Auschwitz im Kosovo ?
ZAK TübingenDie Kriegsbetreiber der NATO ziehen immer wieder Parallelen zwischen dem deutschen Nationalsozialismus und dem serbischen Nationalismus und begründen damit ihren Luftkrieg gegen Jugoslawien. Da ist von »Konzentrationslagern« und von »Bildern wie aus Schindlers Liste« die Rede. Betont wird »Nie wieder Auschwitz« - als ob dies im Kosovo unmittelbar bevorstand. Auch andere Länder machen bisweilen die Rechnung »Milosevic = Hitler« auf, aber in Deutschland wird dies besonders vehement vertreten.
Diese Gleichsetzung ist falsch. Sie dient der Verteufelung des Kriegsgegners und soll den Einsatz praktisch aller Mittel gegen Jugoslawien rechtfertigen. Zudem verharmlost sie den deutschen Nationalsozialismus und führt zu einer »Entsorgung« der deutschen Geschichte - ausgerechnet durch »Rot-Grün«.
Die Vertreibung im Kosovo ist kein »Auschwitz«
Bisher hat noch niemand behauptet, daß die Serben im Kosovo Gaskammern betreiben. Rudolf Scharping (SPD) und Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) sind klug genug, ihre Vergleiche mit dem NS nicht an konkreten Fakten festzumachen. Statt dessen wird mit Assoziationen gearbeitet, mit nicht genau definierten Begriffen (»KZ«) und mit erschreckenden Bildern »überfüllte Deportationszüge«.
Wer hierzulande den Begriffe »KZs« gebraucht, will damit nicht etwa »große Gefangenenlager, in denen die Inhaftierten mißhandelt und viele getötet werden« bezeichnen, sondern geht stillschweigend davon aus, daß Vernichtungslager assoziiert werden. Damit wird die Beweislast umgekehrt: nicht mehr Scharping muß begründen, warum er von »KZs« spricht, und was dort genau passiert, sondern wir müssen argumentieren, weshalb Mord und Vertreibung im Kosovo etwas anderes sind als das Vernichtungsprogramm der Nazis. Bisweilen wird uns dann vorgeworfen, wir spielten die Verbrechen im Kosovo herunter.
Das ist nicht so. Die Vertreibung von Hunderttausenden und die Ermordung von zahllosen Kosovo-AlbanerInnen (wieviele es sind, werden wir wohl nie erfahren) sind grausame Verbrechen. Trotzdem bestehen wir auf der Feststellung: Vernichtung ist etwas anderes als »ethnische Säuberung«. Die Züge mit jüdischen Deportierten fuhren in die Vernichtungslager, die Züge mit Kosovo-Vertriebenen fahren an die Grenze. Die Morde und Quälereien, die serbische Einheiten im Kosovo verüben, haben eine andere Dimension als das Vernichtungsprogramm der Nazis. (Daß dies für die einzelnen KosovarInnen, die gequält, vergewaltigt oder ermordet werden, kein »Trost« ist, liegt auf der Hand. Aber es geht hier darum, welche historischen Parallelen gezogen werden.)
»Auschwitz war keine Vertreibung, Auschwitz war auch kein gewöhnliches Kriegs verbrechen. Auschwitz war die industriell betriebene physische Vernichtung der europäischen Juden, von den Betreibern durchaus korrekt »Endlösung« genannt.« (Allg. Jüdische Wochenzeitung, 15.4.1999) Zur »Endlösung« gehörten auch der massenhafte Mord in den Ghettos und die Einsatzgruppen-Massaker hinter der »Ostfront«. Daß es nötig ist, den Scharpings und Fischers solche Klarstellungen entgegenzuhalten, ist bitter.
Es zeigt, daß es seit 1945 nicht gelungen ist, ein Bewußtsein über das zuvor Geschehene gesellschaftlich zu verankern - ein Versäumnis auch der politischen Linken. »Auschwitz« galt bestenfalls als Metapher für unbegreifbare und unbeschreibliche Schrecken. Nur so ist es möglich, daß Auschwitz heute als Metapher für ganz andere Kriegsverbrechen herhalten kann. Die Singularität der NS-Vernichtungspolitik wird damit geleugnet.
