Lebendige Vergangenheit. Zur Kontinuität der deutschen Großalbanien – Politik
Matthias Küntzel (Gastbeitrag)Tosender Beifall für den Kanzler. Zu Tausenden strömten die Kosovo-Albaner im Juli 1999 in Prizren zusammen, um Gerhard Schröder mit »Deutschland Deutschland«-Rufen zu feiern. »Es ist schon beeindruckend und hat mich tief berührt«, bekannte er später, »als ich in Prizren auf der einen Seite deutsche Panzer und deutsche Soldaten mit Maschinenpistolen gesehen habe, und auf der anderen Seite konnte ich miterleben, wie mit ungewöhnlich euphorischem Jubel ein deutscher Bundeskanzler begrüßt worden ist. Ich finde, dass das vor dem Hintergrund der spezifisch deutschen Geschichte in dieser Region eigentlich jeden berühren muss.«1 Welche Geschichte hatte Schröder hier eigentlich gemeint ?
- 1Siehe hierzu: Grenzenlose Freunde, in; Jungle World, 4. April 2001
Im September 1943 etablierte die Wehrmacht in Prizren unter dem Beifall der Kosovo-Albaner eine »Zweite Prizren-Liga«, deren einziger Zweck die Tötung und Vertreibung der Serben zur Schaffung des »ethnisch reinen« Großalbaniens war. Im Februar 1944 wurde die albanische SS-Division»Skanderbeg« in Prizren stationiert. Im Oktober 1944 startete die deutsche SS von hier aus ihren letzten Versuch, den Sieg der Alliierten doch noch aufzuhalten. Damals wie heute steht diese Stadt im Zentrum der deutschen Großalbanien-Politik. Damals wie heute werden hier Deutsche umjubelt, während alle Nicht-Albaner um ihr Leben fürchten.
Seit dem März 2001 spitzt die Situation sich weiter zu: In Verbindung mit der UCK-Offensive gegen Tetovo hat Deutschland erstmals die »albanische Frage« für »offen« erklärt und so die Großalbanien-Idee protegiert. Der Blick auf die Geschichte aber offenbart, dass sich die Anflüge einer neuen deutschen Großalbanien-Politik unvermeidlich in jenen Spuren bewegen, die der Nationalsozialismus geschaffen hat. Gleichzeitig macht er den instrumentellen Charakter der deutschen Vergangenheitspolitik offenbar: Je beherzter die Bundesregierung an die Elemente der nationalsozialistischen Kosovo-Politik anknüpft, desto weniger ist die öffentliche Meinung an Kenntnissen darüber interessiert.
Vom italienischen...
Als Antwort auf den deutschen Einmarsch in Prag wurde Albanien am 7. April 1939 von italienischen Truppen besetzt. Dies Land war das mit Abstand ärmste und rückständigste Europas. Zwei Drittel seiner Einwohner waren tribalistisch organisiert und der Blutrache treu geblieben. Die miserable Infrastruktur verstärkte die Isolation der von Familienclans regierten Regionen.1 Von albanischem Nationalbewusstsein konnte unter diesen Umständen keine Rede sein. 1941 überfiel und besiegte Deutschland Jugoslawien.
Nach mehrtägigen deutsch-italienischen Verhandlungenteilte man das bis dahin jugoslawische Kosovo in drei Besatzungszonen auf; Bulgarien bekam den östlichen, an Mazedonien grenzenden Gebietsabschnitt zugesprochen. Deutschland sicherte sich die rohstoffreiche Gegend um Mitrovica im Norden der Provinz, während der größte Teil des Kosovo unter italienische Kontrolle gelangte und am 12. August 1941 mit dem italienisch beherrschten Kern-Albanien als »Großalbanien« fusioniert wurde. Das Verhältnis zwischen italienischen Besatzern und Kosovo-Albanern war von Anfang an gespannt.
