum ging, zur Profitmaximierung und Imagepflege eine Stimmung aufzugreifen und die Zeitung keine grundsätzliche Kehrtwende in ihrer Haltung vollzogen hatte, verdeutlichte andererseits die Tatsache, dass sie gleichzeitig verschiedene Techniken nutzte, um Geflüchtete als Bedrohung für Deutschland und damit für die Lesenden darzustellen, jedoch ohne sich explizit zu dieser Position zu bekennen.1
Zunächst verging kaum ein Tag, an dem sie nicht von den unaufhaltsamen „Flüchtlingsfluten“, den nie enden wollenden „Strömen“ und hereinbrechenden „Wellen“ fabulierte. Mit diesen Metaphern entmenschlichte sie die Schutzsuchenden, die nun nicht mehr als Individuen in einer Notlage erschienen, sondern als Naturkatastrophe, als mächtige Gefahr, die den vermeintlich sicheren Innenraum der Bundesrepublik bedroht. Es liegt auf der Hand, dass dadurch die Empathiefähigkeit der Lesenden stark beeinträchtigt wird. Wer über Menschen nicht als Individuen mit eigenen Nöten, Hoffnungen und Ängsten nachdenkt, ist in geringerem Maße bereit, ihnen zu helfen, und wahrscheinlich eher dazu bereit, repressive Maßnahmen gegen sie zu billigen und gutzuheißen.
Zugleich werden durch diese Art der Darstellung menschengemachte Ursachen für Flucht, wie etwa die europäische und insbesondere die deutsche Wirtschafts- und Rüstungspolitik ausgeblendet, sodass Europa, an dessen Außengrenzen täglich Menschen sterben, als Ort des Friedens und der Stabilität erscheint. Neben dieser Entmenschlichung ist immer wieder zu beobachten, wie die Redaktion Menschen, die nicht in das Schema des braven weißen deutschen Steuerzahlers passen, als potenzielle Gefahr für die innere Sicherheit beschreibt.
Mit auffälliger Häufigkeit wird die (vermeintliche) Nationalität von Täter*innen oder Tatverdächtigen, die keinen deutschen Pass haben oder nicht hier geboren sind, bereits im Titel der Meldungen genannt, während sie bei weißen Passdeutschen gänzlich unerwähnt bleibt. Bemerkenswert ist auch, dass im Bild-Universum Verbrechen, die von rassifizierten Personen begangen wurden, stets auf eine ganze Gruppe zurückfallen, die dann unter Generalverdacht gestellt wird („die Moslems“, „die Araber“ etc.). Im Gegensatz dazu werden Delikte von weißen Deutschen, insbesondere auch rechte Gewaltverbrechen, grundsätzlich als die Handlungen verwirrter oder irgendwie an den Rand gedrängter Einzeltäter*innen verharmlost, die nicht etwa aus der Gesellschaft kommen, sondern mit dieser scheinbar nichts zu tun haben.
Dabei folgt die Berichterstattung dem Motto: Wir, machen so etwas nicht. Die Bösen, das sind immer die anderen. Besonders augenscheinlich wurde dieses Prinzip im Rahmen der Berichterstattung zu den Ereignissen in der Silvesternacht 2015/16 in Köln. Auch damals stellte Bild es so dar, als sei sexualisierte Gewalt ein Problem, das erst mit Migrierten in diese Gesellschaft eingewandert sei und in der deutschen Mehrheitsgesellschaft zuvor nicht existiert habe. Das in diesem Zusammenhang immer wieder vorgebrachte Szenario der weißen Frau, die vor der ausufernden Sexualität rassifizierter Männer geschützt werden müsse und die damit einhergehende Konstruktion eines reinen Innenraumes, der durch Migration verunreinigt werde, zeigt die Anschlussfähigkeit des Boulevardblattes für rechtes Gedankengut.
Und wie das oben beschriebene Szenario des durch Naturgewalten bedrohten Innenraumes hat auch diese Beschreibung von Geflüchteten und Black and People of Color als Bedrohung von außen das Potenzial, Handlungsbereitschaft unter jenen zu fördern, die sich in diesen Szenarien als das Innen, als Teil der bedrohten „wir“-Gruppe, fühlen. Eine Handlungsbereitschaft, die von der Befürwortung struktureller staatlicher Gewalt (Abschiebungen, verschärfte Residenzpflicht usw.) bis hin zu eigenen Gewalthandlungen reicht.
Bild bestärkt dahingehende Haltungen, indem sie den Staat und seinen Repressionsapparat regelmäßig als überfordert darstellt, wenn es um die Bekämpfung vermeintlicher „Ausländerkriminalität“ geht und als zu nachlässig, wenn Abschiebungen und Migrationspolitik das Thema sind. Da braucht es eben aufrechte Deutsche, die das geliebte Vaterland verteidigen und selbst die Initiative ergreifen. So ist es auch kein Wunder, dass verschiedene Studien belegen, dass rechte Gewalt immer dann zunimmt, wenn oben genannte Vorstellungen besonders stark in der Bevölkerung vertreten sind.
Die Bild-Zeitung erhöht demnach nicht nur die Wahrscheinlichkeit, dass einer das Gewehr aus dem Schrank holt. Sie präsentiert dem Schussbereiten noch dazu die immer gleiche Zielscheibe. In Anbetracht dessen klingt „Halt die Fresse“ noch viel zu freundlich.
- 1Seitdem anstelle von Kai Diekmann der neue Chefredakteur Julian Reichelt das Redaktionsgeschehen lenkt, ist der Tonfall des Springer-Blattes wieder unmissverständlicher. So teilt Reichelt auch gerne mal Inhalte von Twitter-Accounts der extremen Rechten.