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Friedensfreund*innen mit Hausaufgaben

Sebastian Bähr (gekürzte und leicht aktualisierte Version aus der ak)
Einleitung

Die Antikriegsbewegung wurde vom Ukraine-Krieg kalt erwischt – und versucht nun, Antworten auf die Eskalationsspirale zu finden.

Der russische Einmarsch in die Ukraine hat die Friedensbewegung in Deutschland überrascht. Noch einige Tagen vor der Invasion hieß es in dem Aufruf „Friedenspolitik statt Kriegshysterie“: „Trotz der Militärmanöver in der Nähe zur Ukraine hat Russland kein Interesse an einem Krieg.“ Mehr als 10.000 Menschen unterzeichneten das Papier. In den ersten Tagen des rasch eskalierten Krieges mussten sich viele Aktive erst mal sammeln – und erst recht, nachdem SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz eine massive Aufrüstung der Bundeswehr sowie die Lieferung von Waffen an die Ukraine angekündigt hatte. Auf den bald folgenden, oftmals unter Mitwirkung der ukrainischen Community organisierten Großdemonstrationen waren dann zwar Friedensbewegte unterwegs – politisch schienen sie jedoch unterzugehen. Auch wenn von einigen Medien die Proteste als „neue Friedensbewegung“ gelabelt wurden, dürften die meisten Teilnehmer*innen eher aus Betroffenheit und Solidarität mit der Ukraine gekommen sein.

Schock überwinden

Nach den ersten Tagen des Schocks entstanden jedoch bald neue Initiativen. Große Aufmerksamkeit bekam ein Online-Appell unter dem Titel „Demokratie und Sozialstaat bewahren – Keine Hochrüstung ins Grundgesetz!“. Rund 50.000 Menschen haben bis heute unterschrieben. Die Initiator*innen sind die Linken-Politikerin Julia Schramm, der Soziologe Klaus Dörre, der SPD-Abgeordnete Jan Dieren und Andrea Ypsilanti, SPD-Politikerin und Sprecherin vom Institut Solidarische Moderne. Als Organisationen unterschrieben etwa Attac, medico international und die VVN-BdA. Der Appell vermied kontroverse Fragen und konzentrierte sich auf Kernforderungen: Die angekündigte Aufrüstung der Bundeswehr wurde abgelehnt und die fehlende gesellschaftliche Debatte über die Aufrüstungspläne beklagt. Das Ziel war offensichtlich, eine möglichst breite Zustimmung zu schaffen und in die Regierungsparteien SPD und Grüne hineinzuwirken. Gebracht hat es nicht viel - der Bundestag beschloss Anfang Juni 2022, das Grundgesetz zu ändern und den Weg für das 100-Milliarden-Euro-Sonderprogramm zur Aufrüstung der Bundeswehr freizumachen.

Die Ostermärsche Mitte April 2022 hätten dabei eine Möglichkeit bieten können, die Kritik an den Aufrüstungsplänen auch massiv auf die Straßen zu tragen. Die Teilnehmer*innenzahlen waren laut Veranstalter*innen im Vergleich zu den Vorjahren jedoch nur „moderat“ gestiegen – gerade jüngere Aktivist*innen scheinen nach wie vor mit dem Format zu fremdeln. Bundesweit fanden rund 120 Kundgebungen statt, meist organisiert von lokalen Friedensgruppen, Kirchen oder linken Politiker*innen. Ein verbreitetes Motto lautete „Die Waffen nieder“. Die Analysen und Forderungen der Aufrufe waren teilweise recht unterschiedlich.

Für den Bewegungsforscher Alexander Leistner von der Universität Leipzig spielen beim Grad der Sensibilität dabei auch Ost-West-Unterschiede eine Rolle: „Erklärungen von Vertreter*innen der alten westdeutschen Bewegung wirken wie ein Zeugnis der Hilflosigkeit – unberührt von den Ereignissen fast“, so der Wissenschaftler. Sie seien ein „abstrakter Protest gegen kriegerische Gewalt“, der diesen konkreten Krieg jedoch auszublenden scheine. Vertreter*innen der ostdeutschen Friedensbewegung hätten dagegen schon vor dem russischen Einmarsch und aus historischer Erfahrung heraus ihre Solidarität mit der Ukraine bekundet und deren Recht auf Selbstverteidigung betont.

Auch darüber hinaus würden Unterschiede sichtbar: Neben den „klassischen Konflikten“ zwischen radikalpazifistischen und eher realpolitischen Positionen haben laut Leistner im Zuge des Krieges die Stimmen eines „einseitig-parteilichen Pazifismus“ an Aufmerksamkeit gewonnen, die „vor allem und ausschließlich eine Kriegstreiberei der Nato und des Westens“ skandalisieren. „Aber auch die gab es schon immer – etwa aus der DKP und ihrem Umfeld in den 1980er Jahren, dem Kasseler Friedensratschlag oder den SED-Nachfolgeparteien PDS und Linkspartei“, sagt der Forscher.