So ging der Terror kosovoalbanischer Milizen gegen die Serben den faschistischen Besatzungsbehörden oft zu weit: Wiederholt eröffneten die italienischen Streitkräfte das Feuer, um Kosovo-Albaner von Massakern an Serben abzuhalten. Gezielt wurden italienische Truppen in den Städten stationiert, um die Gewalt in Schranken zu halten.2 Nicht nur aus diesem Grund »haben die Albaner die Italiener niemals respektiert.
Den Albanern missfiel die gesamte italienische Weltanschauung und sie mochten nicht, was sie als schwache und nicht-maskuline Form der Selbstdarstellung und desVerhaltens bei den Italienern wahrgenommen haben. Viele Albaner glaubten, dass die Italiener Lügner und Heuchler seien.«3 Deutsche Besatzer und Kosovo-Albaner verstanden sich dagegen besser. So gewährte die Nazi-Generalität in der deutschen Zone den Kosovo-Albanern ein weitaus höheres Maß an Autonomie als in der italienischen. Damit knüpfte die Wehrmacht an die Tradition der österreichischen Kosovo-Besetzung im I. Weltkrieg an.
1916 wie 1941 wurden den Kosovo-Albanern autonome Verwaltungen eingeräumt und die Benutzung des Albanischen als Amtssprache erlaubt. Und nicht nur 1941 bis 1944, sondern auch schon 1916 bis 1918 »wurden mit dem Ziel, die serbische Präsenz in der Region zu unterminieren, mehr als 300 albanischsprachige Schulen eröffnet.«4 Diese antiserbisch orientierte »Schulpolitik hat den spezifischen Nationalismus der Kosovo-Albaner erst hervorgebracht oder geprägt.5
...zum deutschen Großalbanien
Nach dem Sturz Mussolinis im September 1943 besetzten deutsche Truppen die großalbanische Region, um mit einem Minimum an Wehrmachtsverbänden die Landung des Kriegsgegners an der albanischen Küste zu verhindern. Vor dem Einmarsch der deutschen Truppen wurde das Land mit Flugblättern überschüttet, in welchen Nazi-Deutschland sich als Schutzmacht Albaniens im Kampf gegen seine Feinde - hier Italien und die Anglo-Amerikaner, dort Russland und die Serben - empfahl. Der Versuch, eine deutschfreundliche Marionettenregierung in Tirana zu etablieren, schlug angesichts des absehbaren alliierten Sieges zunächst fehl.
Nun wurde das Kosovo der maßgebliche Hebel der deutschen Albanienpolitik. »Dort wohnen die rassisch besten und politisch entschlossensten, soldatisch geeignetsten Elemente des albanischen Volkes«, schwärmte Hitlers Sonderbeauftragter für den Balkan, Hermann Neubacher, im September 1943 in einem Telegramm nach Berlin. »Es besteht die Möglichkeit,« so Neubacher weiter, die »kossowanische Miliz (...) in Tirana antreten zu lassen, welche die Freiheitsbewegung in Schwung bringen soll.«6
Und schon wurden die Kosovo-Albaner mit aktuell anmutenden Argumentationsmustern umbuhlt: »Die Deutschen erweckten den Eindruck«, schreibt der amerikanische Historiker B.J. Fischer, »dass erst jetzt, mit ihrer Ankunft, eine wirkliche Vereinigung des Kosovo mit Albanien erreicht würde.(...) Die Deutschen versäumten es nicht, die Albaner darauf hinzuweisen, dass die Alliierten in Sachen Kosovo auffällig schweigsam gewesen sind - ein Hinweis auf deren Absicht, es erneut den Jugoslawen zurückzugeben – und dass die Alliierten weder eine albanische Exilregierung noch ein albanisches Exilkomitee anerkannt und damit die Frage der Existenz eines albanischen Staates in der Nachkriegswelt in der Schwebe gelassen haben.«7
Die so eingesetzte Kosovo-Karte zog: Noch im September 1943 wurde ein hauptsächlich aus Kosovo-Albanern bestehendes Nationalkomitee installiert und in Tirana die »Unabhängigkeit« Albaniens erklärt. Deutschland freilich blieb das einzige Land, das das »unabhängige« Großalbanien diplomatisch anerkannte.8 Mit dem »laschen Besatzungsregime« gegenüber den Serben war es nach Beendigung der italienischen Phase vorbei. Von nun an ließ man den Massakern der kosovo-albanischen Milizen an Serben freien Lauf. Noch im September 1943 wurde mit tatkräftiger deutscher Unterstützung eine »Zweite Prizren-Liga« gebildet, deren erklärtes Ziel »ein ethnisch reines Großalbanien« war.
