75 Jahre VVN-BdA
Dr. Ulrich Schneider Bundessprecher der VVN-BdARechtzeitig zum 75-jährigen Jubiläum bekam die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA) durch eine politische Kampagne gegen die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) große mediale Aufmerksamkeit. Dies hatte sie dem Rechtsaußenblatt „Junge Freiheit“ (JF) zu verdanken, das Anfang 2022 den „Skandal“ enthüllte, Faeser habe in der Zeitschrift „antifa“ der VVN-BdA einen Gastbeitrag zum Thema „NSU 2.0“ veröffentlicht. Es ging nicht um den Inhalt, stattdessen skandalisierten JF und in ihrem Gefolge BILD und „Welt“, sowie AfD und CDU, die dazu sogar eine „Aktuelle Stunde“ im Bundestag beantragten, diesen Kontakt.
Solche Hetze erlebte im Sommer 2008 auch die damals neugewählte Juso-Bundesvorsitzende Franziska Drohsel, der von der JF die Mitgliedschaft in der „Roten Hilfe“ (RH) und die Zusammenarbeit mit der VVN-BdA vorgeworfen wurde. Am Ende der politischen Kampagne verließ Drohsel die RH. Auch Nancy Faeser ließ verlauten, sie werde als Innenministerin keinen Gastbeitrag mehr für die „antifa“ schreiben. Sicherlich mit Rücksicht auf den ihr unterstellten Inlandsgeheimdienst, dessen Länderstrukturen die VVN-BdA weiterhin als Feindbild sehen. Die Landesämter für Verfassungsschutz tun sich schwer mit einer „politisch korrekten“ Bezeichnung. Ist die VVN-BdA eine „linksextremistisch beeinflusste Organisation“, wird sie gar „von der DKP gesteuert“? Offenkundig ist in diesen Institutionen noch das alte „Feindbild“ aus den 1950er Jahren lebendig, wie ein kurzer Blick auf die 75-jährige Geschichte der VVN-BdA zeigt.
Nach der Befreiung von Faschismus und Krieg übernahmen Nazigegner_innen Verantwortung für den antifaschistisch–demokratischen Neubeginn. Im Auftrag der Alliierten reorganisierten sie das politische und gesellschaftliche Leben. Gleichzeitig gründeten sie aus Verfolgung und Widerstand z.B. in Bremen die „Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus“, in Hamburg das „Komitee der politischen Gefangenen“, in Stuttgart die „Vereinigung der politischen Gefangenen und Verfolgte des Nazi-Systems“ sowie in anderen Orten Hilfsgemeinschaften der „Opfer des Faschismus“. Sie alle verstanden sich als antifaschistische Gemeinschaft, deren politisches Programm im Schwur der Häftlinge von Buchenwald formuliert war. Trotz Reisebeschränkungen und anderer Behinderungen schufen sie als gesamtdeutsche Organisation die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN). Ihre Ziele waren die Aufklärung der Jugend über die Verbrechen des NS-Regimes, die Würdigung der deutschen Widerstandsbewegung und der Kampf gegen alle ideologischen Reste des Nazismus, des Militarismus und der Rassenlehre sowie jeden Versuch neuer faschistischer Betätigung. Auf der Ersten Interzonalen Länderkonferenz im März 1947 in Frankfurt/M. wurde die gemeinsame VVN gegründet mit einem gesamtdeutschen Rat, deren Geschäftsführer Hans Schwarz (Hamburg) und Karl Raddatz (Berlin) waren.
Die politischen Aufgaben waren groß: Es ging um eine konsequente gesellschaftliche Entnazifizierung auch in den Betrieben, die jedoch frühzeitig durch „Persilscheine“ und Renazifizierung durch belastete „Spezialisten“ konterkariert wurde. Man trat ein für eine Wiedergutmachung, was durch Verwaltungen torpediert wurde. Die VVN brachte oftmals mit spektakulären Aktionen die Interessen der Verfolgten und Antifaschist_innen zu Gehör. Schon bald musste die VVN erleben, dass die Mehrheitsgesellschaft sich mehr um die deutschen Kriegstoten kümmerte, als um die Verfolgten des NS-Regimes. Die Überlebenden und Antifaschist_innen hatten sich engagiert für antifaschistisch orientierte Landesverfassungen eingesetzt. Nun musste es darum gehen, die hier formulierten demokratischen und sozialen Ansprüche umzusetzen.
Der Kalte Krieg und die ideologischen Konflikte machten keinen Bogen um die VVN. Die SPD untersagte ihren Parteimitgliedern bereits 1948 die Mitarbeit in der VVN, bürgerliche Kräfte, darunter auch der ehemalige Buchenwald-Häftling Prof. Eugen Kogon, verließen Anfang 1950 die VVN. Wir wissen heute, dass an dieser Abspaltung die Adenauer-Regierung mit Geld und organisatorischer Hilfe beteiligt war. Öffentlich wurde die VVN nun als „kommunistische Tarnorganisation“ stigmatisiert.