Neue Bündnisse

Aktionsorientiertere Kriegsgegner*innen scheinen sich derweil eher an der Kampagne "Rheinmetall entwaffnen" (RE) zu orientieren. Die Aktivist*innen kämpfen schwerpunktmäßig gegen deutsche Waffenexporte und engagieren sich in der Rojava- und Kurdistan-Solidaritätsbewegung. Seit der neuen Eskalation äußern sie sich nun auch in Form von „Kommuniqués“ zum Krieg in der Ukraine. Schon lange vor der russischen Invasion hatte RE dazu eine Aktionskonferenz für Ende März 2022 in Kassel geplant. Für die dann rund 150 erschienenen Teilnehmer*innen spielte erwartbar die neue politische Lage eine wichtige Rolle. Laut einem öffentlichen Tagungsbericht von der Webseite brandfilme.org sei über die „Richtigkeit von Waffenlieferungen heftig diskutiert worden“ – die Debatte ­habe letztlich ergeben, dass die Solidarität mit den Ukrainer*innen nicht zugleich eine weitere Militarisierung bedeuten könne, heißt es.

Ein Ziel der Konferenz lautete, antimilitaristische mit feministischen, klimapolitischen und antirassistischen Positionen zu verbinden. Ein Vorhaben, das direkt im Anschluss des Treffens erprobt wurde: Ein Bündnis aus "Ende Gelände", "Rheinmetall entwaffnen", der "Interventionistischen Linken", "Abolish Frontex" und "Fridays for Future" rief für den 27. März 2022 zu einem bundesweiten Aktionstag gegen den Krieg in der Ukraine und die Abhängigkeit von fossilen Energien auf. In Berlin blockierten unter dem Motto „100 Milliarden bessere Ideen“ rund 100 Aktivist*innen das mit russischer Kohle betriebene Heizkraftwerk Reuter West, einige drangen auf das Firmen­gelände vor. In Kassel brachten Aktivis­t*innen vor dem Hauptsitz des Öl- und Gas-Konzerns Wintershall den Schriftzug „Erdgas tötet“ an. Weitere Aktionen gab es unter anderem in Bremen, Rostock, Hamburg, Leipzig und Göttingen.

„Rheinmetall entwaffnen“ dürfte als Bindeglied zwischen der traditionellen Friedensbewegung und der radikalen Linken in Deutschland derzeit eine wichtige Rolle einnehmen – und somit auch bei allen Versuchen, eine breitere, antikapitalistische und zeitgemäße Friedensbewegung aufzubauen. Gerade für eine Zusammenarbeit mit der Klimagerechtigkeitsbewegung scheint es dabei viele Anknüpfungspunkte zu geben. "Fridays for Future" hatte sich am Klimastreik am 25. März 2022 ebenfalls scharf gegen den Krieg positioniert, die Energiefrage spielt im Konflikt eine bedeutende Rolle. Für das RE-Bündnis selbst dürfte darüber hinaus der Sommer in Kassel während der Kunstausstellung documenta von Interesse sein, die Aktionstage finden vom 30. August bis 3. September 2022 statt.

Handfeste Hilfe

Abseits von Aktionstagen bleibt die Frage, was man als Bewegung in der akuten Notlage beitragen kann. Viele Linke haben beschlossen, ganz konkret mit Spenden den emanzipatorischen Kräften in der Ukraine (und in Russland, auch wenn es komplizierter ist) zu helfen. Ein wichtiger Anlaufpunkt ist hierfür die Organisation "Operation Solidarity", in der sich antiautoritäre Aktivist*innen und Anarchist*innen vernetzen. Sie koordinieren die ausländische Hilfe, etwa für Menschen auf der Flucht, für bewaffnete linke Einheiten in der Ukraine oder für Projekte der lokalen Basis­organisierung. Das "Anarchist Black Cross" Dresden hat öffentlich zu Spenden aufgerufen, bis Mitte Mai 2022 habe man über 217.000 Euro erhalten, heißt es. Die Dresdner Gruppe erklärte dazu, dass man Schutzsuchende mit Reisekosten, Taschengeld und Unterkünften unterstütze und auch Geld für Traumabehandlungen sammele. Dazu gibt es weitere lokale Initiativen: Der Kaffeeverkäufer "Café Libertad" beispielsweise hat gemeinsam mit dem Fanprojekt „St. Pauli Roar“ nach eigenen Angaben einen Fördertopf zur Soforthilfe eingerichtet, um Fahnenflüchtige und Deserteur*innen aller Seiten zu unterstützen.

Solche Projekte weisen auf einen wichtigen Aspekt hin. Denn wie vielseitig die aktuellen Antikriegs-Protestkundgebungen und Unterstützungsformen auch sein mögen: Es fällt schmerzlich auf, dass die Beziehungen zu ukrainischen, russischen oder generell osteuropäischen Linken in Deutschland sehr spärlich und schwach sind. Ohne diese Perspektive drohen dabei erneut verhängnisvolle Fehler – und ohne funktionierende internationale Netzwerke die Gefahr von leeren Phrasen und wirkungslosen Aufrufen.

Ein Erfolg der Antikriegsbewegung wird zudem wohl auch davon abhängen, ob es gelingt, einen neuen ideologischen und politischen Minimalkonsens zwischen den verschiedenen Initiativen zu finden – so, wie es bisher aussieht, ist das kein leichtes Unterfangen.