Die blutige Vertreibung der Serben, die die über 12.000 Mitglieder zählende Liga nun umzusetzen begann, fand unter deutscher Aufsicht und deutscher Anleitung statt. Neben der »Zweiten Prizren-Liga« rekrutierte die Wehrmacht ein 600-700 Mann starkes Bataillon, das ausschließlich aus deutschfreundlichen Kosovo-Albanern bestand und als Eliteeinheit nach Tirana geschickt wurde. Ende 1943 wurden weitere 1.200 kosovoalbanische Gendarmen von Mitrovica nach Tirana entsandt. Im Februar 1944 gab Adolf Hitler, der »für die letzte romantische Ecke Europas sehr viel übrig hatte«9 den Befehl, aus »diesem Bergvolk stolzer Waffenträger« (Neubacher) einen eigenständigen SS-Verband, die »SS-Division Skanderbeg«, zu etablieren.
Diese 6.500-köpfige Division wurde aus den albanischen Einheiten der 13. SS-Bosniaken-Gebirgsdivision sowie aus albanischen Milizen zusammengestellt. Ihr Standort war Prizren, ihr hauptsächliches Operationsgebiet das Kosovo, ihr erklärter Auftrag der »Schutz« des »ethnisch reinrassigen« Albamens.10 »Schutz« bedeutete: Wer nicht dazugehörte, wurde getötet oder Gräueln ausgesetzt und verjagt »Die Einheiten dieser Division«, schreibt Fischer, »erwarben sich schnell eine höchstunvorteilhafte Reputation, da sie, besonders in den serbischen Gebieten, das Vergewaltigen, Plündern und Ermorden dem Kämpfen vorzogen.«
Die außerordentliche Brutalität der »Skanderbeg-Division« ist vielfach belegt. So tötete sie am 28. Juli 1944 im Dorf Veliko 380 Ortsansässige (darunter 120 Kinder) und steckte 300 Häuser in Brand. Im April 1944 deportierte sie 300 Juden. Zwischen dem 28. Mai und 5. Juli »hob die SS-Division auf albanischem Gebiet weitere 510 ›Juden, Kommunisten, Partisanen und verdächtige Personen‹ aus«, berichtet Raul Hilberg. »249 von ihnen wurden abtransportiert.«11
Auch die Roma der Region Kosovo, die bis September 1943, mit gelben Armbinden gezeichnet, Zwangsarbeit leisten mussten, wurden nach Übernahme des Kosovo durch die Deutschen deportiert und in Konzentrationslager in Jugoslawien, aber auch nach Buchenwald und Mauthausen verschleppt.12 Entgegen der später in Tirana gepflegten Legende war das Kosovo auch für Titos Partisanen die mit Abstand unerfreulichste Region. »Die Bewegung im Kosovo ist sehr schwach, fast tot«, heißt es in einem Lagebericht der KP Jugoslawiens vom August 1943.13
Unter der Herrschaft der Deutschen verschlimmerte sich die Situation. In einem Bericht an das ZK der KP Jugoslawiens von Anfang 1944 erklärte die kleine und isolierte kommunistische Gruppe dieser Provinz, dass hier die albanischen Massen die nationalsozialistischen Besatzer als ihre Befreier und die Deutschen als ihre größten Freunde betrachteten.14 Selbst Ende 1944, als die südalbanischen Partisanen die Wehrmacht schon in die Flucht getrieben und Albanien befreit hatten, blieb speziell das Kosovo noch im Lager der Achsenmächte verankert. Keineswegs zufällig unternahm gerade hier die SS ihren letzten Versuch, den unvermeidlichen Sieg der Alliierten noch aufzuhalten.
