„Antifa 10 Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU“ ... noch ein Debattenbeitrag
Bündnis „Irgendwo in Deutschland“Dass im AIB Nr. 133 eine Debatte zu „Antifa 10 Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU“ angestoßen wurde, begrüßen wir sehr und haben die bisherigen Beiträge mit großem Interesse gelesen. Als bundesweites Bündnis „Irgendwo in Deutschland“, das in den letzen Jahren schwerpunktmäßig zu rechtem Terror gearbeitet hat, möchten wir gerne in die Diskussion einsteigen.
Zum Bündnis
Unser Bündnis hat sich im Jahr 2016 gegründet um antifaschistische Strukturen in Städten, die keine breite linke Politkultur besitzen, mit und bei unversöhnlichen Interventionen gegen den rechten Konsens zu supporten. In den bisher stattgefundenen unversöhnlichen Interventionen in Orten wie Heidenau, Wurzen, Eisenach, aber auch in Zwickau, ging es uns darum
an diesen konkreten Orten rassistische Kontinuitäten und die Verbindungen zwischen organisierten Neonazistrukturen und einer rassistischen Dominanzgesellschaft aufzuzeigen und diese Symbiose zu konfrontieren; auch mit dem Ziel eine mediale Öffentlichkeit über lokale Berichterstattung hinaus zu schaffen, vor allem aber um Leute vor Ort, lokale Strukturen und Initiativen zu unterstützen. So haben wir uns am 6. November 2021 anlässlich des 10. Jahrestages der Selbstenttarnung des NSU bundesweit auf den Weg nach Zwickau zu einer Demonstration gemacht, die von den Verfasser*innen des Debattenanstoßes kritisiert wurde.
Zur Debatte
Der Debattenanstoß spricht einen wichtigen Punkt an, wenn er einen selbstkritischen Umgang mit dem Versagen der radikalen antifaschistischen Linken im Kontext des NSU-Komplexes einfordert. Folgerichtig wird hier einerseits eine Externalisierung von Verantwortung problematisiert, die stattfindet, wenn ein solches Versagen lediglich bei Verfassungsschutz und Ermittlungsbehörden gesucht wird. Zum anderen mahnt der Text die wichtige Auseinandersetzung damit an, dass Rassismus als gesamtgesellschaftliches Machtverhältnis auch in der radikalen Linken wirkt und ganz wesentlich zu diesem Versagen beigetragen hat.
Wir bezweifeln aber, dass eine von lokalen Strukturen organisierte Demonstration in Zwickau zum 10. Jahrestag der NSU-Selbstenttarnung in dieser Debatte ein hilfreiches Beispiel zur Illustrierung verfehlter gegenwärtiger Antifapraxis ist. Insbesondere die Verfassungsschutzfokussiertheit, die es in der Linken unbestritten gibt und die kritisiert werden muss, schlug sich etwa im Aufruf zur Demonstration schlicht nicht nieder.
Täter*innenfixierung vs Betroffenenperspektive?
Aber kommen wir zum eigentlichen Punkt der Debatte: Sicherlich besteht die Gefahr der einseitigen Täter*innenfixierung, wenn zu Aktionen am Jahrestag des durch die Täter*innen gesetzten Datums der Selbstenttarnung aufgerufen wird. Auch wir sehen die problematischen Leerstellen, wenn Hinterbliebene und Überlebende rechten Terrors nicht selbst zu Wort kommen, sondern lediglich darauf verwiesen wird, sich mit ihrem Wissen und ihren Forderungen auseinanderzusetzen. Nichtsdestotrotz bleibt die Auseinandersetzung mit Täter*innenschaft und vor allem den Ermöglichungsstrukturen rechten Terrors - ebenfalls eine Forderung von Betroffenen - essenziell. Gerade wenn diese Strukturen wie in Zwickau bis heute fortbestehen, wie Antifaschist*innen vor Ort allen Widrigkeiten zum Trotz nicht müde werden zu betonen.
Betroffene forderten zudem wiederholt ein, die Morde auch in ihrer Dimension als Botschaftstaten ernst zu nehmen. Insbesondere an den Orten, deren soziale Gefüge die Mörder*innen des NSU produziert haben, wo rechte Netzwerke von der Stadtgesellschaft unbehelligt bleiben und somit auch zukünftig Täter*innen hervorbringen können, ist es unsere politische Aufgabe allen Betroffenen jener Taten beizustehen.
Daher müssen wir uns mit allen von rechter, rassistischer, antisemitischer und antifeministischer Gewalt Betroffenen solidarisieren. Dazu zählen für uns auch lokale Strukturen, die die Demo initiiert haben. Diese Tatsache berücksichtigt der Debattenbeitrag nicht. Die Kritik des mangelnden Einbezugs von Angehörigen und Überlebenden liegt berechtigterweise auf der Hand. Es bleibt folglich eine wichtige Aufgabe zu überlegen, wie die Unterstützung von Antifastrukturen und die Solidarität mit denjenigen, die in den Habitaten des Rechtsterrorismus täglich mit Gewalt konfrontiert sind, praktiziert werden können; ohne die Überlebenden und Hinterbliebenen außen vor zu lassen und ihnen Anteilnahmslosigkeit oder fehlende Empathie zu signalisieren, aber auch ohne ihnen die Auseinandersetzung damit aufzubürden.
Stetige antifaschistische Selbstreflexion als fester Bestandteil radikaler linker Politik
Keinesfalls sollte sich die Auffassung verfestigen, dass antifaschistische Interventionen und das Gedenken sich in einer Dichotomie gegenüberstünden. Vielmehr sind sie bzw. sollten sie miteinander verwoben sein, auch wenn sie zum Teil arbeitsteilig organisiert sind. Klar ist an dieser Stelle, dass die stetige Selbstbefragung ein unabdingbarer Teil linksradikaler Politik ist. So müssen wir immer wieder kritisch prüfen, ob es dieses Zusammenspiel auch wirklich gibt. Das bedeutet auch die im Debattenanstoß aufgeworfene Frage danach ernst zu nehmen, wo wir sind bzw. waren, wenn Hinterbliebene etwa zu Todestagen Gedenkveranstaltungen organisier(t)en.
Und das bedeutet, die Forderung nach der aufrichtigen Reflektion der eigenen Rassismen, nicht einfach unter Verweis auf Migrantifa-Organisierungen und die Feststellung, dass „die Antifa“ ohnehin pluraler sei, als viele Leute meinten, vom Tisch zu wischen, während sich dieses Bewusstsein nicht in der Alltagspraxis der gesamten Szene niederschlägt.
Eine Konfrontation der Dominanzgesellschaft an den Orten, die rechten Terror in der Vergangenheit ermöglichten und sich seitdem wenig damit auseinandergesetzt haben, braucht es aber weiterhin - nicht aus reiner Täter*innenfixiertheit, sondern vor allem aus Solidarität mit denen, die ganz alltäglich in dieser Atmosphäre der Gewalt leben.