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Quadrat im Kreis - Ein Debattenbeitrag

„Antifas aus dem Norden“ (Gastbeitrag)
Einleitung

Dieser Text ist keine detaillierte Erwiderung auf den Beitrag „Antifa 10 Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU“ aus dem AIB Nr. 133, da dieser dazu nicht geeignet scheint. Einfach unkommentiert stehen lassen wollten wir den Text jedoch auch nicht.

Symbolbild: Christian Ditsch

Außer moralischen Vorhaltungen, bündnispolitischen Allgemeinplätzen und einer Aneinanderreihung unsolidarischer Vorwürfe an „die“ Antifa hat der Text bis auf scheinbar identitätspolitische Forderungen einfach keine Ebene für Gegenargumentationen. Innerhalb der radikalen Linken gibt es Debatten (siehe AIB Nr. 130) über identitätspolitische Perspektiven, die komplexer sind als das, was in dem kritisierten Beitrag behandelt wird. Das Fass wollen wir hier gar nicht aufmachen. Ungeachtet dessen werden in dem Text ein paar allgemeine Fragen aufgeworfen, über die es sich dennoch lohnt Gedanken zu machen.

Generell blendet der Text vollkommen aus, dass es in den letzten Jahren viele Debatten, Auseinandersetzungen und Entwicklungen in der antifaschistischen Bewegung gab. Dabei ging es um Formen der Organisierung, der (militanten) Praxis, Bündnisarbeit, Begrifflichkeiten, aber auch um grundlegende Themen wie Antisemitismus oder Rassismus. Diese Debatten wurden vielfältig im Großen (auf Kongressen, durch bundesweite Bündnisse, auf Großdemos, durch Texte) wie im Kleinen (in loka­len Antifa-Gruppen, Aktionen vor Ort) geführt. Sie können dabei als konsequenzlos oder ungenügend geführt wahrgenommen werden, sie aber gar nicht zu benennen ist unsolidarisch. Dieses Nicht-Erwähnen von solchen Prozessen und auch Zerwürfnissen innerhalb der Bewegung lässt die Vermutung zu, dass den Autor*innen  diese Entwicklungen schlicht nicht bekannt sind oder sie diese Aspekte bewusst nicht erwähnt haben, damit der moralische Druck stärker wirkt.

Wir wollen die eigene Verantwortung und auch Versäumnisse, die sich nach dem NSU-Komplex aufgetan haben, nicht klein reden. Faktisch gab es und gibt es aber Entwicklungsprozesse, in denen deutlich geworden ist, dass in antifaschistischer Analyse und Praxis eben nicht nur „die“ Nazis eine Rolle spielen, sondern auch die „Mitte“ und der Rassismus der Mehrheitsgesellschaft.

Ein länger zurückliegendes Beispiel sind die Proteste rund um die faktische Abschaffung des Rechts auf Asyl in den 1990er Jahren (die ja maßgeblich von autonomen Zusammenhängen initiiert wurden). Aktueller wären die antifaschistischen Aktionen und die linke Bündnisarbeit, die weit über die eigene Szene hinausging, rund um das Jahr 2015 und die in dem Zusammenhang massiv angestiegenen rassistischen Übergriffe und rechten Mobilisierungen. Auch durch den Einzug der AfD in viele Landesparlamente und den Bundestag wurde das Verhältnis von rechts außen zu konservativ bürgerlich und der gesamtgesellschaftliche Rassismus stärker thematisiert und angegangen.

Generell gibt es seit längerem eine inhaltliche und personelle Schwäche, die durch die Auflösung bundesweit agierender Gruppen und Strukturen, persönlichen Brüchen und dem Beenden von aktiver Antifa-Arbeit gekennzeichnet ist. Dabei spielt es sicherlich auch eine Rolle, dass die Diskurshoheit über das, was „Antifa“ ist, in den letzten Jahrzehnten abhandengekommen ist. Wenn die SPD twittern kann „Wir sind Antifa“ – dann liegt einiges im Argen. Dass diese Schwäche haus­gemacht ist, lässt sich u.a. an den Szene-­Debatten in den 2000ern gut ablesen: kräftezehrende Auseinandersetzungen um Diskurshoheit und Aktionsformen mit bundesweit agierenden Strukturen, die für eine starke Bündnisorientierung auf ein Befrieden militanter Antifa-Praxis gesetzt haben und sich, begleitet von staatlicher Demokratieförderung, leider durchsetzen konnten.

Dass „die“ Antifa eher weiß und männlich dominiert ist, ist auch eine Tatsache, an die dementsprechend Probleme gekoppelt sind und die geändert werden muss. Stellvertretend seien hier Rassismus, Sexismus/Antifeminismus und Antisemitismus benannt, die thematisiert, reflektiert und angegangen gehören. Dass dies dabei nicht die Aufgabe derer ist, die davon betroffen sind, sollte eigentlich klar sein, ist es aber häufig nicht. Dies gilt für feministische Kämpfe ebenso wie für antirassistische oder die vielen anderen Haltungen, die Genoss*innen verletzen und es ihnen nicht möglich machen, selbstbestimmt und gerne Teil „der“ Antifa zu sein.