Nachdem ihnen der Boden in Tirana zu heiß geworden war, setzten sich die beiden zurückgebliebenen Statthalter Deutschlands im Oktober 1944 nach Prizren ab und unterstützten die Errichtung einer antikommunistischen Regierung im Kosovo unter Führung ihres langjährigen Freundes, des Kollaborateurs Xhafer Deva, und führten ihr große Mengen an Waffen, Munition, Lebensmittelvorräten und vermutlich auch Agenten zu. Die Deva-Truppen sollen um die Jahreswende 1944/45 über mehr als 6000 Soldaten verfügt haben, ihr örtliches Zentrum war die Drenica-Region. Der Widerstand der Deva-Truppen gegen Titos Partisanenarmee dauerte von November 1944 bis Mai 1945 und konnte erst nach dem Einsatz einer 30.000-köpfigen Partisanenarmee zerschlagen werden.15 Die Großalbanien-Idee blieb jedoch virulent und lebte Anfang der 80er Jahre im Kosovo wieder auf.
Das Pogrom als Programm
Seit Titos Verfassungsänderung von 1974 konnte von einer Diskriminierung der Kosovo-Albaner keine Rede sein. Im Gegenteil: Diese genossen sämtliche Rechte und kontrollierten das gesamte »albanisierte« Kosovo. Dennoch stand für die Nationalisten auch in dieser Situation die Vertreibung und Drangsalierung aller Nicht-Albaner ganz oben auf der Tagesordnung. Das Ziel dieser Bewegung ist »ein ›ethnisch reines‹, das heißt von Serben und anderen Slawen >gesäubertes Gebiet<, in dem nur Albaner siedeln«, berichtete 1986 »Die Welt«. »Das Ziel der radikalen Nationalisten ist (...) ein ›ethnisches Albanien‹ das West-Mazedonien, Süd-Montenegro, Teile des südlichen Serbiens, Kosovo und Albanien umfasst«, notierte 1987 die New York Times.
Die Flucht der Slawen vor der andauernden Gewalt verwandelt das Kosovo in eben das, was die Nationalisten unter den ethnischen Albanern seit Jahren (...) fordern - in eine >ethnisch reine< Region.«16 Mit der deutschen Einheit von 1990 kam auch die traditionelle Schutzmacht der Großalbanien-Idee wieder ins Spiel. Noch im selben Jahr erklärten die Kosovo-Nationalisten ihre Provinz für unabhängig. Ibrahim Rugova wurde zum »Präsidenten« und Bujar Bukoshi zum »Regierungschef« eines »unabhängigen Kosova« ernannt. Beide machten aus ihrer weitreichenden Zielsetzung keinen Hehl. »Ich persönlich strebe eine Vereinigung mit Albanien an«, erklärte 1991 Rugova. »Die beste Lösung wäre allerdings, alle Albaner könnten in einem Staat zusammenleben, auch die Albaner in Mazedonien müßten daran beteiligt werden.«17
Bujar Bukoshi, der seine »Exilregierung« nicht zufällig in Deutschland installierte, stand dem nicht nach: »Wir werden alles tun, damit die freie Republik Kosovo und Albanien eines Tages eins werden«, zitierte ihn die taz und fügte hinzu: »Schon lernen die Kinder in den Privatschulen, wie sie sich bei einem ›Vertreibungskrieg‹ zu verhalten haben.«18 In der Tat: Dieses Privatschulprogramm der Kosovo-Albaner - von Deutschland aus geleitet, von albanischen Migranten finanziert und von der Bundesregierung politisch unterstützt - setzte mit seinen »grotesk nationalistisch und antiserbisch« (W. Oschlies) ausgerichteten Materialien eben jene »Bildungsarbeit« fort, die 1944 in den deutschen Besatzungszonen abgebrochen worden war.