Die mörderische Vertreibungspolitik (»ethnische Säuberung«) im Kosovo ist leider nicht einzigartig. In Türkisch-Kurdistan hat das türkische Militär in den vergangenen 15 Jahren Zehntausende Menschen getötet, zwei Millionen vertrieben und 4.000 Dörfer dem Erdboden gleichgemacht. Kroatische Truppen vertrieben 1995 binnen weniger Tage mehrere hunderttausend SerbInnen aus der Krajina. In viel größerem Ausmaß wurden 1994 in Ruanda binnen weniger Wochen etwa eine halbe Million Menschen getötet und mehr als eine Million aus dem Land vertrieben. Bemerkenswerterweise verglichen deutsche Politiker die gegenwärtigen Verbrechen im Kosovo nicht mit diesen historischen Beispielen, sondern ziehen als Begründung für den ersten Krieg, den Deutschland seit 1945 führt, ausgerechnet Auschwitz heran.
Bisweilen ziehen auch KriegsgegnerInnen leichtfertige historische Parallelen. Aber auch die Gleichsetzung der deutschen Kriegspolitik auf dem Balkan 1941-1944 mit dem heutigen NATO-Krieg verharmlost den NS. Auch Schröder ist kein »zweiter Hitler«.
Wozu dient der Bezug auf Auschwitz im aktuellen Krieg?
Die NATO-Kriegstreiber wollten angeblich ein »zweites Auschwitz« im Kosovo verhindern. Damit konnten sie alle militärischen Mittel rechtfertigen, die sie wollen. Wenn es konkret definierte Kriegsziele gab, dann lassen sich die Gegenmaßnahmen daran messen: Sind die Gegenmittel verhältnismäßig? Haben sie die erhoffte Wirkung? (z.B.: Wenn das tatsächliche Kriegsziel wäre, die Massenvertreibung zu stoppen, dann wäre es offensichtlich, daß ein Luftkrieg ein ungeeignetes Gegenmittel ist. Wenn des darum ginge, ein bestimmtes Territorium als Siedlungsgebiet für seine BewohnerInnen zu erhalten, dann wäre es offensichtlich, daß es verkehrt ist dieses Territorium in Schutt und Asche zu bomben und zu verseuchen.)
Aber wenn es gegen »Auschwitz« geht, also gegen ein unfaßbar schreckliches Verbrechen, dann erübrigt sich auch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Dann ist auch ein Bruch des Völkerrechts akzeptabel, dann kommen auch Splitterbomben und Urangeschosse scheinbar legitim. Daß Scharping und Fischer ihre Auschwitz-Vergleiche selbst nicht ganz ernst nehmen, zeigt sich schon daran, daß sie eben doch nur bestimmte militärische Mittel wählen und andere nicht. Wenn es »im Norden von Pristina« tatsächlich ein KZ gibt (Scharping), warum werden dann nicht auch Bodentruppen eingesetzt, um die Gefangenen zu befreien? Warum wird den Flüchtlingen eine Aufnahme in Westeuropa verweigert?
Der Auschwitz-Vergleich dient zur emotionalen Mobilisierung der »Heimatfront«, also der deutschen Öffentlichkeit. In Deutschland kommt hinzu, daß mit der »antifaschistischen« Begründung des aktuellen Krieges das gesellschaftliche »schlechte Gewissen« verdrängt wird, das nach den deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg (gerade auch gegen SerbInnen) womöglich doch noch existiert.
Jetzt macht die Bundeswehr die Verbrechen der Wehrmacht wieder gut, sie übt sozusagen tätige Reue. Die Deutschen haben zwar nicht das »erste Auschwitz« bekämpft und verhindert, aber wenigstens tun sie es dieses Mal. Damit stellt sich Deutschland nachträglich auf die Seite der Alliierten. Scharping »imaginiert sich selbst als antifaschistischer Kommandeur, der die Zufahrtswege nach Auschwitz bombardieren läßt«. (Günther Jacob). Dadurch wird die deutsche Geschichte entsorgt.
Bemerkenswerterweise ziehen die Rot-Grünen genau die entgegengesetzte Schlußfolgerung aus der deutschen Geschichte als ihre Vorgänger. Helmut Kohl (CDU) und Volker Rühe (CDU) argumentierten noch: Wegen Auschwitz muß Deutschland sich international zurückhalten. Gerade auf den Balkan, wo die Wehrmacht gewütet hat, sollen keine deutschen Soldaten in Kampfeinsätze geschickt werden. Die Argumentation mag nur taktisch gewesen sein, aber es gab sie. Anders Rot-Grün. Aus ihrer Sicht darf sich Deutschland gerade wegen Auschwitz nicht zurückhalten, sondern ist zur »humanitären Intervention« geradezu verpflichtet.