Während die VVN in der DDR im Februar 1953 aufgelöst und durch ein „Komitee antifaschistischer Widerstandskämpfer“, das besonders in der Zeitzeugenarbeit und auf internationaler Ebene tätig war, ersetzt wurde, erlebte die VVN in der BRD in den 1950er Jahren massive Repressalien. Das Büro des Gesamtdeutschen Rates wurde im Sommer 1951 auf Anweisung der Adenauer-Regierung geschlossen. In mehreren Bundesländern wurde die VVN verboten, in anderen das öffentliche Auftreten behindert.
Besonders perfide waren die Repressalien gegen politisch Verfolgte, denen die Entschädigung für ihre oft jahrelange KZ-Haft aberkannt wurde, wenn sie nach dem KPD-Verbot 1956 ihrer politischen Überzeugung treu blieben. Bei all diesen Repressalien waren die Inlandsgeheimdienste mit ihren „Experten“, die schon in der NS-Zeit an wichtigen Stellen des Verfolgungsapparates gewirkt hatten, aktiv beteiligt. Nicht selten saßen Verfolgte des Naziregimes bei politischen Verfahren in der BRD ihren ehemaligen Peinigern und Richtern aus NS-Verfahren gegenüber.
Ende der 1950er Jahre wollte die Adenauer-Regierung die Gesamtorganisation per Gericht verbieten lassen. Hier erfuhr die VVN breite internationale und gesellschaftliche Solidarität. Als der niedersächsische VVN-Vorsitzende August Baumgarte im Dezember 1962 mit Dokumenten im Gerichtssaal öffentlich machte, dass der Vorsitzende Richter selbst eine aktive Nazivergangenheit hatte, war der Prozess geplatzt und wurde nie wieder aufgenommen.
Ein Einschnitt war die Erweiterung der Organisation zum „Bund der Antifaschisten“ (BdA) im Jahr 1972. Das Wirken alter Nazis und der Aufstieg der neofaschistischen NPD mobilisierten nicht nur die Überlebenden, sondern auch Gewerkschaften, Parteien sowie viele junge Menschen. Ziel der Öffnung der VVN war es, das Vermächtnis der Überlebenden an die jungen Generationen weiterzugeben und diese in die VVN zu integrieren. Wie erfolgreich das war, zeigte der 8. Mai 1975, als bei einer Kundgebung der VVN–BdA 40.000 Menschen zum Tag der Befreiung von Faschismus und Krieg in Frankfurt/M. demonstrierten. Die VVN-BdA wurde in den folgenden Jahren mit ihrer geschichtspolitischen Erinnerungsarbeit ein akzeptierter und mobilisierender Teil der demokratischen und der Friedensbewegung. Aber auch gegen alte und neue Nazis war sie auf den Straßen präsent, immer an der Seite der Gewerkschaften, teilweise auch gemeinsam mit antifaschistischen Gruppen.
Der politische Umbruch 1989/90 brachte die VVN-BdA in eine Existenzkrise. Ältere und junge Antifaschist_innen schafften es, die Organisation in der alten BRD zu stabilisieren und zu einem weiterhin beachteten politischen Faktor zu machen. Auch in den neuen Bundesländern organisierten sich ältere und junge Antifaschist_innen. Die politischen Herausforderungen waren riesig. Gemeinsam mussten die Angriffe auf Antifaschismus und KZ-Gedenkstätten zurückgewiesen und Widerstand gegen das gewalttätige Auftreten von neofaschistischen Gruppen und Parteien in ganz Deutschland geleistet werden.
2002 führten die Erfahrungen des gemeinsamen Handelns zur Vereinigung der antifaschistischen Verbände in Ost und West. Wie wirksam diese Organisation war und ist, zeigt sich in ihrer antifaschistischen Geschichtsarbeit, in der Kampagne „nonpd - NPD-Verbot jetzt“, die von 175.000 Menschen unterstützt wurde, sowie in der erfolgreichen Initiative „Aufstehen gegen Rassismus“.
Als Finanzbehörden der VVN-BdA die „Gemeinnützigkeit“ aberkennen wollten (vgl. AIB Nr. 126 / 1.2020), unterstützten etwa 50.000 Menschen eine Petition dagegen. Die Gemeinnützigkeit wurde wieder zuerkannt und 2.000 neue Mitglieder gewonnen. Nicht zu vergessen die Resonanz auf die Kampagne gegen Nancy Faeser, die der VVN-BdA 500 neue Mitglieder, 50 neue antifa-Abos und sehr viel Solidarität brachte.
Heute ist die VVN-BdA als überparteiliche Organisation offen für unterschiedliche Zugänge zum Antifaschismus. Sie wirkt auf internationaler Ebene in der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR), der sie seit Gründung 1951 angehört. In der Tradition der Überlebenden kämpft sie heute gegen Rechtsentwicklung und Neofaschismus, gegen Antisemitismus, Antiziganismus und alle anderen Formen von Rassismus sowie für soziale Gerechtigkeit, Menschenwürde, Demokratie und Frieden. Um diese Vision einer antifaschistischen Orientierung sichtbar zu machen, setzt sie die Petition der verstorbenen Ehrenvorsitzenden Esther Bejarano fort, die gefordert hatte: „Der 8. Mai muss Feiertag werden!“