Die ersten Sprengsätze für ein neues Großalbamen gingen Februar 1996 hoch: Als erste öffentliche Aktion attackierte die UCK fünf serbische Flüchtlingslager zeitgleich mit Bombenanschlägen. So begann, wie ein UCK-Sprecher später erklärte, »der Krieg für die Befreiung der Kosovo-Territorien, die von Serben, Makedonern und Montenegrinern okkupiert sind.«19 Es ist kein Zufall, dass schon diese erste Aktion die Handschrift der alten SS-Division »Skanderbeg« trug. Viele Führungskader der UCK, so etwa ihr Gründer Adem Jashari, wurden als die Kinder oder Enkel von Angehörigen der alten SS-Division Skanderbeg rekrutiert. Gern prahlt auch die rechtsextreme albanische Organisation »Balli Kombetar« (Nationale Front), die 1944 zu den wichtigsten Stützen der Nazi-Herrschaft zählte, mitihrem Einfluss in der UCK.20
Mit einigen Gebräuchen knüpfte die UCK auch unmittelbar an ihre Nazi-Vorläufer an. So werden bis heute zumindest die mazedonischen UCK-Mitglieder in Anlehnung an das 1941 in Prizren stationierte faschistische Schwarzhemden-Bataillon in eine schwarze Kluft gesteckt. Und auch ihr ursprünglicher Gruß – geballte Faust an die Stirn – entstammt der faschistischen Tradition. Erst nachdem dies bei historisch versierten BeobachternIrritationen auslöste, wurde der militärische Gruß dem in der Nato üblichen angepasst.21 Der wichtigste Kontinuitätsbezug zwischen der SS-Division Skanderbeg und der UCK liegt in der Tatsache begründet, dass es beiden nicht um irgendeine Form albanischer Eigenstaatlichkeit, sondern stets um eine »ethnisch reine« Eigenstaatlichkeit gegangen ist, die alles, was vom völkischen Homogenitätsideal abweicht oder an die ehemalige serbische Herrschaft erinnert, zerstören und ausrotten will.
Ihr Freiheits-Begriff ist am nationalsozialistischen »frei von« orientiert: Frei von Juden, frei von Roma, frei von Türken und mazedonischen Slawen. Dieses Verständnis von »Befreiung« hatte die UCK von Anbeginn in den von ihr kontrollierten Gebieten vorgeführt. »In den solchermaßen befreiten Dörfern verbot die UCK alle politischen Parteien und ging gewaltsam gegen die Minoritäten der Serben, Roma und Goranen (islamische Makedonier) vor.«22 Mit diesem völkisch-faschistoiden Gesellschaftsmodell ist das wohl wichtigste Merkmal des Projekts »Großalbanien« benannt.