Aber was wäre, wenn der Vergleich doch richtig wäre? Wenn es im Kosovo tatsächlich ein »zweites Auschwitz« gäbe? An diesem Punkt geben wir Fischer und Scharping recht: Die Geschichte hat gezeigt, daß der NS-Völkermord erst durch die militärische Gewalt der Alliierten beendet, daß die Befreiung erst durch die bedingungslose Kapitulation erreicht wurde, auch wenn die Alliierten weniger von humanitären als von machtpolitischen Motiven geleitet wurden.
Aber: die Alliierten hatten damals schon im Vorfeld versagt. Die Alternative zur Appeasement-Politik wäre nicht sofortiger Luftkrieg gewesen, wie uns die heutigen Kriegstreiber weismachen wollen, sondern die systematische Isolierung Nazi-Deutschlands. Wirtschaftssanktionen, Solidarität mit der demokratischen Regierung in Spanien gegen die Franco-Putschisten, Schließung der Ford-Fabriken, Unterstützung der antifaschistischen Opposition. Nicht einmal zu einem Olympiaboykott hat es damals gereicht.
Der »Auschwitz-Vergleich« und die »Berliner Republik«
Der aktuelle »Auschwitz-Vergleich« paßt zu den Bemühungen um eine »Normalisierung« Deutschlands (die sich auch an der aktuellen Debatte um ein Holocaust-Mahnmal in Berlin ablesen lassen).
Wenn Milosevic Hitler gleicht, wenn die Serben im Kosovo eine Endlösung planen oder durchführen, dann verlieren die deutschen Verbrechen 1933-1945 ihre Einzigartigkeit. Wenn es überall »Hitlers« gibt, dann ist Deutschland ein ganz normales Land, dann hat Deutschland eben seine historischen »Schattenseiten« wie andere Länder auch.
Andererseits bekräftigen Scharping und Fischer ja gerade eine deutsche Sonderrolle, wenn sie immer wieder an die NS-Verbrechen erinnern. Deswegen vermeiden die meisten Konservativen die Gleichsetzung »Milosevic = Hitler«, weil sie den NS am liebsten vergessen würden. Aber wahrscheinlich hat der »Auschwitz-Vergleich« nun ohnehin seine Schuldigkeit getan. Mit Scharping und Fischer ist das deutsche Militär jetzt antifaschistisch geworden und hat sich mit Verspätung auf die Seite der Alliierten geschlagen. Damit ist Deutschland jetzt eine normale Großmacht, wie die USA, Frankreich oder England eben auch und braucht beim nächsten Mal zur Legitimation keine »Hitlers« mehr.
Auch nach innen sind die Tabus gebrochen. Das grundgesetzliche Verbot eines Angriffskrieges als eine Konsequenz aus der Nazigeschichte ist praktisch aufgehoben. Für künftige »humanitäre Interventionen« wird die antifaschistische Begründung nicht mehr benötigt.
Wohl kaum jemand dürfte über die aktuelle Gleichsetzung »Vertreibung = Völkermord« mehr Genugtuung empfinden als die deutschen Vertriebenenfunktionäre. Denn wenn die Vertreibung im Kosovo »Auschwitz« gleicht, dann gilt dies auch für millionenfache Flucht und Vertreibung der Ostdeutschen 1944/45. Für diese Gleichsetzung haben die Revanchistenverbände über 50 Jahre lang gekämpft, jetzt wird sie ihnen von Rot-Grün geschenkt.
Die Entsorgung der Geschichte hätte die alte Bundesrepublik nie geschafft. Die CDU (zumindest ihre Stahlhelm-Fraktion) verkörperte die Nazi-Kontinuitäten in der BRD. Ihnen hätte niemand (weder im Inland noch im Ausland) die »Nie wieder Auschwitz«-Parolen abgenommen. Dagegen präsentieren sich die Rot-Grünen als geborene AntifaschistInnen. Die »Alt-68er« Schröder, Fischer, Scharping und Co. präsentieren jetzt »Nie wieder Auschwitz« als ihr »Lebensmotto«.
Dieselbe Bundesregierung feilscht derweil mit den wenigen überlebenden ZwangsarbeiterInnen um ihre Rechtsansprüche auf Entschädigung.