Faktisch ist „die“ Antifa nicht so homogen, wie es in dem Artikel suggeriert wird: neben Ansätzen feministischer und von Rassismus-betroffenen Selbstorganisierungen, die es auch schon länger gibt, gibt es vielfältige Ansätze (z.B. LGBTQIA+ ­Organisierung), die den exklusiven Ist-Zustand in Frage stellen. Wir empfehlen hier u.a. die Bücher „Antifa Gençlik“ und die div. Fantifa Bücher. Auch die vorhandenen Strukturen, wie die Migrantifa-Gruppen verstehen sich als Teil antifaschistischer Organisierung und sind dabei explizit als migrantische Stimme im Kampf gegen Rassismus und Staat wahrnehmbar. Dadurch sind auch Zugänge zu von Rassismus-betroffenen Communities und der Kontakt zu von rechter, rassistischer Gewalt Betroffenen besser gestaltbar und die Möglichkeiten gegeben, gemeinsame Kämpfe auf verschiedenen Eben solidarisch miteinander zu verbinden.

Das antifaschistische Praxis häufig über die Auseinandersetzung mit den Täter*innen (Cops, Nazis, Frontex/Festung Europa) geschieht, finden wir nicht verwerflich, da wir den Betroffenen dies auch gar nicht mehr zumuten wollen, als es leider ja ohnehin schon deren Alltag ist. Außerdem müssen rechte Netzwerke und Personen nicht nur durch Recherche im Blick behalten werden, sondern auch durch konkrete Aktionen angegangen werden. Dies ist ja auch Kerngeschäft „der“ Antifa. Auch hier wird wieder eine große Distanz zwischen den Vorwürfen aus dem Text („Täterfokussierung“) und der realen Praxis deutlich. Keine, wirklich keine linksradikale Antifa-­Gruppe arbeitet sich im Jahr 2022 nur noch an „den“ Nazis ab und blickt nicht auch auf „die“ Mitte, die mit Rechten spazieren geht oder die Kommentarspalten der Medien mit rassistischem Müll flutet.

Wir sind fest davon überzeugt, dass es eine Vielfalt an Themen, Kämpfen und Auseinandersetzungen geben muss, ­damit „die“ Antifa nicht komplett in der Bedeutungslosigkeit verschwindet. Die eigene Praxis muss dabei kritisch reflektiert werden, um daraus erfolgreiche Perspektiven für kommende notwendige Kämpfe, die wir gewinnen müssen, abzuleiten. In der Praxis auch arbeitsteilig vorzugehen, macht sicherlich an der einen oder anderen Stelle Sinn. Dass dabei darauf geachtet werden sollte, dass dadurch keine Hierarchien entstehen, ist für uns klar, aber leider nicht immer Realität. Natürlich müssen auch Absprachen getroffen und eingehalten werden. Kritik an autonomer antifaschistischer Praxis war und ist immer nötig. Von den eigenen Genoss*innen, aber auch von außen, und sie stellt ja einen wesentlichen Punkt von Bündnisarbeit dar.

Die Auseinandersetzung mit und die Unterstützung von Betroffenen und Überlebenden rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt ist ein Teil von linksradikalen und antifaschistischen Kämpfen. An dieser Tatsache, die seit Jahren Praxis ist, kann sicher Kritik geäußert werden, was die Intensität betrifft, sie zu ignorieren ist schlicht fahrlässig. Für uns sind Betroffene und Überlebende kein monolithischer Block, der je nach Lage für die eigenen politischen Interessen eingespannt werden kann. Stattdessen ist eine Zusammenarbeit wünschenswert - wenn es denn die Betroffenen und Überlebenden wollen und nicht, weil es gerade in die eigene Polit-­Agenda passt. Eine solche Zusammenarbeit findet ja bereits auch statt: ein großer Teil der erinnerungspolitischen Gedenkveranstaltungen im Norden wird auch von Antifas mitorganisiert oder mindestens mitgetragen. Und das schon seit Jahren.

Viele Debatten und Entwicklungen werden im Text nur angedeutet. Für mehr war einfach kein Platz, aber wir adressieren hier ja auch „uns“ selbst, also „die“ Antifa. Dabei haben die hier formulierten Gedankensplitter keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sie stellen vor allem keine einheitliche Meinung „der“ Antifa da. Die gibt es nämlich nicht. Es sind unsere Erfahrungen und Eindrücke aus jahrelanger Praxis und Debatten. Vielleicht ist das auch unser größtes Fragezeichen an den Beitrag ­„Antifa 10 Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU“, also an wen oder was richtet sich eigentlich der Ursprungstext, wenn dieser all das oben Geschriebene komplett ignoriert?