Schutzzone für die UCK
Seit Beginn des Nato-Protektorats im Kosovo wurden alte Erinnerungen an das Großalbanien der Jahre 1943/44 wach. Als die deutschen Truppen in Prizren einmarschierten, wurden sie wie alte Wehrmachtsfreunde begrüßt. »Sicher hatten es die Deutschen von der ersten Stunde an leichter alsdie übrigen Kfor-Truppen«, berichtete »der Spiegel.« »Deren Parteinahme zu Zeiten Hitlers für die Unabhängigkeit der Albaner haben die heute noch lebenden Jahrgänge absichtsvoll zu einer geschichtlich beglaubigten Bruderschaft verewigt und an ihre Enkel weitergereicht. (...) Wie anno 1943 (...) preisen besonders die UCK-Hierarchen den >historisch belegten Pakte.«23
In einem »Leitfaden für Bundeswehrkontingente im Kosovo« hat die Bundesregierung diese Verbrüderungen thematisiert. »Es ist nicht auszuschließen«, heißt es darin, »dass Sie von Verwandten oder Freundenehemaliger Angehöriger der SS-Division ›Skanderbeg‹ (...) auf diese geschichtlichen Bezüge angesprochen werden.« Dies habe jedoch mit einer Heroisierung der Nazi-Herrschaft nicht unbedingt zu tun. Genauso gut könne, um »Verbundenheit« auszudrücken, ein deutscher Fußballer genannt werden.«24
Verbundenheit mit Deutschland wird in diesem Leitfaden mit »nazifreundlich« gleichgesetzt und der Begeisterung für die Taten der Wehrmacht Normalitätattestiert. Ihre Verbundenheit mit der Wehrmacht demonstriert tagtäglich aber auch die Bundeswehr. In präziser Nachahmung eines seit 1941 vom deutschen Sender »Radio Belgrad« gepflegten Rituals wird in Prizren als täglicher Ausklang des deutschen Soldatensenders der Wehrmachtsschlager »Lili Marleen« ausgestrahlt; eine Provokation, die sich die Bundesregierung nur dort erlauben kann, wo einstmals ein Zentrum der Nazi-Kollaboration gewesen war.25
Und doch hat diese Musikauswahl einen tieferen, wenn auch unbeabsichtigten Sinn: Zeitgleich zur Ausstrahlung der alten Melodie wurde in Prizren an die »Säuberungen« der früheren albanischen SS-Division angeknüpft. In keiner anderen Besatzungszone des Kosovo erhielt die UCK eine größere Pogromfreiheit als in der deutschen. »In Prizren haben es die deutschen Soldaten den albanischen Kämpfern der Kosovo-Befreiungsarmee überlassen, das in der Stadt geltende Recht zu bestimmen, und damit die serbischen Familien ihrem Schicksal überlassen«, kritisierte der in Paris erscheinende »Figaro«.26 »Die UCK habe erklärt, Prizren stehe vollständig unter ihrer Kontrolle«, bestätigte auch die FAZ. Selbst das geistliche Oberhaupt der Serben im Kosovo, Bischof Artemije, hatte vergeblich Sicherheitsgarantien vom deutschen Kfor-Kontingent in Prizren erbeten.«27
Ethnische Reinheit - deutsches Ideal
10.000 Serben aus Prizren wurden fast vollzählig erschlagen oder vertrieben, die Roma aus dem Kosovo systematisch verfolgt und die letzte jüdische Gemeinde in Pristina unter Gewaltandrohung verjagt. Und doch scheint dies für die deutsche Politik in erster Linie eine Erfolgsbilanz zu sein. »Im Kosovo sei die Kriminalität nun geringer als in Moskau«, frohlockte zum Beispiel Rudolf Scharping und auch der ehemalige deutsche Kfor-Kornmandant Klaus Reinhardt strotzt nur so vor Zufriedenheit: »Heute geht es in Prizren und Pristina wie in anderen westlichen Städten zu: Die Discos sind voll, die Leute sitzen auf den Boulevards und freuen sich, dass sie in Frieden leben können.«
Frieden, so die Logik, sei eingekehrt, weil die »Fremdvölkischen« endlich wieder verjagt worden sind. »Nur in den Zonen«, schränkt Reinhard ein, »wo die verschiedenen ethnischen Gruppen aufeinanderstoßen, sind die Spannungen noch groß.«28 Anders formuliert: Nur in Zonen und Ländern mit »ethnischer Reinheit« sind Gefahrenpotenziale eliminiert. Das Kosovo alsvölkisches Musterland? Schon haben Bundeswehr-Offiziere ihrer Auffassung Ausdruck verliehen, dass »die westliche Vorstellung nach einem friedlichen Zusammenleben der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen in multiethnischen Staatsgebilden (...) nichts als eine Fiktion« ist?"
Macht und Wahn
Wie in der Vergangenheit, so hat sich Deutschland auch in der Gegenwart als Schutzmacht des völkischen albanischen Nationalismus profiliert - mit Verve, mit Kompetenz und mit einem hochmotivierten Apparat. Für diese Politik wurde Gerhard Schröder in Prizren mit »ungewöhnlich euphorischem Jubel« bedacht. Soweit ist alles klar. Warum aber war Schröder, als er sich in Prizren feiern ließ, so »tief berührt«? Warum ging er davon aus, dass dieser Jubel »vor dem Hintergrund der spezifisch deutschen Geschichte« eigentlich jeden berühren müsse? Die Erklärung liegt auf der Hand: Der Bundeskanzler hat den Beifall der Kosovo-Albaner nicht als einen Jubel über die Kontinuität der deutschen Albanien-Politik wahrgenommen, sondern in diesen Beifall das genaue Gegenteil hineinphantasiert: die Bestätigung einer vermeintlichen Diskontinuität und die Belobigung eines »geschichtsgeläuterten« Deutschlands.
Im narzisstischen Hochgefühl derealisierte Schröder die Wirklichkeit und tat so, als hätten nicht die Verteidiger der Kollaboration Deutschland hochleben lassen, sondern die Nachfahren von Titos Partisanenarmee. Die Berühmtheit des Kanzlers macht den Wahn manifest: Eine spezifische psychologische Disposition formt sich ihre eigene Wirklichkeit. Für diese Disposition ist Auschwitz - also das Schuld-und Entlastungsmotiv - zentral. Der Einsatz der Bundeswehr, rief der Kanzler den in Prizren stationierten Soldaten zu, trage dazu bei, »historische Schuld und historisches Verbrechen, die im deutschen Namen begangen wurden, durch ein anderes Bild Deutschlands zu ersetzen.«29
Der logische Defekt in Schröders Formulierung - können Bilder Verbrechen »ersetzen«? - korrespondiert mit dem psychologischen des deutschen Kollektivs: Nach dem Modell der Festplatte, die man löscht und mit einem neuen Programm überschreibt, stehen Schröder & Co. unter dem Zwang, die Nazi-Verbrechen löschen und mit einem »Stolz auf Deutschland«-Progamm überschreiben zu wollen. Zwar kollidiert diese Disposition mit der politischen Realität: Die Kontinuitätslinien zwischen aktueller und nationalsozialistischer Kosovo-Politik liegen offen zutage. Die Wirklichkeit wird vom gesellschaftlichen Bewusstsein jedoch nur soweit anerkannt, wie sie mit der sozialpsychologischen Bedarfslage harmoniert. Zwar haben sich die Deutschen angeblich so intensiv mit ihrer Vergangenheit befasst, wie niemand sonst.
Doch die Verbrechen der kosovo-albanischen SS werden wie selbstverständlich ignoriert, erinnern sie doch an die Gegenwart. Zwar erfreut sich das Thema »Vertreibung« einer allgemeinen Popularität. Doch die Vertreibung der Juden von Pristina, die u.a. das britische Parlament beschäftigte, wird hierzulande tabuisiert, erinnert sie doch an die Vergangenheit. Das große pluralistische Geschwafel, das im Gestus der absoluten Aufgeklärtheit die deutschen Gazetten und Kanäle füllt, weicht abrupt einem durchgängigen Schweigen, sofern der Bedarf nach Entlastung zu Schaden kommen könnte und der nationalsozialistische Hintergrund der aktuellen deutschen Großalbanienpläne kenntlich zu werden droht...
Anmerkung: Die Thesen dieses Artikels sind in der Redaktion umstritten.
Zum Autor:
Matthias Küntzel ist Autor des Buches »Der Weg in den Krieg«. Dort beschreibt er
quellenreich die Vorgeschichte des Kosovo-Krieges. Seine These widerspricht den gängigen Rechtfertigungsversuchen für die deutsche Beteiligung an der Bombardierung Serbiens: Die deutsche Regierung hat den Konflikt seit Anfang der 90er Jahre angeheizt und den Weg in den Krieg zielstrebig verfolgt.
Literaturhinweis:
Matthias Küntzel
Der Weg in den Krieg
Elefanten Press
- 1Vgl. Bernd l. Fischer, Albania at War 1939-1945, Hurst & Co., London 1999, S. 1 6 8 und 185
- 2Smilja Avramov, Genocide in Yugoslavia, zit. nach George Thompson, The roots of Kosovo fascism, vgl. www. Emperors-clothes.corrl/articIes/thompson/roalsql.htm, S.2.
- 3Fischer, a.a.O., S.89
- 4Vgl. Miranda Vickers.Between Serb and Albanian. A Histoiy of Kosovo, Hurst & Co., London, 1998, S.92
- 5Vgl Klaus Thörner, in: J, Elsässer (Hrsg.), Nie wieder Krieg ohne uns, Hamburg T999, S. 16ff sowie Peter Bartl. Albanien, Regensburg 1995, S. 135, 138, 189f
- 6Brief Neubachers an das Auswärtige Amt vom 12.September 1943, zit. nach: Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918 - 1945. Serie E: 1941-45, Bd. VIII ( 1. Mai 1944- 8. Mai 1945), S. 540 (Dok. 316)
- 7Bernd J. Fischer, a.a.O., S.167
- 8Archiv der Gegenwart. 1944, S. 6449
- 9Neubacher, a.a.O., S. 110
- 10Vgl. Kriegstagebuch des Oberkommandos dter Werhrmacht, Band IV, S. 624; Fischer, a.a.O., S. 185; Neubacher, a.a.O., S; 116
- 11Raul Hilberg. DieVernichtung der europäischen Juden, Bd, l), Frankfurt. 1990,S.751
- 12Karola Fings, Cordula Lissner, Frank Sparing, "...einziges Land, in dem Judenfrage und Zigeunerfrage gelöst.« Die Verfolgung der Roma im faschistisch besetzten Jugoslawien. 1941 -1945, Köln, S. 43
- 13Geolf Ryan, Spielball fremder Interessen. Die albanische nationale Bewegung in Kosova, in; Soz 10/13.5.1999
- 14 Christine von Kohl, Wolfgang Libal, Kosovo: gordischer Knoten des Balkan; Wien 1992, S. 48 f
- 15Fischer, a.a.O., 5240; Jens Reuter, a.a.O., S. 35
- 16Die Welt, 17.1.86; NYT, 1.11.1987.
- 17Guardian, 14.10.1991 sowie taz, 25.10.1993
- 18taz, 11.5.1992
- 19Zit. nach W. Oschlies, Kosovo '98: Breitenwirkung und (mögliche) Lösungen des Könflikts, Köln 1998, S. 7
- 20Stefan Lipsium, Kosovo: Politische Führung zerstritten, in: Siidosteuropa, Heft 7/8 1999, S.370
- 21Vgl. Foreign Affairs, May/June 1999, S. 27
- 22Le Monde Diptomatique, Mai 1999, S. 20.
- 23Spiegel 36/1999, S.184 sowie 35/1999, S . 151
- 24Vgl. Rüdiger Gobel, »Der Albaner ist...«, in: junge Welt, 30. Juni 2000
- 25Vgl. etwa Die Zeit, 12.8.1999
- 26Vgl , taz, 21.6.1999
- 27FAZ, 17.6.1999
- 28Interview mit K. Reinhardt, in: Die Woche, 9.6.2000, Zur Aussage Scharping; FAZ, 27.10.00
- 29Spiegel 30/1999, S. 25